BGH Beschluss v. - III ZB 99/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: EMRKG Art. 6; ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 238 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1; ZPO § 574 Abs. 1; ZPO § 574 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 20 Abs. 3

Instanzenzug: LG Mühlhausen, 1 S 171/08 vom AG Nordhausen, 22 C 565/07 vom

Gründe

I.

Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht einen Zahlungsanspruch auf der Grundlage zweier von der Beklagten mit der Zedentin geschlossener Mobilfunkverträge geltend. In erster Instanz blieb die Klage bis auf einen Betrag von 94,54 EUR ohne Erfolg. Das Urteil des Amtsgerichts wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt. Am legten sie hiergegen für die Klägerin Berufung ein und übermittelten dem Landgericht am ein - dort um 14.12 Uhr eingegangenes - Telefax mit dem Antrag, die Frist zur Begründung der Berufung bis zum zu verlängern. Weder dieses Telefax noch das bei Gericht am eingegangene Original dieses Schriftsatzes trugen eine Unterschrift. Dies bemerkte die Vorsitzende des Berufungsgerichts am im Rahmen der Dezernatsarbeit, wies mit Verfügung von diesem Tag den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zurück und teilte mit, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Daraufhin beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter dem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; gleichzeitig begründeten sie das Rechtsmittel.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Klägerin nicht dargetan habe, dass sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen sei. Ein Prozessbevollmächtigter müsse eine Berufungs- bzw. Berufungsbegründungsschrift, einschließlich eines Fristverlängerungsantrages, persönlich auf Richtigkeit und Vollständigkeit hin prüfen; dazu gehöre eine zutreffende Adressierung sowie die Bezeichnung der Parteien, des Rechtsmittelführers und des angefochtenen Urteils. Entsprechendes gelte für die notwendige Unterschrift, bei deren Fehlen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne. Im Streitfall sei nicht vorgetragen, dass die fehlende Unterschriftsleistung auf einem Versehen des Büropersonals beruhe, so dass von einer mangelnden Ausgangskontrolle und damit einem der Klägerin zuzurechnenden Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten auszugehen sei. Dabei sei unerheblich, ob das Gericht die Klägerin noch am über die fehlende Unterschrift hätte informieren können und müssen. Eine Partei, die am Ende der Berufungsbegründungsfrist einen Antrag auf Fristverlängerung stelle, habe sich selbst zu erkundigen, ob ihrem Antrag entsprochen werde oder nicht.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist entgegen der Ansicht der Klägerin zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich (vgl. zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung z.B. BGHZ 151, 221, 225; BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 76/02 - NJW-RR 2003, 1366, 1367, vom - VI ZB 50/03 - NJW 2004, 688).

2. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Das Fristverlängerungsbegehren konnte schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil der vor Fristablauf bei Gericht eingegangene Antrag nicht unterschrieben und deshalb unwirksam war (vgl. BGHZ 93, 300, 303 f). Auf die - vom Berufungsgericht zu Unrecht verneinte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 24/98 - NJW 1999, 430 , vom - IX ZB 121/03 - NJW 2004, 1742 und vom - V ZB 44/03 - NJW-RR 2004, 785 ) - Frage, ob die Klägerin mit der positiven Bescheidung eines ordnungsgemäß gestellten ersten Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechnen durfte, kommt es dabei nicht an.

Das Berufungsgericht hat der Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht verweigert und dabei weder den Umfang seiner rechtlichen Hinweispflicht verkannt, noch die Wiedereinsetzung aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten der Prozessbevollmächtigten versagt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Klägerin auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des Berufungsgerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f ; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).

a) Ein Prozessbevollmächtigter hat regelmäßig für den fristgerechten Eingang eines bestimmenden Schriftsatzes bei Gericht, eine zuverlässige Fristen- und Ausgangskontrolle in seiner Kanzlei und die Hinzufügung der im Anwaltsprozess erforderlichen Unterschrift eines postulationsfähigen Bevollmächtigten Sorge zu tragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom , aaO, S. 689, und vom - VI ZB 44/05 - NJW 2006, 1521, 1522 m.w.N.). Allerdings kann, wenn etwa eine bei Gericht fristgerecht eingereichte Rechtsmittelbegründungsschrift nicht unterzeichnet worden ist, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn der Prozessbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze auf das Vorhandensein einer Unterschrift zu überprüfen (vgl. - NJW-RR 2009, 564 f Rn. 7 m.w.N.).

Dass die Organisation der Fristen- und Ausgangskontrolle in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten diesen Anforderungen genügt hätte, hat die Klägerin jedoch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Das Berufungsgericht hat danach ohne Rechtsfehler ein der Klägerin über § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden ihrer Prozessvertreter angenommen und dementsprechend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen.

b) Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht im Hinblick auf die dem Gericht gegenüber den Prozessparteien während der Anhängigkeit einer Sache bei ihm obliegende und sich aus dem Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) ergebende richterliche Fürsorgepflicht (vgl. BVerfGE 93, 99) gerechtfertigt. Im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz sind dieser Verpflichtung enge Grenzen gesetzt, so dass ein Gericht nur unter besonderen Umständen gehalten sein kann, eine drohende Fristversäumung zu verhindern (vgl. BVerfG NJW 1995, 3173, 3175; - NJW-RR 2004, 1364, 1365) . Es besteht deshalb keine generelle Verpflichtung des Gerichts, bei Eingang eines Schriftsatzes eine sofortige Prüfung der Formalien vorzunehmen und etwa mittels Telefonat oder Telefax die Prozesspartei auf bestehende Mängel hinzuweisen und ihr Gelegenheit zur Abhilfe zu geben. Dies enthöbe die Verfahrensbeteiligten und deren Prozessbevollmächtigte ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Formalien und überspannte die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht und die Grundsätze eines fairen Verfahrens (vgl. hierzu auch BVerfG NJW 2001, 1343 ; 2006, 1579 ; - NJW 2008, 1890, 1891; Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 233 Rn. 22b).

Gemessen daran kommt bei dem Fehlen einer notwendigen Unterschrift der Prozessbevollmächtigten nur dann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, wenn die Prozesspartei darauf vertrauen durfte, dass dem Gericht das Fehlen der Unterschrift bei fristgerechter Bearbeitung der Sache im ordentlichen Geschäftsgang auffallen und ein entsprechender Hinweis auf den Mangel so rechtzeitig erteilt wird, dass ein formgerechter Verlängerungsantrag innerhalb der noch laufenden Frist ohne weiteres gestellt werden kann (vgl. - NJW-RR 2009, 564, 565). In dieser von der Klägerin für Ihre Auffassung herangezogenen Entscheidung lag zwischen dem Eingang des nicht unterzeichneten Schriftsatzes und dem Ablauf der einzuhaltenden Frist ein Zeitraum von 10 Tagen. Im Gegensatz dazu ging im Streitfall der - nicht unterzeichnete - Antrag auf Verlängerung der mit Ablauf des endenden Berufungsbegründungsfrist per Fax erst am Nachmittag des bei Gericht ein, das Original dieses Antrages - ebenfalls nicht unterschrieben - sogar erst am , dem letzten Tag der Frist. Bei diesem engen Zeitrahmen durfte die Klägerin unter Berücksichtigung des üblichen Geschäftsanfalls entgegen der Auffassung der Beschwerde schon nicht darauf vertrauen, dass das Fehlen der Unterschrift noch vor Ablauf der Frist entdeckt wird.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
SAAAD-26256

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein