BFH Urteil v. - I R 101/08

Instanzenzug: ,

Gründe

I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines zum festgestellten verbleibenden Verlustabzugs bzw. eines vortragsfähigen Fehlbetrags im Streitjahr 2001 entfallen sind.

Mit Vertrag vom wurden 90 % des Stammkapitals der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, übertragen. Der Unternehmensgegenstand der Klägerin blieb unverändert. Im Jahr 2001 gewährte ein (Alt-)Gesellschafter der Klägerin ein Darlehen (ca. 35 000 DM). In den Jahresabschlüssen der Klägerin sind folgende Positionen ausgewiesen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
 
        
1999
2000
2001
Aktiva
        
        
        
Software
1
1
     1
Sachanlagen
12 106
977
13
Rückdeckung Lebensversicherung
107 862
132 521
158 306
unfertige Leistungen
0
0
132 000
Forderungen
19 568
2 704
40 704
Kassenbestand
21 299
14 641
6 862
Rechnungsabgrenzungsposten
2 501
1 131
304
nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag
   5 488
   40 885
   31 120
Summe Aktiva
 168 825
 192 860
 369 310
        
        
        
        
Passiva
        
        
        
gezeichnetes Kapital
 50 000
 50 000
 50 000
Gewinn-/Verlustvortrag
 2 543
./.55 488
./.90 884
Jahresfehlbetrag/-überschuss
./.58 031
./.35 396
 9 765
Kapitalfehlbetrag
 5 488
 40 885
 31 120
Sonderposten
 1 836
 494
 0
Pensionsrückstellungen
 142 769
 170 762
 201 216
sonstige Rückstellungen
 4 700
 4 450
 8 738
Erhaltene Anzahlungen
 0
 0
 49 000
Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen
   400
   658
   58 843
partiarisches Darlehen
 0
 0
 35 511
sonstige Verbindlichkeiten
 19 120
 16 495
 16 001
Summe Passiva
 168 825
 192 860
 369 310

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -FA-) stellte unter Hinweis darauf, dass der zum festgestellte verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer bzw. der festgestellte vortragsfähige Fehlbetrag (§ 10a Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes 1999GewStG 1999—) gemäß § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 (KStG 1999), hinsichtlich des Gewerbeverlustes i.V.m. § 10a Satz 4 GewStG 1999, nicht zu berücksichtigen sei, mit Bescheiden zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer und zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Fehlbetrags auf den die vortragsfähigen Verluste auf 0 DM fest. Die anschließende Klage führte zur Änderung dieser Bescheide unter Anerkennung eines vortragsfähigen Verlusts (Finanzgericht —FG— Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12 K 8367/05 B, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2009, 216).

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Recht angenommen, dass der zum festgestellte verbleibende Verlustabzug/vortragsfähige Fehlbetrag im Streitjahr nicht gemäß § 8 Abs. 4 KStG 1999 (i.V.m. § 10 Satz 4 GewStG 1999) unberücksichtigt bleiben muss.

1. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 setzt der Verlustabzug nach § 10d des Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1999 bei einer Körperschaft voraus, dass diese nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Die erforderliche wirtschaftliche Identität liegt nach Satz 2 insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt. Für die Gewerbesteuer gilt dies gemäß § 10a Satz 4 GewStG 1999 entsprechend.

2. Die Voraussetzungen für den Ausschluss des Verlustabzugs gemäß § 8 Abs. 4 KStG 1999 liegen im Streitfall nicht vor.

a) Ziel des § 8 Abs. 4 KStG 1999 ist es in erster Linie, missbräuchlichen Gestaltungen vorzubeugen und in diesem Zusammenhang vor allem den „Handel” mit vortragsfähigen Verlusten zu unterbinden (z.B. Senatsurteil vom I R 87/07, BFHE 222, 245). Zu diesem Zweck verlangt das Gesetz die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Voraussetzung für den Verlustabzug gemäß § 10d EStG 1997.

§ 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 definiert die sog. wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft („insbesondere”), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Satz 2 des § 8 Abs. 4 KStG 1999 als Regelbeispiel bzw. als Hauptanwendungsfall (so , BStBl I 1999, 455 Tz. 01) setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter ihren Satz 1 zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind (vgl. etwa , BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988; in BFHE 222, 245).

Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn —erstens— bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden, —zweitens— überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und —drittens— der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird. Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich damit durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr verfügbares Betriebsvermögen (Senatsurteil in BFHE 222, 245, m.w.N.).

Zur Auslegung des Begriffs des „neuen Betriebsvermögens” in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 hat der Senat in seinem Urteil vom I R 106/05 (BFHE 218, 195, BStBl II 2008, 986) entschieden, dass dieses Tatbestandsmerkmal nicht darauf abzielt, einer Verlagerung zusätzlichen Ertrags- und damit Verlustverrechnungspotentials in die Gesellschaft zu begegnen. Vielmehr sind jegliche Änderungen der Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebsvermögens zu erfassen. Denn diese Änderungen lassen typischerweise darauf schließen, dass bei der Anteilsübertragung letztlich nicht der Geschäftsbetrieb in seiner bisherigen Form erworben werden sollte. Entscheidend ist damit die Nämlichkeit des Betriebsvermögens. Das rechtfertigt es, auf die einzelnen im Betrieb verwendeten Vermögensgegenstände abzustellen (s. insoweit nun auch BStBl I 2008, 1033, unter I.) und den Begriff des Betriebsvermögens in entsprechender Weise normspezifisch zu verengen.

Nach dem Missbrauchsverhinderungszweck der Regelung ist ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Betriebsvermögenszuführung erforderlich (z.B. , BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602; vom I R 91/05, BFHE 222, 240). Daraus ist die —durch die quantitative Grenze des „Überwiegens” nicht abgeschnittene— Notwendigkeit abzuleiten, einzelne Betriebsvermögensmehrungen daraufhin zu untersuchen, ob sie die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft berühren. Dies ist bei Anlagevermögen in aller Regel erfüllt (s. z.B. Senatsurteil in BFHE 218, 195, BStBl II 2008, 986), kann sich aber auch auf Umlaufvermögen beziehen (s. z.B. Senatsurteil in BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988).

b) Nach den zwischen den Beteiligten nicht streitigen und im Revisionsverfahren bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG ist das „Aktivvermögen” der Klägerin (Summe Aktiva abzüglich des Postens „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag”) vom (151 975 DM) um 186 215 DM auf 338 190 DM () angestiegen. Dieser Umstand ist jedoch nicht als „Zuführung neuen Betriebsvermögens” i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 anzusehen.

aa) Das FG hat, was zwischen den Beteiligten im Revisionsverfahren nicht mehr streitig ist, die Veränderung des Postens „Rückdeckung Lebensversicherung” (Erhöhung um 25 785 DM) nicht als tatbestandsrelevante Zuführung neuen Betriebsvermögens gewertet. Dem ist beizupflichten. Die hier streitige und durch die fortlaufende Beitragszahlung bewirkte Aufstockung eines Finanzierungsmittels einer schon vor der Anteilsübertragung zugesagten Altersversorgung weist einen sachlichen Zusammenhang weder mit der Anteilsübertragung noch mit dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Tätigkeit der Kapitalgesellschaft auf.

bb) Der Posten „unfertige Leistungen” (132 000 DM), der den wesentlichen Teil des Anstiegs des Werts des Aktivvermögens ausmacht und der im Streitjahr erstmals ausgewiesen worden ist, ist vom FG in die Vergleichsberechnung ebenfalls nicht einbezogen worden. Das FG hat insoweit auf die „signifikante Erhöhung der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen” verwiesen und daraus abgeleitet, dass die Erhöhung nicht auf einer „Zuführung von außen”, sondern auf der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin beruht habe. Wenn eine Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb nach einer Anteilsübertragung in derselben Branche fortsetze, komme eine abweichende Prägung des Betriebsvermögens durch die Veränderung des Umlaufvermögens nicht in Betracht (s. bereits , EFG 2008, 723, rechtskräftig; im Anschluss an die Vorinstanz ebenso , EFG 2009, 967 [Revision anhängig unter Az. I R 27/09]; s. auch FG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12 K 8489/05 B, EFG 2009, 683, und 12 K 8293/06 B, EFG 2009, 684, jeweils rechtskräftig). Dem ist im Ergebnis ebenfalls beizupflichten.

Aus dem Missbrauchsverhinderungszweck der Regelung, der auf einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Betriebsvermögenszuführung aufbaut, folgt zwar einerseits, dass es auf die steuerrechtliche Qualifikation des zugeführten Betriebsvermögens als Anlage- oder Umlaufvermögen grundsätzlich nicht ankommen kann (s. II.2.a der Gründe). Andererseits sind Vermehrungen des Umlaufvermögens aus dem Tatbestand auszuklammern, die sich als Ergebnis eines fortlaufenden Wirtschaftens mit dem nämlichen Betriebsvermögen darstellen bzw. sich auf ein nicht die wirtschaftliche Identität des Unternehmens prägendes Umlaufvermögen beziehen (s. bereits Gosch, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung 2008, 18; Heger, Juris-PraxisReport Steuerrecht 4/2008 Anm. 5; Stalbold, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 155). Die Würdigung des FG, den Zugang beim Posten „unfertige Leistungen” als Ergebnis eines fortlaufenden Wirtschaftens mit dem nämlichen Betriebsvermögen anzusehen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und damit für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend.

c) Das FA nimmt an, dass jedenfalls die Generalklausel in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 anzuwenden ist. Eine Erhöhung des Umlaufvermögens führe, sobald sich aus ihr ein „überwiegendes” neues Betriebsvermögen ergebe, auch ohne Branchenwechsel zu einem Verlust der wirtschaftlichen Identität. Dem ist nicht beizupflichten.

Die Forderung nach wirtschaftlicher Identität der Kapitalgesellschaft ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Das Merkmal der wirtschaftlichen Identität in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 ist jedoch mit bestimmten tatbestandlichen Vorgaben verknüpft, die aus dem Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 abzuleiten sind. Zu diesen tatbestandlichen Vorgaben gehört es, dass die Veränderung der wirtschaftlichen Identität als Folge der Nutzung eines der Kapitalgesellschaft „zugeführten” Betriebsvermögens eintritt. Insoweit wird auch in der Literatur hervorgehoben, dass § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 ermöglichen könnte, solche Fälle zu erfassen, in denen eine mit der Zuführung neuen Betriebsvermögens vergleichbare Situation vorliege bzw. es werden im Zusammenhang mit § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999 „andere Fälle der Betriebsvermögensverstärkung” erörtert (Nachweise im Senatsurteil in BFHE 222, 245).

Eine solche Vergleichbarkeit besteht im Streitfall nicht. So wie es ausgeschlossen ist, den Bereich des durch § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 gesetzten Vergleichsrahmens auszudehnen und die Verlustabzugsbeschränkung ohne Berücksichtigung einer Betriebsvermögenszuführung auf jede Form eines Branchenwechsels zu erstrecken (Senatsurteil in BFHE 222, 245), kann nicht —ohne Branchenwechsel— jegliche Änderung des Betriebsvermögens, die aus dem Einsatz des bisher vorhandenen Betriebsvermögens (als Ergebnis eigenen Wirtschaftens) herrührt, als Ausdruck eines Verlusts der wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft verstanden werden.

3. Die Rüge des FA, das FG hätte die Frage der Verwendung der Darlehensmittel aufklären müssen, ist nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1838 Nr. 11
GmbHR 2009 S. 1115 Nr. 20
KÖSDI 2009 S. 16713 Nr. 11
NAAAD-28005