BGH Urteil v. - III ZR 18/09

Leitsatz

[1] Es ist der Justizverwaltung unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) grundsätzlich verwehrt, gegenüber dem Anspruch eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen mit einer Gegenforderung auf Erstattung offener Kosten des Strafverfahrens aufzurechnen.

Gesetze: BGB § 242; BGB § 389; BGB § 393; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1

Instanzenzug: OLG Karlsruhe, 12 U 39/08 vom LG Karlsruhe, 2 O 559/06 vom

Tatbestand

Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung in Anspruch.

Der Kläger befindet sich zur Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen schweren Raubes in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt B. . Dort war er in der Zeit vom 17. Januar bis (mit Ausnahme eines Krankenhausaufenthalts vom 2. bis zum ) in einer 9,09 m² großen Gemeinschaftszelle mit einem weiteren Strafgefangenen untergebracht. Die in dieser Zelle befindliche Toilette war lediglich durch einen Sichtschutzvorhang abgetrennt. Das beklagte Land ist dem Vorwurf der Amtspflichtverletzung, des Verstoßes gegen die Menschenwürde und der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers entgegen getreten und hat hilfsweise die Aufrechnung mit einer - unstreitigen - Gegenforderung auf Erstattung der von dem Kläger zu tragenden Kosten des Strafverfahrens erklärt. Der Kläger hält diese Aufrechnung für unzulässig.

Die Vorinstanzen haben dem Kläger aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung des Beklagten (§ 839 BGB, Art. 34 GG) übereinstimmend eine Entschädigung in Höhe von 3.000 EUR zugesprochen. Das Landgericht hat die Hilfsaufrechnung des Beklagten für begründet erachtet und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Beklagten zur Zahlung verurteilt.

Mit seiner - insoweit vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision wendet sich das beklagte Land gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Aufrechnung eine gemäß § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung darstelle.

Gründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht (VersR 2009, 360) hat ausgeführt, der Aufrechnung des beklagten Landes stehe § 394 Satz 1 BGB nicht entgegen, weil der Anspruch des Klägers der Pfändung unterworfen sei. Ob die Aufrechnung gemäß § 393 BGB ausgeschlossen sei, könne offen bleiben. Denn jedenfalls stelle sich die Aufrechnung des Beklagten als gemäß § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung dar. Der Anspruch des Klägers ergebe sich aus einem Eingriff in seine durch Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde. Bereits die überragende Bedeutung dieses Grundrechts schließe eine Aufrechnung mit einer Gegenforderung aus einer einfachgesetzlichen Regelung aus. Darüber hinaus sei zu beachten, dass der Zubilligung einer Geldentschädigung bei Verletzung der Menschenwürde gerade der Gedanke der Genugtuung des Verletzten und der Sanktionierung des Grundrechtsverstoßes zu Grunde liege. Diesen Funktionen würde man nicht gerecht, wenn man eine Aufrechnung des beklagten Landes zuließe. Die Verletzung der Ehre und Würde des einzelnen Strafgefangenen bliebe dann nämlich letztlich ohne spürbare Sanktion. Bei der Gegenforderung des Beklagten handele es sich ihrerseits auch nicht um einen Anspruch aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung - was im Rahmen der bei § 242 BGB anzustellenden "Gegenabwägung" bedeutsam sein könne -, da sie nicht aus einer unerlaubten Handlung des Klägers gegenüber dem Beklagten herrühre.

II.

Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf die Aufrechnung des beklagten Landes beschränkt (siehe dazu Senat , Urteil vom - III ZR 240/94 - NJW 1996, 527 m.w.N.; Zöller/Heßler, ZPO 27. Aufl., § 543 Rn. 24). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es dem Land, das auf Zahlung einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden aufgrund unwürdiger Bedingungen der Haftunterbringung in Anspruch genommenen wird, gemäß § 242 BGB grundsätzlich verwehrt ist, gegenüber diesem Anspruch mit einer Gegenforderung auf Erstattung von offenen Strafverfahrenskosten aufzurechnen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

Die Aufrechnung ist nach § 242 BGB ausgeschlossen, wenn sie nach der Eigenart des Schuldverhältnisses oder dem Zweck der geschuldeten Leistung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheint (Senatsurteil BGHZ 95, 103, 113 m.w.N.; BGHZ 113, 90, 93 ; - NJW 2002, 1130, 1132 ; Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 387 Rn. 15; Erman/Wagner, BGB Band 1, 12. Aufl., § 387 Rn. 33 ff).

So liegt es auch hier.

1.

Das aus § 242 BGB (unzulässige Rechtsausübung) hergeleitete Aufrechnungshindernis folgt für die vorliegend zu entscheidende Fallgestaltung - unter Zugrundelegung einer typisierenden Betrachtung der hierbei relevanten Umstände (insbesondere: Verschulden) - aus der Funktion und dem Zweck des Geldentschädigungsanspruchs wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen und der Eigenart des zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses.

Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 161, 33, 35 ff ; Beschlüsse vom - III ZR 33/05 - NJW 2006, 1289 und vom - III ZB 89/05 - NJW 2006, 3572) steht dem Betroffenen unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) ein Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen zu, wenn die damit verbundene Beeinträchtigung ein Mindestmaß an Schwere erreicht hat und nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann, wobei - ebenso wie bei einem Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, der Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen sind. Der Anspruch auf Geldentschädigung gründet auf dem Schutzauftrag der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und dient vornehmlich der Genugtuung des Verletzten, aber auch den Zwecken der wirksamen Sanktion und Prävention (Senat aaO BGHZ 161, 33, 35 ff ; allgemein: BGHZ 128, 1, 12, 15 ; 143, 214, 218 f ; 160, 298, 302 f, 306 ; 165, 203, 204 f, 206 f, 210 f ).

a)

Um seine Funktionen der Genugtuung, der Sanktion und der Prävention - in dem Sinne, dass der verpflichtete Staat dazu angehalten wird, menschenunwürdige Haftbedingungen von vornherein zu vermeiden oder aber (zumindest) alsbald zu beseitigen und nicht länger fortdauern zu lassen - wirksam wahrnehmen zu können, muss der Geldentschädigungsanspruch für den ersatzpflichtigen Staat spürbare Auswirkungen haben. Daran fehlte es vielfach, wenn die Erfüllung des Geldentschädigungsanspruchs im Wege der Aufrechnung mit einer Gegenforderung auf Erstattung offener Strafverfahrenskosten herbeigeführt werden könnte. Sehr viele Strafgefangene sind vermögenslos und - wie hier - bei der Verfolgung ihrer Entschädigungsansprüche auf Prozesskostenhilfe angewiesen. Die Ansprüche des Staates auf Erstattung von Kosten des Strafverfahrens sind in all diesen Fällen im Grunde uneinbringlich und bei wirtschaftlicher Betrachtung wertlos. Könnte sich der Staat hier seiner Entschädigungsverpflichtung durch Aufrechnung entledigen, so könnte von einem echten Vermögensopfer nicht gesprochen werden; auch enthielte der Geschädigte keinen wirklichen materiellen Ausgleich für den erlittenen Eingriff. Dass die Forderungen des Staates infolge der Aufrechnung ebenso verringert würden wie die Verbindlichkeiten des Betroffenen (§ 389 BGB), wirkte sich in dieser Situation gleichsam nur "buchhalterisch" aus, ohne dass dies von den Beteiligten wirtschaftlich als Vor- oder Nachteil empfunden würde. Nehmen darüber hinaus die Forderungen des Staates gegen den Betroffenen auf Erstattung offener Strafverfahrenskosten - wie nicht selten und so auch hier (24.398,87 EUR) - einen beträchtlichen Umfang ein, so liegt die Besorgnis nicht fern, dass der ersatzpflichtige Staat aufgetretene menschenunwürdige Haftbedingungen nicht so zügig wie geboten beseitigt, sondern (aus fiskalischen Gründen) längere Zeit hinnimmt und hierdurch nicht nur die Genugtuungs- und Sanktionsfunktion, sondern auch die Präventivfunktion des Entschädigungsanspruchs beeinträchtigt wird.

b)

Hinzu treten folgende Erwägungen:

Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen gründet auf einem besonderen Rechtsverhältnis zwischen dem Betroffenen und dem Staat, das einerseits von intensiven Eingriffs- und Anweisungsbefugnissen gekennzeichnet ist, die weit in die persönliche Lebensführung des Gefangenen hineinreichen, andererseits aber dem Staat besondere Fürsorgepflichten, insbesondere für Leben und Gesundheit des Gefangenen, auferlegt (vgl. Staudinger/Wurm, BGB, Neubearb. 2007, § 839 Rn. 665). Dabei gehört die Pflicht, den Häftling menschenwürdig unterzubringen, zu den Kardinalpflichten der Justizvollzugsorgane. Der aus der Verletzung dieser Pflicht sich ergebende Entschädigungsanspruch erfordert eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Betroffenen, die weit über die mit der Haft als solche verbundenen Belastungen hinausgeht.

Bei der gebotenen wertenden Gesamtschau liegt diesem Anspruch im Allgemeinen auch ein erhebliches Verschulden der verantwortlichen Staatsorgane zugrunde, das durchaus als "vorsatznah" einzustufen ist, mit der Folge, dass die Frage des Verbots der Aufrechnung nach § 393 BGB im Raum steht. Den Justizvollzugsbeamten der betroffenen Vollzugsanstalt sind regelmäßig - wie auch hier, worauf der Revisionsbeklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu Recht hingewiesen hat (Schreiben der Justizvollzugsanstalt B. vom ); auch das Berufungsgericht hat dies letztlich nicht anders gesehen - die tatsächlichen Umstände der Unterbringung bekannt und die Rechtswidrigkeit der Art und Weise dieser Unterbringung bewusst. Die Notlage, die darauf beruht, dass in der jeweiligen Justizvollzugsanstalt nicht genügend Haftplätze zur Verfügung stehen, mag zwar dazu führen, dass die Beamten "vor Ort" nicht vorsätzlich im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB handeln; dies kann aber den Staat - unter dem Aspekt des Organisationsverschuldens -nicht entscheidend entlasten (vgl. Senat BGHZ 161, 33, 35 ; Beschluss vom aaO Rn. 4).

2.

Da dem beklagten Land die Aufrechnung mit der Kostenforderung nach § 242 BGB versagt ist, kommt es nicht (mehr) darauf an, ob der Kläger den Nachweis führen könnte, dass einzelne Beamte der haftenden Anstellungskörperschaft vorsätzlich gehandelt haben, und somit dem beklagten Land die Aufrechnung nach § 393 BGB verboten wäre. Dabei trifft es entgegen der Auffassung der Revision nicht zu, dass die der Bestimmung des § 393 BGB zugrunde liegende gesetzgeberische Wertentscheidung unterlaufen wird, wenn in Fällen der vorliegenden Art ein grundsätzliches Aufrechnungshindernis aus dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) hergeleitet wird. Der Umstand, dass (noch) nicht von einer das Aufrechnungsverbot des § 393 BGB auslösenden Vorsatztat ausgegangen werden kann, hindert nicht daran, bei der Prüfung des Rechtsmissbrauchs neben der Gewährleistung der Funktionen und des Zwecks des Geldentschädigungsanspruchs sowie den Besonderheiten des zwischen der Landesjustizverwaltung und dem Strafgefangenen bestehenden Rechtsverhältnisses auch die dem Gesamtgeschehen anhaftende "Vorsatznähe" in den Blick zu nehmen.

3.

Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist der aus § 242 BGB hergeleitete Einwand gegen die Aufrechnung des beklagten Landes hier - unter dem Aspekt einer "Gegenabwägung" - nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung auf Zahlung offener Kosten des Strafverfahrens ihrerseits als eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (des Klägers) darstellte. Denn Forderungen des Staates auf Zahlung von Strafverfahrenskosten sind keine Ansprüche, die aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung gegenüber dem Staat hervorgegangen sind.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 167 Nr. 3
BAAAD-31197

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja