Grunderwerbsteuer in Verfahren der gesetzlichen (förmlichen) Baulandumlegung
Bezug:
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchstabe b GrEStG ist der Übergang des Eigentums im Umlegungsverfahren nach dem BauGB in seiner jeweils geltenden Fassung von der Besteuerung ausgenommen, wenn der neue Eigentümer in diesem Verfahren als Eigentümer eines im Umlegungsgebiet gelegenen Grundstücks Beteiligter ist. Die Vorschrift erfasst nach dem BStBl 2000 II S. 206) alle in einem förmlichen Umlegungsverfahren nach dem BauGB durch Ausspruch einer Behörde erfolgenden Eigentumsänderungen an Grundstücken, soweit die zugeteilten Grundstücke mit dem eingebrachten Grund und Boden nicht identisch, d. h. flächen- und deckungsgleich und damit überhaupt steuerbar sind (vgl. BStBl 1998 II S. 27). Nach Auffassung des BFH rechtfertigt der hierbei geltende Grundsatz der Vorteilsausgleichung ein Über- oder Unterschreiten des Sollanspruchs. Der BFH ist in seiner o. a. Entscheidung vom daher – abweichend von seiner früheren Rechtsprechung – zum Ergebnis gelangt, dass sich die Steuerbefreiung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchstabe b GrEStG für Grundstücksübergänge im gesetzlichen (förmlichen) Umlegungsverfahren auch auf Grundstückszuteilungen erstreckt, die über den Sollanspruch (§ 56 Abs. 1 BauGB) des neuen Eigentümers hinausgehen (Mehrzuteilungen) und für die der neue Eigentümer eine Geldleistung zu erbringen hat.
Nach Auffassung der für Verkehrsteuern zuständigen Vertreter der obersten Finanzbehörden der Länder lässt sich aus der o. a. Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht entnehmen, dass generell jede Mehrzuteilung von Grundstücksflächen allein aufgrund des Umstands von der Besteuerung ausgenommen bleibt, dass der neue Eigentümer am Umlegungsverfahren als Eigentümer eines im Umlegungsgebiet gelegenen Grundstücks beteiligt ist. Die Steuerbefreiung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchstabe b GrEStG erfasst nach ihrem Sinn und Zweck vielmehr nur solche Mehrzuteilungen, die auf der Grundlage der Bestimmungen des BauGB unter Berücksichtigung der bestehenden Ermessensspielräume der Umlegungsstelle – d. h. außerhalb des freien Marktgeschehens – und in diesem engeren Sinne „umlegungsbedingt” erfolgen. Nur unter dieser Prämisse kann auch eine nicht nur unwesentlich über dem Sollanspruch liegende Mehrzuteilung steuerfrei belassen werden (vgl. , EFG 2005 S. 891).
Bei der Prüfung, ob bei wesentlichen Mehrzuteilungen im Rahmen gesetzlicher Baulandumlegungen das entscheidungserhebliche Kriterium „umlegungsbedingt” erfüllt ist, bitte ich wie folgt zu verfahren:
Der Ermessensentscheidung der Umlegungsbehörde ist durch die Finanzverwaltung grundsätzlich zu folgen. Eine Entscheidung über den Aufgriff einzelner besonders gelagerter Extremfälle ist nach Maßgabe der nachfolgend dargestellten Grundsätze im Einvernehmen mit der jeweils zuständigen Fachaufsichtsbehörde zu treffen.
Aus verwaltungsökonomischen Gründen ist das Kriterium „umlegungsbedingt” regelmäßig nur bei solchen wesentlichen Mehrzuteilungen zu prüfen, bei denen der Wert bzw. die Fläche der zugeteilten Grundstücke den jeweiligen Sollanspruch (§ 56 Abs. 1 BauGB) aus der – nach Abzug der Zuteilungen an den Erschließungsträger für die in § 55 Abs. 2 BauGB bezeichneten Zwecke – verbleibenden Masse (Verteilungsmasse; § 55 Abs. 4 BauGB) um mehr als 30 % übersteigt.
Als nicht umlegungsbedingt ist es anzusehen, wenn sich jemand durch den Erwerb eines eher kleineren Grundstücks in ein künftiges Umlegungsgebiet „einkauft”, um damit letztlich ein gewünschtes, erheblich größeres Grundstück zugeteilt zu erhalten. In einem solchen Fall ist der Einkauf und die Zuteilung von § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchstabe b GrEStG schon vom Sinn und Zweck dieser Vorschrift her nicht erfasst (vgl. Hofmann, GrEStG, 9. Auflage 2010, Rdnr. 63 zu § 1).
Ein Unternehmen möchte von bzw. in einer bestimmten Gemeinde ein ca. 15.000 m2 großes Grundstück erwerben. Im Hinblick auf ein dort bevorstehendes förmliches Umlegungsverfahren erwirbt das Unternehmen zunächst ein kleines Grundstück (1.000 m2). Im Rahmen des Umlegungsverfahrens wird dem Unternehmen dann das gewünschte, 15.000 m2 große Grundstück zugeteilt.
Die Zuteilung des Grundstücks ist nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchstabe b GrEStG steuerfrei.
Einer Einigung der Beteiligten auf eine Zuteilung, die nach den Bestimmungen des BauGB nicht vorgesehen ist und deshalb zu einer nicht umlegungsbedingten Zuteilung führt, ist der Charakter eines rechtgeschäftlichen – und damit grunderwerbsteuerpflichtigen – Erwerbs beizumessen. Keine umlegungsbedingte Zuteilung liegt insoweit regelmäßig vor, wenn wesentlich über den Sollanspruch hinausgehende Grundstücksflächen zu Alleineigentum an einen Eigentümer zugeteilt werden, der lediglich Miteigentümer eines Einwurfsgrundstücks war. Ein solcher Eingriff in das Gemeinschaftsverhältnis der Miteigentümer ist durch die Bestimmungen des BauGB nicht gedeckt (vgl. a. a. O.). Unschädlich ist dagegen, wenn Miteigentümern eines in die Umlegung eingebrachten Grundstücks jeweils ein ihrem Sollanspruch entsprechendes Grundstück zu Alleineigentum übertragen wird.
Sämtliche Teilnehmer bringen Grundstücke in die Umlegung ein. Die Teilnehmer A und B bringen jeweils einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem landwirtschaftlichen Grundstück ein und erhalten dafür in Höhe des Sollanspruchs ein Grundstück jeweils zu hälftigem Miteigentum zugeteilt. Teilnehmer A ist mit dieser Zuteilung nicht einverstanden und einigt sich mit der Umlegungsbehörde dahingehend, dass der Umlegungsplan geändert und ihm ein weiteres Grundstück zu Alleineigentum zugeteilt wird.
Die (Mehr-) Zuteilung des Grundstücks zu Alleineigentum an den Umlegungsbeteiligten A erfolgt nicht auf der Grundlage der Bestimmungen des BauGB und kann daher – als nicht umlegungsbedingte (Mehr-) Zuteilung – nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG steuerfrei belassen werden.
Zuteilungen an eine Gemeinde bzw. einen sonstigen Erschließungsträger für die in § 55 Abs. 2 BauBG bezeichneten Zwecke (z. B. Flächen für Straßen, Wege, Plätze, Grünanlagen) sind stets und in vollem Umfang nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG von der Besteuerung ausgenommen. Werden einer Gemeinde darüber hinaus erheblich über ihrem Sollanspruch liegende Grundstücksflächen zugeteilt, ist diese wesentliche Mehrzuteilung ebenfalls dahingehend zu überprüfen, ob sie umlegungsbedingt ist. Von der Besteuerung einer wesentlichen Mehrzuteilung kann unabhängig von ihrem Umfang abgesehen werden, wenn die Gemeinde (z. B. durch eine Bestätigung der Umlegungsbehörde) nachweist, dass die ihr zustehende Mehrzuteilung umlegungsbedingt notwendig war.
Bringt eine Gemeinde sog. (beigezogenes) Ersatzland ein, das anschließend einem Umlegungsbeteiligten zugeteilt wird, oder wird von Umlegungsbeteiligten stammendes Ersatzland an eine Gemeinde, die kein Grundstück in das Umlegungsverfahren eingebracht hat, im Rahmen einer Vorwegnahme der Entscheidung nach § 76 BauGB zugeteilt, so scheidet für diese Grundstücksübergänge eine Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG mangels einer Beteiligung am Umlegungsverfahren aus (vgl. Hofmann, GrEStG, 9. Auflage 2010, Rdnr. 63 zu § 1).
In eine Umlegung bringt A ein landwirtschaftliches Grundstück und B einen Bauplatz – jeweils als beigezogenes Ersatzland (außerhalb des Umlegungsgebiets) – ein. In der Vorwegnahme der Entscheidung nach § 76 BauGB erhält die Gemeinde, die kein Grundstück eingebracht hat, die Hälfte des Bauplatzes zugeteilt, die andere Hälfte (Miteigentumsanteil) erhält A. B fließt eine Ausgleichszahlung zu. Die Gemeinde bringt später noch ein Grundstück in die Umlegungsmasse ein.
A ist mit seinem eingeworfenen beigezogenen Ersatzland nicht Beteiligter des Umlegungsverfahrens, weil das Grundstück nicht im Umlegungsgebiet liegt und auch nicht zur Umlegungsmasse gehört. Die Zuteilung des Grundstücks an ihn erfolgt daher außerhalb des Umlegungsverfahrens. Der damit bewirkte Grundstückstausch führt zur Grunderwerbsteuer.
Die Zuteilung des hälftigen Ersatzlandes (Anteil Bauplatz) an die Gemeinde führt zur (vorläufigen) Steuerpflicht der Gemeinde, weil diese zunächst kein Grundstück in die Umlegungsmasse eingebracht hat. Die entsprechende Steuer ist auf Antrag unter dem Vorbehalt des Widerrufs zinslos zu stunden, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass die Steuervergünstigung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG doch noch zum Tragen kommt. Mit der späteren Einbringung eines Grundstücks in die Umlegungsmasse wird die Gemeinde doch noch Beteiligte am Umlegungsverfahren. Die Steuerbefreiung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG greift damit grundsätzlich ein. Erst nach Abschluss der Vorwegnahmen und des Umlegungsverfahrens kann jedoch entschieden werden, ob der Sollanspruch in unzulässiger Weise überschritten wurde oder noch eine umlegungsbedingte Mehrzuteilung vorliegt. Die Steuerfestsetzung ist dann ggf. nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern.
Die Steuerbefreiung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. b GrEStG erstreckt sich dementsprechend auch nicht auf Grundstückszuteilungen an Gemeinden und sonstige Bedarfsträger auf der Grundlage von § 55 Abs. 5 BauGB, denen Flächen zur Nutzung für öffentliche Zwecke deshalb zugeteilt werden, weil sie außerhalb des Umlegungsgebiets liegendes Ersatzland eingebracht haben.
Dieser Erlass ergeht im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der anderen Länder.
Ich bitte, die Finanzämter entsprechend zu unterrichten und den Erlass in geeigneter Form in die Grunderwerbsteuer-Kartei aufzunehmen.
Finanzministerium
Baden-Württemberg v. - 3
-S
4500/1
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
VAAAD-46084