BVerwG Beschluss v. - 6 AV 2/11

Negativer Kompetenzkonflikt; Rechtmäßigkeit und Durchführung einer Ingewahrsamnahme

Gesetze: § 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 56 Abs 5 S 4 SOG MV 1998, § 56 Abs 5 S 5 SOG MV 1998, § 40 Abs 1 S 1 VwGO

Gründe

I

1Die Klägerin war am frühen Morgen des mit einer Personengruppe aus Richtung W. kommend unterwegs in Richtung eines Sperrzauns, um an einer Protestdemonstration gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm teilzunehmen. Gegen 8.30 Uhr wurde sie in einem Waldstück zwischen W. und St. zusammen mit anderen Teilnehmern an der Demonstration von der Polizei festgenommen und in eine Gefangenensammelstelle verbracht. Um 19.30 Uhr wurde die Klägerin mit anderen Demonstrationsteilnehmern zum Amtsgericht Rostock gebracht und gegen 21.30 Uhr frei gelassen, nachdem das Amtsgericht einen Antrag der Polizei auf Anordnung eines längeren Gewahrsams abgelehnt hatte. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom an das Verwaltungsgericht Schwerin Klage erhoben und die Feststellung beantragt, dass die Unterbringung im Gewahrsam mit ca. 20 weiteren Frauen in einer ca. 5,5 mal 5,5 m großen Einzelzelle rechtswidrig gewesen sei und dass die körperliche Durchsuchung, zu der die Klägerin ihre Unterhose mit der blutigen Binde habe vorzeigen müssen, und bei der ihr die Brüste in schmerzhafter Weise abgetastet worden seien, rechtswidrig gewesen sei.

2Das Verwaltungsgericht Schwerin hat mit Beschluss vom (VG 1 A 685/08) den Rechtsweg zu den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Rostock verwiesen. Das Amtsgericht Rostock hat mit Beschluss vom (AG 6 X 8/10) den "Rechtsstreit entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Oberverwaltungsgericht Greifswald zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes vorgelegt". Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat mit Beschluss vom (OVG 3 P 4/11) die Sache dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts "weitergeleitet".

II

3Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Schwerin und dem Amtsgericht Rostock zuständig. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO. Danach wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Auf den hier vorliegenden Kompetenzkonflikt zwischen einem Amtsgericht und einem Verwaltungsgericht lässt sich diese Vorschrift zwar weder unmittelbar anwenden, noch gibt es dafür eine sonstige gesetzliche Regelung. Die somit gegebene Regelungslücke ist - im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesarbeitsgerichts und des Bundessozialgerichts - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird ( BVerwG 7 AV 1.10 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 29 Rn. 5 unter Hinweis auf die Beschlüsse vom - BVerwG 2 AV 1.09 - juris und vom - BVerwG 11 ER 400.93 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 21; - NJW 2001, 3631; - juris).

4Für die mit Schriftsatz vom an das Verwaltungsgericht Schwerin erhobene Feststellungsklage ist das Amtsgericht Rostock zuständig. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist durch den von den Beteiligten nicht mit der Beschwerde angefochtenen und inzwischen unanfechtbaren Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend festgestellt und kann auch bei Vorliegen beachtlicher Einwände, wie sie insbesondere im Beschluss des Amtsgerichts aufgezeigt wurden, nicht mehr geändert werden. Zulässiger Rechtsweg für die erhobene Feststellungsklage ist somit der ordentliche.

5Das Verwaltungsgericht Schwerin hat in § 56 Abs. 5 Satz 4 und 5 SOG M-V eine abdrängende Sonderzuweisung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO gesehen. Es sprechen gute Gründe für die dem Beschluss des Amtsgerichts Rostock zugrunde liegende Ansicht, dass die Sonderzuweisung an das Amtsgericht nach § 56 Abs. 5 Satz 4 SOG M-V sich auf die Entscheidung über die Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams beschränkt und dass es demgegenüber für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Gewahrsams und der Umstände seiner Durchführung selbst bei der verwaltungsgerichtlichen Regelzuständigkeit verbleibt. Dafür spricht nicht zuletzt die vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern unter Bezugnahme auf das Bundesverfassungsgericht vertretene Auffassung, dass die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug grundsätzlich voneinander zu scheiden sind ( - NVwZ 2006, 579). Daraus folgt, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Ingewahrsamnahme nicht zugleich eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einzelner im Vollzug der Ingewahrsamnahme vorgenommener polizeilicher Maßnahmen darstellt. Fehlt - wie in Mecklenburg-Vorpommern - für diese eigenständige Fortsetzungsfeststellungsklage eine (landes-)gesetzliche Rechtswegzuweisung, bleibt es beim Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten, der sich aus § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt ( - NordÖR 2010, 266 Rn. 8).

6Diese rechtliche Beurteilung vermag jedoch an der Wirksamkeit der vom Verwaltungsgericht Schwerin vorgenommenen Rechtswegverweisung nichts zu ändern. Die Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG tritt selbst bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss, etwa bei gesetzwidriger Verweisung oder entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG fehlender Begründung, ein. Die die Bindungswirkung allgemein einschränkende Rechtsprechung zum Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO kann nicht übernommen werden (Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 17 Rn. 39). Eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung trotz des in § 17a Abs. 4 Satz 3 ff. GVG vorgesehenen Instanzenzuges ist in Anbetracht der von § 17a GVG selbst eröffneten Überprüfungsmöglichkeit allenfalls bei extremen Rechtsverstößen möglich, etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann jedoch allenfalls dann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist ( - NJW 2003, 2990 m.w.N.).

7Ein dermaßen schwerwiegender Rechtsverstoß liegt in dem Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts indes nicht. Dies umso weniger, als der Rechtsschutz der Klägerin in der Sache durch die Zuständigkeit des Amtsgerichts Rostock nicht beschnitten wird. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit nämlich unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
OAAAE-05825