BGH Urteil v. - 3 StR 376/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 347 Abs. 1; StPO § 354 Abs. 1 a Satz 2

Instanzenzug: LG Krefeld, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bleibt im Wesentlichen ohne Erfolg. Soweit sie sich gegen den Schuld- und den Strafausspruch richtet, hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Urteil ist lediglich um eine Kompensation für einen Konventionsverstoß zu ergänzen.

1. Nach Eingang der Revisionsbegründung beim Landgericht am ist es zu einer Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) gekommen. Dafür, dass der Vorsitzende erst mit Verfügung vom die Sache der Staatsanwaltschaft gemäß § 347 Abs. 1 StPO vorgelegt hat, fehlte es an einem sachlichen Grund. Mit der Weiterleitung der Akten in dem aus einem größeren Verfahrenskomplex abgetrennten Verfahren gegen den Angeklagten durfte er nicht warten, bis das Verfahren gegen den Hauptangeklagten D. zum Abschluss gekommen war, sondern hätte im erforderlichen Umfang - der Angeklagte war nur wegen einer Beihilfetat verurteilt worden - Doppelakten anlegen lassen müssen. Durch das Versäumnis ist eine unangemessene Verfahrensverzögerung von etwa einem Jahr und zwei Monaten eingetreten.

Diesen Umstand hat der Senat von Amts wegen zu berücksichtigen. Der Erhebung einer Verfahrensrüge bedarf es im vorliegenden Fall nicht (BGH NStZ 2001, 52; NStZ-RR 2005, 320). Über die nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorzunehmende Art der Kompensation ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - GS - Beschl. vom - GSSt 1/07 = NJW 2008, 860; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt - dazu 2.) kann der Senat hier aufgrund der Hauptverhandlung und eines Antrags des Generalbundesanwalts selbst entscheiden (dazu 3.). Dies führt dazu, dass ein Monat der erkannten Freiheitsstrafe als verbüßt angerechnet wird (dazu 4.).

2. Die nach der Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung notwendige Kompensation erfolgt nicht länger durch einen bezifferten Abschlag von der eigentlich verwirkten schuldangemessenen Strafe ("Strafabschlagslösung"), sondern durch einen nach der eigentlich Strafzumessung vorzunehmenden gesonderten Schritt: In der Urteilsformel ist auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt. Es kann aber im Einzelfall auch ausreichen, dass zur Kompensation die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt wird (BGH aaO Rdn. 56).

Damit wird der Ausgleich für ein dem Staat zuzurechnendes, das Gebot zügiger Verfahrensführung verletzendes Verhalten von Fragen des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe abgekoppelt (BGH aaO Rdn. 36). Er ist allein an der Intensität der Beeinträchtigung des subjektiven Rechts des Betroffenen aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auszurichten und aufgrund einer wertenden Betrachtung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung; Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane, Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten) zu bemessen (BGH aaO Rdn. 35, 42, 56).

3. Über die Kompensation kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO selbst entscheiden (vgl. zur Berücksichtigung von Verfahrensverzögerungen nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils durch das Revisionsgericht BGHR StPO § 354 Abs. 1 a Satz 2 Herabsetzung 1; Senat, Urt. vom - 3 StR 493/06 - Verfassungsbeschwerde verworfen durch BVerfG [Kammer] NStZ 2007, 710). Daran hat der Wechsel von der Strafabschlagslösung zur Vollstreckungslösung nichts geändert. Es handelt sich, auch wenn die Kompensation nunmehr - losgelöst von der eigentlichen Strafzumessung - unter Entschädigungsgesichtspunkten erfolgt, um eine Zumessung der Rechtsfolgen im Sinne dieser Vorschrift. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, zwei Monate der Strafe für vollstreckt zu erklären. In der Hauptverhandlung vor dem Senat (vgl. BVerfG [Kammer] NStZ 2007, 710, 711; BGHR StPO § 354 Abs. 1 a Verfahren 2) hatte der Angeklagte Gelegenheit vorzutragen, wie sich die Verfahrensverzögerung für ihn ausgewirkt hat.

4. Der Senat stellt fest, dass von der verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten ein Monat Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Eine weitergehende Kompensation kommt nicht in Betracht und wäre deshalb nicht mehr angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO. Zwar hat der Vorsitzende die Sache über einen erheblichen Zeitraum liegen lassen, wodurch sich für den Angeklagten der Beginn der Bewährungszeit hinausgeschoben und der Zeitraum verlängert hat, in welchem bei erneuter Straffälligkeit ein Widerruf der Strafaussetzung möglich ist (vgl. § 56 a Abs. 2 Satz 1, § 56 f Abs. 1 Satz 2 StGB). Indes war das Vorgehen des Vorsitzenden - was den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht ungeschehen macht, aber bei dessen Gewichtung bedeutsam ist - der Bemühung geschuldet, das Verfahren gegen den Haupttäter zügig fortzusetzen. Zudem hatte die Verzögerung auf den Angeklagten erkennbar nur geringe Auswirkungen, weil sie nach dem Urteil des Landgerichts eintrat und der Angeklagte sich in Freiheit befand. Er war demnach weder durch die Ungewissheit, wie der Tatrichter in seiner Sache entscheiden würde, noch durch die fortdauernde Teilnahme an einer Hauptverhandlung und erst recht nicht durch Untersuchungshaft beeinträchtigt. Zudem war wegen der Bewährungsstrafe mit dem Eintritt der Rechtskraft ein Strafantritt und damit ein Einschnitt in die Lebenssituation für den Angeklagten nicht zu befürchten.

5. Die gegen die Verurteilung insgesamt gerichtete Revision hat nur einen geringen Teilerfolg, so dass es nicht unbillig ist, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

Fundstelle(n):
wistra 2008 S. 303 Nr. 8
RAAAC-78047

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