BGH Beschluss v. - 5 StR 433/09

Leitsatz

Leitsatz:

Härteausgleich für während der Unterbrechung von Untersu- chungshaft vollständig vollstreckte Ersatzfreiheitsstrafe bei in- folgedessen unterbliebener Gesamtstrafenbildung mit lebens- langer Freiheitsstrafe durch Anrechnung.

Gesetze: StGB §§ 51, 54, 55, 57a, b

Instanzenzug: Veröffentlichungen: Nachschlagewerk: ja; BGHSt: ja; Veröffentlichung: ja

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Sache ist im Beschlussverfahren ohne die vom Verteidiger Rechtsanwalt M. begehrten Vorentscheidungen entscheidungsreif (BGH NStZ 2007, 538, 539; m.w.N.). Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuld- und Strafausspruch erfolglos im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Allerdings hat es das Landgericht unterlassen, für in Unterbrechung der Untersuchungshaft vollstreckte 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe einen Härteausgleich zu gewähren. Dies hat der Senat nachzuholen (§ 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 StPO).

1. Der Vornahme eines Härteausgleichs stehen prinzipielle Bedenken nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Härteausgleich (vgl. BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132) bei Zusammentreffen von Freiheits- und Geldstrafe zumindest dann in Betracht, wenn die Geldstrafe als Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt worden ist und daher bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht mehr einbezogen werden kann (BGH NStZ 1990, 436). So liegt es hier. Die Ersatzfreiheitsstrafe wurde - was grundsätzlich zulässig ist (vgl. § 122 StVollzG; s. aber ) - in Unterbrechung von Untersuchungshaft vollständig vollstreckt. Dementsprechend konnte keine Gesamtstrafe mehr gebildet werden.

2. Ohne Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe hätte das Landgericht in Anwendung der § 55 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkennen müssen. Der Geldstrafe lag ein Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr vom zugrunde, der für das hier abgeurteilte Tötungsverbrechen vom zäsurbegründend ist. Die Annahme besonderer Schwere der Schuld in Anwendung des § 57b StGB (hierzu BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15; ) wäre bei der Einbeziehung der im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung nicht schwer wiegenden Geldstrafe ausgeschlossen gewesen (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 57b Rdn. 2 m.w.N.).

3. Mithin ist ein Härteausgleich für den entstandenen Nachteil zu gewähren.

a) Dies gilt in Ansehung der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG auch für den im Vergleich zur erkannten lebenslangen Freiheitsstrafe hier eher geringfügigen Nachteil. Einen Nachteil hat der Angeklagte unzweifelhaft erlitten. Im Falle einer gemäß § 55 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB möglichen Gesamtstrafenbildung bezöge sich die Mindestverbüßungszeit des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB nach § 57a Abs. 2 StGB nicht auf die lebenslange Freiheitsstrafe allein, sondern auf alle Taten, deren Strafen in die Gesamtstrafe einzubeziehen waren (vgl. Fischer aaO. § 57a Rdn. 22). Die Verbüßungszeit einer noch nicht vollständig vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafe wäre deshalb auf die Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren anzurechnen gewesen (vgl. BGHSt 21, 186, 187 f.). Mithin wäre dem Angeklagten bei einer Gesamtstrafenbildung die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe im Ergebnis erspart geblieben.

b) Im Hinblick darauf, dass das Landgericht die besondere Schuldschwere nicht festgestellt hat, kann die vollständige Absorption der einzubeziehenden Strafe auch nicht im Vollstreckungsverfahren bei der Festsetzung der Verlängerungsdauer der Mindestverbüßungszeit der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB) ausgeglichen werden (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 104). Die Gewährung des gleichwohl erforderlichen Härteausgleichs kann dementsprechend nicht anders als durch eine Herausnahme der diesem zugrundeliegenden Haftzeit aus der Mindestverbüßungsdauer erfolgen (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15).

Dem steht nicht die Erwägung entgegen, dass bei einer gemeinsamen Aburteilung beider Taten neben der lebenslangen Freiheitsstrafe (theoretisch) gesondert auf Geldstrafe hätte erkannt werden können (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB). Im Rahmen des Härteausgleichs kommt es nämlich allein auf die hier durch die vollständige Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe geprägte tatsächliche Situation für den neu entscheidenden Richter an (BGH NStZ 1990, 436). Ohnehin erscheint die Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB neben lebenslanger Freiheitsstrafe grundlegend zweifelhaft, weil sonst der zu Freiheitsstrafe Verurteilte gleichheitswidrig besser gestellt wäre als der zu Geldstrafe Verurteilte.

c) Der zu gewährende Härteausgleich ist durch Anrechnung auf die Mindestverbüßungszeit (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB) unter doppelt analoger Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmen.

§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB sieht eine Anrechnung erlittener Haft zwar nur für die zeitige Freiheitsstrafe vor. Indes ist - mangels jeder Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung - eine entsprechende Anwendung im Falle erlittener Untersuchungshaft und anderer Freiheitsentziehung auch für die Festsetzung der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe anerkannt und geboten (BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 4; Fischer aaO. § 51 Rdn. 4). Ferner ist die Möglichkeit einer Anrechung einer im Einzelnen zu bestimmenden Zeit eines Freiheitsentzuges zum Ausgleich von erlittenem Verfahrensunrecht auf die Mindestverbüßungsdauer in den Fällen rechtsstaatwidriger Verfahrensverzögerung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (BGHSt - GS - 52, 124, 136) und eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK (BGHSt 52, 48, 56 f.) anerkannt.

Das von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte Vollstreckungsmodell ist auch für die Vornahme eines Härteausgleichs nach Festsetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe anzuwenden. Nicht anders als in den Fällen, in denen erlittenes Verfahrensunrecht im Wege schadensersatzrechtlicher Naturalrestitution ausgeglichen wird, gestattet es das Vollstreckungsmodell, den gebotenen Ausgleich eines Übermaßes von Strafe aufgrund zufällig getrennter Aburteilungen ohne systemwidrige Eingriffe in die Strafbemessung zu beseitigen. Diese Lösung hat der Große Senat für Strafsachen in BGHSt 52, 124, 136 vorgegeben (vgl. dazu auch EGMR StV 2009, 561, 563). Der erkennende Senat vollzieht sie - nach der Ankündigung in BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15 - hier tragend nach. Ob und gegebenenfalls in welchem Maße das Vollstreckungsmodell in anderen Fällen zu gewährenden Härteausgleichs anstelle des bisher gewährten, indessen oftmals nicht deutlich erkennbar werdenden Strafabschlags angewendet werden sollte (vgl. hierzu schon die Regelungen in § 58 Abs. 2 Satz 2, § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.

d) Als Härteausgleich sind hier 60 Tage auf die Mindestverbüßungsdauer des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB anzurechnen, weil bei einer Gesamtstrafenbildung genau diese 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt worden wären. Für eine verminderte Anrechnung ist kein Anlass ersichtlich. Zwar liegt hierin eine gewisse Privilegierung eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten. Dies ist aber Folge der sich aus den § 54 Abs. 1 Satz 1, §§ 57a und 57b StGB ergebenden Regeln über die Bildung von Gesamtstrafen auf der Grundlage lebenslanger Freiheitsstrafe. Eine mögliche Verlängerung der Mindestverbüßungsdauer aufgrund des Schuldgehalts des Tötungsverbrechens bleibt unberührt.

Der Senat ist entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu eigener Entscheidung befugt, weil rechtliche Erwägungen ein anderes Ergebnis verbieten (vgl. ; BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 12).

4. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit und in welcher Form der Gedanke des Härteausgleichs in anders gelagerten Fällen Anwendung finden müsste. Zu denken ist etwa an Konstellationen, in denen die Aufklärung der vor einer Verurteilung begangenen, mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahndenden Tat über lange Zeit hinweg wegen noch nicht vorhanden gewesener technischer Mittel nicht möglich gewesen ist, oder an Fälle mit nicht erkennbaren Tatzusammenhängen. Bei solchen Sachverhalten ist die getrennte Aburteilung Gegebenheiten geschuldet, die außerhalb des Verantwortungsbereichs der Justiz liegen; hinsichtlich der früheren Vollstreckung der erkannten Strafe hatte sie lediglich ihre Vollstreckungspflicht erfüllt (BVerfGE 46, 214, 222 f.; 51, 324, 343). Unter solchen Umständen kann die Verpflichtung zur Gewährung eines Härteausgleichs, jedenfalls in Vollanrechnung, in Frage gestellt sein.

5. Der erzielte Teilerfolg der unbeschränkt geführten Revision ist derart gering, dass es unter den Billigkeitsgesichtspunkten des § 473 Abs. 4 StPO nicht angezeigt erscheint, eine Kostenteilung vorzunehmen.

Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 1157 Nr. 16
LAAAD-36684