BFH Beschluss v. - V S 16/11

Nichtbescheidung eines nach Klageerhebung eingelegten Untätigkeitseinspruchs für die Zulässigkeit der Klage unerheblich; rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch

Gesetze: FGO § 46, FGO § 51, FGO § 133a, ZPO § 42 Abs. 2, ZPO § 47, GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Der Beklagte, Beschwerdegegner und Rügegegner (das Finanzamt —FA—) erließ am gegenüber dem Kläger, Beschwerdeführer und Rügeführer (Kläger) einen Schätzungsbescheid für Umsatzsteuer Juni 1997. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) konnte nicht festgestellt werden, ob hiergegen Einspruch eingelegt wurde.

2 Am reichte der Kläger eine Umsatzsteuerjahreserklärung 1997 beim FA ein, aus der sich eine Umsatzsteuervergütung ergab. Das FA stimmte dieser Erklärung nicht zu. Am erhob der Kläger eine Untätigkeitsklage, die das FG als unzulässig verwarf, da nicht festgestellt werden konnte, dass der Kläger gegen den Schätzungsbescheid Juni 1997 Einspruch eingelegt hatte und ein Untätigkeitseinspruch gegen die Nichtzustimmung zur Umsatzsteuerjahreserklärung 1997 beim FA erst am und damit nach Klageerhebung eingelegt worden sei. Die hiergegen eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies der Senat durch Beschluss vom V B 113/10 zurück.

3 II. Das Ablehnungsgesuch, die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung des Klägers haben keinen Erfolg.

4 1. Der Senat entscheidet in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung unter Mitwirkung des wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richters.

5 a) Gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) darauf an, ob der Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger und objektiver Betrachtung davon ausgehen darf, der Richter werde nicht unvoreingenommen, sondern willkürlich entscheiden (Senatsbeschluss vom X B 124/08, Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, R682, m.w.N.). Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters sind grundsätzlich kein Ablehnungsgrund (z.B. , BFH/NV 1995, 692). Sie können eine Besorgnis der Befangenheit ausnahmsweise dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten beruht (z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 95/95, BFH/NV 1996, 752, und vom X S 25/09, BFH/NV 2010, 1293).

6 Aus dem Vortrag des Klägers sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die Anlass für eine Besorgnis der Befangenheit geben könnten. Die Behauptung, dass bei objektiver Betrachtung davon auszugehen sei, dass der Berichterstatter „nicht unvoreingenommen entschieden” habe, stützt der Kläger nur durch seine Ausführungen zu der nach seiner Ansicht bestehenden prozessualen Rechtslage.

7 b) Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 47 ZPO entscheidet das Gericht über das Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne den abgelehnten Richter. Eine Ausnahme hiervon hat der BFH zugelassen für die Fälle, in denen das Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich und deshalb offensichtlich unzulässig ist, weil der Ablehnungsgrund nicht substantiiert bzw. glaubhaft gemacht worden ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom IV B 79/93, BFH/NV 1994, 877, und in BFH/NV 2010, 1293). Dieser Ausnahmefall liegt hier vor. Mangels ausreichender Substantiierung des Befangenheitsantrags kann der Senat auch mit dem abgelehnten Berichterstatter entscheiden.

8 c) Da der Befangenheitsantrag des Klägers offensichtlich unzulässig ist, war auch eine ansonsten erforderliche dienstliche Stellungnahme des Berichterstatters entbehrlich. Ebenso war es nicht notwendig, über den Befangenheitsantrag in einem besonderen Beschluss zu entscheiden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1293).

9 d) Schließlich kann bei dieser Sachlage dahinstehen, ob eine Richterablehnung im Rahmen einer Anhörungsrüge, die gerade der Selbstkorrektur des Gerichts dienen soll, überhaupt zulässig ist oder erst dann in Betracht kommt, wenn die Anhörungsrüge Erfolg gehabt hat und das Verfahren fortgeführt wird (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1293).

10 2. Der angerufene Senat hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) nicht verletzt.

11 a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte brauchen sich dabei jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (Beschluss des 2. Senats der 1. Kammer des , Deutsches Verwaltungsblatt 2001, 456).

12 b) Der Kläger wendet sich gegen den Beschluss des angerufenen Senats, durch den der Senat die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG als unbegründet zurückgewiesen hat. Der Kläger macht mit seiner Anhörungsrüge geltend, der Senat habe sich mit seinem Vorbringen, dass selbst dann, wenn die Untätigkeitsklage vor Einlegung des in § 347 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung vorgesehenen Rechtsbehelfs erhoben wird, ein Hineinwachsen in die Zulässigkeit angenommen werden kann, nicht auseinandergesetzt. Seine Untätigkeitsklage sei dadurch nachträglich zulässig geworden, da das FA bis zur mündlichen Verhandlung über den Untätigkeitsanspruch vom noch nicht entschieden habe. Es sei übersehen worden, dass es nach seinem Vortrag genüge, dass die Sachentscheidungsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt seien. Das FG habe auch nicht eine Verfahrensaussetzung nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO geprüft. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen seien auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen gewesen.

13 c) Der behauptete Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liegt nicht vor. Wie sich aus S. 2 des Beschlusses ergibt, hat sich der Senat mit dem Hinweis des Klägers in der Beschwerdebegründung auf das (BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315) befasst und darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung eine andere Fallgestaltung betrifft, nämlich den Fall, dass eine Untätigkeitsklage nach einem Untätigkeitseinspruch erhoben wird. Demgegenüber hat der Kläger im Streitfall seine Untätigkeitsklage vor Einlegung des Untätigkeitseinspruchs erhoben. Die Untätigkeitsklage ist dann nach der BFH-Rechtsprechung unzulässig (, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980; , BFH/NV 2003, 651), wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom ausgeführt hat. Dass der Senat diese, der Zulässigkeit der Klage des Klägers entgegenstehende Rechtsprechung nicht aufgibt, sondern im Hinblick auf diese BFH-Entscheidungen die Zulassung der Revision im Streitfall verneint hat, begründet keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Denn auf die vom Kläger für seine Rechtsauffassung angeführte Nichtbescheidung des nach Klageerhebung eingelegten Untätigkeitseinspruchs kommt es nach den BFH-Entscheidungen in BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980 und in BFH/NV 2003, 651 nicht an. Ebenso war das FG aufgrund der unheilbaren Unzulässigkeit nicht gehalten, über eine Verfahrensaussetzung nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO zu entscheiden.

14 3. Die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung ist nicht statthaft. Nach der neueren Rechtsprechung des , BVerfGE 122, 190) und des BFH (Beschlüsse vom V S 10/07, BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824; vom III S 43/09, BFH/NV 2010, 453; vom III S 11/10, BFH/NV 2010, 1651; vom X S 19/10, BFH/NV 2011, 62) kann eine Gegenvorstellung nur noch gegen eine abänderbare Entscheidung des Gerichts erhoben werden. Die Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingegen materiell rechtskräftig und ist daher nicht mehr änderbar.

15 4. Die Gerichtskosten für die Anhörungsrüge richten sich nach Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum GerichtskostengesetzGKG— (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Es fällt eine Festgebühr von 50 € an. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gerichtsgebührenfrei (, BFH/NV 2007, 474).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 2087 Nr. 12
HFR 2012 S. 58 Nr. 1
KAAAD-94375