BGH Beschluss v. - VIII ZR 301/08

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: OLG Brandenburg, 7 U 47/06 vom LG Frankfurt an der Oder, 31 O 13/05 vom

Gründe

I.

Die Beklagte unterhält Ferienanlagen. Die von ihr in Ostseebad P. betriebene Anlage wird seit Oktober 1999 von der Klägerin mit elektrischem Strom versorgt. Die Parteien streiten über eine Nachzahlung für Stromlieferungen in der Zeit von Juli 2001 bis Juli 2004. Nach den Behauptungen der Klägerin ist seit Inbetriebnahme der Anlage im Jahre 1999 der von der Beklagten verbrauchte Strom zu ihrem Nachteil falsch gemessen worden, weil ein vor dem Zähler eingebauter Wandler irrtümlich mit einem unzutreffenden Wandlungsverhältnis angeklemmt worden sei. Anstelle des den Abrechnungen zugrunde gelegten Wandlerfaktors 500/5 sei der Wandler tatsächlich die ganze Zeit über mit dem Faktor 1000/5 angeklemmt gewesen, so dass sie bei ihren Abrechnungen irrtümlich davon ausgegangen sei, die erfassten Messwerte drückten ein Hundertstel des tatsächlichen Stromverbrauchs aus, während in Wirklichkeit nur ein Zweihundertstel gemessen und der gemessene Wert dementsprechend auch nur auf die Hälfte des tatsächlichen Verbrauchs umgerechnet worden sei.

Das Landgericht hat der für den genannten Zeitraum auf eine Nachzahlung von 111.779,57 € gerichteten Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat dieses Urteil auf die Berufung der Beklagten abgeändert, die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässige Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO) hat Erfolg.

1.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Abgesehen von dem Nachforderungsbetrag für den Monat Juli 2004, der schon wegen Widersprüchlichkeit der eingesetzten Zahlbeträge nicht schlüssig dargetan sei, sei der Klägerin auch hinsichtlich der übrigen Nachforderungen der Beweis nicht gelungen, dass die Kabel während des streitigen Zeitraums an dem dem Messzähler vorgeschalteten Wandler mit dem Wandlungsverhältnis 1000/5 angeklemmt gewesen seien. Zwar sei nach dem Ergebnis des erhobenen Zeugenbeweises davon auszugehen, dass bei der am erfolgten Überprüfung der Wandlereinstellung ein Wandlungsverhältnis von 1000/5 festgestellt worden sei. Jedoch habe die Klägerin nicht bewiesen, dass diese Wandlereinstellung bereits bei Inbetriebnahme der Anlage am erfolgt sei. Nach dem erhobenen Zeugenbeweis könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Wandler bei seiner Inbetriebnahme oder in der nachfolgenden Zeit mit dem von der Klägerin vorgegebenen Wandlungsverhältnis von 500/5 angeschlossen gewesen sei. Zwar habe die Beklagte unstreitig keine Änderungen an der Wandlereinstellung vorgenommen. Ebenso sei der Vortrag der Klägerin als wahr zu unterstellen, dass auch sie nachträglich keine Änderungen an der Wandlereinstellung vorgenommen habe. Gleichwohl könne aus der am festgestellten Anklemmung des Wandlers mit einem Verhältnis von 1000/5 nicht darauf geschlossen werden, dass diese Anklemmung bereits bei Einbau des Wandlers erfolgt sein müsse. Denn nach der Aussage der hierzu vernommenen Zeugin K. könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Wandler mit dem von ihr seinerzeit bestätigten Verhältnis von 500/5 in Betrieb gegangen sei. Auch die Tatsache, dass der Wandler vor der Überprüfung am verplombt gewesen sei, biete keine hinreichende Gewähr dafür, dass er nicht zwischenzeitlich Gegenstand eines Eingriffs gewesen sei, bei dem - unter Umständen versehentlich - eine Änderung des Wandlungsfaktors erfolgt sei. Die dabei entfernte Plombe sei nämlich weder aufgehoben noch sonst dokumentiert worden, so dass nicht festgestellt werden könne, zu welchem Zeitpunkt sie gesetzt worden sei.

Ebenso wenig führe der vom Landgericht für überzeugungskräftig erachtete Vergleich der Verbrauchswerte anhand der im fraglichen Zeitraum angefallenen verbrauchsabhängigen Entgelte zu der hinreichend sicheren Überzeugung, dass der Zähler die ganze Zeit über kontinuierlich mit einem Wandlerverhältnis von 1000/5 angeklemmt gewesen sei. Zwar könnten die hierfür vom Landgericht herangezogenen Daten in diesem Sinne gedeutet werden. Allerdings seien die Schwankungen auch gleicher Monate in den verschiedenen Jahren erheblich, so dass die Verbrauchs- beziehungsweise abgerechneten Entgeltzahlungen nicht mit hinreichender Sicherheit auf ein durchgehend gleiches Wandlerverhältnis von 1000/5 schließen ließen. Das gelte abgesehen von dem deutlich von den Vorjahren abweichenden Verbrauchswert für August 2005 insbesondere für den Monat September, bei dem die berechneten Entgelte in den Jahren 2004 und 2005 deutlich über denjenigen der Vorjahre gelegen hätten. Soweit die Klägerin durch einen mit Schriftsatz vom zu den Akten gereichten Untersuchungsbericht ihrer Zählerprüfstelle vom zu belegen versucht habe, dass sich aus den Verbrauchsverhältnissen der Beklagten für die Jahre 2003 bis 2007 ergebe, dass der im Streit befindliche Wandler immer mit demselben Umsetzungsverhältnis gearbeitet habe, könne dieser Vortrag gemäß § 282 Abs. 1, § 296 Abs. 1, §§ 525, 530 ZPO keine Berücksichtigung finden. Denn es sei nicht erkennbar, warum die hausinterne Stellungnahme erst im April 2008 habe erstellt werden können. Zudem hätte die Zulassung dieses ergänzenden Vortrags eine Erledigung des Rechtsstreits verzögert, weil im Falle seiner Berücksichtigung zunächst hätte geklärt werden müssen, was genau Inhalt des ergänzenden Vortrags der Klägerin sei, und weil im Falle der Schlüssigkeit dieses Vortrags voraussichtlich ein Sachverständigengutachten hätte eingeholt werden müssen.

2.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise, so dass aufgrund der verfassungsrechtlichen Relevanz des Verfahrensfehlers eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Deshalb ist das Gericht gehalten, sich mit allen wesentlichen Punkten des Vortrags einer Partei auseinanderzusetzen und erhebliche Beweisanträge nach Maßgabe der hierfür in den jeweiligen Verfahrensordnungen bestehenden Grundsätze zu berücksichtigen (Senatsbeschluss vom - VIII ZR 92/07, [...], Tz. 6; , TranspR 2009, 410, Tz. 23 m.w.N.). Indem das Berufungsgericht den von der Klägerin mit Schriftsatz vom vorgetragenen Untersuchungsbericht ihrer Zählerprüfstelle vom und den dazu gehaltenen Sachvortrag als verspätet angesehen und deshalb unberücksichtigt gelassen hat, hat es die von ihm herangezogenen Präklusionsvorschriften (§ 282 Abs. 1, § 296 Abs. 1, §§ 525, 530 ZPO) offenkundig unrichtig angewandt und dadurch gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen. Auch soweit das Berufungsgericht den damit übereinstimmenden Sachvortrag in den vorausgegangenen Schriftsätzen der Klägerin vom und vom und den hierfür angetretenen Sachverständigenbeweis übergangen hat, hat es den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.

aa) Die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom unter Antritt von Zeugen- und Sachverständigenbeweis im Einzelnen vorgetragen, dass seit dem Jahr 1999 bis zum Jahr 2004 am Wandler stets dieselbe Klemmung vorhanden gewesen sei, wie man sie am vorgefunden habe. Sie hat dazu insbesondere ausgeführt, dass sich bei einer Veränderung der Klemmung von 500/5 auf 1000/5 die Messdaten hätten halbieren müssen; angesichts des gleichmäßigen Verlaufs der von ihr erfassten Messdaten sei jedoch eine Veränderung der Klemmung ausgeschlossen. Unter Bezugnahme auf diesen Sachvortrag sowie unter Wiederholung ihrer Behauptung, dass der am vorgefundene Wandlerfaktor während des gesamten Zeitraums der Nachberechnung aktiviert gewesen sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom den Untersuchungsbericht ihrer Zählerprüfstelle vom vorgelegt. Hierin ist ebenfalls näher ausgeführt, dass sich bei einer Änderung der Klemmung des Stromwandlers von 500/5 A auf 1000/5 A die Verrechnungsdaten in einer Größenordnung von 40 bis 60 Prozent hätten ändern müssen, während die tatsächlich eingetretenen Veränderungen im Zeitraum bis Juli 2004 unter 10 Prozent gelegen hätten.

bb) Diesen erheblichen Sachvortrag hat das Berufungsgericht nicht zur Kenntnis genommen. Es hat sich zwar anhand der von der Klägerin vorgetragenen verbrauchsabhängigen Entgelte mit dem Stromverbrauch der Beklagten im Zeitraum von Juli 2001 bis Juli 2004 und darüber hinaus bis einschließlich 2005 befasst, anders als das Landgericht aber gemeint, aus dem Vergleich der einzelnen Monatswerte nicht den hinreichend sicheren Schluss ziehen zu können, dass der Zähler im Zeitraum bis Juli 2004 kontinuierlich mit einem Wandlerverhältnis von 1000/5 angeklemmt gewesen sei, weil namentlich aus den erheblich gestiegenen Verbrauchswerten für September 2004 sowie August und September 2005 erhebliche Schwankungen hervorgingen. Ausdrücklich nicht berücksichtigt hat das Berufungsgericht dagegen den ergänzenden Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom und den gleichzeitig vorgelegten Untersuchungsbericht vom . Keine Erwähnung hat im angefochtenen Urteil ferner der unter Sachverständigenbeweis gestellte Vortrag der Klägerin in ihren Schriftsätzen vom und gefunden, wonach sich bei einer Veränderung der Klemmung von 500/5 auf 1000/5 die Messdaten hätten halbieren müssen und deshalb eine Veränderung der Wandlerklemmung auch angesichts des gleichmäßigen Verlaufs der erfassten Messdaten ausgeschlossen sei. Der Umstand, dass das Berufungsgericht diesen lange vor dem gehaltenen Vortrag in keiner Weise gewürdigt hat, lässt erkennen, dass es ihn ebenfalls nicht in seine Erwägungen einbezogen hat. Zwar ist das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem Parteivorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Jedoch ist der vom Berufungsgericht nicht behandelte Sachvortrag der Klägerin, wonach aus dem Verlauf der Verbrauchswerte eine Veränderung der Wandlerklemmung hätte sicher ausgeschlossen werden können, von derart zentraler Bedeutung für ihre Beweisführung gewesen, dass das Erfordernis einer Auseinandersetzung mit der aufgestellten Behauptung und der Eignung des dafür angetretenen Sachverständigenbeweises offensichtlich war. Wenn das Berufungsgericht dieses Vorbringen in seiner Entscheidung gleichwohl vollständig übergangen hat, lässt dies den sicheren Schluss darauf zu, dass es den Sachvortrag auch nicht erwogen hat (vgl. BGHZ 154, 288, 300; Senatsbeschluss vom - VIII ZR 306/06, WuM 2009, 113, Tz. 12).

cc) Der genannte Sachvortrag der Klägerin durfte auch nicht aus besonderen, in der Verfahrensordnung angelegten Gründen - § 531 ZPO - unberücksichtigt bleiben. Zwar ist dieser Sachvortrag erstmals im Berufungsrechtszug gehalten worden. Dies beruht jedoch darauf, dass die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung die aus dem gleichmäßigen Verlauf des Stromverbrauchs gezogene Schlussfolgerung des Landgerichts angegriffen hatte, wonach sich eine Änderung des der Stromerfassung zu Grunde liegenden Wandlungsfaktors in einem Verhältnis von 1 zu 2 bei der Erfassung anders, als es geschehen sei, spürbar hätte niederschlagen müssen. Konkret veranlasst worden ist der neue Vortrag überhaupt erst dadurch, dass das Berufungsgericht in der Berufungsverhandlung vom den Hinweis erteilt hatte, dass die Klägerin auch die von der Beklagten aufgezeigte Möglichkeit ausräumen müsse, ihre eigenen Mitarbeiter hätten bei Arbeiten am Trafo im April/Mai 2004 den Wandler umgeklemmt, und dass hierzu jedenfalls die Vorlage nur der alten Rechnungen nicht ausreichend sei. Die durch die abweichende Rechtsauffassung des Berufungsgerichts veranlasste Ergänzung des Sachvortrags der Klägerin hätte mithin ebenso wie der dafür angetretene Sachverständigenbeweis unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt unberücksichtigt bleiben dürfen (vgl. , NJW-RR 2006, 1292, Tz. 17 f.; vom - VII ZR 262/05, NJW-RR 2007,1612, Tz. 15).

Ebenso war es offenkundig rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht den ergänzenden Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom und den gleichzeitig vorgelegten Untersuchungsbericht vom gemäß § 282 Abs. 1, § 296 Abs. 1, §§ 525, 530 ZPO für nicht zulassungsfähig erachtet und deshalb nicht zur Kenntnis genommen hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin mit der erst im Jahre 2008 veranlassten Einholung des Untersuchungsberichts ihrer Zählerprüfstelle nicht gegen Prozessförderungspflichten verstoßen. Denn eine Partei genügt ihrer Darlegungslast, wenn sie - wie hier - Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Wird das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung gerecht, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden. Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (, WM 2008, 1688, Tz. 6 m.w.N.). Insbesondere war die Klägerin auch nicht gehalten, ihren schlüssigen Sachvortrag von sich aus durch Einholung des Untersuchungsberichts zu ergänzen. Denn eine Partei ist grundsätzlich nicht verpflichtet, tatsächliche Umstände, die ihr unbekannt sind, zu ermitteln oder sonst durch Einholung eines Privatgutachtens näher zu erforschen (vgl. , WM 2003, 1376, unter II 6 b).

b) Die Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des auf die Auswertung der Stromverbrauchswerte von Juli 2001 bis Juli 2004 bezogenen Vorbringens der Klägerin zu einem anderen, der Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre (vgl. Senatsbeschluss vom , aaO, Tz. 14 m.w.N.).

III. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 544 Abs. 7 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen zum Stromverbrauch der Beklagten im Zeitraum von Juli 2001 bis Juli 2004 unter Berücksichtigung des übergangenen, unter Beweis gestellten Sachvortrags noch einmal neu treffen kann.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
VAAAD-44986