BFH Beschluss v. - III B 126/08

Aufhebung oder Änderung bestandskräftiger Kindergeldbescheide nach dem

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4, EStG § 70 Abs. 2, AO § 172, AO § 130, AO § 131

Instanzenzug:

Gründe

I. Mit Bescheid vom hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für die Tochter (T) des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ab Januar 2002 mit der Begründung auf, die Einkünfte und Bezüge der T überstiegen den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7 188 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für das Jahr 2002 —EStG—). Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260), den Aufhebungsbescheid zu korrigieren und Kindergeld rückwirkend ab Januar 2002 festzusetzen. Die Familienkasse lehnte den Antrag auf rückwirkende Festsetzung des Kindergeldes für die Monate Januar bis Dezember 2002 mit Bescheid vom unter Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheids vom ab. Den Einspruch wies die Familienkasse mit Bescheid vom als unbegründet zurück.

Bereits mit Schreiben vom hatte der Kläger gegen den Aufhebungsbescheid vom Einspruch eingelegt, den die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom wegen Ablaufs der Einspruchsfrist als unzulässig verwarf.

Das Finanzgericht (FG) wies die Verpflichtungsklage auf Gewährung von Kindergeld für die Monate Januar bis Dezember 2002 ab.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) und die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO). Außerdem macht er geltend, das Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).

1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) kommt —unabhängig davon, ob der Kläger die Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO)— nicht in Betracht, da der Senat die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen bereits geklärt hat.

Ein bestandskräftiger Bescheid, mit welchem die Familienkasse —wie im Streitfall— die Festsetzung von Kindergeld für das abgelaufene Kalenderjahr wegen Überschreitens des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG aufgehoben hat, kann nicht aufgrund der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 nach den Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. der Abgabenordnung (AO) aufgehoben oder geändert werden (, BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714, und vom III R 41/06, BFH/NV 2007, 419). Entgegen der Auffassung des Klägers sind die §§ 130 und 131 AO nicht anwendbar. Denn das einkommensteuerliche Kindergeld (§§ 62 ff. EStG) wird als Steuervergütung gezahlt (§ 31 Satz 3 EStG). Für einen Steuervergütungsanspruch gelten gemäß § 155 Abs. 4 AO die Vorschriften für die Steuerfestsetzung sinngemäß. Daraus folgt, dass sich die Aufhebung und Änderung von Bescheiden über die Festsetzung von Kindergeld oder der entsprechenden Ablehnungsbescheide nach den §§ 172 ff. AO richten, soweit nicht § 70 Abs. 2 EStG einschlägig ist. Die §§ 130 und 131 AO gelten für Steuerbescheide ausdrücklich nicht (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO; , juris).

Ebenso wenig sind für das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs anwendbar (Senatsbeschlüsse vom III B 167/06, BFH/NV 2007, 865, und vom III B 128/07, juris).

2. Ein die Zulassung rechtfertigender Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist ebenfalls nicht gegeben. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2 FGO) nicht durch den Erlass einer Überraschungsentscheidung verletzt.

Eine Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn das Gericht sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste. Das FG ist aber nicht verpflichtet, die maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten vorher umfassend und im Einzelnen zu erörtern (z.B. , BFH/NV 2008, 562, m.w.N.). Das FG ist grundsätzlich nicht zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Auf nahe liegende rechtliche Gesichtspunkte oder durch die Rechtsprechung bereits geklärte Rechtsfragen braucht das FG jedenfalls dann nicht hinzuweisen, wenn die Beteiligten —wie hier— fachkundig vertreten sind (z.B. , BFH/NV 2003, 802, m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
XAAAD-00206