Leitsatz
[1] Die Regelung des § 114 Abs. 3 InsO schließt die Anwendbarkeit der Anfechtungsvorschriften auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hinsichtlich der Bezüge eines Arbeitnehmers nicht aus.
Gesetze: InsO § 114 Abs. 3; InsO §§ 129 ff
Instanzenzug: LG Frankfurt/Main, 2/4 O 317/03 vom OLG Frankfurt/Main, 2 U 100/04 vom
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des H. (im Folgenden: Schuldner). Dieser war seit Mai 2001 zahlungsunfähig und beantragte am die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Er stand seit dem als Arbeitnehmer in einem festen Anstellungsverhältnis.
Aufgrund einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamtes, die am der Arbeitgeberin des Schuldners als Drittschuldnerin zugestellt worden war, pfändete das beklagte Land wegen bestehender Steuerschulden des Schuldners aus dem Betrieb einer Gastwirtschaft die pfändbaren Bezüge seines Arbeitseinkommens.
Der Kläger begehrt von dem beklagten Land aus Insolvenzanfechtung die Rückzahlung der in der Frist des § 131 InsO, also in der Zeit vom bis zur Insolvenzeröffnung am , eingezogenen Beträge von 6.195,03 €.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.
Gründe
Das Rechtsmittel ist begründet. Es führt zur antragsgemäßen Verurteilung des beklagten Landes.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, eine Anfechtbarkeit der durch die Pfändungs- und Einziehungsverfügung bewirkten Befriedigung des beklagten Landes in dem streitigen Zeitraum sei nicht gegeben. Die berechtigende Grundlage der vorgenommenen Einziehung sei die am zugestellte Pfändungs- und Überweisungsverfügung. Hierdurch habe der Beklagte außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 131 InsO ein anfechtungsfestes Pfandrecht an den Gehaltsforderungen und damit ein Absonderungsrecht erworben. Der Umstand, dass die streitige Befriedigung durch die Leistungen der Drittschuldnerin jeweils erst in der kritischen Zeit eingetreten sei, sei unerheblich. Die Wirkung der Pfändung sei schon am eingetreten, weil die Lohn- und Gehaltsansprüche des Schuldners bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages entstanden seien. Dies sei der für die Anfechtung gemäß § 140 InsO maßgebliche Zeitpunkt. Bestätigt werde dies durch die Wertung des § 832 ZPO sowie dadurch, dass der Schuldner eine durch soziale Vorschriften besonders abgesicherte Rechtsposition innehabe. Er habe nicht mit dem Verlust seiner Vergütungsansprüche in der Zukunft zu rechnen gehabt. Diese seien auch nicht zwingend von der Erbringung seiner Dienste abhängig gewesen. Dieses Ergebnis folge auch aus § 114 Abs. 3 InsO, aus dem sich im Umkehrschluss ergebe, dass eine Zwangsvollstreckung vor dem dort angeordneten Zeitraum der Unwirksamkeit wirksam und nicht anfechtbar sein solle.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Kläger hat die streitigen Zahlungen der Drittschuldnerin an das beklagte Land gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO wirksam angefochten; das beklagte Land hat sie deshalb nebst Zinsen an den Kläger zurückzugewähren, § 143 Abs. 1 InsO.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist eine während der "kritischen" Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent anzusehen (BGHZ 136, 309, 311 ff; 155, 75, 82 f; 157, 350, 353; 167, 11, 14 f Rn. 9; , ZIP 2002, 1159, 1160). Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Diese schon im früheren Recht angelegte Ordnung ist durch § 131 InsO zeitlich deutlich nach vorn verlagert worden. Die Vorschrift verdrängt in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag und in der Zeit nach dem Eröffnungsantrag bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger (BGHZ 167, 11, 15 Rn. 9; aaO; v. - IX ZR 194/02, ZIP 2003, 1304, 1305). Daher begründet ein nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag wirksam gewordenes Pfandrecht in der Insolvenz kein anfechtungsfestes Absonderungsrecht nach § 50 Abs. 1 InsO, wenn der Schuldner zur Zeit der Rechtshandlung zahlungsunfähig war (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO). Sofern das Pfandrecht dagegen vorher entstanden und auch aus sonstigen Gründen nicht anfechtbar ist, kann die anschließende Befriedigung durch Zahlung nicht mehr angefochten werden, weil sie die Gläubiger nicht benachteiligt (BGHZ 157, 350, 353; 162, 143, 156; , ZIP 2000, 898).
2. Gemäß § 140 Abs. 1 InsO ist für die Anfechtbarkeit des Pfändungspfandrechts auf die Entstehung der jeweiligen Lohnforderung abzustellen. Diese entsteht mit Erbringung der geschuldeten Dienstleistung.
a) Die Bestimmung des Zeitpunkts der Vornahme einer Rechtshandlung regelt § 140 InsO. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem die rechtlichen Wirkungen der Handlung eintreten. Die Norm bringt den Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass der Zeitpunkt entscheiden soll, in dem durch die Handlung eine Rechtsposition begründet worden ist, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne die Anfechtung beachtet werden müsste (BGHZ 157, 350, 353 f), die Rechtshandlung also die Gläubigerbenachteiligung bewirkt (BGHZ 167, 11, 16 Rn. 13). Bei bedingten oder befristeten Rechtshandlungen bleibt demzufolge der Eintritt der Bedingung oder des Termins außer Betracht (§ 140 Abs. 3 InsO); denn bedingte oder befristete Forderungen werden im Insolvenzverfahren berücksichtigt (§§ 41, 42, 191 InsO; vgl. BGHZ 159, 388, 396). Eine Forderungspfändung ist grundsätzlich zu dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem der Pfändungsbeschluss dem Drittschuldner zugestellt wird, weil damit ihre rechtlichen Wirkungen eintreten (§ 829 Abs. 3 ZPO). Dasselbe gilt für die Zustellung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamtes (§ 309 Abs. 2 Satz 1 AO). Soweit sich die Pfändung jedoch auf eine künftige Forderung bezieht, wird ein Pfandrecht erst mit deren Entstehung begründet, so dass auch anfechtungsrechtlich auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist (BGHZ 157, 350, 354; , ZIP 1998, 793, 798; v. - IX ZR 166/02, ZIP 2003, 808, 809; BFH ZIP 2005, 1182, 1183).
b) Maßgebend für den Beginn des von § 131 InsO erfassten Drei-Monats-Zeitraums vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der am eingegangene Insolvenzantrag, der zur Eröffnung des Verfahrens geführt hat (§ 139 Abs. 1 Satz 1 InsO).
c) Die von dem beklagten Land erlassene Pfändungs- und Überweisungsverfügung erfasste die pfändbaren Teile des Arbeitseinkommens des Insolvenzschuldners. Die Zustellung an die Drittschuldnerin erfolgte vor dem , also außerhalb des von § 131 InsO geschützten Zeitraums.
aa) Der Anspruch auf Vergütung für geleistete Dienste entsteht jedoch nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung erst mit der Erbringung der Dienstleistung (RGZ 142, 291, 295; BGHZ 167, 363, 366 Rn. 7; , ZIP 1997, 513, 514; BAG NJW 1993, 2699, 2700; vgl. ferner Jaeger/Henckel, InsO § 140 Rn. 13; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 146 Rn. 9c; HmbK-InsO/Rogge, 2. Aufl. § 140 Rn. 14a; a.A. Kübler/Prütting/Paulus, InsO § 140 Rn. 4; Flöther/Bräuer NZI 2006, 136, 144). Der Vertragsschluss als solcher reicht nicht aus, weil der Vertrag durch Kündigung beendet werden oder der Arbeitnehmer die ihm obliegende Leistung ohne Gründe, die einen Anspruch auf Lohnfortzahlung begründen, verweigern kann. In beiden Fällen hat er gemäß §§ 320, 614 BGB keinen Vergütungsanspruch. Entgegen der Auffassung der Vordergerichte ist deshalb der Lohnanspruch des Schuldners für den hier interessierenden Anfechtungszeitraum nicht bereits durch den Abschluss des Arbeitsvertrages mit der Drittschuldnerin entstanden. Er entstand erst mit der Erbringung der jeweiligen Dienstleistung.
bb) § 140 Abs. 3 InsO findet keine Anwendung. Die Pfändung einer künftigen Forderung steht weder unter einer Bedingung noch unter einer Befristung. § 140 Abs. 3 InsO betrifft nur Fälle der rechtsgeschäftlichen Bedingung oder Befristung im Sinne der §§ 158 ff BGB. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen als solche fallen deshalb nicht unter § 140 Abs. 3 InsO (BGHZ 167, 11, 17 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO § 140 Rn. 50a; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 140 Rn. 13; Kübler/Prütting/Paulus, aaO § 140 Rn. 10; Jaeger/Henckel, aaO § 140 Rn. 55).
Im Übrigen setzt § 140 Abs. 3 InsO voraus, dass die Rechtshandlung des Schuldners, an die angeknüpft werden soll, dem Gläubiger bereits eine gesicherte Rechtsposition verschafft hat (BGHZ 156, 350, 356; , ZIP 2007, 1507, 1509 Rn. 17). Eine solche unentziehbare Rechtsposition hatte der Schuldner und damit die Beklagte bei Zustellung der Pfändungs- und Überweisungsverfügung hinsichtlich der im fraglichen Zeitraum entstehenden Vergütungsansprüche gerade noch nicht erlangt.
d) Die Vorschrift des § 832 ZPO steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Die Bestimmung macht eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Pfändung künftige Ansprüche nur erfasst, wenn dies ausdrücklich angeordnet wird; bei fortlaufend zur Entstehung gelangenden Bezügen soll es gerade umgekehrt sein (MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl. § 832 Rn. 2; Musielak/Becker, ZPO 6. Aufl. § 832 Rn. 1; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 832 Rn. 1). Die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nach bestimmten Zeiträumen entstehenden Forderungen sollen auch durch einen einzigen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfasst werden können (BAG aaO). Konsequenz dieser Regelung ist die Vorschrift des § 114 Abs. 3 InsO. Denn diese bestimmt, in welchem Umfang Lohnpfändungen - auch künftiger Forderungen - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch wirksam sind. § 114 Abs. 3 InsO will also eine vom Insolvenzgläubiger durch Pfändung erreichte Sicherung für einen bestimmten Zeitraum abweichend von § 91 Abs. 1 InsO privilegieren (vgl. BGHZ 167, 363, 367 Rn. 9 bis 12; , ZIP 2006, 2276, 2277 Rn. 9 f).
e) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schließt § 114 Abs. 3 InsO jedoch die Anfechtung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht aus.
Die Vorschrift bestimmt als Ausnahme zu § 91 Abs. 1 InsO lediglich, inwieweit die Zwangsvollstreckung in künftige Bezüge nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch wirksam ist. Eine weitergehende, auch andere Vorschriften der Insolvenzordnung überlagernde Gültigkeitsanordnung ist daraus entgegen der Ansicht der Vordergerichte nicht zu entnehmen.
Nicht ausgeschlossen ist insbesondere die Möglichkeit, Rechtshandlungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung anzufechten. Die Wirksamkeit solcher Handlungen wird in § 114 Abs. 3 InsO nicht geregelt. Der Umstand, dass § 114 Abs. 3 Satz 3 InsO die Regelung der Rückschlagsperre (§ 88 InsO) unberührt lässt, erlaubt nicht den Gegenschluss, andere Regelungen, die die Zeit vor Verfahrenseröffnung betreffen, seien nicht anwendbar.
Zum einen war sich der Gesetzgeber bei Schaffung des § 114 Abs. 3 InsO über die Wirkungen dieser Vorschrift im Unklaren. Es nahm an, sie enthalte eine Gültigkeitseinschränkung; in Wirklichkeit bedeutet sie eine Gültigkeitsanordnung (vgl. im Einzelnen BGHZ 167, 363, 367 Rn. 10; aaO). Darüber hinaus hätte § 88 InsO auch ohne den klarstellenden Vorbehalt Anwendung gefunden, weil § 114 Abs. 3 InsO den Regelungszeitraum des § 88 InsO nicht erfasst. Jedenfalls ergibt sich aus § 114 Abs. 3 InsO kein Anhaltspunkt, dass die neben der Rückschlagsperre immer anwendbaren, allerdings unter strengeren Voraussetzungen stehenden Anfechtungsvorschriften (hier: bei der Befriedigung des Gläubigers) keine Anwendung finden sollten. Es ist deshalb zu Recht allgemeine Meinung, dass die Anwendbarkeit der §§ 129 ff InsO durch § 114 Abs. 3 InsO nicht ausgeschlossen ist (MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers, aaO § 114 Rn. 45; MünchKomm-InsO/Breuer aaO § 88 Rn. 16; Nerlich/Römermann/Kießner, InsO § 114 Rn. 49; Kübler/Prütting/Lüke, aaO § 88 Rn. 10 Fn. 29).
3. Die Gläubigerbenachteiligung kann daher mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Sie liegt vielmehr auf der Hand, weil die zur Befriedigung aller Gläubiger zur Verfügung stehende Insolvenzmasse vermindert worden ist.
III.
Das angefochtene Urteil kann damit nicht bestehen bleiben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Aufhebung des Urteils erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis. Danach ist die Sache zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 131 Abs. 1 InsO sind gegeben. Der Klage ist deshalb stattzugeben. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (BGHZ 171, 38, 43 Rn. 13 ff).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2008 S. 1441 Nr. 20
WM 2008 S. 1460 Nr. 31
ZIP 2008 S. 1488 Nr. 32
OAAAC-85244
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja