OFD Hannover - S 0453 - 71 - StO 161

Verrechnungsstundung (technische Stundung)

1. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können gem. [1] § 222 AO – abgesehen von den in Sätzen 3 und 4 genannten Steuer und Haftungsansprüchen – ganz oder teilweise gestundet werden, wenn deren Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Die erhebliche Härte kann nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sachlich begründet sein.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs liegt ein sachlicher Stundungsgrund u. a. vor, wenn ein Erstattungsanspruch (Gegenanspruch) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht und alsbald fällig wird und damit zur Tilgung der fälligen Steuerschuld verwendet werden kann. [2]

Dies gilt auch dann, wenn der zu zahlende Steuerbetrag – ganz oder teilweise – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alsbald zurückzuzahlen sein wird (z. B. bei einem Verlustrücktrag).

In beiden Fällen handelt es sich um eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Danach ist die Rechtsausübung unzulässig, wenn eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzuerstatten wäre (so Palandt, BGB, § 242 Rn. 52).

2.1 Das Finanzamt handelt ermessensfehlerfrei, wenn es eine Stundung fälliger Steuern mit der Begründung ablehnt, dass eine Gegenforderung (z. B. Steuererstattung) nicht mit Sicherheit oder wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit feststeht. Im Rahmen des Stundungsverfahrens braucht das Finanzamt eine schwierige und zeitraubende Überprüfung der angeblichen Gegenforderung nicht vorzunehmen. [3]

2.2 Will der Steuerschuldner die bevorstehende Einziehung einer Steuerforderung unter Berufung auf Gegenansprüche gegen den Steuergläubiger bis zum Eintritt der Aufrechnungslage aufhalten und liegen die Voraussetzungen für eine Verrechnungsstundung nicht vor, so kann er das angestrebte Ziel nicht durch eine auf § 258 AO (Unbilligkeit der Vollstreckung) gestützte einstweilige Anordnung erreichen. [4]

3. Wird die Stundung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis mit der Begründung beantragt, es werde sich eine Ermäßigung des geschuldeten Betrags oder eine Verrechnungsmöglichkeit mit noch nicht fälligen Steuererstattungsansprüchen bzw. Steuervergütungsansprüchen ergeben, so kommt eine Stundung nur in Betracht, wenn die entsprechenden vollständigen Steuererklärungen oder Anträge (z. B. auf Gewährung von Investitionszulagen) vorliegen. Bei einem Verlustrücktrag müssen die Steuererklärungen sowohl für das Verlustjahr als auch für das Jahr, in dem sich der Verlustrücktrag steuerlich auswirkt, eingegangen sein.

Einer Vorlage der Steuererklärung bedarf es nur dann nicht, wenn das Bestehen des Gegenanspruchs auf andere Weise, etwa durch Vorlage von Urkunden oder durch anderweitige Glaubhaftmachung mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen wird. Dies gilt besonders für leicht überschaubare Sachverhaltsgestaltungen (vgl. BFH/NV 1996, 873, und vom , BFH/NV 1998, 418). Weitere Voraussetzung für eine Stundung bleibt jedoch auch in diesem Fall, dass der Gegenanspruch alsbald fällig wird.

Wegen der weiteren Voraussetzungen vgl. Tz. 4.

3.1 Ergibt sich der behauptete Erstattungsanspruch durch die steuerliche Erfassung von Einkünften aus einer Beteiligung, so müssen dem zuständigen Betriebsfinanzamt außerdem die entsprechenden vollständigen Steuererklärungen der Gesellschaft oder Gemeinschaft vorliegen. Das Betriebsfinanzamt muss die voraussichtliche Höhe der geltend gemachten Einkünfte aus der Beteiligung bestätigt haben. [5]

Bei der Geltendmachung von negativen Einkünften aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften und vergleichbaren Modellen ist der [6](insbesondere Tzn. 4.1.5, 4.1.8 und ) zu beachten.

3.2 Bei einem Anspruch auf Investitionszulage ist § 7 Abs. 2 InvZulG 1991 zu beachten. Vor Ablauf des Wirtschaftsjahres, in dem die begünstigten Wirtschaftsgüter angeschafft oder hergestellt worden, die begünstigten Anzahlungen auf Anschaffungskosten geleistet worden oder die begünstigten Teilherstellungskosten entstanden sind, ist eine Stundung nicht möglich, selbst wenn der Investitionszulagenantrag bereits vor Ablauf dieses Wirtschaftsjahres gestellt worden ist. [7]

3.3 Die Eigenheimzulage ist nach § 13 EigZulG jeweils am 15. März der Folgejahre des Förderzeitraums und das Körperschaftsteuerguthaben nach § 37 Abs. 5 KStG i. d. F. v.  jeweils am 30. September des entsprechenden Kalenderjahres auszuzahlen. In beiden Fällen handelt es sich um einen gesetzlich terminierten Auszahlungszeitpunkt, der – im Gegensatz zu den Fällen, in denen z. B. eine Steuererklärung mit einem Erstattungsanspruch vorliegt, die vom Finanzamt noch zu bearbeiten ist – nicht im Verantwortungsbereich des Finanzamts liegt.

Eine Verrechnungsstundung im Hinblick auf die zu erwartende Auszahlung der Eigenheimzulage bzw. des Körperschaftsteuerguthabens würde damit zu einem Hinausschieben der gesetzlichen Fälligkeit des Steueranspruchs führen, was jedoch nicht Sinn und Zweck der Stundung ist. Daher sind Stundungen im Hinblick auf die Auszahlung der Eigenheimzulage bzw. des Körperschaftsteuerguthabens regelmäßig abzulehnen.

Ausnahmsweise kann in diesen Fällen jedoch eine Verrechnungsstundung in Betracht kommen, wenn der zu stundende Steueranspruch „kurz” vor dem 15. März bzw. dem 30. September fällig wird. Als „kurz” wird in diesem Zusammenhang ein Zeitraum von einem Monat angesehen.

4. Die Höhe der geltend gemachten Herabsetzungs-, Steuererstattungs- und Steuervergütungsansprüche ist grundsätzlich anhand der eingereichten Steuererklärungen und Anträge zu überprüfen.

4.1 Wird die Stundung fälliger Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. H. v. bis zu 5.000,00 EUR beantragt, so ist nur zu prüfen, ob die vollständigen Steuererklärungen bzw. Anträge vorliegen, aus denen sich der Herabsetzungs-, Steuererstattungs- oder Steuervergütungsanspruch ergeben soll.

4.2 Wird die Stundung fälliger Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. H. v. mehr als 5.000,00 EUR beantragt, so ist summarisch zu prüfen, ob aufgrund der noch durchzuführenden Veranlagung bzw. Festsetzung mit dem behaupteten Herabsetzungs-, Steuererstattungs- oder Steuervergütungsanspruch zu rechnen ist.

4.3 Abweichend von Tzn. 4.1 und 4.2 kommt eine Stundung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis wegen geltend gemachter Erstattungsansprüche aufgrund von Umsatzsteuervoranmeldungen nur dann in Betracht, wenn der Steueranmeldung zuvor gem. § 168 AO zugestimmt worden ist. [8]

5. Wird in den vorstehenden Fällen rechtsirrig Aufrechnung beantragt, so ist dieser Antrag in einen Stundungsantrag umzudeuten.

6. Bei der technischen Stundung ist darauf zu achten, dass sich Steueranspruch und Erstattungsanspruch aufrechenbar gegenüberstehen werden. Ist der Erstattungsberechtigte nicht Steuerschuldner, so muss er diesem den künftigen Erstattungsanspruch wirksam abgetreten, insbesondere die Abtretung dem Finanzamt mit Vordruck wirksam angezeigt haben (vgl. AO-Kartei § 46 AO Karten 1 und 3).

6.1 Liegt keine oder keine wirksame Abtretung vor, so kann im Antrag des Erstattungsberechtigten auf Verrechnungsstundung ein Verrechnungsangebot zu sehen sein. Erklärt das Finanzamt, das Verrechnungsangebot anzunehmen, oder gibt es durch amtsinternen Vorgang zu erkennen, dass es das Verrechnungsangebot annimmt (§ 151 BGB) [9], so kommt zwischen dem Finanzamt und dem Erstattungsberechtigten ein Verrechnungsvertrag zustande. [10]

7. Verrechnungsstundungen sind unter Zinsvorbehalt bis zu der im Stundungsantrag genannten Veranlagung/Festsetzung, längstens jedoch bis zu einem besonders zu benennenden Zeitpunkt auszusprechen. Die Frist ist so zu bemessen, dass bei unverzüglicher Veranlagung/Festsetzung eine Verlängerung der Stundung nicht erforderlich wird. Regelmäßig ist hier unter Beachtung einer bundeseinheitlichen Handhabung ein Zeitraum von längstens drei Monaten zu wählen, da dieser Zeitraum nach Auffassung des BMF in Abstimmung mit den Vertretern der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder -unter Hinweis auf Nr. 11 des AEAO zu § 234 – den Begriffen „alsbald” bzw. „in absehbarer Zeit entspricht”.

Bei Verrechnungsstundungen kommt zwar grundsätzlich ein Zinsverzicht nach § 234 Abs. 2 AO in Betracht (vgl. AO-Kartei § 234 AO Karte 1 Nr. 11). Stundungszinsen sind nach Ablauf der Stundung jedoch – sofern die Voraussetzungen der §§ 238, 239 AO vorliegen – stets festzusetzen,

  • soweit der Erstattungsanspruch nicht ausgereicht hat, um die gestundeten Steuern auszugleichen,

  • soweit die Steuererstattung nach § 233a AO verzinst worden ist.

OFD Hannover v. - S 0453 - 71 - StO 161

Fundstelle(n):
TAAAD-22067

1Aus der AO-Kartei ist das bisherige Karteiblatt § 222 AO Karte 3 (Kontroll-Nr. 1604) auszusondern.

2BFH – BStBl 1982 II 307; 1983, 397; 1985, 449; BFH/NV 1991, 757

3FG Bremen – EFG 1981, 487

4BFH – BStBl 1985 II 194

5FG Ba.-Wü. – EFG 1984, 385

6AO-Kartei § 180 Karte 7

7Tz. 95 des (ESt-Kartei InvZulG Nr. 21)

8BFH – BStBl 1985 II 449

9BFH – BStBl 1985 II 278

10BFH – BStBl 1978 II 606; 1986, 506 – 2b)