BGH Urteil v. - IX ZR 183/08

Haftung des Steuerberaters: Beginn der Verjährung des Ersatzanspruchs des Mandanten wegen Nichtanfechtung eines auf einer später für nichtig erklärten Steuernorm beruhenden Steuerbescheids

Leitsatz

Lässt ein Steuerberater einen Steuerbescheid pflichtwidrig bestandskräftig werden, beginnt die Frist für die Verjährung des Ersatzanspruchs des Mandanten mit der Bestandskraft des Steuerbescheids, auch wenn dieser zunächst der formellen Gesetzeslage entspricht und die zugrunde liegende Steuernorm erst später vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wird .

Gesetze: § 68 StBerG vom

Instanzenzug: Az: 8 U 14/08 Urteilvorgehend Az: 2 O 330/06 Urteil

Tatbestand

1Die Beklagten zu 2 und 3 betreiben eine Steuerberatersozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Beklagten zu 1. Die Kläger beauftragten die Beklagten im Frühjahr des Jahres 2000 mit der Erstellung ihrer Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1998. Auf die von den Beklagten eingereichte Steuererklärung erließ das Finanzamt am einen Steuerbescheid, der als zu versteuerndes Einkommen Einkünfte der Kläger aus Spekulationsgewinnen in Höhe von 849.759 DM berücksichtigte. Grundlage für die Besteuerung der Spekulationsgewinne war § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG in der für das Jahr 1998 geltenden Fassung. Die Beklagten legten gegen den Steuerbescheid vom nur wegen nicht berücksichtigter Steuerberatungskosten Einspruch ein. Den darauf ergangenen Änderungsbescheid vom , der unverändert die Spekulationsgewinne als zu versteuerndes Einkommen auswies, ließen sie bestandskräftig werden. Mit Urteil vom (2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94) erklärte das Bundesverfassungsgericht die der Besteuerung von im Jahr 1998 erzielten Spekulationsgewinnen zugrunde liegende Norm für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig, soweit sie Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren betraf. An der Besteuerung der Spekulationsgewinne der Kläger änderte sich dadurch wegen der Bestandskraft des Steuerbescheids nichts.

2Mit ihrer Klage haben die Kläger die Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 314.439,24 € in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagten, die sich unter anderem auf Verjährung berufen haben, zur Zahlung von 227.541,57 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die Abweisung der Klage.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Abweisung der Klage.

I.

4Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagten seien den Klägern nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hätten die ihnen aus dem Steuerberatervertrag obliegenden Pflichten verletzt, indem sie die Besteuerung der im Jahr 1998 von den Klägern erzielten Spekulationsgewinne entgegen der von den Klägern erteilten Weisung bestandskräftig werden ließen. Bei pflichtgemäßem Verhalten hätte die Besteuerung der Spekulationsgewinne vermieden werden können. Der Schaden sei vom Landgericht zutreffend berechnet worden. Sofern überhaupt ein Mitverschulden der Kläger berücksichtigt werden könne, sei die vom Landgericht angenommene Quote von 25 v.H. jedenfalls ausreichend. Der Anspruch der Kläger sei auch nicht verjährt. Der Schaden der Kläger sei erst entstanden, als das Bundesverfassungsgericht die der Besteuerung der Spekulationsgewinne zugrunde liegende Norm mit Urteil vom für verfassungswidrig erklärt habe. Die damit in Lauf gesetzte Verjährungsfrist von drei Jahren nach dem noch anwendbaren § 68 StBerG aF sei durch die Erhebung der Klage im Jahr 2006 rechtzeitig unterbrochen worden.

II.

5Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind die geltend gemachten Ansprüche der Kläger verjährt.

61. Maßgeblich für die Beurteilung der Verjährung ist, wie die Vorinstanzen mit Recht angenommen haben, die durch Art. 16 des Gesetzes vom (BGBl I S. 3217) mit Wirkung vom aufgehobene, gemäß Art. 229 § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13 und Satz 2, § 6 Abs. 1 EGBGB im Streitfall aber noch anwendbare Bestimmung des § 68 StBerG. Danach verjährt der Anspruch des Auftraggebers auf Schadensersatz aus dem zwischen ihm und dem Steuerberater bestehenden Vertragsverhältnis in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist.

72. Die Verjährungsfrist wurde mit Ablauf des in Gang gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt ist der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz entstanden.

8a) Die Entstehung eines Anspruchs auf Schadensersatz setzt voraus, dass ein Schaden eingetreten ist. Nach der vom Bundesgerichtshof seit dem Urteil vom (IX ZR 268/91, BGHZ 119, 69) in ständiger Rechtsprechung vertretenen Risiko-Schaden-Formel muss der Schaden im Sinne einer objektiven Verschlechterung der Vermögenslage wenigstens dem Grunde nach erwachsen sein; ist dagegen noch offen, ob ein pflichtwidriges, mit einem Risiko behaftetes Verhalten tatsächlich zu einem Schaden führt und liegt deshalb eine bloße Vermögensgefährdung vor, ist der Anspruch noch nicht entstanden, so dass die Verjährungsfrist des § 68 StBerG nicht in Lauf gesetzt wird (Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl. Rn. 1342 f mwN). In Steuersachen tritt der Schaden des Steuerpflichtigen in der Regel ein, sobald sich das pflichtwidrige Verhalten des Steuerberaters in einem belastenden Bescheid der Finanzbehörde ausgewirkt hat (, BGHZ 119, 69, 72; vom - IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386, 389 f; vom - IX ZR 218/08, WM 2010, 138 Rn. 10 mwN). Hat der Steuerberater - wie hier - pflichtwidrig gegen einen Steuerbescheid keinen Einspruch eingelegt, beginnt die Verjährung des Ersatzanspruchs mit Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheids (, WM 1996, 2066, 2067). Im Streitfall wurde der maßgebliche Steuerbescheid vom , welcher den Beklagten am zuging, mit Ablauf des bestandskräftig. Damit begann der Lauf der Verjährungsfrist.

9b) Der Umstand, dass der Steuerbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses dem Wortlaut des Einkommensteuergesetzes entsprach und die maßgebliche Norm erst durch das für nichtig erklärt wurde, ändert daran nichts (vgl. , DB 2007, 1400; OLG Hamburg DStRE 2007, 1593, 1598).

10aa) Ein Vermögensschaden besteht in der Differenz zwischen der Güterlage, die durch das Schadensereignis geschaffen wurde, und der unter Ausschaltung dieses Ereignisses gedachten Güterlage (sogenannte Differenzhypothese; vgl. , WM 2009, 1376 Rn. 18 mwN; Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl. vor § 249 Rn. 10). Die Verletzung der den Beklagten übertragenen Pflicht, die Besteuerung der Spekulationsgewinne offen zu halten, hatte die bestandskräftige Belastung der Kläger mit Einkommensteuer auf die im Jahr 1998 erzielten Gewinne zur Folge. Hätten die Beklagten die Besteuerung pflichtgemäß offen gehalten, wären die Kläger mangels Bestandskraft des Steuerbescheids dauerhaft nicht zur Zahlung der Steuer verpflichtet gewesen. Der in der Steuerbelastung liegende, von den Klägern geltend gemachte Schaden ist daher mit der Bestandskraft des Steuerbescheids vom eingetreten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellte mit rückwirkender Kraft verbindlich fest, dass die Besteuerungsgrundlage mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig war. Sie brachte nicht den Vermögensnachteil zum Entstehen, sondern erwies, dass der bereits mit Bestandskraft des Steuerbescheids entstandene Vermögensnachteil bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten vermeidbar war, und machte für die Kläger erkennbar, dass es sich bei der Steuerbelastung um einen den Beklagten zuzurechnenden, ersatzfähigen Schaden handelte. Die Erkennbarkeit des Schadens ist aber keine Voraussetzung des Beginns der Verjährungsfrist nach § 68 StBerG aF.

11bb) Im Übrigen war auch das in der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Eintritt des Schadens als maßgeblich angesehene Kriterium, ob der Geschädigte bereits auf Feststellung der Ersatzpflicht Klage erheben konnte (, BGHZ 100, 228, 231 mwN), entgegen der von den Klägern in der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht bereits im Zeitpunkt nach Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheids erfüllt. Die Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten hätte zwar den Nachweis vorausgesetzt, dass die Steuerlast bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten vermieden worden wäre. Die dazu erforderliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Steuernorm hätte aber im Regressprozess über eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG erreicht werden können.

123. Die dreijährige Verjährungsfrist endete mit Ablauf des . Zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage am war der Anspruch daher bereits verjährt. Eine Hemmung der Verjährung konnte nicht mehr eintreten.

134. Die Beklagten sind nicht nach den Grundsätzen der Sekundärverjährung (etwa , BGHZ 129, 386, 391 mwN) gehindert, sich auf die eingetretene Verjährung des (Primär-)Anspruchs zu berufen. Die Kläger haben zu den Voraussetzungen einer sekundären Hinweispflicht der Beklagten auf einen möglichen Schadensersatzanspruch und dessen kurze Verjährungsfrist nichts vorgetragen.

III.

14Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und die Sache folglich zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der geltend gemachte Anspruch ist verjährt. Die Klage ist daher unter Aufhebung auch des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Kayser                                 Gehrlein                             Vill

                 Fischer                                   Grupp

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 959 Nr. 5
DStR 2011 S. 1050 Nr. 22
DStRE 2011 S. 979 Nr. 15
NJW-RR 2011 S. 1361 Nr. 19
NWB-Eilnachricht Nr. 12/2011 S. 961
StuB-Bilanzreport Nr. 10/2011 S. 396
WM 2011 S. 795 Nr. 17
WPg 2011 S. 548 Nr. 11
wistra 2011 S. 192 Nr. 5
JAAAD-62664