BGH Urteil v. - 5 StR 306/12

Verfall: Voraussetzungen der Nichtanordnung; Ermessensentscheidung; Beanstandung der mangelnden Feststellung der Ersatzansprüche im Revisionsverfahren

Leitsatz

1. Für die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist der historische Sachverhalt entscheidend, aus dem sich der Ersatzanspruch ergibt, und nicht das Schutzgut des verletzten Strafgesetzes, aus dem der Angeklagte verurteilt wurde.

2. Zum Ermessen nach § 111i Abs. 2 StPO und zur Erforderlichkeit einer Verfahrensrüge für die Beanstandung der Nichtanwendung dieser Vorschrift.

Gesetze: § 73 Abs 1 S 2 StGB, § 326 StGB, § 111i Abs 2 StPO

Instanzenzug: Az: 430 Js 61885/08 - 21 KLs 1/09

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten R.  wegen vorsätzlichen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen in sieben Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Betreiben von Anlagen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die allein die Nichtanordnung des Verfalls beanstandet und über die der Senat nach mündlicher Hauptverhandlung entscheiden muss, bleibt ohne Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat bei dem Angeklagten die Anordnung eines Verfalls abgelehnt.

31. Nach den Feststellungen unterhielt der Angeklagte einen Entsorgungsfachbetrieb, der sich mit der Verfüllung von sogenannten Bürgermeister-Deponien befasste. Diese aus der DDR-Zeit stammenden Abfallsammelstellen sollten so rekultiviert werden. Dies war nach Landesrecht Aufgabe der Gemeinden, die mit diesen Arbeiten den Betrieb des Angeklagten beauftragten. Nach den Vereinbarungen musste der Angeklagte auf seine Kosten jeweils eine Schließungskonzeption erstellen und die Deponien verfüllen, konnte andererseits bestimmte Abfallmaterialien einbringen. Hierfür waren aber abfallrechtliche Sicherungs- und Rekultivierungsanordnungen zu beachten.

4Der Angeklagte verfüllte an sieben Standorten Abfallmaterialien, die nicht den Vorgaben entsprachen. So ließ er Kunststoffabfälle, Haus- und Gewerbemüll sowie gefährliche Abfälle einbauen, die eine Kontamination der Bodenschichten und des Grundwassers herbeiführen können. Eine Sanierung wird beträchtliche Kosten erfordern, insgesamt bis zur Höhe von 73 Mio. €. Für die Verfüllung der Deponien flossen dem Betrieb des Angeklagten in den Jahren 2006 und 2007 Einnahmen in Höhe von 4,3 Mio. € zu, die er von Müllunternehmern für die Verfüllung der nicht genehmigten Abfälle in den einzelnen Deponien erhielt.

52. Das Landgericht hat die Anordnung eines Verfalls abgelehnt. Dem stünden gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB Ansprüche der Verletzten entgegen. Auch wenn die Umweltdelikte, derentwegen der Angeklagte verurteilt worden sei, dem Schutz der Allgemeinheit dienten, ergäben sich Ersatzansprüche. Dies zeige sich schon daran, dass den betroffenen Gemeinden oder privaten Eigentümern mit der Anordnung des Verfalls Haftungsmasse entzogen würde. Deren Vermögenssphäre schütze § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB gleichermaßen. Da Umweltbehörden bereits Ersatzansprüche verfolgten und die dinglichen Arreste zugunsten der Geschädigten erweitert worden seien, bestehe kein Anlass für die Anordnung eines Verfalls.

II.

6Die gegen die Nichtanordnung des Verfalls gerichteten Angriffe der Staatsanwaltschaft bleiben ohne Erfolg.

71. Zu Unrecht beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB schon deshalb hätte unterbleiben müssen, weil Umweltstraftaten nicht dem Individualschutz dienen. Damit vermengt die Staatsanwaltschaft in unzulässiger Weise das Schutzgut des Straftatbestandes mit der Frage der Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB (unklar auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 73 Rn. 22). Zwar mag es bei der Verletzung von Allgemeinrechtsgütern häufig der Fall sein, dass ein im materiellen Sinne Geschädigter fehlt. Zwingend ist dies indes nicht. Denn es können auch durch Straftaten, die sich in erster Linie gegen Allgemeinrechtsgüter richten, Ersatzansprüche von Dritten entstehen. Im Umweltstrafrecht sind solche Fallgestaltungen sogar verbreitet, weil es regelmäßig neben dem Täter als Verursacher auch Zustandsstörer geben kann, die ebenfalls – wenn auch nur nachrangig – möglicherweise zur Beseitigung des umweltrechtswidrigen Zustands verpflichtet sind und dann gegenüber dem Handlungsschädiger Ersatzansprüche haben.

8Für die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist – wie der Senat bereits entschieden hat (, wistra 2010, 141) – der historische Sachverhalt entscheidend, aus dem sich der Ersatzanspruch ergibt, und nicht das Schutzgut des verletzten Strafgesetzes, aus dem der Angeklagte verurteilt wurde. Ist durch eine Handlung, die zugleich strafrechtlich relevant ist, ein anderer geschädigt worden, geht dieser als Verletzter gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vor. Dies gilt im Übrigen unabhängig davon, ob die Justizbehörden die Verfolgung auf solche Delikte nach §§ 154, 154a StPO beschränkt haben, deren Verfolgung im Allgemeininteresse liegt (BGH aaO). Nur diese Auslegung wird dem Schutzzweck der Vorschrift gerecht, dem Geschädigten durch eine Verfallsanordnung nicht die Mittel zu entziehen, die für die Schadensbeseitigung aufzuwenden sind. Der Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verlangt nur einen Kausalzusammenhang zwischen Tatbegehung und Entstehung des Ersatzanspruches. Eine Beschränkung auf bestimmte Deliktstypen ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.

92. Ebenso wenig überzeugt der Gedanke, wonach der Angeklagte die Vermögenswerte nicht „aus der Tat“, sondern „für die Tat“ erhalten hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft es zwar grundsätzlich zu, dass der Ausschluss zugunsten des Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nur für Vermögensvorteile des Täters Anwendung findet, die „aus der Tat“, nicht aber für solche, die „für die Tat“ erlangt sind (, wistra 2010, 439, und Beschluss vom – 4 StR 447/10, NStZ 2011, 229). Danach sind Vermögenswerte „für die Tat“ erlangt, die dem Täter als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, aber nicht auf der Tatbestandserfüllung selbst beruhen (, BGHSt 50, 299, 309 f.). Allerdings gilt auch hier, dass die Vorteile dann aus der Tat erlangt sind, wenn Vermögensnachteile und Vermögenszuwachs spiegelbildlich miteinander korrespondieren (, wistra 2010, 439 – zum Verhältnis Amtsdelikt und damit zusammenhängender Untreue).

10Im vorliegenden Fall dürfte schon die letztgenannte Ausnahmekonstellation vorliegen. Die Bezahlung erfolgte nämlich für den unerlaubten Umgang mit Abfällen im Sinne des § 326 StGB, wobei die Ersatzpflicht des Angeklagten – spiegelbildlich – aufgrund dieses unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen entstanden ist.

11Hinzu kommt aber, dass der Angeklagte tateinheitlich jeweils auch wegen unerlaubten Betreibens einer Abfallentsorgungsanlage nach § 327 Abs. 2 Nr. 3 StGB verurteilt wurde. Hinsichtlich dieses vom Landgericht zu Recht jeweils als idealkonkurrierend ausgeurteilten Tatbestands sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB gegeben. Der Angeklagte hat nämlich durch den Betrieb der illegalen Deponie die Vermögenszuwächse erwirtschaftet. Im Blick auf diesen Tatbestand sind mithin die für die illegale Lagerung geleisteten Zahlungen „aus der Tat“, nämlich aus dem illegalen Betrieb der Abfallanlage erlangt. Der Schutzzweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, der dem Ersatzberechtigten die dem Täter zugeflossenen Mittel für die Schadenswiedergutmachung sichern soll, erfordert es, von einer Verfallsanordnung abzusehen, auch wenn zugleich ein Tatbestand verwirklicht sein sollte, aus dessen Normperspektive die Vermögenszuflüsse „für die Tat“ erfolgt sein sollten.

123. Nunmehr will die Staatsanwaltschaft im Nachgang zu ihrer Revisionsbegründung, in der dieser Gesichtspunkt nur am Rande erwähnt wurde, primär beanstanden, dass das Landgericht von einer Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO abgesehen hat. Auch diese Beanstandung bleibt erfolglos.

13a) Die begehrte Feststellung käme nur in Betracht, soweit die zugrundeliegenden Taten nicht vor dem beendet worden wären (BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 460/08, wistra 2009, 241, und vom – 4 StR 293/10). Im vorliegenden Fall waren die Taten teilweise vor diesem Zeitpunkt beendet, teilweise auch erst danach, wobei die Urteilsgründe hierzu in einigen Fällen keine näheren Ausführungen enthalten.

14b) In einem Fall unterbliebener Anordnung hätte es zur Beanstandung mangelnder Feststellung nach der Vorschrift des § 111i Abs. 2 StPO, die – ungeachtet der materiellen Komponente, welche die Anwendung des § 2 Abs. 3, 5 StGB bedingt – im Verfahrensrecht, in engstem Sachzusammenhang mit Regelungen über vorläufige Sicherstellungen im Verfahren, verankert ist, einer innerhalb der Revisionsbegründungsfrist spezifiziert auszuführenden Verfahrensrüge bedurft. Diese ist jedenfalls erforderlich, wenn, wie hier, eine lediglich partiell unterbliebene Anwendung der Norm zum Revisionsgegenstand gemacht werden soll. Dies gilt namentlich für einen Übergangsfall wie den vorliegenden, in dem Beschlagnahme und dinglicher Arrest ohne Rücksicht auf den Tatzeitpunkt angeordnet worden waren. An einer solchen Rüge fehlt es.

15c) Abgesehen davon könnte die Beanstandung nicht einmal in der Sache Erfolg haben. Der Senat könnte dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ausreichend sicher entnehmen, dass das Landgericht von einem ihm zustehenden Ermessen für eine Anordnung nach § 111i Abs. 2 StPO keinen Gebrauch machen wollte.

16Das weitgehende tatgerichtliche Ermessen ist vom Revisionsgericht ohnehin regelmäßig hinzunehmen (vgl. Nack in KK-StPO, 6. Aufl. , § 111i Rn. 17). Freilich mag auf entsprechende Anordnungen nach § 111i Abs. 2 StPO nur in Ausnahmefällen verzichtet werden können ( unter Bezugnahme auf BT-Drucks. 16/700, S. 15 f.). Dies kann aber nur für Fälle gelten, in denen die Anwendung des § 111i Abs. 2 StPO wegen zu erwartender Nichtinanspruchnahme des Täters auf Schadensersatzleistung und eines danach zu befürchtenden Verbleibens von Tatgewinnen bei ihm vordringlich erscheint.

17Gerade das ist hier nicht der Fall: Das Landgericht hat festgestellt, dass Behörden in erheblichem Umfang bereits Ersatzansprüche verfolgen. Die Schäden liegen in einer so beträchtlichen Höhe, dass sie den Betrag der zugeflossenen Gelder übersteigen dürften. Das Landgericht hatte zudem die bestehenden dinglichen Arreste zugunsten derjenigen, die Ersatzansprüche geltend machen, erweitert. Damit besteht eine Situation, in der auch ohne ein nur partiell zulässiges Vorgehen nach § 111i Abs. 2 und 3 StPO weiterhin eine ausreichende Absicherung der Ersatzansprüche der durch die Straftat Geschädigten anzunehmen ist.

18Nach alledem wäre die vom Landgericht unterlassene Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO als ermessensfehlerfrei hinzunehmen gewesen, zumal die Ermittlung der Beendigung der einzelnen Taten noch erheblichen justiziellen Aufwand erfordert hätte und der Angeklagte zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, deren alsbaldige Verbüßung vordringlich herbeizuführen war.

19d) Im Übrigen neigt der Senat im Zusammenhang mit der Frage ausreichender Sicherung der Ersatzanspruchsberechtigten dazu, dass im Falle des Absehens von einer Verlängerung nach § 111i Abs. 3 StPO der gemäß § 111b Abs. 5, § 111d StPO zum Zweck der Rückgewinnungshilfe erlassene dingliche Arrest gleichwohl nach den Regelungen der §§ 916 ff. ZPO fortwirkt. Die nur partielle Bezugnahme auf einzelne Regelungen der Zivilprozessordnung in § 111d Abs. 2 StPO, die auf die Rechtslage im laufenden Strafverfahren nach Arrestanordnung zielt, steht dieser Annahme nicht entgegen. Eine dem Rechtsinstitut des Arrestes fremde automatische Beendigung mit Rechtskraft des weder eine Verfallsanordnung noch einen Ausspruch nach § 111i Abs. 2 StPO enthaltenden Urteils, wie sie in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertreten wird (vgl. etwa OLG Stuttgart, NStZ 2005, 401; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 55. Aufl., § 111e Rn. 18; BeckOK/Huber, StPO, Edition 15, § 111e Rn. 10), ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Eine Pflicht des Gerichts zur Aufhebung des Arrestes allein wegen des Unterbleibens einer entsprechenden Anordnung im Urteil (so wohl LR/Schäfer, StPO, 25. Aufl., § 111i Rn. 1) ist ebenfalls nicht ausdrücklich geregelt und erscheint auch systematisch nicht zwingend. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arrest – wie hier – nach § 111b Abs. 5 StPO (auch) zugunsten der Verletzten erlassen wurde.

20e) Da das Absehen von einer Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO somit auch in der Sache nicht zu beanstanden wäre, käme es im Ergebnis nicht darauf an, ob deren Voraussetzungen überhaupt für sämtliche erlangten Beträge vorgelegen hätten. Dies ist insbesondere hinsichtlich der Einnahmen zweifelhaft, die an die vom Angeklagten gegründete GmbH geflossen sind. Ob der Angeklagte über die dieser zugeflossenen Beträge tatsächlich wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt hatte, ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen. Hieran kann es nämlich auch bei einer Ein-Personen-GmbH fehlen, wenn etwa bei Bestehen hoher Verbindlichkeiten eine Entnahmemöglichkeit des Gesellschafters trotz des Geldzuflusses mangels ausreichender Liquidität nicht besteht.

Basdorf                          Raum                      Sander

                   König                       Bellay

Fundstelle(n):
NJW 2013 S. 950 Nr. 13
wistra 2013 S. 225 Nr. 6
wistra 2013 S. 309 Nr. 8
AAAAE-31621