BGH Beschluss v. - IX ZB 23/07

Leitsatz

1. Die erhebliche Befassung des Sequesters mit Gegenständen, an denen Rechte Dritter gemäß § 771 ZPO oder § 805 ZPO bestehen, wirkt sich nicht auf die Berechnungsgrundlage der Vergütung aus. Erhebliche Anforderungen an die Geschäftsführung des Sequesters insoweit können nur innerhalb des Vergütungssatzes durch einen angemessenen Zuschlag berücksichtigt werden () .

2. Sachvortrag und Erkenntnisquellen über die Bewertung des verwalteten Vermögens zum maßgebenden Stichtag sind im Festsetzungsverfahren für die Vergütung von Verwalter und Sequester bis zur letzten Tatsachenentscheidung zu berücksichtigen .

Gesetze: § 3 Abs 1 KonkVwVergV, § 4 Abs 2 KonkVwVergV, § 75 KO, § 106 Abs 1 KO, § 771 ZPO, § 805 ZPO

Instanzenzug: LG Heilbronn Az: 1 T 232/05 St Beschlussvorgehend AG Heilbronn Az: 1 N 68/98

Gründe

I.

1Die weitere Beteiligte war vom bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens am zum Sequester des Schuldnervermögens bestellt, wobei ihr die Wahrnehmung aller Rechte der Schuldnerin übertragen und letzterer ein allgemeines Veräußerungsverbot erteilt worden war. Die Schuldnerin war bei Antragstellung als Bauträgerin mit der Durchführung mehrerer Vorhaben befasst. Zum Teil waren Gebäude fertiggestellt und Eigentumswohnungen noch nicht sämtlich verkauft, zum Teil wurden Bauarbeiten während der Sequestration weitergeführt und Vereinbarungen mit den Erwerbern und Banken getroffen.

2Im Dezember 2004 beantragte die weitere Beteiligte die Festsetzung ihrer Sequestervergütung, wobei sie von einer Berechnungsgrundlage ohne Wertabzug für die Rechte Dritter (nach Eröffnung: Aus- und Absonderungsrechte) ausging. Für ihre Tätigkeit beanspruchte die weitere Beteiligte Zuschläge von insgesamt 70 v.H. bezogen auf den einfachen Vergütungssatz des § 3 Abs. 1 der Vergütungsverordnung (VergVO). Für den Fall, dass die Berechnungsgrundlage den Wert von Drittrechten am "Ist-Vermögen" der Schuldnerin nicht einschließe, hat sie hilfsweise wegen der erheblichen Befassung mit den hiervon betroffenen Gegenständen des Schuldnervermögens einen weiteren Zuschlag von 100 v.H. beantragt, insgesamt 456.028,90 € nebst Auslagenpauschale von 1.000 € und die Erstattung von 16 v.H. Umsatzsteuern.

3Das Amtsgericht hat der weiteren Beteiligten eine Vergütung von 45.439,54 € nebst Auslagenpauschale und Erstattung von Umsatzsteuern, insgesamt einen Betrag von 53.869,84 €, zugebilligt. Die hiergegen erhobene Beschwerde, mit der nunmehr eine Festsetzung von 495.546,47 € einschließlich der Erstattung von Auslagen und Umsatzsteuern beantragt worden ist, hatte keinen Erfolg. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die weitere Beteiligte ihren Beschwerdeantrag weiter.

II.

4Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Denn die Beschwerdeentscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten Stand. Anzuwenden ist auf den Festsetzungsfall nach Art. 103 Satz 1 EGInsO weiterhin die Vergütungsverordnung (, ZIP 2009, 84, 85 Rn. 11). Die rechtliche Nachprüfung ergibt, dass der Festsetzungsantrag der weiteren Beteiligten derzeit noch nicht als spruchreif angesehen werden kann.

51. Das Beschwerdegericht hat den Vergütungsanspruch mit einer Berechnungsgrundlage von 273.500 € festgesetzt.

6a) Dagegen rügt die weitere Beteiligte vergeblich den vom Beschwerdegericht vorgenommenen Wertabzug von Rechten Dritter (§§ 771, 805 ZPO; §§ 47 bis 51 InsO) bei der entsprechend § 1 Abs. 1, § 2 Nr. 1 VergVO anzusetzenden Berechnungsgrundlage für die Sequestervergütung. Diese Rechtsfrage hat der Bundesgerichtshof in Auslegung der Vergütungsverordnung bisher noch nicht entschieden. Sie ist insbesondere auch in dem Beschluss vom (aaO Rn. 14 bis 17) mangels Entscheidungserheblichkeit offen geblieben. Das Beschwerdegericht hat indessen zu Recht die jüngeren Grundsätze des Bundesgerichtshofs zur Berechnungsgrundlage der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters (BGHZ 165, 266, 274; 168, 321, 324 ff; , ZInsO 2010, 350 Rn. 6) im sachlichen Einklang mit einem Teil der bis zum Jahre 2000 ergangenen Rechtsprechung (LG München I Rpfleger 1969, 212; LG Lüneburg EWiR 1987, 75 m. Anm. Eickmann; LG Münster ZIP 1993, 1102 m. Anm. Pape EWiR 1993, 1007; LG Karlsruhe ZInsO 2000, 230 m. Anm. Haarmeyer; AG Köln ZIP 1986, 1138 m. Anm. Eickmann EWiR 1986, 917) bereits für die Berechnung der Sequestervergütung fruchtbar gemacht.

7Dem kann nicht, wie die Rechtsbeschwerde es versucht, § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV in der Fassung vom (BGBl. I S. 3389) entgegengehalten werden. Diese Vorschrift wirkt schon innerhalb der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung nicht zurück (, ZIP 2008, 2323, 2324 Rn. 7 bis 9).

8b) Zutreffend beanstandet die Rechtsbeschwerde indes, dass das Beschwerdegericht das Schuldnervermögen, auf welches sich die Schlussrechnung der Sequesterin bezieht, verfahrensfehlerhaft bewertet habe. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung unter der Annahme getroffen, der Sequester müsse sich grundsätzlich an seiner Bewertung von Vermögensgegenständen zum Ende des Sequestrationsverfahrens festhalten lassen. Eine abändernde Bewertung komme später nur dann in Betracht, wenn sich herausstelle, dass die anfängliche Bewertung von vornherein jeglicher Grundlage entbehre oder sonst auf irrtümlichen Erwägungen beruht habe. Dadurch ist die Wertermittlung des Schuldnervermögens bei Abschluss der Sequestration (Stichtag), die dem Konkursgericht im Vergütungsfestsetzungsverfahren obliegt, an Einschränkungen gebunden worden, denen eine rechtliche Grundlage fehlt.

9Von der Frage des Wertermittlungsstichtages für den Bestand des Schuldnervermögens, den Zustand (Qualität) seiner Vermögensgegenstände und die für ihre Wertangabe in Geld maßgebenden Markt-, Preis- und Währungsverhältnisse sind die Erkenntnisquellen zu unterscheiden, welche die stichtagsbezogene Bewertung tragen ( aaO Rn. 9). Diese Erkenntnisquellen sind bis zum letzten tatrichterlichen Entscheidungszeitpunkt, an dem der Vergütungsanspruch zu beurteilen ist, zu nutzen (vgl. , ZIP 2007, 284, 285 f). Die Amtsermittlungspflicht des Konkursgerichts im Vergütungsfestsetzungsverfahren (siehe , ZInsO 2009, 1030, 1031 Rn. 15 zu § 5 Abs. 1 InsO) kennt nach § 75 KO keine verfahrensrechtliche Präklusion oder sonstige Beschränkung, die neuem Sachvortrag des Verwalters zur Begründung seines Festsetzungsantrags oder dessen nachträglicher Erweiterung dem Verlaufe des Verfahrens entgegensteht. Ein solcher Rückschluss kann insbesondere aus § 11 Abs. 2 InsVV in der Fassung vom nicht gezogen werden; denn diese Vorschrift betrifft einen besonderen Fall des Wiederaufgreifens von abgeschlossenen Festsetzungsverfahren. Auch für die sofortige Beschwerde nach § 73 Abs. 3 KO gilt, dass sie gemäß § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel und damit auf neues tatsächliches Vorbringen gestützt werden kann. Danach kann die Beschwerdeentscheidung mit den getroffenen Feststellungen nicht aufrechterhalten werden.

102. Die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe "in unzulässiger Weise selbständige Erhöhungstatbestände vermengt", geht fehl. In diesem Sinne selbständige Erhöhungstatbestände kennt die Bemessung der Verwaltungs- und Sequestervergütung nicht (vgl. auch Senatsbeschluss vom heutigen Tage in der Sache IX ZB 11/07, z.V.b. in BGHZ). Wie der Bundesgerichtshof für die Vergütungsfestsetzung des Insolvenzgerichts entschieden hat (vgl. , ZIP 2006, 672, 673 Rn. 10; v. - IX ZB 249/04, ZIP 2006, 1204, 1205 Rn. 12; v. - IX ZB 280/05, ZIP 2007, 639, 640 Rn. 14; v. - IX ZB 160/06, ZIP 2007, 1330, 1332 Rn. 16), braucht auch das Konkursgericht in dieser Funktion nicht für jeden in Frage kommenden Zuschlagsgrund getrennt zu entscheiden, welche Erhöhung des Regelsatzes er rechtfertigt. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände, die unter Berücksichtigung von Überschneidungen in einer auf das Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag bestimmt.

11Sollte sich bei der Neuentscheidung der Sache eine Erhöhung der Sequestervergütung ergeben können, wird das Beschwerdegericht zu berücksichtigen haben, dass es einen Einzelzuschlag für die Beschäftigung mit Arbeitsverhältnissen bei nur vier Arbeitnehmern zu Unrecht gewährt hat (, ZInsO 2007, 1272, 1273 Rn. 15 m.w.N.). Unter der genannten Voraussetzung ist schon deshalb eine (erneute) Angemessenheitsprüfung für den Gesamtzuschlag erforderlich.

123. Wäre bei der Neuentscheidung des Festsetzungsgegenstandes danach die Vergütung weiterhin heraufzusetzen, wird das Beschwerdegericht der Sequesterin den einfachen Regelsatz gemäß § 3 VergVO nicht deshalb weiter gewähren dürfen, weil es für den Konkursverwalter pauschal den vierfachen Regelsatz für angemessen erachtet. Zu dieser Nichtanwendung der Vergütungsverordnung hat der Bundesgerichtshof mangels Entscheidungserheblichkeit im Zusammenhang mit der Sequestervergütung noch nicht Stellung genommen (vgl. aaO Rn. 13). Diese seinerzeit verbreitete Praxis kann rechtlich nicht uneingeschränkt gebilligt werden. Die Rechtslage ist insoweit ähnlich derjenigen, die sich in der letzten Geltungszeit der Verordnung über die Geschäftsführung und die Vergütung des Zwangsverwalters vom (BGBl. I S. 185) ergeben hatte. Die in diesem Zusammenhang vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze (vgl. BGHZ 152, 18, 24 ff; IXa ZB 37/03, ZInsO 2004, 382 m. Anm. Haarmeyer; v. - IXa ZB 30/03, ZInsO 2004, 846, 847) können auf Sequestertätigkeit im Jahre 1998, kurz vor dem Inkrafttreten der insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vom (BGBl. I S. 2205), sinngemäß übertragen werden.

Kayser                             Raebel                            Lohmann

                  Pape                               Grupp

Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 1577 Nr. 22
WM 2010 S. 1419 Nr. 30
ZIP 2010 S. 1504 Nr. 31
OAAAD-45969