BFH Beschluss v. - IV S 11/10

Nach rechtskräftiger Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ist ein erneutes Aussetzungsbegehren nach stattgebendem Urteil nicht statthaft

Gesetze: FGO § 69 Abs. 6 Satz 2, FGO § 68 Satz 1

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Klägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) ist atypisch stille Gesellschafterin der heutigen X-GmbH. Für das Streitjahr 2000 wurden der Antragstellerin nach Durchführung einer Außenprüfung verrechenbare Verluste in Höhe von . DM zugewiesen und nach § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gesondert und einheitlich festgestellt. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte vor dem Finanzgericht (FG) Erfolg. Der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) hat gegen das Urteil die vom FG zugelassene Revision eingelegt, die unter dem Az. IV R 18/10 beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig ist.

2 Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids und hat einen entsprechenden Antrag an den BFH als Gericht der Hauptsache gerichtet. Bereits im Einspruchsverfahren hatte die Antragstellerin zunächst beim FA und anschließend beim FG die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheids über die Feststellung des verrechenbaren Verlusts bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung beantragt. Den Antrag hatte das abgelehnt und die Beschwerde gegen den Beschluss nicht zugelassen. Nach Ablehnung eines erneuten Aussetzungsantrags wegen neuer Beweismittel durch das FA mit Bescheid vom stellte die Antragstellerin nach Klageerhebung im Hauptsacheverfahren erneut einen Antrag auf AdV bis einen Monat nach Zustellung des FG-Urteils beim FA, der ebenfalls abgelehnt wurde (Bescheid vom ). Im Februar 2008 beantragte die Antragstellerin nochmals beim FG die AdV bis einen Monat nach Zustellung des Urteils. Der Antrag wurde mit Beschluss vom abgelehnt. In gleicher Weise lehnte das FG einen erneut im Juli 2008 gestellten Antrag auf AdV als unzulässig ab (Beschluss vom ).

3 Mit dem jetzt beim BFH gestellten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung macht die Antragstellerin geltend, das stattgebende Urteil des FG im Hauptsachverfahren sei eine neue Tatsache, die einen erneuten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 6 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) rechtfertige. Aus dem Urteil sei zugleich zu entnehmen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestünden. Aufgrund dessen sei die Vollziehung des Bescheids mit Wirkung vom ersten Tag seiner Vollziehbarkeit an aufzuheben.

4 Die Antragstellerin hat beantragt, die Vollziehung des geänderten Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung des verrechenbaren Verlustes gemäß § 15a Abs. 4 EStG für 2000 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ab Vollziehbarkeit () aufzuheben.

5 Das FA hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

6 Es hält den Antrag für unzulässig, weil die Antragstellerin nach Ergehen des FG-Urteils keinen erneuten Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung bei der Behörde gestellt habe. Einem solchen Antrag wäre stattgegeben worden.

7 Auf Anregung des Berichterstatters hat das FA mit Bescheid vom die Vollziehung des angefochtenen Bescheids ab dem bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung des BFH im Hauptsacheverfahren aufgehoben bzw. ausgesetzt.

8 Beide Verfahrensbeteiligte haben daraufhin erklärt, mit dem Bescheid vom habe sich die Hauptsache des Verfahrens nicht erledigt. Das FA hält insoweit an seiner Auffassung fest, dass der an den BFH gerichtete Antrag unzulässig sei. Die Antragstellerin macht geltend, dem Antrag sei nicht vollständig entsprochen worden, weil die Aufhebung der Vollziehung mit Wirkung ab dem begehrt werde.

9 II. Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung wird abgelehnt.

10 1. Aufhebung der Vollziehung für den Zeitraum des Revisionsverfahrens

11 Der Senat betrachtet den Antrag, soweit er sich auf die Zeit seit Ergehen des FG-Urteils erstreckt, als erstmaligen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO im jetzigen Verfahrensabschnitt des Revisionsverfahrens. Insoweit liegt keine Wiederholung eines früheren Antrags auf Aufhebung der Vollziehung vor, weil mit den früheren Anträgen jeweils AdV bis zum Ende des jeweils aktuellen Verfahrensabschnitts beantragt worden war.

