BGH Urteil v. - IX ZR 109/05

Leitsatz

[1] Die Abtretung einer Forderung auf künftige Bezüge aus einem Dienstverhältnis ist auch dann in der Zeit vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende des zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Monats wirksam, wenn die Forderung vor der Abtretung von einem anderen Gläubiger gepfändet worden war.

Gesetze: InsO § 114; ZPO § 829 Abs. 1 Satz 2; BGB § 135; BGB § 136

Instanzenzug: AG Herford 12 C 1425/04 vom LG Bielefeld 20 S 21/05 vom

Tatbestand

Der Beklagte ist Treuhänder in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des S. (fortan: Schuldner). Der Schuldner hatte der Rechtsvorgängerin der Klägerin am den der Pfändung unterworfenen Teil seiner gegenwärtigen und künftigen Ansprüche auf Arbeitsentgelt jeder Art zur Sicherheit für einen Kredit abgetreten. Bereits zuvor, am , hatte die W. AG einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über die pfändbaren Bezüge des Schuldners erwirkt.

Die Klägerin verlangt die Auskehrung der pfändbaren Beträge des Gehalts des Schuldners für die Monate Januar bis April 2004 sowie teilweise für Mai 2004 in Höhe von insgesamt 2.345 Euro nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt; das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung des Beklagten.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Pfändung von Dienstbezügen werde gemäß § 114 Abs. 3 InsO spätestens mit Ablauf des auf die Eröffnung folgenden Kalendermonats unwirksam. Die Abtretung von Dienstbezügen verliere demgegenüber gemäß § 114 Abs. 1 InsO erst nach Ablauf von zwei Jahren von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an ihre Wirkung. Da das Insolvenzverfahren am eröffnet worden sei, sei die Abtretung bei wortgetreuer Anwendung des Gesetzes im Zeitraum von Januar bis Mai 2004 wirksam. Dieses Ergebnis widerspreche jedoch dem Sinn und Zweck der Regelungen des § 114 InsO ebenso wie der erklärten Absicht des Gesetzgebers, die Insolvenzmasse zu erweitern und der Restschuldbefreiung die Grundlage zu erhalten. Zwar sollten Abtretungs- und Verpfändungsgläubiger besser gestellt werden als Pfändungspfandgläubiger. Von der Entwertung einer vorhandenen Sicherheit könne jedoch nicht gesprochen werden, wenn eine Abtretung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen einer vorrangigen Pfändung wertlos gewesen sei. Das nicht erwünschte Ergebnis sei im Wege der teleologischen Reduktion der Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO zu korrigieren.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klägerin hat Anspruch auf Auskehrung des pfändbaren Teils der Dienstbezüge des Schuldners für die Monate Januar bis Mai 2004.

1. Die Abtretung der Ansprüche auf den pfändbaren Teil des Arbeitsentgelts an die Klägerin am verstieß wegen der vorrangigen Pfändung gegen das Verfügungsverbot des § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO und war deshalb gemäß §§ 136, 135 BGB dem durch dieses Verbot geschützten Pfändungspfandgläubiger gegenüber unwirksam. Eine gegen ein nur relativ wirkendes Verfügungsverbot verstoßende Verfügung wird jedoch in vollem Umfang wirksam, wenn das Verbot aufgehoben wird, der von ihm Geschützte die Verfügung genehmigt (, NJW 1997, 1581, 1582) oder das durch das Verbot geschützte Recht entfällt (Staudinger/Kohler, BGB (Bearb. 2003) § 135 Rn. 64). Das Pfändungspfandrecht ist gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 InsO mit Ablauf des Monats Dezember 2003 unwirksam geworden. Damit entfiel auch das mit ihm verbundene Verfügungsverbot. Die Abtretung behält demgegenüber gemäß § 114 Abs. 1 InsO im dort genannten Zeitraum ihre Wirksamkeit. Der pfändbare Teil der Dienstbezüge des Schuldners gebührt für die Zeit vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende des zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Kalendermonats der Klägerin.

2. Die Vorschrift des § 91 Abs. 1 InsO, nach der Rechte an Gegenständen der Insolvenzmasse von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an nicht wirksam erworben werden können, steht nicht entgegen. Die durch die Pfändung der Forderung eingetretene Verfügungsbeschränkung wirkt gemäß §§ 136, 135 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zugunsten des Pfändungsgläubigers (BGHZ 58, 25, 26 f; 100, 35, 45). Nur gegenüber der W. AG war die Abtretung vom also wirkungslos. Im Verhältnis zum Schuldner war sie dagegen von Anfang an wirksam, nicht erst seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Ablauf der Frist des § 114 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO.

3. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO erfordern nicht, dieses Ergebnis für den hier vorliegenden Fall eines vorrangigen Pfändungspfandrechts einzuschränken.

a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts dient § 114 Abs. 1 InsO nicht dem Schutz und der Erweiterung der Insolvenzmasse. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 132 InsO-E, dem jetzigen § 114 InsO, sollten Vorausabtretungen, Verpfändungen und Pfändungen zwar eingeschränkt werden, um zu gewährleisten, dass die pfändbaren laufenden Bezüge eines Arbeitnehmers während eines längeren Zeitraums nach der Beendigung des Verfahrens für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen (BT-Drucks. 12/2443, S. 150 f). Bei dieser Begründung scheint jedoch nicht bedacht worden zu sein, dass die Abtretung künftiger Forderungen nach § 91 Abs. 1 InsO unwirksam ist, soweit der abgetretene Anspruch erst nach der Eröffnung des Verfahrens entsteht (BGHZ 162, 187, 190; , ZIP 2003, 808, 809; MünchKomm-InsO/Ganter, vor §§ 49 bis 52 Rn. 23; zu § 15 KO ebenso BGHZ 135, 140, 145; , NJW 1955, 544; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 15 Rn. 44). Der Gesetzgeber des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetzes vom (BGBl. I S. 2710) hat dieses Versehen bemerkt und Sinn und Zweck des § 114 Abs. 1 InsO abweichend von der Begründung des Regierungsentwurfs beschrieben. Danach soll § 114 Abs. 1 InsO es auch demjenigen Personenkreis ermöglichen, sich einen Kredit zu beschaffen, der in der Regel nur die Abtretung von Bezügen aus abhängiger Tätigkeit als Sicherheit anbieten kann (BT-Drucks. 14/5680, S. 17). § 114 Abs. 1 InsO stellt insoweit eine Ausnahmevorschrift zu § 91 Abs. 1 InsO dar (, ZIP 2006, 1254, 1256, z.V. in BGHZ bestimmt).

b) Die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO soll also die Sicherheit privilegieren, die in der Abtretung von Arbeitseinkommen liegt. Diesem Zweck würde es zuwiderlaufen, sie dann nicht anzuwenden, wenn die Abtretung des Anspruchs auf Dienstbezüge aufgrund einer vorrangigen Pfändung zunächst gegenüber dem Pfändungspfandgläubiger relativ unwirksam ist.

4. Der Fall einer vorrangigen Pfändung ist auch nicht deshalb aus dem Anwendungsbereich des § 114 Abs. 1 InsO auszunehmen, weil die Sicherungsabtretung in einem solchen Fall nicht werthaltig wäre. Im Zeitpunkt der Abtretung hat der Pfändungspfandgläubiger zwar das bessere Recht. Auf diesen Zeitpunkt kommt es jedoch nicht an. Eine Sicherungsabtretung wird typischerweise erst dann offengelegt, wenn die gesicherte Forderung nicht mehr bedient wird. Erst wenn der Sicherungsfall eintritt, muss die Sicherheit sich bewähren. Die vorrangige Pfändung kann dann längst erledigt sein. Selbst wenn sie jedoch noch besteht, ist die in der Abtretung bestehende Sicherheit nicht wertlos. Ihr Wert liegt gerade darin, dass sie im Gegensatz zum Pfändungspfandrecht in einem Zeitraum von zwei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Sicherungsgebers insolvenzfest ist. Die Absicht des Gesetzgebers, Sicherungsabtretungen von Arbeitsentgelt in der Insolvenz des Sicherungsgebers zu privilegieren, kommt also auch im Fall einer vorrangigen Pfändung zum Tragen.

5. Die Interessen des Pfändungspfandgläubigers oder der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger verlangen schließlich ebenfalls keine einschränkende Auslegung des § 114 Abs. 1 InsO. Die Rechte des Pfändungspfandgläubigers erlöschen gemäß § 114 Abs. 3 InsO unabhängig davon, ob später eine Abtretung erfolgt ist oder nicht. Den Interessenkonflikt zwischen der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger und dem Abtretungsempfänger hat der Gesetzgeber bewusst zugunsten des Abtretungsempfängers gelöst. Für einen Zeitraum von zwei Jahren gehen dessen Interessen denjenigen der Gesamtheit der Gläubiger vor.

III.

Das angefochtene Urteil kann damit nicht bestehen bleiben. Weil die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine eigene Sachentscheidung zu treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung des Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Amtsgerichts ist zurückzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2007 S. 519 Nr. 10
DB 2007 S. 52 Nr. 1
NJW 2007 S. 81 Nr. 1
WM 2006 S. 2315 Nr. 49
ZIP 2006 S. 2276 Nr. 49
QAAAC-31289

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja