BMF - IV B 8 - S 7203/07/10002 BStBl I 2008 S. 992 Nr. 20

Umsatzsteuer; Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle;
Anwendung der Grundsätze des tauschähnlichen Umsatzes

Nach § 3 Abs. 1 Krw-/AbfG gelten als Abfall alle beweglichen Sachen, deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Abfälle i. d. Sinne sind nach den Vorgaben des Krw-/AbfG zu entsorgen. Daneben bestehen für bestimmte Abfallgruppen besondere Entsorgungspflichten aufgrund einzelgesetzlicher Regelungen z. B. für Altfahrzeuge, Altglas, Altholz, Altöl, Bioabfall, gebrauchte Batterien und Akkumulatoren, gewerblichen Abfall, Elektro- und Elektronikgeräte, Klärschlamm, Verpackungen und tierische Nebenprodukte.

Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hinsichtlich der Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle Folgendes:

  1. Beauftragt ein Abfallerzeuger oder -besitzer einen Dritten mit der ordnungsgemäßen Entsorgung seines Abfalls, erbringt der Dritte mit der Übernahme und Erfüllung der Entsorgungspflicht eine sonstige Leistung i. S. von § 3 Abs. 9 UStG, sofern der Entsorgung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt; hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn über die Entsorgung ein Entsorgungsnachweis ausgestellt wird. Ist dem zur Entsorgung überlassenen Abfall ein wirtschaftlicher Wert beizumessen (sog. werthaltiger Abfall), liegt ein tauschähnlicher Umsatz (Entsorgungsleistung gegen Lieferung des Abfalls) – ggf. mit Baraufgabe – vor, wenn nach den übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragspartner

    • der überlassene Abfall die Höhe der Barvergütung für die Entsorgungsleistung oder

    • die übernommene Entsorgung die Barvergütung für die Lieferung des Abfalls

    beeinflusst hat (vgl. Abschn. 153 Abs. 2 UStR).

  2. Aus Vereinfachungsgründen kann bei der Abgabe werthaltiger Abfälle davon ausgegangen werden, dass eine zum tauschähnlichen Umsatz führende Beeinflussung der Barvergütung im vorgenannten Sinne grundsätzlich nur vorliegt,

    1. wenn die Beteiligten ausdrücklich hierauf gerichtete Vereinbarungen getroffen, also neben dem Entsorgungsentgelt einen bestimmten Wert für eine bestimmte Menge der überlassenen Abfälle vereinbart haben,

    2. oder diese wechselseitige Beeinflussung offensichtlich ist, z. B.:

      aa)

      Es wird vertraglich die Anpassung des ursprünglich ausdrücklich vereinbarten Entsorgungsentgelts an sich ändernde Marktverhältnisse für den übernommenen Abfall ausbedungen (sog. Preisanpassungsklauseln).

      Beispiel 1:

      Unternehmer U1 übernimmt gegenüber dem Reifenservice R die Entsorgung von Altreifen. R zahlt U1 einen Preis von 2,– € je übernommenen Altreifen. Bei einer Veränderung des Preisindexes von Stahl oder Gummigranulat im Vergleich zu den Verhältnissen bei Vertragsabschluss sind beide Beteiligten berechtigt, diesen Preis um 50 % der Indexveränderung anzupassen.

      bb)

      Das nach Art und Menge bestimmte Entsorgungsentgelt ändert sich in Abhängigkeit von der Qualität der überlassenen Abfälle.

      Beispiel 2:

      Unternehmer U2 übernimmt gegenüber dem Bauunternehmer B die Entsorgung von Baustellenmischabfällen. Die Beteiligten vereinbaren einen Grundpreis von 250,– € je Fuhre, welcher sich ab einem bestimmten Metall- und Folienanteil im Abfall um 50,– € reduziert.

      cc)

      Es wird eine (Mehr-)Erlösverteilungsabrede getroffen.

      Beispiel 3:

      Unternehmer U3 übernimmt gegenüber dem Reifenhersteller R die Entsorgung von Fehlproduktionen und Materialresten für 80,– € je Tonne. Die Beteiligten verabreden, dass R an den von U3 bei der Veräußerung von daraus gewonnenem Gummigranulat und Stahl erzielten Erlösen zu 25 % beteiligt wird.

      dd)

      Eine Entsorgungsleistung ist ausdrücklich vereinbart und es gibt einen allgemein zugänglichen Marktpreis (z. B. EUWID, Börsenpreis, Aufzeichnungen des Statistischen Bundesamts, Preislisten/Indizes der Branchenverbände) für den überlassenen Abfall; hierbei ist nicht auf einzelne Inhaltsstoffe abzustellen.

      Beispiel 4:

      Unternehmer U4 übernimmt die Entsorgung des bei der Firma F anfallenden Altpapiers. F zahlt für die Entsorgung eine Barvergütung von 5,– € je Tonne Altpapier. Der in der Zeitschrift EUWID veröffentlichte Papierpreis ergibt einen Preiskorridor von 15,– bis 20,– € je Tonne. Es ist offensichtlich, dass der Wert des Altpapiers den Preis für die Entsorgungsleistung beeinflusst hat. Es liegt ein tauschähnlicher Umsatz mit Baraufgabe vor. Zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage siehe Beispiel 8!

  3. Sofern in den unter 2. b) genannten Fällen weder die Barvergütung einen Betrag von 50,– € je Umsatz noch die entsorgte Menge ein Gewicht von 25 kg je Umsatz übersteigt, braucht das Vorliegen eines tauschähnlichen Umsatzes aus Vereinfachungsgründen nicht geprüft zu werden.

    Beispiel 5:

    U5 wird zu den in Bsp. 4 genannten Konditionen für die Buchhaltungsfirma B tätig. Er entsorgt dort regelmäßig eine Menge von max. 20 kg Altpapier. Da die für B entsorgte Menge das Gewicht von 25 kg je Abholung nicht übersteigt und die Entgelte hierfür 50,– € je Abholung nicht übersteigen, ist es aus Vereinfachungsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Beteiligten keinen tauschähnlichen Umsatz angenommen und nur die Entsorgungsleistung des U5 der Besteuerung unterworfen haben.

  4. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt insbesondere nicht vor,

    1. wenn Nebenerzeugnisse oder Abfälle im Rahmen von Gehaltslieferungen i. S. des § 3 Abs. 5 UStG zurückgenommen werden; hier fehlt es an einer Lieferung von Abfall;

      Beispiel 6:

      U6 liefert zum Preis von 4,10 € je Dezitonne Zuckerrüben an die Zuckerfabrik Z und behält sich die Rückgabe der bei der Zuckerproduktion anfallenden Rübenschnitzel für Fütterungszwecke vor. Es handelt sich lediglich um eine (Gehalts-)Lieferung des U6 an Z (Entgelt 4,10 € je Dezitonne). Z erbringt keine Lieferung von Abfall in Form von Rübenschnitzeln, weil diese nicht am Leistungsaustausch teilgenommen haben und somit nicht Gegenstand der Gehaltslieferung des U6 geworden sind.

    2. wenn das angekaufte Material ohne weitere Behandlung marktfähig (z. B. an einer Rohstoffbörse handelbar) ist, auch keiner gesetzlichen Entsorgungsverpflichtung mehr unterliegt und damit seine Eigenschaft als Abfall verloren hat. Da in diesem Fall das Material nur noch den Status eines normalen Handelsguts hat, kann davon ausgegangen werden, dass ggf. erforderliche Transport- oder Sortierleistungen ausschließlich im eigenen unternehmerischen Interesse des Erwerbers ausgeführt werden und keine Entsorgungsleistung vorliegt.

      Beispiel 7:

      U7 erwirbt von verschiedenen Entsorgern unsortierte Altbleche, welche er nach Reinigung und Zerkleinerung einer elektrolytischen Entzinnung unterzieht. Das dabei gewonnene Eisen veräußert U7 an Stahlbearbeitungsbetriebe, das anfallende Zinn an Zinnhütten. Bei dem von U7 aus dem Altblechabfall zurück gewonnenen Zinn und Eisen handelt es sich um Rohstoffe für die weiterverarbeitende Industrie, die keiner gesetzlichen Entsorgungspflicht (mehr) unterliegen und deshalb nicht als Abfall anzusehen sind. Zwischen U7 und seinen Abnehmern finden keine tauschähnlichen Umsätze, sondern ausschließlich Rohstofflieferungen statt.

  5. Für die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes ist es nicht erforderlich, dass beide Beteiligte Unternehmer sind bzw. die Abgabe des Abfalls im unternehmerischen Bereich erfolgt; dies ist jedoch für die ggf. erforderliche gegenseitige Rechnungsstellung von Bedeutung.

  6. Der Wert des hingegebenen Abfalls ist Bemessungsgrundlage für die erbrachte Entsorgungsleistung. Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Abfalls ist der Wert der Gegenleistung (Entsorgungsleistung). Baraufgaben sind zu berücksichtigen. Eine enthaltene Umsatzsteuer ist stets herauszurechnen. Es bestehen keine Bedenken, dem zwischen den Beteiligten vereinbarten Wert der zur Entsorgung übergebenen Abfälle auch für umsatzsteuerrechtliche Zwecke zu folgen, sofern dieser Wert nicht offensichtlich unzutreffend erscheint.

    Im Übrigen sind die Bemessungsgrundlagen zu schätzen.

    Beispiel 8:

    Wie Bsp. 4: Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Beteiligten hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen für die jew. von Ihnen ausgeführten Leistungen Werte innerhalb der bezeichneten Bandbreiten zu Grunde legen, sofern diese nicht offensichtlich unzutreffend sind. Bemessungsgrundlage für die Entsorgungsleistung des U4 ist somit der Wert der erhaltenen Gegenleistung, zu der neben der Baraufgabe auch der Wert des gelieferten Altpapiers gehört; die Bemessungsgrundlage beträgt demnach mind. 20,– € und höchstens 25,– € je Tonne abzüglich der darin enthaltenen Umsatzsteuer. Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Altpapiers durch F ist der Wert der erhaltenen Gegenleistung abzüglich der geleisteten Baraufgabe, somit mind. 15,– bis höchstens 20,– € je Tonne abzüglich der darin enthaltenen Umsatzsteuer.

  7. Verändert sich der Marktpreis für die zu entsorgenden Abfälle nach Abschluss des Entsorgungs- und Liefervertrags, hat dies zunächst keine Auswirkung auf die Ermittlung der Bemessungsgrundlagen für die tauschähnlichen Umsätze und die Rechnungsstellung. Für diese Zwecke ist vielmehr solange auf den im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblichen Wert abzustellen, bis dieser durch eine Vertragsänderung oder durch Änderung der Bemessungsgrundlage, z. B. auf Grund einer vereinbarten Preisanpassungsklausel oder einer vereinbarten Mehr- oder Mindererlösbeteiligung, angepasst wird.

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Bei vor dem abgeschlossenen Verträgen über die Lieferung oder die Entsorgung von Abfällen wird es bis zum nicht beanstandet, wenn die Beteiligten davon ausgegangen sind, dass kein tauschähnlicher Umsatz vorliegt. Dies gilt nicht für die Lieferung oder die Entsorgung von Materialabfall, der z. B. bei der Be- oder Verarbeitung bestimmter Materialien, die selbst keine Abfallstoffe sind, anfällt (Abschn. 153 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 UStR).

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt I veröffentlicht.

BMF v. - IV B 8 - S 7203/07/10002


Fundstelle(n):
BStBl 2008 I Seite 992
DB 2009 S. 257 Nr. 6
DStR 2009 S. 48 Nr. 1
StB 2009 S. 18 Nr. 1
UVR 2009 S. 8 Nr. 1
ZAAAD-00240