12 Für den Zeitraum des Revisionsverfahrens ist das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin durch Erledigung der Hauptsache entfallen. Denn insoweit entspricht der Bescheid vom in vollem Umfang dem Begehren der Antragstellerin. Er betrifft die Aufhebung der Vollziehung ab dem (Datum des FG-Urteils), erstreckt sich also auf den gesamten Zeitraum des Revisionsverfahrens. Mit dem Wegfall des Rechtsschutzinteresses ist der Antrag der Antragstellerin unzulässig geworden; er ist deshalb aus diesem Grund abzulehnen.

13 2. Aufhebung der Vollziehung für den Zeitraum vom bis zum

14 a) Der Bescheid vom ist in analoger Anwendung des § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden. Wird ein angefochtener Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (§ 68 Satz 1 FGO). Über ihren auf Anfechtungsbegehren bezogenen Wortlaut hinaus wird diese Regelung analog auf Verpflichtungsanträge angewendet (, BFHE 165, 143, BStBl II 1991, 854); sie gilt insbesondere auch im Verfahren auf AdV nach § 69 FGO (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 103, 546, BStBl II 1972, 218; , juris). Dementsprechend tritt nicht nur ein geänderter Bescheid über die AdV an die Stelle eines angefochtenen Aussetzungsbescheids, sondern es wird auch ein im Antragsverfahren erstmals erlassener, aber nach Ansicht des Antragstellers unzureichender Bescheid über die AdV zum Gegenstand des Antragsverfahrens. Das Antragsbegehren richtet sich dann auf Änderung des Bescheids und weiter gehende AdV.

15 b) Der Antrag ist insoweit unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht vorliegen.

16 aa) Ist ein Steuerverwaltungsakt Gegenstand eines Klageverfahrens, so kann das Gericht der Hauptsache nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO dessen Vollziehung unter bestimmten Umständen aussetzen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen worden, so kann das Gericht außerdem die erfolgte Vollziehung aufheben (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO). Gericht der Hauptsache ist der BFH, wenn der angefochtene Verwaltungsakt Gegenstand eines beim BFH anhängigen Verfahrens ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom I S 4/84, BFH/NV 1987, 385, und vom X B 108/97, BFH/NV 1998, 68).

17 Die gerichtliche Entscheidung über einen Antrag auf AdV erwächst nicht in materieller Rechtskraft (s. etwa , BFHE 125, 356, BStBl II 1978, 584). Das Gericht der Hauptsache kann daher einen einmal ergangenen Beschluss jederzeit ändern oder aufheben (§ 69 Abs. 6 Satz 1 FGO). Die Beteiligten können die Aufhebung oder Änderung jedoch nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO). Dadurch wird verhindert, dass sich das Gericht wiederholt mit denselben Aussetzungsbegehren befassen muss. Diese Einschränkung gilt erst recht in der Revisionsinstanz; andernfalls könnte durch wiederholte Aussetzungsanträge die Vorschrift des § 128 Abs. 3 FGO unterlaufen werden, nach der die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über den Antrag auf AdV nur statthaft ist, wenn das FG sie zugelassen hat (, BFH/NV 2002, 218, m.w.N.; Gosch in Beermann/Gosch, FGO § 69 Rz 331.1).

18 bb) Die hiernach zu fordernden Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines wiederholten Antrags auf AdV liegen im Streitfall nicht vor. Das FG hat mehrfach frühere Aussetzungsanträge der Antragstellerin rechtskräftig abgelehnt. Seither sind keine veränderten Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO eingetreten. Das finanzgerichtliche Urteil selbst ist in Bezug auf zurückliegende Zeiträume kein solcher Umstand. Dies gilt nicht nur im Fall eines klageabweisenden und vom Antragsteller mit einer Revision angefochtenen Urteils (, BFH/NV 2005, 1834), sondern auch in dem hier gegebenen Fall, dass das Urteil zugunsten des Antragstellers ausgefallen ist und vom FA mit der Revision angefochten wird.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1894 Nr. 11
KAAAD-90973