BAG Beschluss v. - 3 AZB 19/09

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 20 Abs. 3; GewO § 108; ZPO § 888; ZPO § 901

Instanzenzug: LAG Berlin-Brandenburg, 15 Ta 963/09 vom ArbG Berlin, 34 Ca 17163/08 vom

Gründe

I. Die Klägerin begehrt gegen den Beklagten den Erlass eines Haftbefehls im Rahmen der Zwangsvollstreckung eines Titels über einen Abrechnungsanspruch.

Die Parteien haben im Erkenntnisverfahren ua. über die Verpflichtung des Beklagten gestritten, der Klägerin Abrechnungen über ihr Arbeitsentgelt für den Zeitraum bis zu erteilen. Die Klägerin hat sich dabei darauf gestützt, sie habe vom Beklagten tatsächlich Zahlungen erhalten. Die Gläubigerin erwirkte ein entsprechendes Versäumnisurteil, von dem ihr eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt wurde. Das Versäumnisurteil ist dem Schuldner zugestellt, der keinen Einspruch einlegte. Es ist rechtskräftig.

Nachdem der Vollstreckungsschuldner keine Abrechnung erteilte, erließ das Arbeitsgericht auf Antrag der Vollstreckungsgläubigerin am einen Beschluss, in dem gegen den Vollstreckungsschuldner ein Zwangsgeld iHv. 700,00 Euro, ersatzweise für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit Zwangshaft von sieben Tagen - ein Tag für je 100,00 Euro - festgesetzt wurden. Der Beschluss wurde dem Vollstreckungsschuldner am zugestellt und ist rechtskräftig. Die Vollstreckungsgläubigerin erhielt eine vollstreckbare Ausfertigung. Die Vollstreckung des Zwangsgeldes blieb erfolglos. Der zuständige Gerichtsvollzieher erteilte eine Unpfändbarkeitsbescheinigung.

Daraufhin beantragte die Vollstreckungsgläubigerin den Erlass eines Haftbefehls. Das Arbeitsgericht hat diesen Antrag abgelehnt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde war vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos. Das Landesarbeitsgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Vollstreckungsgläubigerin weiterhin den Erlass eines Haftbefehls.

II. Die Beschwerde hat Erfolg. Der Rechtsstreit ist zur neuen Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Zum Zeitpunkt der landesarbeitsgerichtlichen Entscheidung lagen die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls (§ 888 Abs. 1 Satz 3, § 901 ZPO) vor.

a) Nachdem das Arbeitsgericht durch Versäumnisurteil den Vollstreckungsschuldner verurteilt hatte, die Abrechnungen zu erteilen, hat es durch den rechtskräftigen Beschluss vom Zwangsgeld und Ersatzzwangshaft als Beugemittel gem. § 888 Abs. 1 Satz 1, § 891 Satz 1 ZPO festgesetzt. Dieser Beschluss ist eigener Vollstreckungstitel iSv. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für die Beitreibung des Zwangsgeldes und die Vollstreckung der Ersatzzwangshaft (vgl. - Rn. 8 mwN, NJW 2008). Da er dem Vollstreckungsschuldner zugestellt und der Vollstreckungsgläubigerin eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt wurde, liegen die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung vor (§ 750 Abs. 1, § 724 Abs. 1 ZPO). Für die Vollstreckung der Ersatzzwangshaft gelten die in §§ 901 ff. ZPO enthaltenen Vorschriften über die Haft entsprechend (§ 888 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Die Vollstreckung der Haft setzt demzufolge einen Haftbefehl voraus (§ 901 ZPO), für dessen Erlass gleichfalls das Prozessgericht zuständig ist ( - aaO.).

b) Die Ersatzzwangshaft ist nach § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur möglich, wenn das Zwangsgeld nicht beigetrieben werden kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wie die Unpfändbarkeitsbescheinigung des Gerichtsvollziehers belegt.

c) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts fehlt der Vollstreckungsgläubigerin auch nicht das Rechtsschutzinteresse für den Erlass eines Haftbefehls, weil sein Erlass unverhältnismäßig wäre und damit gegen Grundrechte des Vollstreckungsschuldners verstieße (vgl. zum mangelnden Rechtsschutzinteresse in diesen Fällen: -Rn. 11, I ZB 87/06 - NJW 2008, 2919).

aa) Allerdings ist der Erlass eines Haftbefehls nach § 901 ZPO - und damit auch im vorliegenden Fall - nur möglich, wenn er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, der sich bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergibt und dem als Element des Rechtsstaatsprinzips Verfassungscharakter zukommt. Der Erlass des Haftbefehls muss geeignet und erforderlich sein, seinen Zweck zu erreichen. Er darf zudem den Betroffenen nicht übermäßig belasten, muss diesem also zumutbar sein (vgl. , 1 BvL 55/80 - zu B I 1 b und 2 a der Gründe, BVerfGE 61, 126).

bb) Nach dem zum Zeitpunkt der landesarbeitsgerichtlichen Entscheidung vorliegenden Verfahrensstand ist der Erlass eines Haftbefehls in diesem Sinne verhältnismäßig.

(1) Der durch den Erlass eines Haftbefehls und die damit eröffnete Möglichkeit, den Schuldner zu verhaften, auf den Schuldner ausgeübte Druck ist geeignet, diesen zur Erfüllung der gegen ihn titulierten Verpflichtung anzuhalten.

(2) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist der Eingriff auch erforderlich, um seinen Zweck zu erreichen.

Zweck des Zwangsmittels ist es, die gesetzlich in § 108 GewO vorgesehene und dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts zugrunde liegende Verpflichtung des Arbeitgebers, hier des Vollstreckungsschuldners, durchzusetzen, dem Arbeitnehmer, hier der Vollstreckungsgläubigerin, eine Abrechnung zu erteilen. Dass es ein anderes Mittel gäbe, den Vollstreckungsschuldner zur Erfüllung seiner Verpflichtungen anzuhalten, ist nicht ersichtlich. Für die Verhängung eines weiteren Zwangsgeldes besteht keine Veranlassung, nachdem das bislang verhängte Zwangsgeld nicht beigetrieben werden konnte ( - zu II der Gründe, FamRZ 1994, 1274).

(3) Der Eingriff durch den Erlass eines Haftbefehls belastet den Vollstreckungsschuldner auch nicht übermäßig und ist diesem zumutbar.

Unrichtig ist die in der angefochtenen Entscheidung (unter Berufung auf -, vgl. auch - 11 Ta 50/05 - MDR 2006, 55) vertretene Ansicht, der Erlass eines Haftbefehls scheitere daran, dass es letztlich um eine vertretbare Handlung ginge und die notwendige Abrechnung sich auch von einem unbeteiligten Dritten - ggfs. nach Einsicht in die Bücher des Vollstreckungsschuldners - erstellen lasse.

Der hier titulierte Abrechnungsanspruch aus § 108 GewO besteht, wenn Arbeitsentgelt gezahlt wird. Die Abrechnung bezweckt die Information über die erfolgte Zahlung. Die Regelung dient der Transparenz. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er gerade den ausgezahlten Betrag erhält. Die Bestimmung dient nicht der Vorbereitung der Durchsetzung eines Zahlungsanspruchs ( - zu II der Gründe, BAGE 120, 373; - 5 AZR 646/05 - zu II 1 der Gründe, BAGE 119, 62). Die Transparenz erfordert dabei nicht, dass dem Arbeitnehmer eine Abrechnung darüber erteilt wird, wie sein Arbeitsentgelt richtigerweise zu berechnen wäre. Es kommt vielmehr darauf an, wie es der Arbeitgeber tatsächlich berechnet hat und insbesondere, welche Abzüge er aus welchen Gründen tatsächlich vorgenommen und welche Beträge er abgeführt hat. Dies sind Kenntnisse im Bereich des Arbeitsgebers, hinsichtlich derer allein er eine ordnungsgemäße Abrechnung erteilen kann.

Die Möglichkeit, dass ein Dritter, der Einblick in die Unterlagen des Arbeitgebers hat, möglicherweise in der Lage wäre, diese Abrechnung ebenfalls zu erstellen, ändert daran nichts. Entscheidend ist, ob ein Dritter die Handlung selbständig ohne Mitwirkung des Schuldners vornehmen kann (vgl. Zöller/Stöber ZPO 27. Auflage § 887 Rn. 2). Das ist bei einer Abrechnung über tatsächlich vorgenommene Abzüge und Abführungen nicht der Fall. Im Übrigen steht aufgrund der Androhung von Zwangsgeld und Zwangshaft nach § 888 ZPO durch das Arbeitsgericht zwischen den Parteien rechtskräftig fest, dass eine unvertretbare Handlung vorliegt. Andernfalls wäre der Vollstreckungsgläubiger nach § 887 ZPO zu ermächtigen gewesen, die Handlung auf Kosten des Schuldners vornehmen zu lassen.

Auch im Rahmen von Zumutbarkeitserwägungen kann der Vollstreckungsgläubiger nicht auf einen imaginären Dritten verwiesen werden, der möglicherweise Zugriff auf Unterlagen des Vollstreckungsschuldners hat. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch zu berücksichtigen, dass der Vollstreckungsschuldner durch eine gerichtliche Entscheidung eine Verpflichtung auferlegt wurde. Er hat die Abrechnung zu erteilen, nicht der Vollstreckungsgläubiger. Dieser ist vielmehr zur Durchsetzung seiner durch das Gesetz festgelegten Rechte auf das gerichtliche Verfahren und wegen des staatlichen Gewaltmonopols auf das Zwangsvollstreckungsverfahren angewiesen. Demgegenüber ist es dem Vollstreckungsschuldner ohne Weiteres möglich, die ihm obliegende Handlung zu erbringen. Diese Überlegungen stehen dagegen, die Durchsetzung eines gerichtlichen Titels für gegenüber dem Vollstreckungsschuldner unzumutbar zu halten (vgl. auch , 1 BvL 55/80 - zu B I 2 b der Gründe, BVerfGE 61, 126). Es geht um das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes, nach dem materiellrechtliche Ansprüche effektiv, auch in der Zwangsvollstreckung, durchgesetzt werden können ( - Rn. 17).

2. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind demnach aufzuheben. Eine Entscheidung des Senats in der Sache (§ 577 Abs. 5 ZPO) ist nicht möglich. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dem Arbeitsgericht die tatsächliche Prüfung aufzugeben, ob zwischenzeitlich Gründe entstanden sind, die dem Erlass eines Haftbefehls entgegenstehen (vgl. - Rn. 24, NJW 2008, 2919). Das gibt dem Vollstreckungsschuldner im Übrigen die Möglichkeit, vor der nunmehr notwendigen Entscheidung des Arbeitsgerichts die titulierte Leistung zu erbringen. Das stünde dem Erlass eines Haftbefehls entgegen (vgl. Rn. 23 aaO.; - IXa ZB 32/04 - BGHZ 161, 67) und würde das vorliegende Verfahren erledigen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
DB 2009 S. 2719 Nr. 50
NJW 2010 S. 1164 Nr. 16
QAAAD-32459

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein