BGH Beschluss v. - II ZB 8/09

Leitsatz

Wegen des eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlauts des § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO und des darin zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers, aus Gründen der Rechtssicherheit Rechtshandlungen eines Rechtsanwalts auch dann als wirksam zu behandeln, wenn der Rechtsanwalt damit einem ihm gegenüber verhängten Berufsverbot zuwider handelt, muss - ungeachtet der damit verbundenen, den Rechtsanwalt unbillig begünstigenden Rechtsfolgen - auch die fristgerechte Einlegung der Berufung durch einen sich selbst vertretenden Rechtsanwalt, der in Kenntnis des gegen ihn verhängten Berufsverbots und unter Verstoß gegen § 155 Abs. 2 i.V.m. § 155 Abs. 4 letzter Halbsatz BRAO, als fristwahrende, wirksame Berufung behandelt werden .

Gesetze: § 155 Abs 2 BRAO, § 155 Abs 4 BRAO, § 155 Abs 5 S 1 BRAO, § 78 ZPO, § 244 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 51 S 249/08 Beschlussvorgehend Az: 212 C 13/08

Gründe

I.

1Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Ausschlusses des Klägers aus dem beklagten Verein und einigen damit verbundenen Folgen.

2Das Amtsgericht hat am die Klage des damals zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen, sich selbst vertretenden Klägers auf Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses durch Versäumnisurteil abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Einspruch eingelegt und die Klage um einige Folgeansprüche erweitert. Mit Urteil vom hat das Amtsgericht das Versäumnisurteil aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger mit beim Berufungsgericht am eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, die ihm bis zum bewilligt wurde. Mit am bei dem Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz bestellte sich Rechtsanwältin N. für den Kläger und begründete die Berufung. Am teilten die Prozessvertreter des Beklagten mit, dass der Kläger seit dem mit einem Berufsverbot belegt sei.

3Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden sei. Die bei Gericht am eingegangene Berufungsschrift habe die Frist nicht gewahrt, weil der Kläger wegen des Berufsverbots die Berufung nicht wirksam habe einlegen können.

4Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

5Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

61. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist (, NJW-RR 2003, 1580 m.w.Nachw.).

7Die statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Berufungsfrist des § 517 i.V.m. § 519 ZPO versäumt, verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.Nachw.).

82. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, so dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufungsfrist durch die am von dem Kläger eingelegte Berufung gewahrt worden. Dies folgt aus § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO. Danach wird die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Rechtsanwalts, die dieser unter Verstoß gegen das gegen ihn verhängte Berufsverbot vornimmt, durch das bestehende Verbot nicht berührt. Dies gilt bis zu seiner Zurückweisung nach § 156 Abs. 2 BRAO.

9a) § 155 Abs. 5 BRAO greift vorliegend ein. Der Prozess war durch die Verhängung des Berufsverbots nicht gemäß § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen.

10aa) Der Kläger durfte das erstinstanzliche Verfahren betreiben. Ein Rechtsanwalt, gegen den ein Berufsverbot verhängt ist, behält die Eigenschaft als Rechtsanwalt und auch seine Zulassung wird durch die vorläufige Maßnahme nicht berührt (BGHZ 111, 104, 106). Er ist aber gemäß § 155 Abs. 2 BRAO nicht mehr befugt, den Beruf auszuüben. Eine Ausnahme hiervon enthält für den vorliegenden Fall, in dem der Rechtsanwalt eine eigene Angelegenheit vertritt, § 155 Abs. 4 BRAO. Danach ist der Rechtsanwalt im Verfahren ohne Anwaltszwang, also im hier erstinstanzlich vor dem Amtsgericht geführten Verfahren, weiterhin zur Wahrnehmung u.a. seiner eigenen Angelegenheiten befugt.

