BGH Beschluss v. - II ZR 103/10

Berufungsverfahren: Pflicht des Berufungsgerichts zur erneuten Vernehmung von Zeugen

Leitsatz

Das Berufungsgericht hat einen Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es dessen Aussage anders verstehen oder würdigen will als das erstinstanzliche Gericht .

Gesetze: § 398 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: OLG Celle Az: 9 U 86/09 Urteilvorgehend LG Lüneburg Az: 11 O 6/09

Gründe

1I. Der Kläger war Geschäftsführer und zu 50 % Gesellschafter der Beklagten. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem anderen Geschäftsführer-Gesellschafter kam man überein, dass der Kläger seinen Geschäftsanteil veräußern solle. Dies geschah mit Vertrag vom zu einem Kaufpreis in Höhe von 1,285 Mio. €. In dem Vertrag ist nicht ausdrücklich geregelt, ob der Kläger weiter Geschäftsführer bleiben und sein Anstellungsvertrag fortbestehen sollte. Am beschloss die Gesellschafterversammlung der Beklagten, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen und seinen Anstellungsvertrag aus wichtigem Grund fristlos, hilfsweise fristgerecht zu kündigen. Diese Erklärung ging dem Kläger am zu. Seit Mitte Februar 2009 zahlt die Beklagte dem Kläger kein Gehalt mehr.

2Die Parteien streiten darum, ob im Zuge der Vertragsverhandlungen über die Veräußerung des Geschäftsanteils konkludent eine Vereinbarung des Inhalts zustande gekommen ist, dass mit seinem Ausscheiden als Gesellschafter auch der Anstellungsvertrag des Klägers als Geschäftsführer aufgehoben werde.

3Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass sein Anstellungsvertrag bis zum fortbestanden habe. Im Übrigen hat er beantragt, die Beklagte zur Zahlung seines Gehalts in Höhe von zuletzt insgesamt 145.664,41 € zu verurteilen.

4Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Die Beklagte begehrt mit der Beschwerde die Zulassung der Revision.

5II. Die Beschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).

61. Das Berufungsgericht hat zwar festgestellt, im Hinblick auf die gerade bei der Führung der Geschäfte entstandenen persönlichen Spannungen sei keiner der Beteiligten davon ausgegangen, dass der Kläger nach seinem Ausscheiden als Gesellschafter weiter als Geschäftsführer habe tätig werden sollen, da sonst die Auseinandersetzung im Übrigen weitgehend sinnlos gewesen wäre. Es hat aber nach dem Ergebnis der von dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme - abweichend vom Landgericht - eine einvernehmliche Aufhebung des Anstellungsvertrags des Klägers nicht feststellen können. Die Nichtzulassungsbeschwerde sieht darin zu Recht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. , NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4). Das Berufungsgericht durfte ohne erneute Vernehmung der Zeugen das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht anders würdigen als das Landgericht.

7Grundsätzlich steht es allerdings im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es Zeugen, die in der Vorinstanz bereits vernommen worden sind, nach § 398 Abs. 1 ZPO erneut vernimmt. Das Berufungsgericht ist zur nochmaligen Vernehmung jedoch verpflichtet, wenn es die protokollierten Zeugenaussagen anders verstehen oder würdigen will als die Vorinstanz. Eine erneute Vernehmung kann in diesem Fall allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (st. Rspr., siehe etwa , BauR 2010, 1095 Rn. 7). Insbesondere wenn das erstinstanzliche Gericht über streitige Äußerungen und die Umstände, unter denen sie gemacht worden sind, Zeugen vernommen hat und es auf Grund einer Würdigung der Aussagen zu einem bestimmten Ergebnis gekommen ist, kann das Berufungsgericht diese Auslegung nicht verwerfen und zum gegenteiligen Ergebnis kommen, ohne zuvor die Zeugen erneut vernommen zu haben (, NJW 2007, 372 Rn. 23). So hat der Bundesgerichtshof etwa eine Pflicht zur nochmaligen Vernehmung eines Zeugen angenommen, wenn das erstinstanzliche Gericht die Worte "es war besprochen worden" dahin verstanden hat, der Zeuge habe damit ausdrücken wollen, die Parteien seien sich im Gespräch über den besprochenen Punkt einig geworden, während das Berufungsgericht diese Äußerung lediglich im Sinne einer ergebnislosen Erörterung werten will (, NJW-RR 2002, 1500 f.; ebenso , NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5 f.).

8Das Berufungsgericht hat hier den Bekundungen der Zeugen ein anderes Gewicht und einen anderen Sinn beigemessen als das Landgericht. So hat das Landgericht die Aussage der Zeugin G.   dahin verstanden, dass die Parteien schlüssig ihren Willen zur Aufhebung der Geschäftsführerposition - und damit im Zweifel auch zur Aufhebung des Anstellungsvertrages - bekundet hätten. Das Berufungsgericht meint dagegen, die Antwort des Klägers auf die Frage der Zeugin, was er nach seinem Ausscheiden aus der Beklagten machen werde, könne sich auch auf die Zeit nach dem , dem Ende der Kündigungsfrist, bezogen haben. Die Aussage des Zeugen J.       hat das Berufungsgericht nur ganz lückenhaft gewürdigt, nämlich nur im Hinblick auf die Frage nach der weiteren Tätigkeit des Klägers. Das Landgericht hat aber die Aussage dieses Zeugen dahin verstanden, dass der Kläger seinen Willen zur Aufhebung des Dienstvertrags deutlich erklärt habe und dafür auch schon der Zeitpunkt festgestanden hätte, nämlich der Ablauf der Einarbeitung des neuen Geschäftsführers. Das Berufungsgericht ist folglich zu einer von derjenigen des Landgerichts abweichenden Würdigung der Zeugenaussagen gelangt, die es nicht ohne eine nochmalige Vernehmung hätte vornehmen dürfen.

92. Der Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich.

10Zum einen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es die Zeugen erneut vernommen und sich einen eigenen Eindruck verschafft hätte.

11Zum anderen ist die Klage nicht schon aus anderen Gründen, nämlich wegen der fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages durch die Beklagte, unbegründet. Denn das Berufungsgericht hat diese Kündigung mangels eines Kündigungsgrundes i.S. des § 626 Abs. 1 BGB als unwirksam angesehen.

Bergmann                                         Strohn                                        Reichart

                          Drescher                                          Sunder

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 8 Nr. 33
WM 2011 S. 1533 Nr. 32
ZIP 2011 S. 2224 Nr. 46
BAAAD-88381