Verkürzung der Schonfrist bei Säumniszuschlägen; Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht wegen unterlassener Anregung einer Antragstellung
Leitsatz
Bei der Schonfrist des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO handelt es sich um eine nach "Tagen" berechnete Frist, die nach § 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 188 Abs. 1 BGB bestimmt wird.
Die Verkürzung der Schonfrist des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO durch Art. 8 Nr. 10 StÄndG 2003 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Im Hinblick auf die Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung im steuerlichen Masseverfahren und unter Berücksichtigung der Verpflichtung der Kreditinstitute, Inlandsüberweisungen in "höchstens" drei Tagen auszuführen, ist es nicht zu beanstanden, dass der Normgeber eine Zahlungsschonfrist von drei Tagen für ausreichend erachtete.
Gesetze: GG Art. 3, AO § 218 Abs. 2, AO § 240 Abs. 3, FGO § 73 Abs. 1, FGO § 76 Abs. 2, FGO § 96 Abs. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug: 1 K 269/06
Gründe
1 I. Das unrichtige Rubrum des ) wird gemäß § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) berichtigt. Danach sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit vom Gericht zu berichtigen. „Ähnliche” offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 107 FGO sind Erklärungsmängel, die zu dem Erklärungswillen des Gerichts erkennbar im Widerspruch stehen; sie sind „offenbar”, wenn sie augenfällig auf der Hand liegen, durchschaubar und eindeutig sind (vgl. , BFH/NV 2005, 2218).
2 1. Streitgegenstand des Urteils des FG ist ausweislich des Tatbestands sowie des Klageantrags der Säumniszuschlag für die Umsatzsteuervorauszahlung Oktober 2006. Dazu im offensichtlichen Widerspruch steht, dass das Rubrum des Urteils als Streitgegenstand den „Säumniszuschlag für Umsatzsteuer November 2006” bezeichnet.
3 2. Der beschließende Senat kann dieses offenkundige und eindeutige Versehen berichtigen. Er ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens über die Nichtzulassung der Revision für die Berichtigung zuständig (vgl. , BFH/NV 2004, 1114).
4 II. Die in entsprechender Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Nichtzulassungsbeschwerden sind unbegründet und daher zurückzuweisen.
5 Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder wenn ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, geltend gemacht wird und vorliegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
6 1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung gestützt, setzt die Zulassung voraus, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellt, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll (vgl. , BFH/NV 2000, 148). Darüber hinaus muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (vgl. , BFH/NV 2006, 1320).
7 a) Die Rechtsfrage, ob Art. 8 Nr. 10 des Steueränderungsgesetzes 2003 (StÄndG 2003), durch den die Schonfrist des § 240 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) von fünf auf drei Tage gekürzt wurde, verfassungswidrig und damit nichtig ist, rechtfertigt keine Zulassung der Revision.
8 Wird die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache mit der Verfassungswidrigkeit einer steuerrechtlichen Vorschrift begründet, setzt die Zulassung der Revision voraus, dass vernünftige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser für die Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen Vorschrift bestehen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 36, m.w.N.). Derartige Zweifel im Hinblick auf einen Verstoß des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO i.d.F. des StÄndG 2003 gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes liegen nicht vor. Durch die Verkürzung der Zahlungsschonfrist auf nominell drei Tage behandelt der Gesetzgeber nicht ungleiche Sachverhalte gleich.
9 aa) Wie der Kläger zu Recht ausführt, handelt es sich bei der Pflicht des Kreditinstituts gegenüber dem Überweisenden und der Pflicht des Steuerzahlers gegenüber dem Fiskus um ungleiche Sachverhalte. Diese werden jedoch nicht dadurch gleich behandelt, dass der Gesetzgeber in beiden Fällen eine Frist von drei Tagen normiert hat. Da sich diese Fristen inhaltlich voneinander unterscheiden, liegt eine Ungleichbehandlung von ungleichen Sachverhalten vor:
10 (1) Bei der Schonfrist des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO handelt es sich um eine nach „Tagen” berechnete Frist (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 108 AO Rz 13), die nach § 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 188 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bestimmt wird. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags (§ 108 Abs. 3 AO).
11 (2) Abweichend hiervon definierte der Gesetzgeber in § 676a Abs. 2 Nr. 1 BGB als „Bankgeschäftstag” einen Werktag, ausgenommen den Sonnabend, an dem alle beteiligten Kreditinstitute gewöhnlich geöffnet haben.
12 (3) Danach zählen der Sonnabend und der Sonntag —sofern es sich nicht um das Ende der Frist handelt— zwar bei der Berechnung einer nach Tagen bestimmten Frist mit, nicht aber bei der Berechnung einer nach Bankgeschäftstagen bestimmten Frist. Im Streitfall führte dies dazu, dass die Schonfrist für die jeweils an einem Freitag, dem bzw. fälligen Steuerschulden am Montag, dem bzw. ablief, obwohl die Überweisung am Dienstag, dem bzw. und damit noch innerhalb von zwei Bankgeschäftstagen ausgeführt wurde.
13 bb) Eine Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte folgt auch nicht aus der Begründung des Gesetzgebers zur Änderung des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO, wonach durch die Verkürzung der Zahlungsschonfrist „Einheitlichkeit mit dem Zivilrecht” hergestellt wird (vgl. BTDrucks 15/1562 S. 55/56). Denn Gesetzesmaterialien können keine verbindlichen Auslegungsregeln enthalten, soweit die Absicht des Gesetzgebers im Wortlaut und Sinnzusammenhang des Gesetzes keinen „objektivierten” Niederschlag gefunden hat (vgl. , BVerfGE 47, 127 ff., unter C.IV.3.a, m.w.N.). So liegen die Verhältnisse im Streitfall, da der Gesetzgeber in § 240 Abs. 3 Satz 1 AO n.F. lediglich die Zahl der Schontage von fünf auf drei verkürzt, aber durch die Beibehaltung des Begriffs „Tage” nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass eine inhaltliche Übereinstimmung mit den zivilrechtlichen Vorschriften zu den Höchstlaufzeiten von Überweisungen nach § 676a Abs. 2 BGB herbeigeführt werden soll. Im Schrifttum wird daher zu Recht darauf hingewiesen, dass durch die Neufassung des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO lediglich eine „Angleichung” an § 676a Abs. 2 Nr. 2 BGB erfolgt sei (vgl. Rüsken in Klein, AO, § 240 Rz 27).
14 cc) Im Hinblick auf die Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung im steuerlichen Masseverfahren (vgl. , juris, Rz 41, m.w.N.) und unter Berücksichtigung der Verpflichtung der Kreditinstitute, Inlandsüberweisungen in „höchstens” drei Tagen auszuführen, ist es nicht zu beanstanden, dass der Normgeber eine Zahlungsschonfrist von drei Tagen für ausreichend erachtete. Da sich mit der Pflicht der Kreditinstitute zur Ausführung eines Überweisungsauftrags in höchstens drei Bankgeschäftstagen das früher unkalkulierbare Laufzeitrisiko verkürzt hatte, war es vom Normzweck des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO gerechtfertigt, die Dauer der Schonfrist von fünf auf drei Tage zu verkürzen. Diese wird dem Steuerpflichtigen zum Ausgleich dafür eingeräumt, dass er nach § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO das Risiko einer verzögerten Überweisung trägt (vgl. Linßen in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 240 Rz 5). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige seine Steuerschulden rechtzeitig bis zum Fälligkeitstag zu zahlen hat und er im Falle der Zahlung durch Überweisung eine ausreichende Laufzeit einzurechnen hat (vgl. Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 224 Rz 46).
15 b) Für die Rechtsfrage, ob den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Art. 8 Nr. 10 StÄndG 2003 durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO n.F. in der Weise Rechnung zu tragen sei, dass als „Tage” im Sinne des Gesetzes nur „Bankgeschäftstage” zu verstehen seien, besteht aus den vorstehend genannten Gründen kein Klärungsbedarf.
16 c) Die Rechtsfrage, ob nach § 227 AO ein Erlass des Säumniszuschlags stets dann geboten ist, wenn die Schonfrist des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO nicht eingehalten wurde, obwohl der Steuerpflichtige eine entsprechende Überweisung nicht mehr als drei Bankgeschäftstage vor Ablauf der Schonfrist in Auftrag gegeben habe, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Diese Rechtsfrage ist nicht klärbar, da sie sich in einem der Zulassung folgenden Revisionsverfahren nicht stellen würde. Denn Streitgegenstand der anhängigen Verfahren ist die Rechtmäßigkeit der Abrechnungsbescheide vom (Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Februar 2006 und zur Einkommensteuer-Vorauszahlung IV/2005 und I/2006 sowie des Abrechnungsbescheids vom (Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Oktober 2006), nicht aber (auch) der Erlass von verwirkten Säumniszuschlägen.
17 Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. , BFH/NV 2007, 2069, m.w.N.) wird über Grund und Höhe von Säumniszuschlägen einerseits und deren Erlass andererseits in jeweils eigenständigen Verfahren entschieden (Grundsatz der Zweigleisigkeit). Dem liegt zugrunde, dass ein Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO und ein Bescheid über den Erlass von Säumniszuschlägen nach § 227 AO verfahrensrechtlich zwei selbständige Verwaltungsakte sind (vgl. , BFH/NV 2003, 1393). Während in einem Abrechnungsbescheid über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis entschieden wird, geht es im Erlassverfahren um die Frage, ob die Erhebung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig ist.
18 Davon zu unterscheiden ist die sich im Streitfall nicht stellende Frage, ob das Finanzamt einen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids (auch) als Antrag auf Erlass nach § 227 AO zu bescheiden hat, wenn der Steuerpflichtige nicht nur die Verwirkung von Säumniszuschlägen bestreitet, sondern darüber hinaus auch Billigkeitsgründe i.S. von § 227 AO geltend macht. Denn der Kläger hat sich in seinen Schreiben stets und ausschließlich gegen die Entstehung von Säumniszuschlägen wegen rechtzeitiger Zahlung und die wucherische Höhe der Säumniszuschläge gewandt.
19 2. Die vom Kläger behaupteten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
20 a) Das FG hat nicht dadurch gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verstoßen, dass es nicht auch über eine Klage gegen die Ablehnung eines Erlasses von Säumniszuschlägen entschieden hat.
21 aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Der Kläger bestimmt durch sein Klagebegehren den Streitgegenstand und damit die Basis für die Urteilsfindung. Maßstab für die Bestimmung des Streitgegenstands ist bei Anfechtungsklagen der Regelungsgehalt (Tenor) des angefochtenen Verwaltungsaktes (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Rz 6, m.w.N.).
22 bb) Ein die Zulassung begründender Verfahrensfehler liegt zwar vor, wenn infolge fehlerhafter Auslegung der Klageschrift der Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz verkürzt wird (vgl. , BFH/NV 1995, 980; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 80). Anhaltspunkte für das FG, dass der Kläger neben einer Anfechtung der Abrechnungsbescheide auch einen Erlass der Säumniszuschläge begehren wollte, ergeben sich jedoch weder aus den Klageschriften vom (1 K 55/07) und vom (1 K 269/06) noch aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom . Der Kläger erhob Klage wegen „unzulässig erhobener Säumniszuschläge”. Danach richtete sich die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Inhalt der Abrechnungsbescheide vom und vom in Gestalt der jeweiligen Einspruchsentscheidungen. In Übereinstimmung damit hat er beantragt, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom den Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer-Vorauszahlung Oktober 1996 und den Säumniszuschlag aufzuheben (1 K 55/07) und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom die Abrechnungsbescheide zur Umsatzsteuer-Vorauszahlung Februar 2006 und Einkommensteuer-Vorauszahlungsschuld 1. Vierteljahr 2006 und die Säumniszuschläge aufzuheben.
23 b) Ein Verfahrensmangel liegt auch nicht darin, dass es das FG unterlassen hat, beim Kläger auf eine Antragstellung hinsichtlich des Erlasses von Säumniszuschlägen hinzuwirken.
24 aa) Nach § 76 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Die Hinweispflicht aus § 76 Abs. 2 FGO erfasst auch solche Anträge, die ein Prozessbeteiligter aus Versehen nicht oder nicht richtig gestellt hat, ohne dass ihm der an sich erkennbare Mangel bewusst geworden ist (vgl. , BFH/NV 2003, 1212).
25 bb) Im Streitfall war es jedoch nicht sachdienlich, beim Kläger auf das Stellen eines Antrags auf Erlass von Säumniszuschlägen hinzuwirken. Im Hinblick darauf, dass der Kläger weder einen Erlass des jeweiligen Säumniszuschlags beim FA beantragt hatte noch die jeweilige Einspruchsentscheidung die Ablehnung eines Erlassantrags beinhaltet, wäre ein erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellter Erlassantrag wegen fehlendem Vorverfahren als unzulässig abgewiesen worden.
Fundstelle(n):
MAAAD-61289