BAG Urteil v. - 10 AZR 255/10

(Anspruch eines Fachpflegers für Anästhesie auf Wechselschichtzulage nach § 8 Abs 5 TVöD - Unterbrechung der Arbeit durch Bereitschaftsdienst innerhalb der Nachtschicht)

Gesetze: § 7 Abs 1 TVöD, § 8 Abs 5 S 1 TVöD, § 9 TVöD, § 45 Abs 1 S 2 TVöD BT-K, § 48 TVöD BT-K, § 46 Nr 18 TVöD BT-V

Instanzenzug: Az: 2 Ca 2041/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 3 Sa 638/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf die tarifliche Zulage für ständige Wechselschichtarbeit.

2Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten in Vollzeit tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in der für den Bund geltenden Fassung Anwendung.

Der Kläger arbeitet als Fachpfleger für Anästhesie im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz. In der Abteilung Anästhesie wird nach einem Schichtplan im 3-Schicht-Modell gearbeitet:

4Für die Zeit von 0:00 Uhr bis 5:12 Uhr ist in der Nachtschicht für alle Beschäftigten in der Abteilung Bereitschaftsdienst angeordnet. Wer Nachtschicht hat, hat automatisch auch Bereitschaftsdienst, der gesondert vergütet wird. Daneben gibt es einen Rufdienst, der an keine Schicht gebunden ist. Die Schichtzeiten beruhen auf einer Dienstvereinbarung.

5Bis einschließlich Februar 2008 zahlte die Beklagte dem Kläger die Zulage für ständige Wechselschichtarbeit in Höhe von 105,00 Euro monatlich, seither nur noch die Zulage für ständige Schichtarbeit in Höhe von 40,00 Euro monatlich.

§§ 7 und 8 TVöD in der gemäß § 46 Nr. 18 TVöD-BT-V (Bund) für die Bundeswehrkrankenhäuser anwendbaren Fassung des § 48 TVöD-BT-K lauten auszugsweise wie folgt:

7Der Kläger hat die Auffassung vertreten, Bereitschaftsdienstzeiten innerhalb der Schicht stellten keine Unterbrechung der Wechselschichtarbeit dar. Ein Fachpfleger für Anästhesie stehe während des Bereitschaftsdienstes auf Abruf bereit und sei daher eher einem Rettungssanitäter als einem Krankenpfleger vergleichbar. Im Übrigen würden während der Bereitschaftsdienste nicht nur Notfälle behandelt, sondern es komme auch zu geplanten Operationen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, Wechselschichtarbeit liege nicht vor, da eine Unterbrechung durch den Bereitschaftsdienst erfolge. Die verantwortungsvolle und wichtige Tätigkeit des Klägers ändere daran nichts. Die Zahlung in der Vergangenheit sei erfolgt, da man die Tariflage nicht richtig erkannt habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

11Die zulässige Revision ist unbegründet.

12I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrags zwischen der gezahlten Zulage für ständige Schichtarbeit und der Zulage für ständige Wechselschichtarbeit (§ 8 Abs. 5 TVöD iVm. § 46 Nr. 18 TVöD-BT-V [Bund], § 48 TVöD-BT-K), da er keine Wechselschichtarbeit im Tarifsinn leistet.

131. Wechselschichtarbeit im tariflichen Sinn liegt vor, wenn in dem Arbeitsbereich, in dem der Beschäftigte tätig ist, an allen Kalendertagen ununterbrochen 24 Stunden gearbeitet wird. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn beispielsweise an Sonn- und Feiertagen in aller Regel keine Schichtarbeit anfällt oder die tägliche Arbeit, sei es auch nur in geringfügiger Form, unterbrochen wird. Unerheblich ist hingegen, in wie viele Schichten der 24-Stunden-Tag aufgeteilt wird oder ob in allen Schichten der Arbeitsanfall gleich groß ist und deshalb in jeder Schicht die gleiche Anzahl von Arbeitnehmern tätig ist (st. Rspr.,  - Rn. 15, AP TVöD § 8 Nr. 11; vgl. - 10 AZR 990/08 - Rn. 12 ff., AP TVG § 1 Tarifverträge: Krankenanstalten Nr. 8; - 10 AZR 669/07 - Rn. 19 ff., BAGE 128, 29).

14Dabei liegt eine Unterbrechung der Arbeit nicht nur bei völliger Arbeitsruhe vor, sondern auch dann, wenn Bereitschaftsdienst für alle Beschäftigten des Arbeitsbereichs, in dem der Arbeitnehmer tätig ist, angeordnet ist ( - Rn. 27 ff., BAGE 128, 42). Bereitschaftsdienst ist nach der tariflichen Regelung seinem Wesen nach eine Aufenthaltsbeschränkung, verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf sofort tätig zu werden. Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Damit unterscheidet sich dieser Dienst von der vollen Arbeitstätigkeit, die von dem Arbeitnehmer eine ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsleistung verlangt ( - zu III 2 der Gründe, BAGE 109, 254). Der Bereitschaftsdienst wird gesondert vergütet, und zwar zusätzlich zur regulären Vergütung ( - Rn. 18, AP TVG § 1 Tarifverträge: Krankenanstalten Nr. 8).

15Hingegen führen Bereitschaftszeiten iSv. § 9 TVöD nicht zu einer Unterbrechung der Arbeit. Diese liegen innerhalb der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und werden mit der regelmäßigen Vergütung entgolten. Der Beschäftigte muss damit zwar insgesamt keine höhere Arbeitsleistung erbringen, aber er muss dem Arbeitgeber für das vereinbarte monatliche Entgelt mehr Arbeits- und Anwesenheitszeiten für die Zeiten zur Verfügung stellen, in denen ein geringerer Arbeitsanfall vorliegt. Auch wenn nach dem äußeren Bild Bereitschaftsdienst und Bereitschaftszeiten häufig vergleichbar scheinen, bestehen Unterschiede in der Belastung. Arbeitnehmer, die Bereitschaftszeiten leisten, sind in stärkerem Maße an den Aufenthaltsort gebunden als Arbeitnehmer, die im Bereitschaftsdienst sind. Die Tarifvertragsparteien haben diese Unterschiede in der Intensität der Beanspruchung als unterschiedlich belastend angesehen und daher unterschiedlich ausgeglichen ( - Rn. 27 ff., BAGE 128, 29 [Rettungssanitäter]; - 10 AZR 939/07 - Rn. 32 ff. [Rettungsassistent]).

162. Eine für den Anspruch nach § 8 Abs. 5 Satz 1 TVöD schädliche Unterbrechung der Arbeit liegt auch dann vor, wenn der für alle Beschäftigten der Abteilung angeordnete Bereitschaftsdienst innerhalb einer Schicht liegt und vorher und nachher Vollarbeit erbracht wird. Entscheidend ist nach der tariflichen Regelung nicht, wann die Unterbrechung der Vollarbeit erfolgt, sondern dass für alle Beschäftigten der Abteilung eine solche Unterbrechung vorliegt.

17Dass nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in geringem Umfang auch geplante Operationen im Bereitschaftsdienst durchgeführt wurden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch der Kläger hat nicht behauptet, dass die tariflichen Voraussetzungen für die Anordnung von Bereitschaftsdienst (§ 46 Nr. 18 TVöD-BT-V [Bund] iVm. § 45 Abs. 1 Satz 2 TVöD-BT-K) nicht vorgelegen hätten.

183. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht auf seine Qualifikation und deren Wertigkeit im Vergleich zu einem „normalen“ Krankenpfleger oder einem Rettungssanitäter an. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob im Arbeitsbereich Bereitschaftsdienst oder Bereitschaftszeiten iSv. § 9 TVöD geleistet werden. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist Ersteres der Fall. Die vom Kläger herangezogene Rechtsprechung zu Bereitschaftszeiten der Rettungssanitäter bzw. Rettungsassistenten ( - Rn. 27 ff., BAGE 128, 29 [Rettungssanitäter]; - 10 AZR 939/07 - Rn. 32 ff. [Rettungsassistent]) ist auf den vorliegenden Fall deshalb nicht anwendbar.

194. Bei der Behauptung des Klägers, im Schichtdienst eingesetzte Ärzte würden die Zulage für ständige Wechselschichtarbeit erhalten, obwohl neben dem Frühdienst, dem Spätdienst und dem Nachtdienst Bereitschaftsdienst geleistet werde, handelt es sich um neuen Sachvortrag in der Revisionsinstanz, der gemäß § 559 ZPO keine Berücksichtigung finden kann.

20II. Dementsprechend kann auch der Feststellungsantrag des Klägers keinen Erfolg haben.

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
DB 2011 S. 1641 Nr. 29
VAAAD-86643