BAG Beschluss v. - 3 AZB 64/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BGB § 779; ZPO § 164; ZPO § 319; ZPO § 567; ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 2

Instanzenzug: LAG Köln, 9 Ta 91/08 vom ArbG Köln, 9 Ca 5048/07 vom

Gründe

A. Der Kläger hat gegen die Beklagte vor dem Arbeitsgericht K Arbeitsentgeltansprüche geltend gemacht. Am protokollierten die Parteien vor diesem Gericht einen Vergleich, wobei eine Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hinzugezogen wurde. Dieser lautet auszugsweise:

"...

2. Die Beklagte zahlt an den Kläger 38.090,-- ? brutto an restlichem Lohn für die Zeit von November 05 bis (monatlich 5.010,-- ? brutto, für November 05 1.687,-- ? brutto, abzüglich Zwischenverdienst/Arbeitslosengeld 50.917,20 ?). Von dem Gesamtbetrag sind 25.000,-- ? netto (Teilvergleich vom ) abzuziehen.

...

5. Die Beklagte zahlt an den Kläger 850,-- ? brutto (Weihnachtsgeld á 425,-- ? brutto 2005 und 2006) sowie einen Betrag in Höhe von 1.300,-- ? brutto (Urlaubsgeld á 650,-- ? brutto 2006 und 2007).

...

8. Der Klägervertreter behält sich den Widerruf dieses Vergleichs vor durch schriftliche Eingabe beim Arbeitsgericht K bis zum ."

Im Protokoll ist vermerkt, dass der Vergleich vorgelesen und genehmigt wurde.

Noch am selben Tage beantragte der Kläger, Ziffer 1 des Vergleiches wegen eines offensichtlichen Schreib- oder Rechtschreibfehlers dahingehend zu berichtigen, dass es richtig heißen müsse, die Beklagte zahle an den Kläger 40.949,80 Euro brutto. Das ergebe sich aus der korrekten Berechnung nach der Erläuterung im Klammerzusatz. Das Gericht habe offenbar irrtümlich nur 17 Monate berücksichtigt und dann Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld, die später in Ziffer 5 des Vergleiches behandelt wurden, hinzuaddiert. Die Beklagte wandte sich gegen die Berichtigung mit der Begründung, der Vergleich sei ausgiebig erörtert, laut vorgespielt und von den Parteien genehmigt worden. Es mache den Charakter eines Vergleiches aus, dass ein gewisses Nachgeben in diesem enthalten sei. Der Kläger sei gehalten gewesen, den Vergleich rechtzeitig zu widerrufen, was er jedoch nicht getan habe.

Mit Beschluss vom berichtigte das Arbeitsgericht den Vergleich "wegen eines sich, auf Grund der Erläuterungen des Betrages in der Klammer, klar ergebenden Rechenfehlers" dahingehend, dass es in Ziffer 2 statt 38.090,00 Euro richtig 40.949,80 Euro heißen müsse. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss abgeändert und den Berichtigungsantrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich der Kläger mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er die Wiederherstellung des Beschlusses des Arbeitsgerichts anstrebt.

B. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

I. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft.

Nach § 78 ArbGG, § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist gegen einen Beschluss die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie in dem Beschluss ausdrücklich zugelassen hat. Das Landesarbeitsgericht ist hier als Beschwerdegericht tätig geworden. Es hat die gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts eingelegte sofortige Beschwerde für zulässig gehalten und in der Sache beschieden. Das reicht, um nach Zulassung durch das Landesarbeitsgericht auch die Rechtsbeschwerde für zulässig zu halten.

Dies ist unabhängig davon, ob tatsächlich die sofortige Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eröffnet oder kein Rechtsmittel gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung statthaft war. Zwar kann das Landesarbeitsgericht eine Rechtsbeschwerdemöglichkeit, die gesetzlich von vornherein nicht besteht, nicht dadurch eröffnen, dass es die Rechtsbeschwerde zulässt. Durch ein gesetzwidriges Verfahren wird ein weiteres Rechtsmittel nicht eröffnet ( - zu II 1 mwN, NZA-RR 2006, 211). Diese Einschränkung gilt jedoch dann nicht, wenn es gerade darum geht, die gesetzgeberische Entscheidung, dass ein Beschluss unanfechtbar ist, gegenüber einem Gericht, das in einem Rechtsmittelverfahren entschieden hat, durchzusetzen. Das unterscheidet die hier vorliegende Fallgestaltung von dem Fall, dass bereits das Beschwerdegericht zu Recht eine Anfechtungsmöglichkeit des Ursprungsbeschlusses verneint und dann eine Rechtsbeschwerde zugelassen hat (dazu - zu II 1 der Gründe, NJW-RR 2005, 214).

II. Die sofortige Beschwerde war unstatthaft und hätte deshalb vom Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen werden müssen (§ 572 Abs. 2 ZPO).

1. Das folgt allerdings noch nicht daraus, dass das Arbeitsgericht eine Protokollberichtigung nach § 164 ZPO vorgenommen hat, hinsichtlich derer nach dem Willen des Gesetzgebers kein Rechtsmittel stattfindet (dazu - zu II 2 der Gründe mit Hinweisen auf die Gesetzesentwicklung und die Gesetzesmaterialien, NJW-RR 2005, 214).

§ 164 ZPO setzt voraus, dass das Protokoll unrichtig ist, also sein Inhalt (§ 160 ZPO) nicht dem entspricht, was tatsächlich in der mündlichen Verhandlung vorgegangen ist. In diesem Fall ist die Berichtigung auf dem Protokoll oder einer Anlage zu vermerken und der Vermerk von dem Richter, der das Protokoll unterschrieben hat sowie dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, der zur Protokollführung zugezogen war, zu unterschreiben (§ 164 Abs. 3 ZPO). Um eine derartige Fallgestaltung geht es hier jedoch nicht: Aus dem Berichtigungsbeschluss, der zudem nicht von der ursprünglich hinzugezogenen Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mitunterzeichnet wurde, ergibt sich vielmehr, dass es nicht um eine Änderung der Darstellung des tatsächlichen Verlaufs der mündlichen Verhandlung im Protokoll ging. Das Arbeitsgericht wollte vielmehr einen tatsächlich während dieser Verhandlung entstandenen Rechenfehler, der dem Verlauf der Verhandlung entsprechend im Protokoll Niederschlag gefunden hat, berichtigen. Damit geht es hier - entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts - auch nicht um eine Beseitigung einer Falschbeurkundung durch das Arbeitsgericht.

2. Der arbeitsgerichtliche Beschluss ist jedoch nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, weil die gesetzlichen Voraussetzungen einer derartigen Beschwerde nicht vorliegen.

a) Nach § 567 ZPO findet - wie auch das Landesarbeitsgericht nicht verkannt hat - die sofortige Beschwerde gegen arbeitsgerichtliche Entscheidungen nur statt, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist. Eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung, dass gegen Entscheidungen, mit denen offenbare Unrichtigkeiten in einem Vergleich berichtigt werden, die sofortige Beschwerde gegeben ist, enthält das Gesetz nicht. Mit der Entscheidung wurde auch kein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen, vielmehr wurde ihm stattgegeben. Das löst kein Beschwerderecht der Gegenseite aus (vgl. Treber in Hannich/Meyer-Seitz ZPO-Reform 2002 § 567 ZPO Rn. 6 mwN).

b) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts findet die sofortige Beschwerde auch nicht in entsprechender Anwendung von § 319 Abs. 3 ZPO statt.

aa) Nach § 319 Abs. 1 ZPO sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Urteil vom Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen. Nach Absatz 3 findet gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, sofortige Beschwerde statt.

bb) Die entsprechende Anwendung von § 319 Abs. 3 ZPO auf die Berichtigung von Vergleichen scheitert nicht daran, dass eine Analogie im Rechtsmittelrecht von vornherein nicht in Betracht käme. Das ist nicht der Fall:

Analogien sind ein herkömmliches Mittel der Gesetzesanwendung. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden ( - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 82, 6). Allerdings können aus verfassungsrechtlichen Gründen für bestimmte Rechtsgebiete an eine Analogie hohe Anforderungen gestellt werden. Insbesondere kann es ausgeschlossen sein, in Rechtsgebieten, wo wegen des Grundrechtsbezuges lediglich gesetzliche Eingriffe möglich sind, auf Gedanken von Gesetzen zurückzugreifen, die für die zu regelnde Situation nicht geschaffen wurden (vgl. , 2 BvR 2402/04 - zu C I 3 der Gründe für den Jugendstrafvollzug, BVerfGE 116, 69). Vergleichbare Einschränkungen gelten auch im Rechtsmittelrecht. Im Rechtsmittelschutzsystem gilt das Gebot der Rechtsmittelklarheit. Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für den Bürger erkennbar sein, was zuverlässig nur möglich ist, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen des jeweiligen Rechtsbehelfs in der Rechtsordnung geregelt sind. Das schließt außerordentliche Rechtsbehelfe aus ( - zu C IV 2 der Gründe, BVerfGE 107, 395).

Dieser Grundsatz steht zwar außerordentlichen Rechtsbehelfen (vgl. zur zweifelhaften Statthaftigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde: - zu 1 der Gründe, NJW 2008, 503), aber nicht einer Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems entgegen, die im Einzelfall aus nachvollziehbaren und sich letztlich aus der gesetzlichen Wertung ergebenden Gründen bestimmte Regeln über die Voraussetzungen von Rechtsmitteln entsprechend heranzieht. Dadurch entsteht auch keine für den Bürger unübersichtliche Situation (vgl. zur analogen Anwendung der in § 99 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Beschwerde: - zu II 1 a der Gründe, AP InsO § 55 Nr. 15 = EzA ZPO 2002 § 91 Nr. 2 und der Rechtsmittelbeschränkung in § 49 Abs. 3 ArbGG: -).

cc) Trotzdem ist § 319 Abs. 3 ZPO auf die Berichtigung gerichtlicher Vergleiche nicht entsprechend anwendbar.

(1) Eine Analogie kommt in Betracht, wenn zur Ausfüllung einer planwidrigen Lücke die Übertragung der Rechtsfolge eines gesetzlichen Tatbestandes auf einen vergleichbaren, aber im Gesetz nicht geregelten Tatbestand erforderlich ist. Voraussetzung ist die Feststellung einer planwidrigen Gesetzeslücke einerseits und einer Rechtsähnlichkeit zwischen dem bereits gesetzlich geregelten und dem nicht geregelten Tatbestand andererseits (vgl. - zu B II 2 b bb der Gründe, BAGE 95, 240). Eine planwidrige Regelungslücke ist dann nicht erforderlich, wenn die analoge Anwendung aufgrund der gesetzlichen Entwicklung erforderlich ist, um Gleichheitsverstöße zu vermeiden (vgl. - zu B IV 3 der Gründe, BAGE 95, 15).

(2) Danach liegen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 3 ZPO nicht vor. Selbst wenn man annähme, eine Regelungslücke sei im vorliegenden Falle gegeben oder für die Bildung einer Analogie entbehrlich, so fehlt es jedenfalls an der Rechtsähnlichkeit zwischen der durch diese Vorschrift geregelten und der hier in Betracht kommenden Situation.

§ 319 Abs. 3 ZPO regelt die Beschwerdemöglichkeit als Teil einer Gesamtregelung: Weil § 319 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit, offenbare Unrichtigkeiten zu berichtigen, einräumt, räumt Absatz 3 der Bestimmung die Beschwerdemöglichkeit ein. In analoger Anwendung dieser Bestimmung wäre eine Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse, mit denen protokollierte Vergleiche berichtigt werden, deshalb nur dann gegeben, wenn auch Vergleiche entsprechend berichtigt werden könnten (anderer Ansicht möglicher Weise: OLG Celle - 4 W 263/98 - OLGR Celle 1999, 94). Die Berichtigungsmöglichkeit des § 319 Abs. 1 ZPO ist aber nicht auf gerichtliche Vergleiche zu übertragen.

Insoweit ist die rechtliche Lage eine andere als bei Urteilen. Urteile sind der Rechtskraft fähig (§ 322 Abs. 1 ZPO). Fehler in Urteilen bergen deshalb immer die Gefahr, dass aufgrund eines bloßen Versehens endgültig Ansprüche verloren gehen oder ohne materielle Grundlage verbindlich ausgeurteilt werden. Demgegenüber stellen Vergleiche einen Vertrag zwischen Parteien dar (§ 779 BGB). Es gelten deshalb materiell-rechtlich die Bestimmungen über rechtsgeschäftliche Vereinbarungen. Daher ist beispielsweise bei einem tatsächlich übereinstimmenden Willen das wirklich Gewollte, nicht das im Vergleich äußerlich Niedergelegte rechtlich verbindlich (vgl. zu diesem materiell-rechtlichen Grundsatz: - zu A 3 der Gründe). Welchen Inhalt der Vergleich hat, kann in einem normalen gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden (OLG Frankfurt am Main - 3 W 12/85 - MDR 1986, 152). Eine Berichtigung gerichtlich geschlossener Vergleiche durch Beschluss in entsprechender Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO scheidet demnach aus (Ebenso: Bayerischer Verfassungsgerichtshof - Vf. 33-VI-03 - zu III 2 b der Gründe, NJW 2005, 1347, der eine Berichtigung sogar für willkürlich hält).

c) Schließlich ist neben den gesetzlich vorgesehenen Beschwerdemöglichkeiten auch eine außerordentliche Beschwerde, etwa wegen "greifbarer Gesetzwidrigkeit", ebenfalls nicht gegeben.

Eine außerordentliche Beschwerde ist sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zB - 5 AZB 31/05 - BAGE 115, 330) als auch anderer oberster Gerichtsgerichtshöfe des Bundes ( - BGHZ 150, 133; , 6 B 29/02 - NJW 2002, 2657; - BFHE 200, 42) unzulässig. Daran ist festzuhalten. Von der Rechtsprechung entwickelte außerordentliche Rechtsbehelfe genügen - wie dargelegt - nicht dem Gebot der Rechtsmittelklarheit. Auch eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit wäre ein solcher außerordentlicher Rechtsbehelf. Spätestens seitdem der Gesetzgeber das Rechtsmittelrecht durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (vom , BGBl. I S. 1887) und das Anhörungsrügengesetz (vom , BGBl. I S. 3220) umfassend neu geregelt und dabei keine positive Entscheidung dahingehend getroffen hat, dass die außerordentliche Beschwerde weiter bestehen soll (BT-Drucks. 15/3706 S. 14), ist im Rahmen des zivilprozessualen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben, außerhalb der gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe mit weiteren Arten von Rechtsbehelfen in Entscheidungen der Gerichte anderer Instanzen einzugreifen.

Die vom Landesarbeitsgericht angeführte Entscheidung des - VII ZB 28/07 - MDR 2007, 1276) steht nicht entgegen. Bei dieser Entscheidung geht es nicht um die Statthaftigkeit von Rechtsmitteln oder von Rechtsbehelfen, die sich an eine höhere Instanz richten, sondern um die von Gegenvorstellungen und daran geknüpfte Abänderungsentscheidungen derselben Instanz (dazu auch - DStR 2007, 2162).

d) Sonstige Gründe, warum die sofortige Beschwerde zulässig sein sollte, sind nicht ersichtlich.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Fundstelle(n):
NJW 2009 S. 1161 Nr. 16
NAAAD-07979

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein