BGH Urteil v. - III ZR 117/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB V § 126 Abs. 1; SGB V § 126 Abs. 1 Satz 2; SGG § 141 Abs. 1; ZPO § 139 Abs. 5; ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 4; ZPO § 161 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 296 Abs. 1; ZPO § 296 Abs. 4; ZPO § 411 Abs. 4 Satz 1; ZPO § 411 Abs. 4 Satz 2

Instanzenzug: LG Münster, 4 O 212/97 vom OLG Hamm, 11 U 100/02 vom

Tatbestand

Die Klägerin, die in R. von Anfang Oktober 1992 bis zur Geschäftsaufgabe Ende Dezember 1993 ein Sanitätshaus betrieb, begehrt von den beklagten Krankenkassen und Landesverbänden von Krankenkassen Schadensersatz wegen Verweigerung ihrer Zulassung als Leistungserbringerin für Hilfsmittel gemäß § 126 Abs. 1 SGB V. Sie hatte die Ladeneinrichtung sowie zwei Vollzeit- und eine Halbtagsbeschäftigte eines in der Nähe betriebenen Sanitätshauses übernommen, das seine Tätigkeit kurz zuvor eingestellt hatte.

Der Zulassungsantrag der Klägerin vom blieb zunächst unbeschieden. Die Klägerin hatte zwar die Geltung des von den Innungen für Orthopädietechnik Nordrhein-Westfalen mit den Landesverbänden der Krankenkassen in Nordrhein-Westfalen geschlossenen Vertrages über eine Benennungs- und Preisliste für Bandage- und orthopädische Hilfsmittel anerkannt. Die Beklagten waren indes der Auffassung, dass dies nach § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht genüge, weil die Klägerin kein vollwertiges Innungsmitglied sei und keinen Meisterbetrieb unterhalte. Sie hielten vielmehr für erforderlich, dass sich die Klägerin zu einer Abrechnung auf der Grundlage erheblich niedrigerer Preise bereit fände, die jeweils um 48 % über den Einkaufspreisen des Hilfsmittels lagen. Auf Antrag der Klägerin verpflichtete das Sozialgericht die Beklagten im Wege einstweiligen Rechtsschutzes durch Beschluss vom , die Klägerin zur Lieferung von Hilfsmitteln gemäß der Gruppe 2 der gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände vom bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zuzulassen. Auf die Beschwerde der Beklagten änderte das Landessozialgericht diese Entscheidung durch Beschluss vom dahin ab, die Klägerin sei mit der Maßgabe zuzulassen, dass Hilfsmittel mit den Einkaufspreisen und einem Aufschlag von 48 % zu vergüten seien. Im Anschluss hieran lehnten die Beklagten die Zulassung durch Bescheide vom 30. August, 3. September, 6. September und ab. In den Verfahren zur Hauptsache gegen die Beklagten zu 1, 3 und 4, in denen die Klägerin gegen die genannten Bescheide in der Gestalt inzwischen ergangener Widerspruchsbescheide Verpflichtungsklage erhob, beantragte diese zuletzt mit Rücksicht auf ihre Geschäftsaufgabe die Feststellung, dass die Versagung der von ihr beantragten Zulassung rechtswidrig gewesen sei. Das Sozialgericht gab den Klagen durch Urteile vom statt. Auf die Berufung der Beklagten zu 1 und 3 wies das Landessozialgericht die gegen diese gerichtete Klage mit Urteil vom ab. Auf die zugelassene Revision der Klägerin stellte das die erstinstanzlichen Entscheidungen gegen die Beklagten zu 1 und 3 wieder her. Zuvor hatte sich die Beklagte zu 2 mit der Klägerin am darauf verständigt, das Ergebnis dieses Revisionsverfahrens für und gegen sich gelten lassen zu wollen.

Die Klägerin macht geltend, die Aufgabe ihres Geschäftsbetriebs habe darauf beruht, dass die Beklagten ihr die Zulassung verweigert hätten. Bei amtspflichtgemäßer Erteilung der Zulassung hätte ihr Geschäft Ende des Jahres 1993 einen - im Fall eines Verkaufs erlösbaren - Unternehmenswert in Höhe der Gründungsaufwendungen von 250.000 DM zuzüglich der später geleisteten Privateinlage von 46.700 DM (= zusammen 151.700,30 €) gehabt. Zusätzlich zu diesem Substanzwert hätte sich bei ungestörtem Verlauf ein "Good-will" des Geschäftsbetriebs von 150.000 DM (= 76.693,78 €) erzielen lassen. Ferner hat sie den Ersatz von Mietkosten in Höhe von 93.615,19 DM (= 47.864,68 €) verlangt, die ihr im Hinblick auf das bis zum abgeschlossene Mietverhältnis entstanden seien. Das Landgericht hat der Klägerin 26.942,01 € nebst Zinsen zugesprochen, die sich aus 40.194 DM (= 20.550,87 €) für zu gering vergütete Hilfsmittel und 12.500 DM (= 6.391,14 €) als Ersatz für das Ausbleiben von Kunden zusammensetzen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten den Verurteilungsbetrag auf 20.550,87 € nebst Zinsen beschränkt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.

Gründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Allerdings geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass die Bediensteten der Beklagten, die als Beamte im haftungsrechtlichen Sinn durch Verwaltungsakt über die Zulassung nach § 126 Abs. 1 SGB V zu befinden hatten (vgl. Senatsbeschluss vom - III ZR 237/00 - WM 2002, 96 f), ihre Amtspflichten verletzt haben, indem sie die begehrte Zulassung als Leistungserbringerin für Hilfsmittel versagt haben. Das steht im Verhältnis zur Beklagten zu 4 aufgrund des Urteils des Sozialgerichts vom und im Verhältnis zu den Beklagten zu 1 und 3 aufgrund des im Rahmen der Rechtskraftwirkung nach § 141 Abs. 1 SGG mit Bindung für den Amtshaftungsprozess fest (vgl. Senatsurteil BGHZ 175, 221, 225 Rn. 10 zu § 121 VwGO). Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf den Beklagten zu 2, der mit der Klägerin in unverjährter Zeit übereingekommen ist, dass das Ergebnis des durch das Urteil des Bundessozialgerichts abgeschlossenen Revisionsverfahrens auch für und gegen ihn gelten solle.

2. Zutreffend und mit eingehender Begründung hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass den Bediensteten der Beklagten - ungeachtet der Entscheidung des Landessozialgerichts im Hauptsacheverfahren - ein Verschulden vorzuwerfen ist, weil sie sich bei ihrer Gesetzesauslegung über den klaren und eindeutigen Wortlaut des § 126 Abs. 1 SGB V hinweggesetzt haben und hätten erkennen müssen, dass sie die Zulassung nicht von dem Abschluss einer individuellen Vereinbarung über die von den Beklagten zu zahlenden Preise abhängig machen durften.

3. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Schadensersatzanspruch von 20.550,87 € zugebilligt, weil ihr die Möglichkeit vorenthalten worden sei, die in der fraglichen Zeit abgegebenen Hilfsmittel auf der Grundlage der Bemessungs- und Preisliste abzurechnen. Einen weitergehenden Schadensersatzanspruch hat das Berufungsgericht jedoch für nicht begründet gehalten, weil sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen lasse, dass das Sanitätshaus bei Erteilung der beantragten Zulassung wirtschaftlich erfolgreich hätte betrieben werden können und allein die Verweigerung der Zulassung ausschlaggebend für den Entschluss der Klägerin gewesen sei, ihren Geschäftsbetrieb einzustellen. Diese Beurteilung hält den Verfahrensrügen der Klägerin nicht stand.

a) Die Klägerin rügt zum einen, dass das Berufungsgericht über die Anhörung des Sachverständigen Deitmer keinen Berichterstattervermerk erstellt hat.

Nach § 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO brauchen Feststellungen (unter anderem) nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO, zu denen auch die Aussagen der Sachverständigen gehören, nicht in das Protokoll aufgenommen zu werden, wenn das Prozessgericht die Vernehmung durchführt und das Endurteil der Berufung oder der Revision nicht unterliegt; sonst müssen sie protokolliert werden. Von der Protokollierungspflicht ist das Gericht auch dann nicht entbunden, wenn - wie hier - das Endurteil der Nichtzulassungsbeschwerde unterliegt (vgl. - NJW 2003, 3057, 3058). In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass anstelle der Aufnahme in ein Protokoll auch die Wiedergabe in einem Berichterstattervermerk genügt (vgl. - NJW 1991, 1547, 1548 f), womit sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom einverstanden erklärt haben. Ein Berichterstattervermerk ist indes wegen einer dauerhaften Erkrankung des Berichterstatters im Anschluss an die abschließende Beratung nach der Schlussverhandlung vom nicht mehr erstellt worden. Das Berufungsgericht hat die Aussagen des Sachverständigen auch nicht in seinem Urteil festgehalten (vgl. hierzu - VersR 1989, 189; vom - XII ZR 126/91 - NJW-RR 1993, 1034), so dass in Bezug auf seine Angaben eine revisionsrechtliche Überprüfung nicht möglich ist (vgl. - NJW 1995, 779, 780).

Der Revisionserwiderung kann nicht darin gefolgt werden, dass der Mangel des Berichterstattervermerks deshalb ohne Bedeutung sei, weil sich das Berufungsgericht in seiner Würdigung ausschließlich auf das schriftlich erstattete Sachverständigengutachten gestützt habe. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen war Teil der Beweisaufnahme, auch wenn der Sachverständige keinen Anlass gehabt haben sollte, die Angaben in seinem schriftlich erstatteten Gutachten zu modifizieren oder zu ändern; dementsprechend würdigt auch das Berufungsgericht das schriftlich erstattete Gutachten unter dem Eindruck der durchgeführten Anhörung.

Der Mangel des Berichterstattervermerks ist auch nicht deshalb bedeutungslos, weil sich das Berufungsgericht mit einzelnen Gesichtspunkten in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom beschäftigt hat. Diese Ausführungen lassen nur erkennen, dass die Klägerin dem Sachverständigen Vorhalte in seiner Anhörung gemacht hat, die das Berufungsgericht zum Teil nicht zugelassen und im Übrigen für nicht erheblich gehalten hat. Mangels einer Protokollierung oder Niederlegung in einem Berichterstattervermerk oder einer - von der übrigen Würdigung getrennten - Wiedergabe im Urteil ist dem Senat insoweit eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht möglich.

b) Darüber hinaus rügt die Klägerin zu Recht, dass das Berufungsgericht einzelne Fragen an den Sachverständigen nicht zugelassen hat.

Im Ansatz hat die Klägerin allerdings ihre aus § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO folgende Pflicht verletzt, dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten sowie die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Indessen hat das Berufungsgericht davon abgesehen, den Parteien für ihre Fragen eine Frist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO zu setzen. Unter diesen Umständen gab es keine Rechtsgrundlage, das Fragerecht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu beschränken. Für die entsprechend anwendbare Vorschrift des § 296 Abs. 1, 4 ZPO fehlten jedenfalls die Voraussetzungen. Das Berufungsgericht war auch nicht berechtigt, gewissermaßen im Vorfeld "zur Gewährleistung der Waffengleichheit und eines fairen Verfahrens" Vorhalte der Klägerin von der Zulassung auszunehmen, deren Tatsachengrundlage noch nicht Akteninhalt geworden war und von den Beklagten in ihrer Aussagekraft nicht nachvollzogen oder zutreffend eingeschätzt werden konnte. Konnte der Sachverständige solche Fragen nicht beantworten, mag eine Prüfung möglich gewesen sein, ob es sich um neues Vorbringen handelte, das nach den allgemeinen Vorschriften des Berufungsverfahrens nicht zugelassen werden konnte. Das lässt sich aber den allgemeinen Wendungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen. Vielmehr ging es - wenn man den Schriftsatz der Klägerin vom heranzieht - bei der Befragung des Sachverständigen im Wesentlichen um die Plausibilität seiner Begutachtung und den aus der Sicht der Klägerin nachvollziehbaren Vorhalt, sie habe mit ihren anderen Geschäftsbetrieben in den neuen Bundesländern Erfahrungen gemacht, mit denen die Einschätzung durch den Sachverständigen nicht zu vereinbaren sei. Auch die im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom als gestellt genannten Fragen waren durchaus eine Beantwortung durch den Sachverständigen wert. Dies gilt etwa für den Vorhalt, dass es im Jahr 2006 - bei einer weitaus geringeren Leistungserstattung in der sozialen Krankenversicherung als 1993 - seit Jahren vier Sanitätshäuser in R. gebe, die existieren könnten, während dies 1993 nur zwei gewesen seien. Die Stadt R. habe ein Einzugsgebiet von etwa 85.000 Menschen. Nach einer Statistik des Bundesinnungsverbands genüge für die Existenz eines Sanitätshauses eine Versorgung von 20.000 Einwohnern. Diese Fragen werden vom Berufungsgericht nicht behandelt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie dem Sachverständigen zur Beantwortung vorgelegt worden wären und was er zu ihnen bemerkt hat. Insoweit kann das Berufungsgericht die Klägerin auch nicht darauf verweisen, sie habe nach Erläuterung der Zurückweisung ihrer Fragen versäumt, nach § 139 Abs. 5 ZPO eine Schriftsatzfrist für ergänzendes Vorbringen zu beantragen. Denn es geht nicht um die in dieser Bestimmung behandelte Gestaltung, dass sich eine Partei zu einem gerichtlichen Hinweis nicht sofort erklären kann, sondern um die dem Gericht obliegende Gewährleistung der Verfahrensrechte der Klägerin im Zusammenhang mit der Anhörung des Sachverständigen.

c) Das Berufungsgericht wird daher die Anhörung des Sachverständigen zu wiederholen haben. Insoweit hat die Klägerin im weiteren Verfahren Gelegenheit, auf ihre im Revisionsverfahren erhobenen sonstigen Einwände gegen die Beweiswürdigung zurückzukommen.

Fundstelle(n):
YAAAC-94677

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein