BGH Beschluss v. - IX ZB 217/09

Grenzübergreifende Insolvenz: Zulässigkeitsprüfung für einen Gläubigerantrag auf Insolvenzeröffnung bei einem angeblichen Wohnsitzwechsel des Schuldners nach Frankreich; Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das deutsche Insolvenzgericht

Gesetze: § 16 ZPO, § 286 Abs 1 ZPO, Art 3 Abs 1 S 1 EGV 1346/2000

Instanzenzug: Az: 25 T 287/09 Beschlussvorgehend Az: 500 IN 207/08

Gründe

I.

1Unter dem beantragte die Gläubigerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, der sich im November 2007 von seinem bisherigen Wohnsitz in D. nach S./Frankreich abgemeldet hatte. Um die Eröffnungsvoraussetzungen zu prüfen und zu ermitteln, ob das Insolvenzgericht international zuständig ist, ordnete das Insolvenzgericht am die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

2Mit Beschluss vom hat das Insolvenzgericht zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und angeordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Die Beschwerde des Schuldners gegen diese Anordnungen ist erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde macht der Schuldner weiter geltend, einen Wohnsitz in Frankreich zu haben. Neben der Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen begehrt er die Zurückweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig.

II.

31. Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft, soweit sie auf Zurückweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gerichtet ist. Insoweit fehlt es an einem tauglichen Angriffsgegenstand (MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl., § 6 Rn. 12, 14). Das Insolvenzgericht hat über den Antrag der Gläubigerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bislang nicht entschieden.

42. Die im Übrigen gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 2 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die nach § 574 Abs. 2 ZPO geltend gemachten Zulässigkeitsgründe liegen nicht vor; weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

5a) Zwar setzt die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich einen zulässigen Insolvenzantrag voraus. Bei zweifelhaftem Gerichtsstand können aber berechtigte Sicherungsinteressen der Insolvenzgläubiger es gebieten, Sicherungsmaßnahmen vor der Feststellung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags zu treffen, wenn sich das Insolvenzgericht letzte Gewissheit erst im weiteren Verfahrensablauf verschaffen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schuldner bei der Aufklärung der zuständigkeitsbegründenden Anknüpfungstatsachen nicht mitwirkt (, ZInsO 2007, 440, 441 Rn. 11 ff). Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung wäre vorliegend gegen die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen selbst dann nichts einzuwenden, wenn die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, die von der Rechtsbeschwerde allein gerügt wird, noch nicht abschließend geklärt wäre.

6b) Soweit die Rechtsbeschwerde sich mit dem Verfahren auseinandersetzt und Rügen zur Annahme der internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts erhebt, aus denen wohl die Unzulässigkeit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen folgen soll, haben die aufgeworfenen Fragen keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Divergenz zur Rechtsprechung des Senats besteht nicht. Verfahrensgrundrechte des Schuldners hat das Beschwerdegericht nicht verletzt.

7aa) Dass bei Verfahren mit internationalem Bezug die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO zu prüfen ist, bedarf keiner Klärung. Eine Abweichung des Beschwerdegerichts von dieser Vorschrift ist nicht festzustellen. Das Beschwerdegericht hat sich auf mehreren Seiten seiner Entscheidung ausführlich mit der Frage der Zuständigkeit französischer Gerichte für ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners auseinandergesetzt.

8bb) Die Sache erfordert auch nicht die Aufstellung neuer Leitsätze zu den Maßstäben, die an die Bejahung der Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das Insolvenzgericht zu stellen sind. Diese sind geklärt. Nach einhelliger Meinung muss sich das Insolvenzgericht insoweit eine persönliche Überzeugung verschaffen, die dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO entspricht (, Rn. 2 f). Dieses Beweismaß hat das Beschwerdegericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es hat die Feststellungen des Insolvenzgerichts zur internationalen Zuständigkeit umfassend gewürdigt.

9cc) Die von der Rechtsbeschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage, ob § 16 ZPO im Rahmen des Insolvenzverfahrens anwendbar sein kann, wenn die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedsstaates nach Art. 3 EuInsVO in Betracht kommt, ist nicht klärungsbedürftig. Der Senat hat hierzu bereits ausgeführt, wenn Art. 3 EuInsVO nicht anwendbar sei, richte sich die Zuständigkeit gemäß § 13 ZPO nach dem Wohnsitz des Schuldners. Bei wohnsitzlosen Personen sei gemäß § 16 ZPO allgemeiner Gerichtsstand der Aufenthaltsort im Inland und, wenn ein solcher nicht bekannt sei, der Ort des letzten Wohnsitzes. Habe die Person einen Wohnsitz im Ausland, sei dagegen § 16 ZPO nicht anwendbar (, ZInsO 2010, 348 Rn. 3). Hier hat das Beschwerdegericht die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausgeschlossen. Über einen Wohnsitz im Inland verfügt der Schuldner nicht. Mithin konnte zur Bestimmung der Zuständigkeit § 16 ZPO herangezogen werden (vgl. aaO S. 348 f Rn. 4).

10dd) Der von der Rechtsbeschwerde gerügte Gehörsverstoß liegt nicht vor. Die Rechtsbeschwerde versucht, ihre eigene Würdigung an die Stelle der Würdigung des Beschwerdegerichts zu setzen. Ihrem Vorbringen kann jedoch nicht entnommen werden, dass das Beschwerdegericht bestimmte Umstände nicht zur Kenntnis genommen und erwogen hat (BVerfGE 86, 133, 145 f; 96, 205, 216 f; BGHZ 154, 288, 300). Es liegt nahe, bei einem Schuldner, der zunächst in seinen eidesstattlichen Versicherungen unterschiedliche Wohnsitze in Frankreich angibt, um dann zu erklären, dass er sich dort tatsächlich gar nicht aufgehalten, sondern ganz woanders in Frankreich gewohnt habe, erhebliche Bedenken bezüglich seiner Angaben zu haben. Wenn das Gericht bei dieser Sachlage aufgrund der weiter ermittelten Umstände zu dem Ergebnis kommt, dass eine Wohnsitzverlegung ins Ausland zum für die Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen hat (vgl. , ZInsO 2008, 1382, 1383 Rn. 8), ist dagegen nichts zu erinnern.

11Die weiteren, von der Rechtsbeschwerde gerügten Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze hat der Senat geprüft. Zulassungsrelevante Rechtsverletzungen haben sich nicht ergeben. Von einer weiteren Begründung wird nach § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

Ganter                               Raebel                                 Vill

                     Pape                                    Grupp

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DAAAD-44029