BGH Beschluss v. - II ZB 17/13

Instanzenzug:

Gründe

1I. Die Klägerin begehrt die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist. Das erstinstanzliche Urteil wurde der Klägerin am zugestellt. Am legte die Klägerin Berufung ein. Am wurde der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass bisher keine Berufungsbegründung eingegangen sei. Am begründete die Klägerin die Berufung und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

2Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen: Das angefochtene Urteil sei ihrem Prozessbevollmächtigten am von seiner Mitarbeiterin B. vorgelegt worden. Ihr Prozessbevollmächtigter habe das Empfangsbekenntnis am selben Tag unterzeichnet und seine Büromitarbeiterin B. gebeten, dieses zurückzuschicken. Auf dem Empfangsbekenntnis sei versehentlich das Datum angegeben gewesen. Dieses Versehen sei, so die Büromitarbeiterin B. in ihrer eidesstattlichen Versicherung, für sie offensichtlich gewesen, so dass sie zutreffend die Berufungsfrist auf den berechnet und in den elektronischen Fristenkalender eingetragen habe. Sie habe aber vergessen, die Berufungsbegründungsfrist zu berechnen und einzutragen. Am Tag des Ablaufs der Berufungsfrist habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin per Telefax Berufung eingelegt. Da die Berufungsbegründungsfrist nicht notiert gewesen sei, sei die Akte dem Prozessbevollmächtigten nicht rechtzeitig vorgelegt worden.

3Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

4II. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

51. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Ein der Klägerin zurechenbares ursächliches Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten sei jedenfalls darin zu sehen, dass dieser im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift die ordnungsgemäße Eintragung der Berufungsbegründungsfrist nicht kontrolliert habe. Hätte er dies getan, hätte ihm auffallen müssen, dass, wie die Klägerin geltend mache, seine Mitarbeiterin vergessen gehabt habe, die Berufungsbegründungsfrist zu berechnen und einzutragen, so dass die Versäumung der Frist vermieden worden wäre.

62. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt, weil bereits nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen ein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist.

7a) Die Klägerin hat die Frist zur Begründung der Berufung versäumt. Die Berufungsbegründungsfrist begann gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des Urteils des Landgerichts am . Sie ist daher gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am abgelaufen. Innerhalb dieser Frist ist keine Berufungsbegründung eingereicht worden.

8b) Zu Recht hat das Berufungsgericht ein für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ursächliches und der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten angenommen.

9Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen (ständige Rechtsprechung, vgl. , WM 2014, 430 Rn. 10; Beschluss vom - XII ZB 431/13, WM 2014, 431 Rn. 8). In diesem Fall obliegt es dem Prozessbevollmächtigten, sich der Akte mit besonderer Sorgfalt anzunehmen und sich erforderlichenfalls durch Einsicht in die Akte selbst Gewissheit über den Ablauf der Frist zu verschaffen (, WM 2014, 506 Rn. 7). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat nicht dargetan, dass er eine solche Überprüfung vorgenommen hat. Hätte er die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist überprüft und den Fehler seiner Büroangestellten bemerkt, hätte die Berufungsbegründungsfrist ohne weiteres gewahrt werden können.

10Zudem ist nicht dargelegt, dass die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten der Klägerin die erforderliche Gegenkontrolle überhaupt ermöglicht hätte. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (, WM 2014, 424 Rn. 9). Hierzu verhält sich das Wiedereinsetzungsvorbringen der Klägerin nicht.

113. Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht im Hinblick auf die dem Gericht gegenüber den Prozessparteien während der Anhängigkeit einer Sache bei ihm obliegende und sich aus dem Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) ergebende richterliche Fürsorgepflicht gerechtfertigt (vgl. , [...] Rn. 9).

12a) Die Rechtsbeschwerde stellt die Pflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht in Abrede. Sie ist aber der Auffassung, das Berufungsgericht habe seine Fürsorgepflicht verletzt. Es hätte die Klägerin darauf hinweisen müssen, dass ihr Prozessbevollmächtigter auf dem Empfangsbekenntnis ein falsches Datum angegeben habe, nämlich "" statt "". Die Berufungsbegründungsfrist wäre, so die Rechtsbeschwerde weiter, bei einem solchen Hinweis eingehalten worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte dann nach der Lebenserfahrung die korrekte Eintragung der Fristen im Fristenkalender überprüft und dabei festgestellt, dass die Berufungsbegründungsfrist noch nicht eingetragen gewesen sei.

13b) Mit diesem Vorbringen ist die Klägerin ausgeschlossen. Die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen müssen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO grundsätzlich bereits im Wiedereinsetzungsantrag enthalten sein; jedenfalls sind sie innerhalb der für die Wiedereinsetzung geltenden Frist nach § 234 Abs. 1 ZPO vorzubringen. Zulässig ist nur die Ergänzung von fristgerecht gemachten, aber erkennbar unklaren oder unvollständigen Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war (, NJW 2011, 458 Rn. 16 f.; Beschluss vom - III ZB 47/12, [...] Rn. 9).

14Lediglich die eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten B. enthält die Angabe, ihr sei aufgefallen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin versehentlich das falsche Datum angegeben habe. Da für sie das Versehen offensichtlich gewesen sei, habe sie die Berufungsfrist zutreffend auf den berechnet und im Fristenkalender notiert. Die Klägerin hat aber mit ihrem Wiedereinsetzungsvorbringen nicht geltend gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter auf einen Hinweis des Gerichts auf das im Empfangsbekenntnis angegebene Datum die Fristen im Fristenkalender überprüft hätte. Dies legt auch die Lebenserfahrung nicht nahe. Nachdem der Büroangestellten der offensichtliche Datumsfehler bereits aufgefallen war, ist es genauso möglich, dass nach einem Hinweis des Gerichts nicht überprüft worden wäre, ob die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender - richtig - eingetragen war.

15Da somit die Möglichkeit offen geblieben ist, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin versäumt worden ist, hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht zurückgewiesen (vgl. , NJW 2011, 385 Rn. 13).

16c) Selbst wenn man unterstellt, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte nach einem Hinweis des Gerichts auf das falsche Datum im Empfangsbekenntnis die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender kontrolliert, wäre der Klägerin keine Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen.

17Die Berücksichtigung der aus dem Gebot des fairen Verfahrens folgenden Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber den Parteien kann zwar bei wertender Betrachtung dazu führen, dass die Fristsäumnis der Partei im Ergebnis nicht angelastet werden kann (, NJW 1998, 2291, 2292). Das Berufungsgericht war entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde aber nicht zu einem Hinweis verpflichtet.

18aa) Aus der von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Rechtsprechung lässt sich eine Hinweispflicht nicht herleiten. Im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz sind der Fürsorgepflicht des Gerichts enge Grenzen gesetzt, so dass ein Gericht nur unter besonderen Umständen gehalten sein kann, eine drohende Fristversäumung zu verhindern (, [...] Rn. 9). Es besteht deshalb keine generelle Verpflichtung des Gerichts, bei Eingang eines Schriftsatzes eine sofortige Prüfung der Formalien vorzunehmen und etwa mittels Telefonat oder Telefax die Prozesspartei auf bestehende Mängel hinzuweisen und ihr Gelegenheit zur Abhilfe zu geben. Dies enthöbe die Verfahrensbeteiligten und ihre Prozessbevollmächtigten ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Formalien und überspannte die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht und die Grundsätze eines fairen Verfahrens (, [...] Rn. 9; Beschluss vom - IV ZB 18/11, NJW-RR 2012, 1269 Rn. 14). Im Hinblick auf den übrigen Geschäftsanfall ist es nicht zu beanstanden, wenn der Richter erst bei Bearbeitung des Falles und damit nach Ablauf der Fristen die Zulässigkeit der Berufung und dabei auch die Einhaltung der Form überprüft. Allerdings gebietet es die gerichtliche Fürsorgepflicht, die Partei auf einen leicht erkennbaren Formmangel hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben (, NJW 1998, 2291, 2292; Beschluss vom - IV ZB 18/11, NJW-RR 2012, 1269 Rn. 14).

19bb) Ein solcher leicht erkennbarer Formmangel lag hier indes nicht vor. Vielmehr war gar kein Formmangel gegeben. Das Berufungsgericht musste auch nicht annehmen, dass aufgrund des falschen Datums im Empfangsbekenntnis die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin falsch berechnet und eingetragen sein könnten. Nach den Umständen durfte das Berufungsgericht vielmehr davon ausgehen, dass das offensichtliche Schreibversehen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits bemerkt worden war und insbesondere auf die Fristberechnung keinen Einfluss gehabt hatte. Denn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte rechtzeitig Berufung eingelegt und die Berufungsschrift mit den Worten eingeleitet: "... legen wir gegen das Urteil des Landgerichts Berlin ... uns zugestellt am , Berufung ein."

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NAAAE-74704