BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 2571/07

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 3; GG Art. 33 Abs. 2; SächsBG § 150 Abs. 1 S. 1 letzter Teilsatz; BVerfGG § 93c

Instanzenzug: OVG Sachsen, 2 B 403/06 vom VG Dresden, 11 K 972/05 vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob eine schwerbehinderte Polizeivollzugsbeamtin auf Lebenszeit, die trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin im Polizeivollzugsdienst verwendet wird, ohne Rücksicht auf die Erfordernisse des angestrebten Amtes allein wegen ihrer eingeschränkten Polizeidienstfähigkeit vom Beförderungsgeschehen ausgeschlossen werden kann.

1.

Die Beschwerdeführerin steht seit dem als Polizeibeamtin im Dienst des Freistaats Sachsen. Sie hat zurzeit das Amt einer Kriminalobermeisterin (BesGr. A 8 BBesG <mittlerer Dienst>) inne und ist bei der Polizeidirektion O. beschäftigt. Im Januar 1999 wurde die Beschwerdeführerin zum Erwerb der Befähigung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst zugelassen. Im Jahr 2000 stellte sich heraus, dass die Beschwerdeführerin an einer seltenen Erkrankung des Herzens leidet und daher auf Dauer polizeidienstunfähig ist. Dennoch schloss sie ihre Aufstiegsausbildung im Jahr 2002 erfolgreich ab. Die Beschwerdeführerin wird - trotz ihrer Erkrankung - auf der Grundlage von § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz Sächsisches Beamtengesetz - SächsBG - auch weiterhin im Polizeivollzugsdienst verwendet. Sie ist auf einem Dienstposten eingesetzt, der ihre gesundheitlichen Einschränkungen berücksichtigt. Seit dem Jahr 2002 ist die Beschwerdeführerin als Schwerbehinderte anerkannt, seit April 2004 mit einem Grad der Behinderung von 70.

2.

Nach einer Reihe von Gesprächen mit ihrem Dienstherrn, in denen die Beschwerdeführerin sich erfolglos um einen Wechsel in die Laufbahn des gehobenen Dienstes bemüht hatte, beantragte sie am den Erlass "einer beschwerdefähigen Entscheidung". Mit Schreiben vom teilte der Dienstherr der Beschwerdeführerin mit, dass sie mangels gesundheitlicher Eignung nicht in den gehobenen Polizeivollzugsdienst befördert werden könne. Sie könne aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen wesentliche Teile der polizeilichen Arbeit nicht ausüben. Die gesundheitliche Eignung müsse indes für alle Tätigkeiten einer Laufbahn vorliegen. Im Übrigen stehe im gehobenen Polizeivollzugsdienst kein Dienstposten zur Verfügung, auf dem eine ihren Einschränkungen gerecht werdende Verwendung möglich wäre.

3.

Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Klage, die das Verwaltungsgericht Dresden mit Urteil vom abwies. Die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf Ernennung zur Kriminalkommissarin. Der Dienstherr sei rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführerin die gesundheitliche Eignung für das angestrebte Amt fehle. Wegen der besonderen Anforderungen, denen Polizeibeamte bei der Verrichtung ihres Dienstes ausgesetzt seien, seien diese nur dann gesundheitlich geeignet, wenn sie polizeidienstfähig seien. Es sei also zu prüfen, ob der Beamte allen laufbahntypischen Aufgaben des allgemeinen Vollzugsdienstes sowohl physisch wie auch psychisch gewachsen sei. Dies sei bei der Beschwerdeführerin unstreitig nicht der Fall. Ihre Erkrankung führe dazu, dass sie die im Polizeivollzugsdienst geforderten körperlichen Anstrengungen (körperlicher Einsatz gegen Rechtsbrecher, Anwendung unmittelbaren Zwangs, Dienstsport) nicht bewältigen könne. Auch Belastungen durch Schicht- und Außendienste, Nacht- und 12-Stundendienste, das Führen von Kraftfahrzeugen mit Sonderrechten und häufiges Treppensteigen seien für die Beschwerdeführerin nicht zumutbar. Auch § 10 Sächsische Laufbahnverordnung - SächsLVO - verhelfe der Klage nicht zum Erfolg. Diese Vorschrift sei für die Laufbahn der Polizeibeamten nicht anwendbar. Die Ämter in der Laufbahn des Polizeivollzugsdienstes seien von besonders hohen körperlichen Anforderungen geprägt. Eine weitgehende Integration behinderter Menschen in den Polizeivollzugsdienst scheitere faktisch daran, dass der Dienstherr mit der Einrichtung der Polizei seiner Aufgabe zur Gefahrenabwehr und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nachkommen müsse, dies aber nur könne, wenn seine Beamten vollumfänglich einsatzfähig seien.

4.

Den hiergegen gerichteten Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung lehnte das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom ab. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils seien nicht dargetan. Einer Beförderung der Beschwerdeführerin in den gehobenen Polizeivollzugsdienst stehe ihre mangelnde gesundheitliche Eignung entgegen. Dabei sei auf die Anforderungen der laufbahntypischen Aufgaben abzustellen. Ein Beamter sei nur dann uneingeschränkt körperlich und gesundheitlich geeignet, wenn er psychisch und physisch dem gesamten Aufgabenspektrum seiner Laufbahn gewachsen sei. Dies sei bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall. Ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Beförderung ergebe sich auch nicht unter Beachtung des Benachteiligungsverbots behinderter Menschen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Könne ein schwerbehinderter Bewerber die Anforderungen des Amtes gerade aufgrund seiner Behinderung nicht erfüllen, so folge aus dem Benachteiligungsverbot, dass die gesundheitliche Eignung nur verneint werden dürfe, wenn im Einzelfall zwingende Gründe für das Festhalten an dem allgemeinen Maßstab sprächen. Solche Gründe lägen im Hinblick auf den Polizeivollzugsdienst, für den ein besonderes Maß an körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit gefordert werde, zweifelsohne vor. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz SächsBG. Dort gehe es ausschließlich um die Voraussetzungen, unter welchen die Polizeidienstunfähigkeit festzustellen sei, und um die Möglichkeit einer weiteren Verwendung trotz festgestellter eingeschränkter Polizeidienstunfähigkeit. Dies lasse die Frage der Eignung für ein Beförderungsamt jedoch unberührt.

1.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verstöße gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 33 Abs. 2 GG. Es sei mit Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, die Stellung behinderter Menschen in der Gesellschaft zu stärken, nicht vereinbar, ihr die Beförderung wegen ihrer Polizeidienstunfähigkeit zu verweigern. Es sei nachvollziehbar, dass für eine Tätigkeit im Polizeivollzugsdienst eine erhöhte gesundheitliche Eignung gefordert werde. Es sei daher im Regelfall vorgesehen, dass polizeidienstunfähige Beamte, die noch allgemein dienstfähig seien, in die allgemeine Verwaltung überführt würden. Mache der Dienstherr indes - wie in Ihrem Fall - von seiner Befugnis Gebrauch, behinderte und polizeidienstunfähige Beamte ausnahmsweise im Polizeidienst zu belassen, so sei er im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gehalten, von diesen Beamten bei einer Beförderung nur eine eingeschränkte gesundheitliche Eignung zu verlangen, nicht jedoch Polizeidienstfähigkeit. Der Dienstherr sei verpflichtet, dem behinderten Beamten auch in der neuen Laufbahn einen den Leistungseinschränkungen entsprechenden Dienstposten zu verschaffen. Andernfalls werde dem behinderten Beamten jede Hoffnung und Möglichkeit genommen, irgendwann in seinem Berufsleben nochmals befördert zu werden. Dies sei mit dem Schutzzweck des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, die Stellung behinderter Menschen in der Gesellschaft zu stärken, unvereinbar. Ein Laufbahnwechsel könne ihr daher jedenfalls nicht wegen ihrer fehlenden Polizeidienstfähigkeit versagt werden.

2.

Die Kammer hat dem Sächsischen Staatsministerium des Innern und dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Das Staatsministerium der Justiz hat mit Schreiben vom zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen und die angegriffenen Entscheidungen verteidigt. Das Staatsministerium des Innern hat von einer Stellungnahme abgesehen.

Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c BVerfGG liegen vor.

1.

Der Bescheid der Polizeidirektion O. vom und die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Dresden und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.

Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Daraus folgt ein Anspruch des Einzelnen auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung um ein öffentliches Amt (vgl. BVerfGE 1, 167 <184> ; 39, 334 <354> ; BVerfGK 1, 292 <295 f.>). Dieser so genannte "Bewerberverfahrensanspruch" besteht nach ständiger und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht nur bei der Besetzung von Eingangsämtern, sondern auch im Rahmen von Beförderungs- und Laufbahnaufstiegsverfahren (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammerdes Zweiten Senats vom - 2 BvR 2470/06 -, [...]; BVerwGE 101, 112 <114 f.> ; 114, 149 <152, 155> ; -, [...]).

Bei der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der einzelne Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht. Denn geeignet im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG ist nur, wer dem angestrebten Amt auch in körperlicher und psychischer Hinsicht gewachsen ist (vgl. BVerfGE 92, 140 <151> ). Im Rahmen dieser gesundheitlichen Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr auch dem Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG Rechnung zu tragen. Ein Bewerber darf daher wegen seiner Behinderung nur dann von dem Beförderungsgeschehen ausgeschlossen werden, wenn dienstliche Bedürfnisse eine dauerhafte Verwendung in dem angestrebten Amt zwingend ausschließen (vgl. -, [...], Rn. 28).

Diese aus Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG folgenden Vorgaben haben die Polizeidirektion und die Gerichte nicht zutreffend erkannt. Sie sind davon ausgegangen, dass eine Beförderung im Polizeivollzugsdienst stets und zwingend die uneingeschränkte Polizeidienstfähigkeit des Bewerbers - also dessen gesundheitliche Eignung für alle laufbahntypischen Aufgaben des allgemeinen Polizeivollzugsdienstes - voraussetze. Eine Beförderung der Beschwerdeführerin in ein Amt der Besoldungsgruppe A 9 g.D. BBesG und ein hiermit verbundener Laufbahnaufstieg seien daher von vornherein ausgeschlossen.

Diese Erwägungen lassen eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung der Rechte aus Art. 33 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erkennen und stehen darüber hinaus im Widerspruch zu den in § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz SächsBG zum Ausdruck gelangten gesetzgeberischen Wertungen. Der Gesetzgeber selbst geht in § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz SächsBG davon aus, dass eine nur eingeschränkte Polizeidienstfähigkeit einer Verwendung im Polizeivollzugsdienst nicht zwingend entgegensteht. Vielmehr hat er eine weitere Verwendung nur eingeschränkt polizeidienstfähiger Lebenszeitbeamter für den Fall zugelassen, dass die auszuübende Funktion die besonderen gesundheitlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes auf Dauer nicht mehr uneingeschränkt erfordert.

Unabhängig davon, ob man den Begriff der Polizeidienstfähigkeit durch die Ausnahmevorschrift des § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz SächsBG als modifiziert ansieht oder nicht (vgl. -, [...]; -, [...]), kann die hiermit bewirkte Öffnung des Polizeivollzugsdienstes für nicht vollumfänglich polizeidienstfähige Beamte nicht ohne Rückwirkung auf die Auslegung des Eignungsbegriffs im Sinne des Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bleiben. Vielmehr müssen für das nach Art. 33 Abs. 2 GG zu treffende gesundheitliche Eignungsurteil des Dienstherrn ähnliche Maßstäbe gelten wie für Weiterverwendungsentscheidungen gemäß § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz SächsBG. Einem nach § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz SächsBG weiter verwendeten Bewerber darf die gesundheitliche Eignung für ein Beförderungsamt daher nicht allein deshalb abgesprochen werden, weil er den Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes nicht vollumfänglich entspricht (vgl. -, [...]; auch Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Kommentar, Stand: 285. Ergänzungslieferung, Bd. 3, § 194 LBG NRW, Rn. 31). Hinzukommen muss vielmehr, dass aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen eine ordnungsgemäße und dauerhafte Wahrnehmung der mit dem angestrebten Amt verbundenen Aufgaben nicht gewährleistet ist. Der Dienstherr hat also bei der Entscheidung über ein Beförderungsgesuch - ähnlich wie im Rahmen der ursprünglichen Weiterverwendungsentscheidung - zu prognostizieren, ob der nur eingeschränkt polizeidienstfähige Beamte in dem angestrebten Amt auf Dauer verwendet werden kann. In diese Prognoseentscheidung darf der Dienstherr auch organisatorische und personalpolitische Erwägungen einstellen (vgl. -, [...], Rn. 13; OVG NW, Beschluss vom - 6 B 2086/06 -, [...]).

Demgegenüber ist die von der Behörde und den Gerichten im vorliegenden Fall vertretene Auffassung, wonach die volle Polizeidienstfähigkeit unabdingbare Voraussetzung für eine Beförderung im Polizeivollzugsdienst sein soll, mit Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG unvereinbar. Sie führt dazu, dass Beamte, die aufgrund von § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz SächsBG oder vergleichbaren Vorschriften anderer Länder im Polizeivollzugsdienst weiterverwendet werden, dauerhaft von jeglicher Beförderungsmöglichkeit ausgeschlossen werden könnten.

2.

Die Gerichte werden in dem somit erneut durchzuführenden fachgerichtlichen Verfahren insbesondere darüber zu befinden haben, ob die bereits in der Ausgangsentscheidung enthaltene Behauptung des Dienstherrn, es stehe im gehobenen Polizeivollzugsdienst kein Dienstposten zur Verfügung, auf dem die Beschwerdeführerin mit ihren gesundheitlichen Einschränkungen auf Dauer verwendet werden könne, die Ablehnung des Beförderungsgesuchs der Beschwerdeführerin trägt (vgl. hierzu -, [...], Rn. 28 f.).

3.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Fundstelle(n):
PAAAD-03113