BGH Beschluss v. - II ZB 10/11

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anwaltliche Sorgfaltspflichten vor Löschung einer Frist im Fristenkalender

Leitsatz

Eine Frist darf im Fristenkalender erst dann gestrichen und als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die Person, die mit der Kontrolle betraut ist, sich anhand der Akte oder des postfertigen, die Frist erledigenden Schriftsatzes selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist.

Gesetze: § 233 ZPO

Instanzenzug: Az: 18 U 4723/10vorgehend LG München I Az: 20 O 13752/07

Gründe

1I. Der Kläger begehrt Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist. Das klageabweisende Urteil des Landgerichts München I wurde dem Kläger am zugestellt. Mit Schriftsatz vom , eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, hat der Kläger die Berufung begründet.

2Mit weiterem Schriftsatz vom hat der Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist verlangt und hierzu ausgeführt: Die Büroangestellte seines Prozessbevollmächtigten R.      habe die Berufung und den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zum sowie die Frist zur Tatbestandsberichtigung korrekt auf dem Urteil vermerkt. Die Angaben seien sodann in den elektronisch geführten Fristenkalender der Kanzleisoftware Phantasy mit zwei Vorfristen auf den 2. November und auf den 15. November übertragen worden. Am 15. November habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Vorgang dem Grunde nach geprüft und sich ein Bild vom Sachverhalt gemacht. Dabei sei klar geworden, dass es im Wesentlichen nur einen Berufungsangriff geben werde, nachdem das Landgericht Verjährung angenommen habe. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe daher Frau R.         angewiesen, den Vorgang mit Ablauf der Berufungsbegründungsfrist wieder vorzulegen. Aus Gründen, die sich nicht mehr nachvollziehen ließen, sei die Akte am mit dem Vermerk „Fristablauf heute“ vorgelegt worden. Die korrekt auf den notierte Frist im elektronischen und in dem von der Zeugin R.      parallel geführten manuellen Fristenkalender sei gelöscht und als erledigt gekennzeichnet gewesen. In der Kanzlei bestehe eine ständige Anweisung, Fristen erst zu löschen, wenn die Erledigung festgestellt sei. Zugleich seien die Fristen vom Büropersonal täglich anhand des elektronischen Fristenkalenders zu überwachen. Warum die Löschung trotzdem erfolgt sei, ohne dass die Frist erledigt gewesen sei, lasse sich nicht mehr aufklären.

3Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

4II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

51. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Fristversäumung beruhe auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Dem Wiedereinsetzungsgesuch sei nicht zu entnehmen, wodurch sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor der irrtümlichen Löschung der Frist zur Begründung der Berufung geschützt habe. Der elektronische Fristenkalender müsse so geführt werden, dass er dieselbe Überprüfungssicherheit biete wie ein herkömmlicher Kalender. Es müsse sichergestellt sein, dass keine versehentlichen Eintragungen oder Löschungen erfolgten. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe nicht dargelegt, welche Sicherungen es vorliegend gegen ein unbeabsichtigtes Löschen von Fristen gegeben habe. Entsprechender Vortrag gehöre zum Kern der Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes. Es könne nicht geklärt werden, ob der Fristversäumnis ein individuelles Versehen zugrunde liege oder allgemeine organisatorische Mängel verantwortlich seien. Wiedereinsetzung könne daher nicht gewährt werden, weil die Möglichkeit offengeblieben sei, dass die Fristversäumnis verschuldet gewesen sei.

62. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 233 ZPO voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil nicht auszuschließen ist, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgewirkt hat; dieses muss sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Der Kläger hat nicht dargetan, dass im Büro seines Prozessbevollmächtigten eine Ausgangskontrolle eingerichtet ist, die den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügt.

7a) Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht zu entnehmen, wodurch sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor der irrtümlichen Löschung der Fristen im elektronischen und in dem parallel geführten manuellen Fristenkalender geschützt hat. Der elektronische Fristenkalender muss so geführt werden, dass er dieselbe Überprüfungssicherheit bietet wie ein herkömmlicher Kalender (, NJW 1999, 582, 583; Beschluss vom - V ZB 1/00, NJW 2000, 1957; Beschluss vom - XI ZB 23/08, XI ZB 24/08, NJW 2010, 567 Rn. 12; Beschluss vom - IX ZB 115/10, HFR 2011, 706 Rn. 9). Es muss auch bei elektronischer Organisation des Fristenwesens sichergestellt sein, dass keine versehentlichen Löschungen erfolgen (, NJW 1997, 3177, 3178; Beschluss vom - V ZB 1/00, NJW 2000, 1957; Beschluss vom - IX ZB 115/10, HFR 2011, 706 Rn. 9).

8Der Kläger hat nicht dargelegt, welche Sicherungen es in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten gegen ein unbeabsichtigtes Löschen von Fristen gab. Er hat nur vorgetragen, in der Kanzlei bestehe eine ständige Anweisung, Fristen erst zu löschen, wenn die Erledigung festgestellt sei, und zugleich seien die Fristen vom Büropersonal täglich anhand des elektronischen Fristenkalenders zu überwachen. Dieses pauschale Vorbringen lässt keine Überprüfung zu, ob die Ausgangskontrolle den Anforderungen der Rechtsprechung genügt.

9Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden (oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird), wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht und somit die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also die „letzte Station“ auf dem Weg zum Adressaten ist (, NJW 2001, 1577, 1578; Beschluss vom - VI ZB 77/05; NJW 2006, 2638 f.; Beschluss vom - VIII ZB 76/09, NJW 2010, 1378 Rn. 7; Beschluss vom - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rn. 7; Beschluss vom - VI ZB 11/11, juris Rn. 9). Eine Frist darf im Fristenkalender erst dann gestrichen und als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die Person, die mit der Kontrolle betraut ist, sich anhand der Akte oder des postfertigen, die Frist erledigenden Schriftsatzes selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (vgl. , NJW 1997, 3177, 3178).

10Dass im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers solche organisatorischen Anweisungen bestanden, lässt sich dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsverfahren nicht entnehmen. Auch die Büroangestellte R.        hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung nur bekundet, die Fristen würden täglich durch Ausdruck aus dem elektronischen Fristenkalender überwacht und dürften erst gelöscht werden, wenn sie erledigt seien. Wie dies nach der Kanzleiorganisation sichergestellt wird, bleibt offen.

11b) Die Rechtsbeschwerde meint, die Büroangestellte R.        habe die Berufungsbegründungsfrist nicht „irrtümlich“ im Sinne von versehentlich, sondern - aus unerfindlichen Gründen - bewusst in der unzutreffenden Annahme gelöscht, die Frist sei erledigt.

12Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde soll das oben dargestellte Sicherungssystem einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle gerade auch vor der Fehlvorstellung schützen, die Frist sei erledigt. Es ist zwar nicht sicher, aber durchaus möglich, dass bei der Büroangestellten R.       die Fehlvorstellung, die Frist sei erledigt, nicht aufgekommen wäre und sie die Frist nicht gestrichen und als erledigt gekennzeichnet hätte, wenn im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers die Anweisung bestanden hätte, Fristen erst dann zu streichen, wenn sich die nach der Büroorganisation verantwortliche Person persönlich vergewissert hat, dass der Schriftsatz gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist. Ist die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt, kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (, NJW 2001, 76, 77 m.w.Nachw.).

Bergmann                                              Caliebe                                            Drescher

                                Born                                              Sunder

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
DB 2012 S. 1383 Nr. 24
DStR 2012 S. 14 Nr. 30
HFR 2012 S. 803 Nr. 7
NJW 2012 S. 6 Nr. 21
NJW-RR 2012 S. 745 Nr. 12
StBW 2012 S. 515 Nr. 11
StBW 2012 S. 712 Nr. 15
BAAAE-09415