BGH Beschluss v. - VII ZB 25/10

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: AG Gütersloh, 15 M 2263/09 vom LG Bielefeld, 23 T 58/10 vom

Gründe

I. Die Gläubigerin, eine Oberjustizkasse, betreibt als Vollstreckungsbehörde die Beitreibung von Justizkostenforderungen des Landes N. in Höhe von 7.211,70 € gegen den Schuldner, einen Strafgefangenen. Dieser macht wegen behaupteter menschenunwürdiger Haftunterbringung Schadensersatzansprüche gegen das Land geltend.

Die Gläubigerin hat als Vollstreckungsbehörde am einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die angebliche Forderung des Schuldners an das Land als Drittschuldnerin auf Auszahlung von Beträgen aus

"1. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das Land N. aufgrund seiner tatsächlichen Unterbringung oder Unterbringungen in Justizvollzugseinrichtungen des Landes N.,

2. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das Land N. aufgrund der Rechtsverfolgung der in Ziffer 1 genannten Forderungen (insbesondere Rechtsanwaltsund Gerichtskosten)"

gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden ist.

Auf die Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht diesen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Gläubigerin hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde will die Gläubigerin weiterhin die Pfändung und Überweisung der in dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom genannten Forderungen des Schuldners erreichen.

II. A.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die vom Amtsgericht erfolgte Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom ist zwar sofort wirksam geworden (, BGHZ 66, 394); der ursprüngliche Pfändungs- und Überweisungsbeschluss kann daher nicht wiederhergestellt werden. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch mit dem Ziel zulässig, eine Vollstreckung mit neuem Rang zu ermöglichen (vgl. KG, OLGZ 1982, 75; OLG Koblenz, Rpfleger 1986, 229; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 743).

B.

In der Sache hat die Rechtsbeschwerde jedoch keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht sieht mit dem Amtsgericht die beabsichtigte Zwangsvollstreckung als unzulässig an. Der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom (III ZR 18/09, BGHZ 182, 301) entschieden, dass es der Justizverwaltung unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung grundsätzlich verwehrt sei, gegenüber dem Anspruch eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung wegen einer Unterbringung im Strafvollzug unter menschenunwürdigen Bedingungen mit einer Gegenforderung auf Erstattung offener Kosten des Strafverfahrens aufzurechnen. Die zu dieser Entscheidung getroffenen Erwägungen ließen sich uneingeschränkt auf die Frage der Pfändbarkeit des Geldentschädigungsanspruchs wegen bestehender Verfahrenskostenforderungen des Landes übertragen.

2. Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.

a) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hin, dass der Gläubiger grundsätzlich die Möglichkeit hat, eine dem Schuldner gegen ihn zustehende Forderung zu pfänden (Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 829 Rn. 124; Schuschke/Walker/Schuschke, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., § 829 ZPO Rn. 11; PG/Ahrens, ZPO, 3. Aufl., § 829 Rn. 21; Musielak/Becker, ZPO, 8. Aufl., § 829 Rn. 14; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 829 Rn. 38). Er kann aufgrund der Pfändung und Überweisung in der Regel selbst die Aufrechnung mit der ihm gegen den Schuldner zustehenden Forderung erklären. Ob dies auch möglich ist, wenn der Gläubiger ohne die Pfändung und Überweisung wegen eines materiellen Aufrechnungsverbots nicht aufrechnen konnte, ist umstritten (vgl. die Nachweise bei Staudinger/Gursky, BGB [2006], § 393 Rn. 2).

b) Der Senat muss dieser Frage nicht nachgehen. Denn rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht entschieden, dass bei dem hier vorliegenden Sachverhalt gemäß dem auch für das Prozessrecht Geltung beanspruchenden § 242 BGB (, BGHZ 172, 218, 222 m.w.N.) bereits die Pfändung des Anspruchs ausgeschlossen ist. Denn die Pfändung des Geldentschädigungsanspruchs wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen erweist sich unter Berücksichtigung der Funktion und des Zwecks dieses Anspruchs und der Eigenart des zwischen dem Schuldner und dem Land N. bestehenden Rechtsverhältnisses als unzulässige Rechtsausübung.

aa) Steht einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen gegen den Staat zu, ist nach der Rechtsprechung des , BGHZ 182, 301, 304) eine Aufrechnung des Staates mit Gegenforderungen gemäß § 242 BGB unzulässig. Der Anspruch des Strafgefangenen auf Geldentschädigung leitet sich aus dem Schutzauftrag der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ab. Er hat neben der Genugtuung für den Verletzten auch den Zweck einer wirksamen Sanktion und Prävention in dem Sinne, dass der verpflichtete Staat dazu angehalten wird, menschenunwürdige Haftbedingungen von vornherein zu vermeiden oder aber zumindest alsbald zu beseitigen und nicht länger fortdauern zu lassen (, aaO, S. 304 f.; Urteil vom - III ZR 361/03, BGHZ 161, 33, 35 ff.). Diesen Zweck kann der Geldentschädigungsanspruch wirksam nur erfüllen, wenn er für den ersatzpflichtigen Staat spürbare Auswirkungen hat. Dies ist nicht der Fall, wenn die Forderungen, mit denen der Staat aufrechnen möchte, bei wirtschaftlicher Betrachtung wertlos sind, weil - wie in vielen Fällen - der Strafgefangene vermögenslos ist (, aaO, S. 305).

bb) Aus den gleichen Erwägungen ist dem Staat auch die Pfändung eines gegen ihn gerichteten Anspruchs eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung wegen immaterieller Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen zu versagen. Eine Zulassung der Pfändung eines aus einer menschunwürdigen Haftunterbringung herrührenden Entschädigungsanspruchs zur Befriedigung offener Verfahrenskosten würde - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung zu Recht hinweist - die Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der Prävention ebenso ins Leere laufen lassen wie die Zulassung einer Aufrechnung. Denn mit dem Zugriff auf die Forderung des Strafgefangenen würden deren nachteilige Wirkungen verblassen. Der Staat würde sich auf diese Weise eine Befriedigung der wirtschaftlich wertlosen Forderung verschaffen und gleichzeitig den mit der Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs verfolgten Zweck umgehen. Letztlich träten nach der aufgrund einer Pfändung und Überweisung zur Einziehung regelmäßig erfolgenden Aufrechnung des Gläubigers mit dem Entschädigungsanspruch lediglich mit zeitlicher Verzögerung die wirtschaftlichen Folgen der unzulässigen Aufrechnung mit den Justizkostenforderungen ein.

cc) Das Pfändungsverbot erstreckt sich - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - auch auf die aus der Rechtsverfolgung der Entschädigungsansprüche erwachsenen Ansprüche, insbesondere die Rechtsanwaltsund Gerichtskosten. Werden mit dem Aufrechnungsverbot - wie hier - Zwecke der Sanktion und der Prävention verfolgt, muss sich wegen der engen materiellen Verbindung mit der Hauptforderung das Pfändungsverbot auch auf die Kosten der Rechtsverfolgung erstrecken (vgl. auch , WM 2011, 756 Rn. 47 f.). Mit entsprechenden Erwägungen hat der Senat bereits entschieden, dass sich das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO auch auf Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten erstreckt, wenn diese Folge der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind (, in [...] Rn. 16).

c) Die gegen dieses Ergebnis von der Rechtsbeschwerde erhobenen Einwände greifen nicht.

aa) Aus Entscheidungen, in denen der Bundesgerichtshof die Pfändung einer Forderung für möglich gehalten hat, gegen die der Gläubiger materiellrechtlich nicht aufrechnen durfte (vgl. , BGHZ 95, 109, 115), lässt sich nicht ableiten, dass die beabsichtige Pfändung und Überweisung der Forderung auch bei dem hier gegebenen Sachverhalt zulässig sein müsste. Denn der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von diesen Fällen dadurch, dass der zu pfändende Anspruch insbesondere auch der Sanktion und Prävention dient und aus einer Verletzung eines besonderen Rechtsverhältnisses zwischen dem Strafgefangenen und dem Staat hergeleitet wird, das dem Staat besondere Fürsorgepflichten auferlegt (vgl. , BGHZ 182, 301 Rn. 14). Eine solche Grundlage hat auch der von der Rechtsbeschwerde vergleichsweise herangezogene Schmerzensgeldanspruch nicht. Aus dem gleichen Grund kommt es auch nicht darauf an, dass die Pfändung einer Forderung aus unerlaubter Handlung möglich ist.

bb) Ohne Belang ist, ob und inwieweit eine Pfändung stattfinden kann, wenn die Entschädigungsforderung des Schuldners befriedigt worden ist. Selbst wenn dann ein uneingeschränkter Zugriff von Gläubigern stattfinden könnte, führte dies entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen. Solche hätten ihren Grund in den Pfändungsvorschriften. Diese untersagen es der Gläubigerin wegen der unzulässigen Rechtsausübung, auf die Forderung des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung zuzugreifen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
CAAAD-85125