BFH Urteil v. - II R 20/09

Änderung eines Einheitswertbescheids nach § 173 Abs.1 Nr. 1 AO

Leitsatz

Ein Einheitswertbescheid kann nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden, wenn das Finanzamt nachträglich durch eine Kontrollmitteilung Kenntnis von Tatsachen erlangt, nach denen für die zuvor wegen angenommener gemeinnütziger Nutzung nicht bewerteten Grundstücksteile die Voraussetzungen für eine Grundsteuerbefreiung nicht vorlagen.

Gesetze: AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, AO § 370 Abs. 1, GrStG § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe b, FGO § 118 Abs. 2, FGO § 96 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein rechtsfähiger Verein, der in Deutschland lebenden Menschen islamischen Glaubens die Möglichkeit zu ihrer Religionsausübung bietet. Nach seiner Satzung dient er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken im Sinne der Abgabenordnung (AO).

2 Im Jahr 1998 erwarb der Kläger ein in X gelegenes Grundstück, das er später umbaute. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) stellte mit Bescheid vom (Wert-, Art- und Zurechnungsfortschreibung auf den ) einen Einheitswert in Höhe von 188.200 DM fest. Dabei bewertete er die für gemeinnützige Zwecke genutzten Räume nicht, nachdem der Kläger mit Schreiben vom den Freistellungsbescheid 1994 bis 1996 und die Freistellungsbescheinigung 1999 bis 2001 seines Sitzfinanzamts vorgelegt hatte.

3 Im Jahr 2006 wurde dem FA aufgrund einer Kontrollmitteilung bekannt, dass der Kläger bereits ab 1997 nicht mehr ausschließlich gemeinnützig tätig war und deshalb die Voraussetzungen für die Grundsteuerbefreiung nicht mehr erfüllte. Durch zwei in Rechtskraft erwachsene Strafbefehle vom waren der Präsident sowie der Schatzmeister des Klägers wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ihnen wurde u.a. zur Last gelegt, unter Hinweis auf den gemeinnützigen Satzungszweck des Klägers Freistellungsbescheinigungen für Körperschaft- und Gewerbesteuer für die Jahre 1997 bis 2002 beantragt zu haben, die dem Kläger auch erteilt worden seien. Tatsächlich habe der Kläger von 1997 bis 2003 einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten und Steuern in Höhe von . € hinterzogen.

4 Das FA erließ daraufhin einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einheitswertbescheid vom (Wertfortschreibung auf den ), der zuletzt durch Bescheid vom geändert wurde, und stellte unter Einbeziehung der bisher wegen gemeinnütziger Nutzung nicht bewerteten Räume den Einheitswert auf nunmehr 560.900 DM fest.

5 Einspruch und Klage, mit denen der Kläger nunmehr die Steuerbefreiung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Grundsteuergesetzes (GrStG) beanspruchte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) sah die Voraussetzungen einer gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängerten Feststellungsfrist als erfüllt an. Verantwortliche Vorstandsmitglieder des Klägers hätten durch Vorspiegelung unrichtiger Tatsachen die vom Sitzfinanzamt erteilte Freistellungsbescheinigung erschlichen und durch deren Vorlage beim FA die Nichtberücksichtigung von Räumlichkeiten bei der Feststellung des Einheitswerts erreicht. Damit sei Grundsteuer verkürzt worden und der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt. Das FG machte sich insoweit die Feststellungen der gegen diese Vorstandsmitglieder ergangenen Strafbefehle zu eigen.

6 Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung von § 169 Abs. 2 Satz 2 und § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sowie § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrStG.

7 Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Änderungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

8 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zutreffend erkannt, dass die Änderungsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt waren und dem Kläger eine Grundsteuerbefreiung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrStG nicht zusteht.

10 1. Die Rechtsgrundlage für die Änderung der Wertfortschreibung auf den ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Das FA hat nach Erlass des Einheitswertbescheids vom und damit „nachträglich” durch die im Jahre 2006 eingegangene Kontrollmitteilung Kenntnis von Tatsachen erlangt, die die Nutzung der zuvor nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG grundsteuerbefreiten Räume durch eine inländische Körperschaft, die nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dient, ausschließen.

11 2. Der Änderung des Einheitswerts auf den stand Feststellungsverjährung nicht entgegen.

12 a) Die Feststellungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, auf dessen Beginn die Fortschreibung des Einheitswerts vorzunehmen ist (§ 181 Abs. 3 Satz 1 AO). Fortschreibungszeitpunkt war hier nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes der . Die Feststellungsfrist begann daher mit Ablauf des Jahres 1999 und endete regulär nach vier Jahren mit Ablauf des Jahres 2003. Wie das FG richtig entschieden hat, verlängerte sich die Feststellungsfrist jedoch im Streitfall wegen Hinterziehung der Grundsteuer auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).

13 b) Das FG ist auf der Grundlage der gegen verantwortliche Vorstandsmitglieder des Klägers ergangenen Strafbefehle vom zum Ergebnis gelangt, dass diese Vorstandsmitglieder durch Vorspiegelung unrichtiger Tatsachen die vom Kläger dem FA vorgelegte Freistellungsbescheinigung erschlichen und dadurch Grundsteuern verkürzt haben. Die Beurteilung des FG, es sei insoweit der Tatbestand einer Hinterziehung von Grundsteuer durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) erfüllt, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass den Vorstandsmitgliedern des Klägers in diesen Strafbefehlen nicht die Verkürzung von Grundsteuer zur Last gelegt wurde. Allein entscheidend ist, dass die von Vorstandsmitgliedern des Klägers bei dem Sitzfinanzamt erwirkte und dem FA vorgelegte Freistellungsbescheinigung auf der pflichtwidrig unterlassenen Anzeige des vom Kläger in den Jahren 1997 bis 2003 in Wahrheit betriebenen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs beruhte.

14 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) können tatsächliche Feststellungen in Strafurteilen im Finanzgerichtsprozess verwertet werden. Das FG kann sich —wie im Streitfall geschehen— solche Feststellungen zu eigen machen, wenn sie nach seiner Überzeugung zutreffend sind, es sei denn, dass die Beteiligten gegen die strafgerichtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen erheben und entsprechende Beweisanträge stellen, die das FG nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (BFH-Entscheidungen vom VIII B 214/07, BFH/NV 2009, 1824; vom VII B 163/91, BFH/NV 1992, 612; vom I R 112/93, BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198, jeweils m.w.N.). Der Kläger hat derartige Einwendungen im Verfahren vor dem FG nicht erhoben und insoweit auch keine Beweisanträge gestellt. Der BFH ist demgemäß an die vom FG getroffenen Feststellungen in Bezug auf die hier vorliegende Steuerhinterziehung gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

15 3. Die dem FA nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen, die zum Wegfall der Gemeinnützigkeit des Klägers geführt haben, sind im Hinblick auf die ursprüngliche Feststellung des Einheitswerts auf den auch rechtserheblich. Denn diese hätten bei rechtzeitiger Kenntniserlangung durch das FA zur Feststellung eines höheren Einheitswerts ohne Berücksichtigung einer Grundsteuerbefreiung geführt. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt hier neben der aufgrund der tatsächlichen Geschäftsführung ab 1997 entfallenden Grundsteuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG auch keine solche nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 oder § 4 Nr. 1 GrStG in Betracht. Zur näheren Begründung wird auf die Gründe unter II. 3. des Senatsurteils II R 12/09 vom heutigen Tage Bezug genommen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 2003 Nr. 11
GAAAD-52034