11bb) Das von dem Kläger nach Verhängung des Berufsverbots bis zur Urteilszustellung zulässigerweise weiterbetriebene amtsgerichtliche Verfahren ist nicht gemäß § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen worden. Diese Vorschrift findet im Parteiprozess - selbst bei Anwaltsvertretung - keine Anwendung (, FamRZ 1992, 48, 49; Musielak/Musielak, ZPO 7. Aufl. § 244 Rdn. 1 m.w.Nachw.). Unterliegt - wie hier - nur das zweit- instanzliche Verfahren dem Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO), greift § 244 ZPO, der ansonsten auch für den sich selbst vertretenden Rechtsanwalt (§ 78 Abs. 6 ZPO) gilt (BGHZ 111, 104, 107; , NJW 2002, 2107; Musielak aaO m.w.Nachw.) nur, wenn bei Anwaltsverlust bereits Berufung eingelegt worden war ( aaO).

12b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht der Berufungseinlegung durch den Kläger die fristwahrende Wirksamkeit abgesprochen.

13aa) Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass sich der Kläger wegen des im Berufungsverfahren bestehenden Anwaltszwangs (§ 78 Abs. 1 ZPO) nicht mehr selbst vertreten konnte (§ 155 Abs. 4 letzter Halbsatz BRAO). Es hat jedoch übersehen, dass die Berufungseinlegung gemäß § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO gleichwohl als wirksam und damit fristwahrend zu behandeln ist.

14Nach dem Willen des Gesetzgebers soll zur Wahrung der Rechtssicherheit der Rechtsverkehr generell nicht mit der Prüfung belastet werden, ob gegen den Rechtsanwalt ein Berufs- oder Vertretungsverbot besteht (BGHZ 111, 104, 106; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 626, 627; Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht § 155 Rdn. 8 unter Hinweis auf die amtliche Begründung; Feuerich/Weyland, BRAO 7. Aufl. § 155 Rdn. 9; Henssler/Dittmann, BRAO 3. Aufl. § 155 Rdn. 7). Die Wirksamkeit der von dem Rechtsanwalt oder der gegen ihn vorgenommenen Rechtshandlungen ist deshalb auch unabhängig davon, ob der Teilnehmer an dieser Rechtshandlung - damit auch der unter Verstoß gegen das Berufsverbot handelnde Rechtsanwalt selbst - bösgläubig ist (Feuerich/Weyland aaO Rdn. 10 m.w.Nachw.).

15bb) Der Senat verkennt nicht, dass diese Verabsolutierung des Schutzes der Rechtssicherheit bösgläubige Teilnehmer am Rechtsverkehr, insbesondere - wie hier - den Rechtsanwalt, der unter Verstoß gegen das ihm bekannte Berufsverbot tätig wird und damit einen erneuten Widerrufsgrund verwirklicht (§ 156 Abs. 1 BRAO), unangemessen begünstigt. Ebenso wie gutgläubige Teilnehmer am Rechtsverkehr, die an eine für sie nachteilige Rechtshandlung ihres mit einem Berufsverbot belegten Prozessvertreters (z.B. Erklärung der Berufungsrücknahme) gebunden werden, benachteiligt werden (kritisch insoweit deshalb auch Johnigk aaO Rdn. 2, 9 m.w.Nachw.; die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme in einem solchen Fall ablehnend: OLG Karlsruhe, NJW 1997, 672, 673).

16Der Senat sieht sich jedoch - trotz des seiner Ansicht nach bedenklichen Ergebnisses in einem Fall wie dem vorliegenden - angesichts des eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlauts des § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO an den Willen des Gesetzgebers gebunden, berufsverbotswidrige Rechtshandlungen stets zur Wahrung der Rechtssicherheit bis zur Zurückweisung des Rechtsanwalts als wirksam zu behandeln.

Goette                                 Strohn                                 Caliebe

                     Reichart                               Löffler

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DB 2010 S. 6 Nr. 13
DB 2010 S. 783 Nr. 14
NJW 2010 S. 8 Nr. 15
WM 2010 S. 777 Nr. 16
ZAAAD-40303