Leitsatz
Ist ein Bebauungsplan mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden, kann die Hinnahme eines Ausgleichsdefizits abwägungsfehlerfrei sein, wenn dies mit der Unzulänglichkeit rechnerischer Verfahren zur Bewertung von Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft und deren Ausgleich begründet wird.
Gesetze: BauGB § 1 Abs. 6; BauGB § 1 Abs. 7; BauGB § 1a Abs. 3
Instanzenzug: OVG Münster OVG 7 D 43/06 .NE vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
Der Revisionszulassungsgrund der Divergenz liegt vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (vgl. BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712; stRspr). Die Beschwerde behauptet eine Divergenz zwischen dem Normenkontrollurteil (.NE - juris) und dem BVerwG 9 A 11.03 - (BVerwGE 121, 72 <80>). Das Bundesverwaltungsgericht habe den Rechtssatz aufgestellt, dass Eingriffe in Natur und Landschaft vollständig kompensiert werden müssten. Damit sei nicht vereinbar, dass das Oberverwaltungsgericht die Hinnahme eines Ausgleichsdefizits im einstelligen Prozentbereich billige. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Forderung nach vollständiger Kompensation eines Eingriffs zwar in Bezug auf Planfeststellungsbeschlüsse erhoben. Da diese Forderung aus § 8 BNatSchG a.F. und den diese Vorschrift umsetzenden landesrechtlichen Regelungen begründet worden sei, beziehe sie sich jedoch auch auf die Aufstellung von Bebauungsplänen, bei der die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung gemäß § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB anzuwenden sei.
Die Divergenzrüge greift nicht durch, weil sich die divergierenden Rechtssätze im Normenkontrollurteil und im (a.a.O.) nicht auf dieselbe Rechtsvorschrift beziehen. Der Maßstab, an dem das Bundesverwaltungsgericht das Ausgleichskonzept eines straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses gemessen hat, waren landesrechtliche Vorschriften des Naturschutzrechts, die in Ausfüllung des § 8 Abs. 2 BNatSchG a.F. ergangen waren. Naturschutzrecht ist hier nur insoweit maßgeblich, als es um die Feststellung geht, dass der Vollzug des umstrittenen Bebauungsplans mit einem Eingriff in Natur und Landschaft verbunden ist. Die Frage, ob der Eingriff vollständig ausgeglichen werden muss oder ob ein Ausgleichsdefizit hingenommen werden kann, beantwortet sich dagegen nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs (§ 21 Abs. 1 BNatSchG). Zu Recht hat deshalb das Oberverwaltungsgericht die Frage, ob die planbedingten Folgen des Eingriffs in Natur und Landschaft zutreffend bewältigt sind, anhand des § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB geprüft und seinen Rechtssatz, dass es gerechtfertigt sein könne, Ausgleichsdefizite hinzunehmen, zu dieser Vorschrift formuliert.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Auf die Frage, ob bei der Aufstellung eines Bebauungsplans ein naturschutzrechtliches Ausgleichsdefizit von weniger als zehn Prozent wegen der Schwächen des von der Gemeinde angewandten mathematisierten Bewertungsverfahrens abwägend hingenommen werden darf, lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Nach § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB sind die Vermeidung und der Ausgleich voraussichtlich erheblicher Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sowie der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts in seinen in § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchst. a BauGB bezeichneten Bestandteilen in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu berücksichtigen. Mangels gesetzlicher Vorgaben hat die planende Gemeinde die Aufgabe, die zu erwartenden Eingriffe zu bewerten und über Vermeidung, Ausgleich und Ersatzmaßnahmen abwägend zu entscheiden, in eigener Verantwortung zu erfüllen (vgl. BVerwG 4 NB 13.97 - BRS 59 Nr. 10). Dies lässt - freilich nur unterhalb der Schwelle der planerischen Beliebigkeit (vgl. BVerwG 4 NB 27.96 - BVerwGE 104, 68 <75>) - Raum für die Hinnahme von Ausgleichsdefiziten wegen der Unzulänglichkeiten jedes rechnerischen Verfahrens zur Bewertung von Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft und deren Ausgleich. Wo die Grenzen des Entscheidungsspielraums liegen, lässt sich nicht fallübergreifend klären. Das Oberverwaltungsgericht hat den Verzicht der Antragsgegnerin auf einen vollständigen Ausgleich für den planbedingten Eingriff in Natur und Landschaft mit der Erwägung gerechtfertigt, die Hinnahme eines Ausgleichsdefizits von deutlich weniger als zehn Prozent wegen Schwächen mathematisierter Bewertungsverfahren lägen deshalb noch im Rahmen des Abwägungsspielraums, weil für die Planung gewichtige öffentliche Belange sprächen. Ob diese Würdigung zutrifft, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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Fundstelle(n):
SAAAC-64699