Kapitalertragsteuer bei beschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaft: bei Vermeidung der Doppelbesteuerung durch ein DBA kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht
Leitsatz
1. Die Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer setzt entweder den Erlass eines Freistellungsbescheids oder eine Änderung oder Aufhebung der Steueranmeldung voraus, auf der die Abführung der Steuer beruht. Der Freistellungsanspruch kann, wenn der Kapitalertrag weder der unbeschränkten noch der beschränkten Steuerpflicht unterliegt, auf eine analoge Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002 gestützt werden. Zuständig für die Entscheidung über dieses Freistellungsbegehren ist das FA (Bestätigung der ständigen Senatsrechtsprechung).
2. Die Körperschaftsteuer für Kapitalerträge i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002, die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 dem Steuerabzug unterliegen, ist bei einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft als Bezieherin der Einkünfte nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 durch den Steuerabzug abgegolten. Dass die Kapitalerträge nach § 8b Abs. 1 KStG 2002 bei der Ermittlung des Einkommens einer Kapitalgesellschaft außer Ansatz bleiben, ändert daran nichts.
3. Der Einbehalt von Kapitalertragsteuer auf Dividenden einer im Inland ansässigen Kapitalgesellschaft an eine in der Schweiz ansässige Kapitalgesellschaft verstößt nicht gegen die Kapitalverkehrfreiheit; eine etwaige doppelte Besteuerung ist nach Art. 24 Abs. 2 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971 durch entsprechende steuerliche Entlastungsmaßnahmen in der Schweiz zu vermeiden.
Gesetze: KStG 2002 § 8b Abs. 1KStG 2002 § 31 Abs. 1KStG 2002 § 32 Abs. 1 Nr. 2EStG 2002 § 20 Abs. 1 Nr. 1EStG 2002 § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3EStG 2002 § 50d Abs. 1DBA Schweiz 1971 Art. 10 Abs. 1 und 2DBA Schweiz 1971 Art. 24 Abs. 2 Nr. 2AO § 37 Abs. 2AO § 155 Abs. 1 Satz 3EG Art. 56
Instanzenzug: (EFG 2008, 766) (Verfahrensverlauf), ,
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH schweizerischen Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz, hielt im Streitjahr 2002 als registrierte Aktionärin 507 512 Stück von insgesamt 4,8 Mio. Stück (= rd. 10,573 v.H.) der Namensaktien einer inländischen AG, der E-AG.
Die E-AG schüttete im Juni 2002 an die Klägerin eine Bruttodividende von 634 390 € aus, von der gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 43a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) Kapitalertragsteuer in Höhe von 20 v.H. (126 878 € zzgl. Solidaritätszuschlag in Höhe von 6 978,29 €) einbehalten wurde. Die Klägerin stellte am beim vormaligen Bundesamt für Finanzen (BfF), dem nunmehrigen Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), einen Antrag auf Erstattung dieser bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) angemeldeten und an diesen abgeführten Abzugssteuern, dem das BfF (durch Bescheid vom ) nach § 50d Abs. 1 EStG 2002 wegen des in Art. 10 Abs. 2 Buchst. c des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom —DBA-Schweiz 1971— (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) bestimmten Quellensteuerhöchstsatzes von 15 v.H. teilweise —in Höhe von 5 v.H. der gezahlten Gewinnausschüttung— entsprach; der Klägerin wurden Kapitalertragsteuer in Höhe von 31 719,50 € sowie Solidaritätszuschlag in Höhe von 6 978,29 € erstattet. Die beantragte weiter gehende Erstattung lehnte das BfF wegen fehlender Zuständigkeit am 17. Mai und am ab.
Die Klägerin beantragte daraufhin am beim FA die Erstattung der restlichen Kapitalertragsteuer in Höhe von 95 158,50 €. Sie vertrat die Auffassung, wegen § 8b Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) unterfielen die in Rede stehenden Dividenden nicht der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002). Folglich greife auch die Abgeltungswirkung des § 32 Abs. 1 KStG 2002 nicht ein.
Auch dieser Antrag blieb ebenso wie die anschließende Klage erfolglos; das ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 766 abgedruckt.
Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt (sinngemäß), das FG-Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom einen Erstattungsbescheid in Höhe von 95 158,50 € zu erlassen, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist es mit der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 des Vertrages von Nizza zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (EG) vereinbar, dass nationale Rechtsvorschriften eine gebietsfremde, in einem Staat außerhalb der Europäischen Union (Schweiz) ansässige Mutterkapitalgesellschaft mit einer definitiven Steuer (Kapitalertragsteuer) auf Dividenden einer gebietsansässigen (Deutschland) Kapitalgesellschaft belasten, während entsprechende, von einer vergleichbaren gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaft erzielte Dividenden, von der Besteuerung freigestellt sind und hierauf gleichfalls einbehaltene Kapitalertragsteuern entweder erstattet oder auf die Steuerschuld der gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaft angerechnet werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das dem Revisionsverfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das ebenfalls beigetretene Finanzministerium Baden-Württemberg haben keine Anträge gestellt. Sie haben sich in der Sache dem FA jedoch angeschlossen und überdies ergänzende Erläuterungen zu einer gesellschaftlichen (beherrschenden) Verbundenheit der Klägerin und der E-AG gegeben.
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 wird Kapitalertragsteuer bei Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 (Dividenden) erhoben, und zwar gemäß § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 (bei Körperschaften i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002) ungeachtet des § 8b KStG 2002. Infolge dieser gesetzlichen Anordnung kommt es darauf, dass die betreffenden Kapitalerträge nach § 8b Abs. 1 KStG 2002 bei der Ermittlung des Einkommens der dividendenempfangenden Kapitalgesellschaft außer Ansatz gelassen werden, für die Erhebung der Kapitalertragsteuer nicht an. Gleichermaßen spielt es nach § 50d Abs. 1 EStG 2002 für die Erhebung der Kapitalertragsteuer keine Rolle, dass die Erträge nach Art. 10 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971 nur mit einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden können.
2. Die Kapitalertragsteuer beträgt nach § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 20 v.H. der geleisteten Gewinnausschüttung. Sie reduziert sich gemäß Art. 10 Abs. 2 Buchst. c DBA-Schweiz 1971 auf 15 v.H. Der Klägerin wurde der sich hiernach berechnende Unterschiedsbetrag gemäß § 50d Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 vom BfF auf Antrag erstattet.
3. Für eine weiter gehende Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer durch das FA fehlt die Rechtsgrundlage (vgl. z.B. von Beckerath in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 43 VZ 2008 Rz 13). Zwar hat, falls eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Ein solcher Anspruch setzt jedoch im Zusammenhang mit der Erstattung von Kapitalertragsteuer voraus, dass der Steuerpflichtige entweder erfolgreich die Aufhebung oder Änderung der Steueranmeldungen betreibt, die der Abführung der Kapitalertragsteuer zugrunde liegen, oder den Erlass eines Freistellungsbescheids i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO erreicht (vgl. z.B. , BFHE 142, 35, BStBl II 1984, 828; vom I R 31/82, BFHE 143, 416; vom I R 33/04, BFHE 212, 37, BStBl II 2006, 489; vom I R 47/05, BFH/NV 2007, 2, jeweils m.w.N.). An beidem fehlt es im Streitfall.
a) Die Kapitalertragsteuer auf die in Rede stehende Dividende ist aufgrund einer wirksamen Steueranmeldung und sonach nicht ohne rechtlichen Grund bezahlt worden. Die Anmeldung der Kapitalertragsteuer ist von der Klägerin nicht angefochten worden.
b) Das FA ist nicht verpflichtet, der Klägerin —als Grundlage für die begehrte Erstattung— einen Freistellungsbescheid gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 AO zu erteilen.
aa) Eine Erstattung der Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 scheidet aus. Denn das setzt nach Satz 1 der Vorschrift voraus, dass die betreffenden Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen, nach § 43b EStG 2002 oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden können. Beides ist vorliegend jedoch nicht der Fall; weder § 43b EStG 2002 noch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sind insofern einschlägig. Überdies wäre für einen solchen Erstattungsantrag nicht das FA, sondern (erneut) das (frühere) BfF und (nunmehrige) BZSt zuständig (s. dazu auch Lüdicke/Wunderlich, Internationales Steuerrecht —IStR— 2008, 411).
bb) § 50d Abs. 1 EStG 2002 kann der Klägerin ebenfalls nicht in analoger Anwendung weiterhelfen. Zwar hat der Senat wiederholt entschieden, dass die Vorschriften über den Abzug und die Bemessung der Kapitalertragsteuer hinter die Regelung über den Umfang der beschränkten Steuerpflicht zurücktreten. Deshalb ist eine Kapitalertragsteuer, die über die Steuerbarkeit von Einkünften nach Maßgabe von § 49 EStG 2002 hinausgeht, ohne materiell-rechtlichen Grund erhoben und daher in entsprechender Anwendung von § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 zu erstatten; für diesen Antrag ist —entgegen der Annahme der Vorinstanz— das FA zuständig (vgl. z.B. Senatsurteile in BFHE 143, 416; in BFHE 212, 37, BStBl II 2006, 489). Es entspricht zudem ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass von steuerbefreiten Einnahmen keine Steuer abgezogen werden darf (Senatsurteil vom I R 28/87, BFHE 155, 479, BStBl II 1989, 449). Weder über die eine noch über die andere solche Situation ist im Streitfall jedoch zu urteilen, was wiederum die abgeltende Wirkung des Kapitalertragsteuereinbehalts nach sich zieht:
Einerseits gehören Bezüge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002, welche nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben, unbeschadet dessen, ob dieses „Außer-Ansatz-Lassen” bei der Ermittlung des Gewinns oder erst des Einkommens umgesetzt wird, bei der beteiligten Kapitalgesellschaft (hier also der Klägerin) zu den Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG 2002 (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002). Die Bezüge sind bei dieser Gesellschaft damit —und zwar bei Fehlen einer inländischen Betriebsstätte mit abgeltender Wirkung, § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002— der beschränkten Steuerpflicht unterworfen. Darin liegt der entscheidende Unterschied zu der Sach- und Rechtslage, über die in dem von der Klägerin herangezogenen Senatsurteil in BFHE 143, 416 zu befinden war; die dort der Kapitalertragsteuer unterworfenen verausgabten Stückzinsen auf den Erwerb von Zinsscheinen erfüllten nicht den Tatbestand des § 20 (Abs. 2 Nr. 3 Satz 2) i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG in der seinerzeit maßgeblichen Fassung. Folglich wichen dort die sachliche und die persönliche beschränkte Steuerpflicht von vornherein voneinander ab. Das aber ist in der hier zu beurteilenden Situation anders; eine „materielle” beschränkte Steuerpflicht ist hier zunächst gegeben.
Andererseits greift der Grundsatz, dass Kapitalertragsteuer von zwar steuerbaren, jedoch steuerbefreiten Einnahmen nicht zu erheben ist, nur, soweit der Gesetzgeber die steuerfreien Einnahmen nicht ausdrücklich in die Bemessungsgrundlage für den Steuerabzug einbezieht. Das aber hat der Gesetzgeber mit § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 getan.
Auf dieser Grundlage baut wiederum die in § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 angeordnete Abgeltungswirkung der Körperschaftsteuer, die im Wege des Steuerabzugs von den Kapitaleinkünften einzubehalten ist, auf. Dieser Abgeltungswirkung steht nicht entgegen, dass die betreffenden Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommens einer Kapitalgesellschaft nach § 8b Abs. 1 KStG 2002 außer Ansatz bleiben. Vielmehr greift die angeordnete Abgeltungswirkung ausnahmslos; sie unterscheidet insbesondere nicht danach, ob die Einkünfte nach innerstaatlichem Recht ganz oder teilweise steuerbefreit sind. Eine Ausnahme davon macht aus innerstaatlicher Sicht lediglich § 50d Abs. 1 EStG 2002 für die dort spezifisch geregelten, im Streitfall indes nicht einschlägigen Tatbestände.
c) Es scheidet schließlich eine von der Klägerin noch erwogene Erstattung auf Basis von § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 aus, weil die Anwendung von § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 von der Sonderregelung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 verdrängt wird. Ob ein Erstattungsanspruch, wie die Klägerin überdies zu bedenken gibt, auf einen Billigkeitserweis gemäß § 163, § 227 AO gestützt werden könnte (vgl. auch Watermeyer in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8b KStG Rz 21), ist in diesem Verfahren, das auf eine Sachentscheidung gerichtet ist, nicht zu klären.
4. Die beschriebene Regelungslage ist mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar. Sie unterscheidet in der „Technik” der Steuererhebung nicht danach, ob es sich bei der dividendenempfangenden Muttergesellschaft um eine inländische oder um eine ausländische Gesellschaft handelt; beide werden insoweit gleichbehandelt. Allerdings hat sie zur Konsequenz, dass die Kapitalertragsteuer bei der beschränkt steuerpflichtigen Muttergesellschaft jedenfalls dann definitiv wird, wenn sie in deren Ansässigkeitsstaat ihrerseits nicht oder nur teilweise angerechnet oder erstattet wird. Darin kann eine Ungleichbehandlung gegenüber solchen Steuerpflichtigen zu sehen sein, welche in Deutschland ansässig sind und denen entweder eine Anrechnung (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG 2002) oder eine Erstattung (§ 44b, § 44c EStG 2002) der einbehaltenen Kapitalertragsteuer zugute kommt (vgl. z.B. Patzner/Frank, IStR 2008, 344; s. aber auch Baumgärtel/Lange, Die Unternehmensbesteuerung 2008, 525, jeweils m.w.N.). Etwaige gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegenüber dieser Ungleichbehandlung schlagen für den Streitfall indes nicht durch. Denn gegenüber der Schweiz als sog. Drittstaat würde sich ein derartiger Gemeinschaftsrechtsverstoß nur dann auswirken, wenn die Freiheit des Kapitalverkehrs nach Art. 56 ff. EG verletzt wäre. Das aber ist nicht der Fall. Die Frage, ob —wie das FA und die beigetretenen Behörden annehmen— die Kapitalverkehrsfreiheit unter den Gegebenheiten, insbesondere den Beteiligungsverhältnissen, des Streitfalls ohnehin durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt ist (vgl. dazu zuletzt Senatsurteil vom I R 7/08, IStR 2009, 244, m.w.N.), kann deswegen dahinstehen.
Denn nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des EuGH (z.B. Urteil vom C-374/04, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Slg. 2006, I-11673, Rz 52 ff., 57 f., m.w.N.) lässt sich im Hinblick auf die Anwendung der Steuervorschriften des Mitgliedstaats, in dem die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz hat, die Situation eines dividendenbeziehenden Anteilseigners, der in diesem Mitgliedstaat ansässig ist, nicht mit der eines dividendenbeziehenden Anteilseigners, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, vergleichen. Sind nämlich die dividendenausschüttende Gesellschaft und der dividendenbeziehende Anteilseigner nicht im selben Mitgliedstaat ansässig, so befindet sich der Mitgliedstaat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft, d.h. der Mitgliedstaat der Quelle der Gewinne, in Bezug auf die Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung und der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung nicht in der gleichen Lage wie der Mitgliedstaat, in dem der dividendenbeziehende Anteilseigner ansässig ist. Deshalb —so der EuGH (ebenda Rz 59)— lässt sich vom Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft nicht verlangen, dass er in derartigen Situationen Abhilfe schafft. Andernfalls entzöge man diesem Staat sein Recht zur Besteuerung eines Einkommens, das durch eine in seinem Hoheitsgebiet ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit erzielt wurde. Diese Betrachtungsweise des EuGH geht Hand in Hand damit, dass nach dessen ebenfalls gefestigter Rechtsprechung „in Ermangelung gemeinschaftlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten dafür zuständig bleiben, die Kriterien für die Besteuerung des Einkommens und des Vermögens festzulegen, um die Doppelbesteuerung gegebenenfalls im Vertragswege zu beseitigen” (vgl. Urteile vom C-290/04, FKP Scorpio Konzertproduktionen, Slg. 2006, I-9461, Rz 54; in Slg. 2006, I-11673, Rz 52, und vom C-231/05, Oy AA, Slg. 2007, I-6373, Rz 52; vom C-170/05, Denkavit International und Denkavit France, Slg. 2006, I-11949; vom C-379/05, Amurta, Slg. 2007, I-9569, Rz 79).
Es ist vor diesem Hintergrund in der Situation des Streitfalles, in der der inländische Beteiligungsertrag „direkt” durch Ausschüttung und nicht —mit der Folge einer anderweitigen abkommensrechtlichen Zuteilung des Besteuerungszugriffs (vgl. dazu Art. 7 Abs. 1 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development —OECD–MustAbk—; s. auch Lüdicke in Schön [Hrsg.], Einkommen aus Kapital, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft [DStJG], Bd. 30 [2007], S. 289, 306)— „indirekt” über eine inländische Betriebsstätte als Unternehmensgewinn erzielt wird, der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft, den in erster Linie die Pflicht trifft, „eine mehrfache Belastung zu vermeiden, indem (dieser) entweder diese Gewinne nicht besteuert oder im Fall einer Besteuerung zulässt, dass die Muttergesellschaft den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft für die von ihr ausgeschütteten Gewinne entrichtet, und gegebenenfalls die Quellensteuer, die der Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft erhebt, anrechnen kann” (EuGH-Urteil in Slg. 2006, I-11673, Rz 60). Genau diesen Weg haben Deutschland und die Schweiz denn auch eingeschlagen, indem sie in dem zwischen ihnen geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen in Einklang mit international üblichen Gepflogenheiten —zum einen— vereinbart haben, dass Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft an eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, in dem anderen Staat besteuert werden können (Art. 10 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971), dass —zum anderen— jedoch diese Dividenden auch in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates in einem näher festgelegten Umfang besteuert werden können (Art. 10 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971). Schließlich haben die Vertragsstaaten in dem sog. Methodenartikel vereinbart, dass es Sache der Schweiz als Ansässigkeitsstaat ist, dadurch ausgelöste Doppelbesteuerungen im Wege einer (ihrerseits näher umschriebenen und begrenzten) Steueranrechnung (Art. 24 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a DBA-Schweiz 1971), einer pauschalen Ermäßigung der auf die Dividenden entfallenden Schweizer Steuer (Art. 24 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b DBA-Schweiz 1971) oder einer vollständigen oder teilweisen Freistellung von der schweizerischen Besteuerung (Art. 24 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c DBA-Schweiz 1971) zu vermeiden. Wird hiernach infolge des —von der Vorinstanz im Übrigen nicht festgestellten (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—)— innerstaatlichen Steuerrechts der Schweiz eine mögliche Doppelbesteuerung gleichwohl im Wege der Anrechnung oder Pauschalbesteuerung nicht vollständig ausgeglichen oder bleibt die Quellensteuerbelastung als solche erhalten, weil der andere Vertragsstaat sein ihm abkommensrechtlich zugewiesenes Besteuerungsrecht in der Weise wahrnimmt, dass er die Dividenden von der Besteuerung —ebenso wie in Deutschland— gänzlich freistellt, so wären solche Unschärfen hinzunehmen; auch sie sind —bei innergemeinschaftlichen Fallgestaltungen— dem gegenwärtigen Stand der gemeinschaftlichen Vereinheitlichung oder Harmonisierung auf dem Gebiet der direkten Steuern und der dadurch nach wie vor bedingten unterschiedlichen Ausgangslage einerseits bei rein innerstaatlichen und andererseits bei grenzüberschreitenden Situationen geschuldet. Das gilt jedenfalls dann, wenn die beiden Vertragsstaaten —wie vorliegend Deutschland und die Schweiz, jedoch (ausweislich des dort mitgeteilten Sachverhalts) abweichend von der Regelungs- und Abkommenslage zwischen den Niederlanden und Frankreich in der vom EuGH entschiedenen Rechtssache Denkavit (Slg. 2006, I-11949, dort Rz 46 ff.)— sich darauf verständigen, die andernfalls drohende wirtschaftliche Doppelbesteuerung (alternativ auch) durch die volle Befreiung der Dividenden von der schweizerischen Steuer zu beseitigen. Die Steuerfreistellung nach Maßgabe des Schweizer Rechts stellt dann vereinbarungsgemäß gerade das wechselseitig aufeinander abgestimmte Mittel dar, um die Auswirkung einer durch die deutsche Quellensteuer ausgelösten Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zu neutralisieren, und die Anwendung des Abkommens läuft infolgedessen insoweit auch nicht leer. Unabhängig davon bleibt darauf hinzuweisen, dass sich ansonsten auch genau der gegenteilige Effekt einer Meistbegünstigung ergeben könnte, nämlich dann, wenn sowohl der Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft aus abkommensrechtlicher Sicht als auch der Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zur Anrechnung bzw. Erstattung verpflichtet wären. Genau das wollten die Vertragsstaaten des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausschließen.
Der Senat erachtet die aufgezeigte Gemeinschaftsrechtslage in Anbetracht des gegenwärtigen Stands der Rechtsprechung des EuGH als eindeutig. Sie entspricht den Aussagen der zitierten EuGH-Urteile und war insoweit bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof. Sie ergibt sich überdies zweifelsfrei aus dem EG-Vertrag. Soweit über die Frage nach der unzulässigen Beschränkung und Diskriminierung infolge eines „Definitivwerdens” der in Deutschland als Quellenstaat erhobenen Kapitalertragsteuer nach wie vor gestritten wird und seitens der Kommission der Europäischen Union zwischenzeitlich beschlossen worden ist (vgl. Kommission der Europäischen Union, dortiges Az. 2004/4349; Pressemitteilung vom IP/09/435; abrufbar im Internet unter http://europa.eu/rapid/ pressReleasesAction.do?reference=IP/09/435&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en), Klage gegen Deutschland vor dem EuGH zu erheben (vgl. dazu auch den ursprünglichen Regierungsentwurf zu einem Jahressteuergesetz 2009, dort zu einem neuen § 8b Abs. 4 KStG 2002 und dem danach vorgesehenen Anwendungsausschluss des § 8b Abs. 1 und 2 KStG 2002 für sog. Streubesitzdividenden), geht es nicht um jene Situation einer wechselseitigen abkommensrechtlichen Besteuerungszuordnung, wie sie im Streitfall in Rede steht. Einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG bedurfte es deshalb ebensowenig (vgl. 283/81 „C.I.L.F.I.T.”, EuGHE 1982, 3415) wie einer Verfahrensaussetzung (vgl. § 74 FGO), bis der EuGH über die besagte Klage der Kommission gegen Deutschland entschieden hat.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2009 S. 1555 Nr. 30
BB 2009 S. 2353 Nr. 44
BFH/NV 2009 S. 1543 Nr. 9
BFH/PR 2009 S. 333 Nr. 9
DB 2009 S. 1685 Nr. 32
DStR 2009 S. 1469 Nr. 29
DStRE 2009 S. 963 Nr. 15
FR 2009 S. 1162 Nr. 24
GStB 2009 S. 40 Nr. 10
GmbH-StB 2009 S. 215 Nr. 8
GmbHR 2009 S. 940 Nr. 17
HFR 2009 S. 989 Nr. 10
IStR 2009 S. 551 Nr. 15
KÖSDI 2009 S. 16597 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 30/2009 S. 2299
RIW 2009 S. 653 Nr. 9
SJ 2009 S. 9 Nr. 16
StB 2009 S. 299 Nr. 9
StBW 2009 S. 3 Nr. 15
StC 2009 S. 10 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2009 S. 546
EAAAD-24833