BFH Beschluss v. - VIII B 8/06

Abrechnungsbescheid über Grund und Höhe von Säumniszuschlägen und deren Erlass; Umfang des Anspruchs auf Recht auf Gehör; keine außerordentliche Beschwerde gegen Beschlüsse des FG über Anträge auf Tatbestandsberichtigung

Gesetze: AO § 218, AO § 240, AO § 347, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben innerhalb der Beschwerdefrist die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. a) Das angefochtene Urteil ist nicht deshalb willkürlich, weil das Finanzgericht (FG) verfahrensrechtlich zutreffend zwischen dem Antrag auf Erlass entstandener Säumniszuschläge für 2001 und 2002 einerseits und der durch Abrechnungsbescheide gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) vorzunehmenden Klärung, ob und in welcher Höhe Säumniszuschläge nach § 240 AO entstanden sind andererseits, unterschieden hat (dazu , BFH/NV 2005, 657, 658, m.w.N.; zur Zweigleisigkeit des Verfahrens ferner , BFH/NV 2003, 1393).

Sind —wie im Streitfall— entsprechende Abrechnungsbescheide während des finanzgerichtlichen Verfahrens erlassen worden (für 2001 am und für 2002 am ), so muss sich der Betroffene, worauf der Berichterstatter beim FG in seinem ausführlichen Aufklärungsschreiben an die Kläger vom zutreffend hingewiesen hat, mit Einspruch und ggf. Anfechtungsklage dagegen fristgerecht wehren.

b) Auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist weder ausreichend dargelegt noch aus den Akten erkennbar. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (, BFH/NV 2006, 1338, m.w.N.). Dies ist ausweislich der umfangreichen rechtlichen Würdigung durch das FG (vgl. Urteil S. 11) erfolgt.

Die Gewährung rechtlichen Gehörs bedeutet indes nicht, dass das Gericht den Kläger auch „erhören” müsste, sich also dessen rechtlichen Ansichten anschließen müsste (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1338). Vielmehr darf es Vorbringen der Beteiligten aus formellen oder materiellen Gründen unbeachtet lassen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 1338; vom VIII B 54/06, juris; vom IV B 62/01, juris; ferner auch Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz 123, m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG—).

2. a) Eine zulässige Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO setzt voraus, dass über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Ein derartiger außergerichtlicher Rechtsbehelf wäre allenfalls in Form eines Untätigkeitseinspruchs gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO in Betracht gekommen, sofern die Finanzbehörde unter den vorgenannten Voraussetzungen bereits nicht über einen Antrag auf Erlass von Abrechnungsbescheiden gemäß § 218 Abs. 2 AO entschieden hätte.

Die Kläger haben aber schon nicht vorgetragen, einen derartigen Antrag gestellt, geschweige denn einen Untätigkeitseinspruch erhoben zu haben.

Schließlich tritt, sofern die Erhebung auch einer Untätigkeitsklage angenommen würde, nur unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache kraft Gesetzes ein mit der regelmäßigen Kostenfolge aus § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO.

Das FG hat indes das Klageverfahren bereits nicht gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 FGO ausgesetzt (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom VI B 58/02, BFH/NV 2003, 79; vom II B 36/00, BFH/NV 2001, 800).

b) Soweit die Kläger behaupten, einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO gestellt zu haben, ist ein solcher Antrag der Sitzungsniederschrift vom nicht zu entnehmen (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 2 der ZivilprozessordnungZPO—; zur Beweiskraft des Protokolls vgl. , BFH/NV 1997, 96).

Die Kläger haben überdies nicht dargetan, dass sie einen Antrag auf Berichtigung des Protokolls gestellt hätten (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1338; ferner vom II B 201/91, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 94 Rz 9, m.w.N.).

Im Übrigen hat das FG den von den Klägern gestellten Antrag, das Klageverfahren gegen die Ablehnung des Erlasses der Säumniszuschläge gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Abrechnungsbescheide auszusetzen, zu Recht unter Berufung auf das (BFHE 183, 465, BStBl II 1998, 38) abgelehnt.

3. a) Mit der Behauptung, das FG habe unwidersprochen Parteivortrag nicht berücksichtigt, wird kein Verfahrensfehler bezeichnet.

Die Kläger legen bereits nicht dar, wann und in welcher Form sie geltend gemacht haben wollen, „die Bearbeitung durch ein und dieselbe Person erscheine als starkes Indiz gegen eine durch § 367 Abs. 2 Satz 1 AO vorgesehene erneute Prüfung in vollem Umfang”.

Ebenso wenig ist vorgetragen worden, ggf. in welchem Schriftsatz die Einvernahme des Sachbearbeiters als Zeugen beantragt worden sein soll.

Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom ist ein derartiger Beweisantrag nicht gestellt worden.

Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge verlangt die genaue Angabe der Tatsachen, die den Verfahrensmangel schlüssig ergeben, und des Weiteren, weshalb ausgehend von der insoweit maßgebenden materiell-rechtlichen Auffassung des FG die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann (, BFH/NV 2006, 2110).

Die Würdigung des FG im Urteil (S. 12) spricht sogar eher dafür, dass die Kläger die nunmehr vorgetragene Behauptung im finanzgerichtlichen Verfahren zumindest nicht in der erforderlichen Deutlichkeit aufgestellt haben.

Im Übrigen gilt im finanzgerichtlichen Verfahren der Untersuchungsgrundsatz, d.h. das Gericht ermittelt den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Nichtbestrittene Tatsachen können auch nicht ohne Weiteres als richtig unterstellt werden (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 14, 16 und 17).

b) Mit der Behauptung, bislang sei höchstrichterlich nicht geklärt worden, welche Mindestanforderungen für eine erneute Prüfung „in vollem Umfang” i.S. von § 367 Abs. 2 Satz 1 AO von der Finanzbehörde einzuhalten seien, wird weder die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch die Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO dargetan (vgl. zu den Anforderungen BFH-Beschlüsse vom VIII B 131/06, BFH/NV 2007, 1176; vom VIII B 114/05, BFH/NV 2006, 709; vom VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799, jeweils m.w.N.).

In der Rechtsprechung ist im Übrigen geklärt, dass das Einspruchsverfahren ein sog. verlängertes Verwaltungsverfahren darstellt. Deswegen verweist § 365 Abs. 1 AO auf die für den Erlass des angefochtenen Bescheides im Verwaltungsverfahren geltenden Vorschriften. Schon dieser grundlegende Unterschied zwischen dem außergerichtlichen und dem gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren schließt eine entsprechende Anwendung des Ausschlusstatbestandes in § 41 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 FGO aus. Im Übrigen bedeutet das Tatbestandsmerkmal „in vollem Umfang” lediglich, dass das FA nicht an das Einspruchsbegehren des Einspruchsführers gebunden ist. Es kann vielmehr so entscheiden, als ob es die Sache erstmals in einem Verwaltungsakt regelt (, BFH/NV 1993, 684, 685; , BFH/NV 1998, 282).

Welche Prüfungsintensität im Einzelfall geboten ist, hängt insbesondere von der Mitwirkung des Steuerpflichtigen und den jeweiligen Umständen ab. Eine weitergehende abstrakte Vorgabe durch den BFH lässt sich mithin nicht treffen (vgl. BFH-Beschlüsse vom I B 168/05, BFH/NV 2006, 1121; vom VIII B 21/05, BFH/NV 2006, 1256).

Des Weiteren fehlt es an jeglicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BFH und dem Schrifttum, die einen klärungsbedürftigen Meinungsstreit verdeutlichen würde (dazu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 799).

4. Mit der weiteren Beanstandung, das FG sei widersprüchlich von fehlender Liquidität einerseits und der Möglichkeit zur pünktlichen Zahlung der fälligen Steuern andererseits ausgegangen und habe deshalb das rechtliche Gehör verweigert sowie „elementare Logik” missachtet, werden ebenfalls keine Verfahrensfehler schlüssig bezeichnet.

Damit werden allenfalls materielle Rechtsfehler behauptet, die indes nicht zur Zulassung der Revision führen (BFH-Beschlüsse vom VIII B 31/06, juris; vom I B 40/05, BFH/NV 2006, 101).

In ständiger Rechtsprechung hat der BFH entschieden, dass die Einziehung von Säumniszuschlägen mit Rücksicht auf deren Funktion als Druckmittel eigener Art ihren Sinn verlören, wenn dem Steuerschuldner die rechtzeitige Zahlung der zugrunde liegenden Steuerschuld infolge Überschuldung und —einer ggf. auch nur zeitweiligen— Zahlungsunfähigkeit unmöglich gewesen sei (, BFH/NV 1993, 510, m.w.N.; vom III R 43/89, BFH/NV 1994, 144; vom X R 87/96, BFH/NV 2000, 161; , BFH/NV 2002, 207).

Das FG hat (S. 14 des Urteils) insbesondere mit seinen Ausführungen zur fehlenden Zahlungsunfähigkeit der Kläger gerade auch auf die von ihnen eingeleiteten Maßnahmen zur Gewinnung ausreichender Liquidität hingewiesen (vgl. zu einem solchen Sachverhalt auch z.B. , BFH/NV 1988, 695, unter Ziff. 3.b ee der Gründe).

5. a) Beschlüsse des FG über Anträge auf Tatbestandsberichtigung sind gemäß § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO unanfechtbar (, BFHE 96, 558, BStBl II 1969, 736). Es handelt sich bei dem Verfahren zur Berichtigung des Tatbestandes eines FG-Urteils um ein von dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unabhängiges Verfahren, das nur vom Instanzgericht durchgeführt werden kann, nicht aber durch die höhere Instanz (BFH-Beschlüsse vom VII B 331/02, BFH/NV 2003, 1196; vom III B 14/06, BFH/NV 2007, 46), die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das (Steuer-Eildienst 2007, 384) nicht zur Entscheidung angenommen.

b) Soweit in der Rechtsprechung ausnahmsweise dann eine Beschwerde zugelassen worden ist, wenn geltend gemacht wurde, ein Berichtigungsantrag sei zu Unrecht als unzulässig abgelehnt worden oder leide an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel (vgl. etwa , BFH/NV 1988, 780), kommt nach Einführung der sog. Anhörungsrüge in § 133a FGO ausschließlich noch dieser gesetzlich geregelte Rechtsbehelf in Betracht, der allerdings durch das FG selbst zu entscheiden wäre. Eine außerordentliche Beschwerde an den BFH ist hingegen generell nicht mehr statthaft (vgl. , BFHE 211, 37, BStBl II 2006, 188).

c) Deshalb ist auch dem „grundsätzlichen Angriff auf die Rechtsprechung des BFH zur Tatbestandsberichtigung” unbeschadet der fehlenden schlüssigen Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung einer bestimmten Rechtsfrage bzw. einer Divergenz nicht weiter nachzugehen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 2069 Nr. 11
BFH/NV 2007 S. 2069 Nr. 11
WAAAC-59784