BFH Urteil v. - IX R 11/09 BStBl 2011 II S. 27

Zusammenballung von Leistungen; Abfindung; ermäßigter Steuersatz

Leitsatz

Eine die Anwendung von § 34 EStG rechtfertigende Zusammenballung von Einkünften kommt auch dann in Betracht, wenn zu einer Hauptentschädigungsleistung eine in einem anderen Veranlagungszeitraum zufließende minimale Teilleistung hinzukommt.

Gesetze: EStG § 24 Nr. 1EStG § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und wurden im Streitjahr 2007 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger schloss im September 2006 mit seinem bisherigen Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum , wonach der Kläger eine einmalige Abfindungszahlung von 77.257 € erhalten sollte. Diese Abfindungszahlung wurde —nach den finanzgerichtlichen Feststellungen abredewidrig— vom Arbeitgeber in zwei Teilbeträgen ausgezahlt, nämlich im September 2006 in Höhe von 1.000 € und im Januar des Streitjahres in Höhe von 76.257 €.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) unterwarf die im Januar überwiesene Abfindungszahlung dem vollen Steuersatz. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wandte demgegenüber auf die Abfindungszahlung von 76.257 € den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an. Die grundsätzlich für eine ermäßigte Besteuerung erforderliche Zusammenballung einer Entschädigungszahlung in einem Veranlagungszeitraum sei ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Teilleistung nur in einer im Verhältnis zur Hauptentschädigung sehr geringen Höhe —vorliegend ca. 1,3 % der Hauptleistung— gezahlt und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Veranlagungszeitraum geleistet werde.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der dieses die Verletzung materiellen Rechts rügt. Eine Auszahlung in zwei Teilbeträgen in verschiedenen Veranlagungszeiträumen stehe der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 EStG entgegen.

Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Zu Recht hat das FG entschieden, dass die dem Kläger im Streitjahr zugeflossene Abfindungszahlung nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG ermäßigt zu besteuern ist.

1. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen in Betracht, die gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.

a) Eine Entschädigung liegt vor, wenn die bisherige Grundlage für den Erfüllungsanspruch weggefallen ist und der an die Stelle der bisherigen Einnahmen getretene Ersatzanspruch auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht (, BFHE 204, 65, BStBl II 2004, 349, m.w.N.).

b) Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG werden in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur bejaht, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (, BFH/NV 2009, 558). Keine Zusammenballung in diesem Sinne liegt typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und sich ein Progressionsnachteil ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835, m.w.N.).

Gleichwohl ist der Zufluss in einem Veranlagungszeitraum nach dem Wortlaut von § 34 EStG kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal. Der Zweck des § 34 Abs. 1 EStG wird trotz Zuflusses in zwei Veranlagungszeiträumen nicht verfehlt, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige Teilleistung erhalten hat und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag ausgezahlt wird (Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 34 Rz 18). Wollte man in derartigen Fällen an einem ausnahmslosen Erfordernis eines zusammengeballten Zuflusses der außerordentlichen Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum festhalten, so würden über den Gesetzeswortlaut des § 34 Abs. 1 EStG hinaus die Voraussetzungen der Tarifermäßigung ohne sachlichen Grund verschärft und die ratio legis verfehlt.

2. Nach diesen Grundsätzen ist die vom Kläger im Streitjahr bezogene Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gemäß § 34 Abs. 1 EStG tarifbegünstigt zu besteuern.

Der Kläger erhielt die Abfindung als Ersatz für den weiteren Bezug seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Eine für die ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG erforderliche Zusammenballung der Entschädigungszahlung liegt in Gestalt der im Streitjahr bezogenen Hauptentschädigungsleistung in Höhe von 76.257 € unabhängig davon vor, dass der Kläger zunächst nur eine sehr geringe Teilleistung erhalten hat. Bei der Auslegung von § 34 EStG nach Wortlaut und Normzweck ist die Zahlung der 1.000 € im Jahr 2006, wie das FG zutreffend festgestellt hat, unschädlich und das Erfordernis des von § 34 EStG bezweckten Härteausgleichs für die Hauptleistung im Streitjahr zu bejahen.

Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 27
BB 2009 S. 2339 Nr. 44
BFH/NV 2009 S. 2034 Nr. 12
BFH/PR 2010 S. 9 Nr. 1
BStBl II 2011 S. 27 Nr. 1
DB 2009 S. 2410 Nr. 45
DStR 2009 S. 2190 Nr. 43
DStRE 2009 S. 1411 Nr. 22
EStB 2009 S. 421 Nr. 12
FR 2010 S. 135 Nr. 3
GStB 2009 S. 46 Nr. 12
GStB 2010 S. 6 Nr. 1
HFR 2009 S. 1203 Nr. 12
KÖSDI 2009 S. 16713 Nr. 11
NJW 2010 S. 1024 Nr. 14
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2009 S. 3394
SJ 2009 S. 8 Nr. 22
StB 2009 S. 418 Nr. 12
StBW 2009 S. 2 Nr. 22
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2009 S. 820
CAAAD-30592