BFH Beschluss v. - II B 78/12 BStBl 2013 II S. 172

Wahlrecht auf rückwirkende Anwendung des ErbStG 2009

Leitsatz

Das Wahlrecht nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG auf rückwirkende Anwendung des ErbStG 2009 auf Erwerbe von Todes wegen, für die die Steuer nach dem und vor dem entstanden ist, konnte bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung, längstens bis einschließlich ausgeübt werden.

Gesetze: ErbStRG Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2ErbStRG Art. 6 Abs. 1 und 3FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I.

1 Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Alleinerbe seines am verstorbenen Vaters.

2 Aufgrund der im Oktober 2008 abgegebenen Erbschaftsteuererklärung setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Erbschaftsteuer mit Bescheid vom auf 160.151 € fest. Der Bescheid erging hinsichtlich der Steuerberatungs- und Erbscheinkosten nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung teilweise vorläufig. Der ohne Begründung eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.

3 Im Rahmen des Klageverfahrens beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuerreformgesetzes (ErbStRG) vom (BGBl I 2008, 3018, BStBl I 2009, 140) die Anwendung der geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der ab geltenden Fassung (ErbStG 2009). Diesem Antrag entsprach das FA wegen der verspäteten Antragstellung nicht. Die Erbschaftsteuer wurde wegen hier nicht streitiger Punkte zuletzt im Bescheid vom auf 164.274 € festgesetzt. Hinsichtlich des nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG gestellten Antrags blieb die Klage ohne Erfolg.

4 Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt der Kläger, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Fortbildung des Rechts und wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

II.

5 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob der Kläger Gründe für die Zulassung der Revision in der gebotenen Weise (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—) dargelegt hat. Jedenfalls sind die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben.

6 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

7 a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (, BFH/NV 2012, 1136). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn hinsichtlich ihrer Beantwortung Unsicherheit besteht (, BFH/NV 2004, 783). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage wird dagegen nicht aufgeworfen, wenn die streitige Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom VI B 40/12, BFH/NV 2012, 1609, und vom I S 5/12, BFH/NV 2012, 1325).

8 b) Nach diesen Maßstäben ist die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob es mit dem Sinn und Zweck des ErbStRG vereinbar ist, dass das Außerkrafttreten des Art. 3 ErbStRG am das Erlöschen des nach Abs. 1 dieser Vorschrift entstandenen Wahlrechts zur Folge haben kann, nicht klärungsbedürftig. Das in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG begründete Wahlrecht konnte, wovon auch das FG in dem angefochtenen Urteil ausgegangen ist, nur bis einschließlich ausgeübt werden. Dies ergibt sich aus dem Inhalt und dem Zweck der Regelung sowie der Gesetzesbegründung.

9 aa) Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG kann ein Erwerber bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung beantragen, dass die durch dieses Gesetz geänderten Vorschriften des ErbStG 2009, mit Ausnahme des § 16 ErbStG 2009, und des Bewertungsgesetzes auf Erwerbe von Todes wegen anzuwenden sind, für die die Steuer nach dem und vor dem entstanden ist. Ist die Steuer, die auf einen Erwerb von Todes wegen nach dem und vor dem entstanden ist, vor dem festgesetzt worden, kann der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden; in diesem Fall kann die Steuerfestsetzung entsprechend geändert werden (Art. 3 Abs. 2 ErbStRG). Das Gesetz ist am in Kraft getreten (Art. 6 Abs. 1 ErbStRG). Art. 3 ErbStRG trat am außer Kraft (Art. 6 Abs. 3 ErbStRG).

10 bb) Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass für das in Art. 3 Abs. 2 ErbStRG eingeräumte Antragsrecht, das Steuerfestsetzungen „vor” dem betrifft, die Antragsfrist von sechs Monaten nach Inkrafttreten des ErbStRG ausdrücklich in der Vorschrift aufgenommen ist, während für das Antragsrecht nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG eine entsprechende Bestimmung fehlt. Dennoch ergibt sich aus der von vornherein beschränkten zeitlichen Geltung des Art. 3 ErbStRG und der Gesetzesbegründung klar, dass auch die Ausübung des Antragsrechts nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG nur für den Zeitraum von sechs Monaten vom Inkrafttreten des ErbStRG bis zum Außerkrafttreten des Art. 3 ErbStRG ermöglicht werden sollte.

11 aaa) Aus der Begründung zum Entwurf des ErbStRG ist zu entnehmen, dass das Wahlrecht gemäß Art. 3 ErbStRG auf rückwirkende Anwendung des geänderten Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts eingefügt wurde, um eine in Einzelfällen möglicherweise eintretende verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung auszuschließen (BTDrucks 16/7918, S. 47). Zu Art. 3 Abs. 1 ErbStRG ist ausgeführt, dass der Erwerber bei einem Erwerb von Todes wegen sein Wahlrecht ab Inkrafttreten für den Zeitraum ab dem ausüben könne. Des Weiteren werde der Zeitrahmen, in dem das Antragsrecht ausgeübt werden könne, für den Fall festgelegt, in dem die Steuerfestsetzung noch nicht unanfechtbar sei (BTDrucks 16/7918, S. 47).

12 Aufgrund von Empfehlungen der Ausschüsse (BRDrucks 168/1/09, S. 48) hat der Bundesrat mit Beschluss vom vorgeschlagen, die Antragsfrist auf ein Jahr zu verlängern und insoweit sowohl Art. 3 Abs. 2 ErbStRG als auch Art. 6 Abs. 3 ErbStRG zu ändern (BRDrucks 168/09 (Beschluss), S. 45). Die Verlängerung hat er damit begründet, dass „Art. 3 ErbStRG” am wieder außer Kraft trete und deshalb für den Antrag lediglich eine Frist von sechs Monaten bleibe, die wegen der umfassenden Änderungen des Erbschaftsteuerrechts durch das ErbStRG als zu kurz erscheine (BRDrucks 168/09 (Beschluss), S. 45). Eine Differenzierung nach den Absätzen 1 und 2 des Art. 3 ErbStRG, also für Steuerfestsetzungen „vor” und „nach” dem , wurde hierbei nicht vorgenommen.

13 Der Bundestag ist dem Vorschlag des Bundesrates nicht gefolgt (BTDrucks 16/12674, S. 19). In der Unterrichtung durch die Bundesregierung wurde darauf hingewiesen, dass das ErbStRG am vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden ist. Der Gesetzgeber habe sich dabei bewusst für die sechsmonatige Übergangsfrist, innerhalb derer der Antrag auf Anwendung des neuen Rechts nur gestellt werden könne, entschieden. Seit der Beschlussfassung des Bundestages hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben, die eine Änderung rechtfertigen könnten.

14 Daraus ist eindeutig zu entnehmen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers in allen Fällen bei Erwerben von Todes wegen, in denen ein Antrag auf Anwendung des neuen Rechts gestellt werden konnte, die Antragsfrist von sechs Monaten ab Inkrafttreten des ErbStRG am maßgeblich sein sollte. Für eine unterschiedliche Antragsfrist für Steuerfestsetzungen vor und nach dem sind auch keine gewichtigen Gründe ersichtlich. Denn das Antragsrecht betrifft jeweils Erwerbe von Todes wegen, für die die Steuer in der Zeit vom bis einschließlich entstanden ist.

15 bbb) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber die Befristung des Antragsrechts auf sechs Monate ab Inkrafttreten des ErbStRG für den Antrag nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG –-anders als für den Antrag nach Art. 3 Abs. 2 ErbStRG— nicht in der Vorschrift selbst, sondern über das Außerkrafttreten in Art. 6 Abs. 3 ErbStRG geregelt hat.

16 Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG erlaubte einem Erwerber, für einen Erwerb von Todes wegen in einem zurückliegenden Zeitraum anstelle der hierfür geltenden Erbschaftsteuerregelungen die rückwirkende Anwendung der geänderten Vorschriften des ErbStG 2009 zu wählen, wobei Art. 3 ErbStRG bereits am wieder außer Kraft trat. Eine außer Kraft getretene Norm des materiellen Rechts bleibt zwar auf Tatbestände und Rechtsverhältnisse anwendbar, die während der Geltung der Vorschrift bestanden haben oder entstanden sind (vgl. , BFHE 216, 47, BStBl II 2007, 574, m.w.N.). Dies bedeutet aber nicht, dass das auf Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG beruhende Antragsrecht auch nach dem Außerkrafttreten der Vorschrift noch ausgeübt werden konnte. Denn hier ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers, der im Rahmen der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck gekommen ist, das Antragsrecht auf rückwirkende Anwendung des ErbStG 2009 nur während einer sechsmonatigen Übergangsfrist gewährt werden sollte. Durch die kurze zeitliche Befristung des Antrags sollte aus Gründen der Rechtssicherheit zeitnah nach Inkrafttreten des ErbStRG feststehen, welche Rechtsvorschriften auf einen Erwerb von Todes wegen anzuwenden sind, für den die Steuer in der Zeit nach dem und vor dem entstanden ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG begründet deshalb für die Zeit nach dem Außerkrafttreten der Vorschrift nicht (weiterhin) das Recht, die rückwirkende Anwendung des ErbStG 2009 erstmals zu beantragen; die Norm bleibt nur Rechtsgrundlage für ein fristgemäß ausgeübtes Antragsrecht.

17 cc) Auch in der Literatur wird weitaus überwiegend die Auffassung vertreten, dass das Antragsrecht nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG nur bis einschließlich ausgeübt werden kann (vgl. Theissen, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge –-ZEV— 2009, 227; Eisele, ZEV 2009, 152, 153; Stöckel, Neue Wirtschafts-Briefe 2009, 1262; Richter, Escher, Finanz-Rundschau 2009, 755; Brüggemann, Erbfolgebesteuerung 2009, 108; Neufang, Betriebs-Berater 2009, 1500; Hannes, Onderka, von Oertzen, ZEV 2009, 289; Pahlke in Fischer/ Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Aufl., Anhang zu § 37 ErbStG Rz 12; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 37 Rz 38, 45; differenzierend Hartmann, Der Erbschaft-Steuer-Berater 2010, 140; a.A. Geck in Kapp/Ebeling, § 37 ErbStG Rz 9; Halaczinsky in Daragan/Halaczinsky/Riedel, ErbStG, BewG, Anhang zu § 37 ErbStG: Art. 3 ErbStRG Rz 5).

18 dd) Die Finanzverwaltung hat bereits in gleich lautenden Erlassen vom (ZEV 2009, 152) darauf hingewiesen, dass bei einer Steuerfestsetzung nach dem der Antrag nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung, längstens bis zum gestellt werden kann. Die Antragstellung war schon vor Abgabe der Erklärung oder mit der Abgabe der Erklärung möglich.

19 2. Eine Zulassung der Revision zur Rechtsfortbildung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO scheidet mangels einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage ebenfalls aus (vgl. , BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896).

20 3. Die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter stellt keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar.

21 a) Das FG hat im Streitfall von der ihm nach § 6 Abs. 1 FGO gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Rechtsstreit durch Beschluss des Senats einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen. Dieser Beschluss ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 FGO unanfechtbar. Eine fehlerhafte Anwendung des § 6 FGO kann deshalb regelmäßig nicht mit der Revision (§ 124 Abs. 2 FGO) und somit auch nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden (, BFH/NV 2007, 519). Die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO für eine Übertragung des Rechtsstreits aufgeführten materiellen Voraussetzungen, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und keine grundsätzliche Bedeutung hat, sind nicht als tatbestandliche Voraussetzungen für das Übertragungsermessen des FG, sondern lediglich als der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht entzogene Leitlinien eines dem FG eingeräumten Ermessens zu verstehen (, BFHE 190, 47, BStBl II 2000, 88).

22 b) Die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter kann nur dann als verfahrensfehlerhaft angesehen werden, wenn sie auf einem groben Rechtsverstoß im Sinne einer greifbaren Gesetzwidrigkeit beruht (, BFH/NV 2008, 611, m.w.N.). Hierfür sind im Streitfall aber keine Anhaltspunkte erkennbar.

Fundstelle(n):
BStBl 2013 II Seite 172
BFH/NV 2013 S. 320 Nr. 2
BFH/PR 2013 S. 99 Nr. 3
BStBl II 2013 S. 173 Nr. 4
DB 2013 S. 37 Nr. 1
DStR 2013 S. 30 Nr. 1
DStRE 2013 S. 122 Nr. 2
DStZ 2013 S. 56 Nr. 3
EStB 2013 S. 56 Nr. 2
ErbBstg 2013 S. 31 Nr. 2
ErbStB 2013 S. 36 Nr. 2
HFR 2013 S. 141 Nr. 2
KÖSDI 2013 S. 18214 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2013 S. 13
StB 2013 S. 6 Nr. 1
StBW 2013 S. 120 Nr. 3
StBW 2013 S. 52 Nr. 2
StuB-Bilanzreport Nr. 7/2013 S. 272
UVR 2013 S. 139 Nr. 5
Ubg 2013 S. 126 Nr. 2
QAAAE-25889