BFH Beschluss v. - XI B 52/06

Aussetzung des Klageverfahrens wegen eines Musterverfahrens vor dem BVerfG; Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Kapitaleinkünften i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG

Gesetze: FGO § 74, FGO § 115 Abs. 2, EStG § 20, UStG § 15, EStG § 4 Abs. 4, EStG § 9b

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet.

1. Eine Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist nicht gerechtfertigt.

a) Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Bei der vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung sind insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen (vgl. , BFH/NV 2005, 503).

Ein Klageverfahren ist nach der Rechtsprechung des BFH auszusetzen, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, den Finanzgerichten (FG) zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten des Klageverfahrens ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des FG über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (vgl. , BFH/NV 2005, 1607). Darüber hinaus muss eine die Verfassungswidrigkeit bejahende Entscheidung des BVerfG entscheidungserhebliche Auswirkungen auf das auszusetzende Verfahren haben (vgl. , BFH/NV 2007, 1337).

Wird ein Verfahrensverstoß wegen unterlassener Aussetzung des Klageverfahrens geltend gemacht, so ist darzulegen, weshalb die besonderen Umstände des Falles das FG zu einer Aussetzung des Verfahrens hätten veranlassen müssen, mithin das dem FG in § 74 FGO eingeräumte Ermessen im Streitfall auf Null reduziert gewesen sein soll (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1337).

b) Dieser Darlegungspflicht ist die Klägerin hinsichtlich der Aussetzung wegen eines Musterverfahrens vor dem BVerfG nicht nachgekommen. Sie hat lediglich angegeben, dass aufgrund des (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2005, 1878) beim BVerfG ein Verfahren (Az.: 2 BvL 14/05) anhängig sei, das die Besteuerung von Kapitaleinkünften betreffe, und die Entscheidung des BVerfG den Rechtsstreit hinsichtlich der Einkünfte aus Kapitalvermögen unmittelbar erledigen würde. Es ist nicht dargestellt worden, dass die zu erwartende Entscheidung des BVerfG maßgebliche Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren wegen der in den angegriffenen Bescheiden enthaltenen gesonderten und einheitlichen Feststellung der „Einnahmen aus Kapitalvermögen (ohne Abzug von Werbungskosten)” für 1997 bis 2000 haben könnte und aus welchen Gründen im Einzelnen die Aussetzung des Verfahrens die einzig richtige Entscheidung gewesen wäre.

Dies wäre schon deswegen erforderlich gewesen, weil der Vorlagebeschluss des FG Köln in EFG 2005, 1878 die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002, also nur die Rechtslage in einem der streitigen Feststellungszeiträume betrifft und sich auch mit der im Feststellungsverfahren regelmäßig nicht maßgeblichen Anwendung des Einkommensteuertarifs gemäß § 32a des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf Einkünfte von ehrlichen Steuerpflichtigen befasst. Zudem hat sich der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt, hinsichtlich der Einkünfte aus Kapitalvermögen einen Vorläufigkeitsvermerk aufzunehmen. Zur Darlegung der Voraussetzungen des § 74 FGO und einer dem FG obliegenden Pflicht zur Aussetzung reicht allein der Hinweis auf den BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1607 nicht aus.

c) Das Klageverfahren war nicht im Hinblick auf das beim FA anhängige Einspruchsverfahren gegen die Umsatzsteuerbescheide auszusetzen. In diesem Verfahren machte die Klägerin zwar geltend, dass die vorwiegend von den Ehepartnern ihrer Gesellschafterinnen gefahrenen Kfz (auch) für ihr Unternehmen genutzt worden seien. Die Entscheidung im Umsatzsteuerverfahren hat jedoch —unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des FG— keinen Einfluss auf das vorliegende Verfahren.

Das FG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass eine betriebliche Nutzung der streitigen Fahrzeuge nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden ist (Tz. 5 der Entscheidungsgründe). Unter Berücksichtigung dieser Sachverhaltswürdigung wäre eine Zuordnung der Fahrzeuge zum Unternehmen der Klägerin und damit ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht in Betracht gekommen.

Die zum Entscheidungszeitpunkt bestehende und später realisierte Möglichkeit, dass das FA im Laufe des Einspruchsverfahrens gegen die Umsatzsteuerbescheide aufgrund nachgereichter Belege —im Gegensatz zur ertragsteuerlichen Behandlung— eine unternehmerische Nutzung der streitgegenständlichen Fahrzeuge in einem gewissen Umfang anerkennt, kann eine Pflicht des FG, das Verfahren wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auszusetzen, ebenfalls nicht begründen. Der Umsatzsteuerbescheid stellt —wie die Klägerin zutreffend ausgeführt hat— keinen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) für die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung dar (vgl. , BFH/NV 2000, 4). Ein nach § 15 UStG gewährter (oder noch zu gewährender) Vorsteuerabzug ist deshalb nicht bindend für die Beurteilung der Frage, ob die von der Klägerin im Zusammenhang mit den Kfz-Kosten gezahlte Vorsteuer im Jahr der Verausgabung (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG) als Betriebsausgabe i.S. des § 4 Abs. 4 EStG abziehbar ist. Wegen der fehlenden Bindung kann eine unterschiedliche Beurteilung eines Sachverhalts in ertrag- und umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht nicht ausgeschlossen werden. Auch für die einkommensteuerrechtliche Beurteilung, ob Vorsteuerbeträge gemäß § 9b Abs. 1 EStG zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts gehören, ist nicht maßgeblich, ob sich der Vorsteuerabzug in einem Umsatzsteuerbescheid ausgewirkt hat (vgl. , BFHE 174, 386, BStBl II 1994, 738).

Die bloße Identität von Rechtsfragen reicht nach ständiger Rechtsprechung nicht aus, um eine Aussetzung nach § 74 FGO zu rechtfertigen (vgl. , BFH/NV 1995, 43, m.w.N.).

d) Die Nichtberücksichtigung von Vorsteuerbeträgen als Betriebsausgaben durch den zuständigen Ertragsteuersenat des FG verletzt nicht das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG), selbst wenn im Rahmen der Beurteilung des Betriebsausgabenabzugs umsatzsteuerrechtliche Fragen von Bedeutung waren und für Klagen wegen Um-satzsteuer ein anderer Senat des FG zuständig ist.

e) Ein Verfahrensverstoß gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 6 FGO wegen fehlender Begründung der Entscheidung zu den Hilfsanträgen ist nicht gegeben.

Ein Urteil ist nicht mit Gründen versehen, wenn den Prozessbeteiligten die Grundlage entzogen ist, die betroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (, BFH/NV 2007, 480). Das FG hat zwar mit der angegriffenen Entscheidung inzidenter die Hilfsanträge der Klägerin abgewiesen, ohne in den Entscheidungsgründen gesondert dazu Stellung zu nehmen. Aus den Ausführungen zur Aussetzung des Verfahrens (Tz. 3a der Entscheidungsgründe) ist aber deutlich zu entnehmen, dass und aus welchen Gründen sich das FG nicht der Rechtsauffassung des FG Köln in EFG 2005, 1878 angeschlossen hat. Darin ist zugleich die Begründung für die Abweisung der auf dem Vorlagebeschluss des FG Köln beruhenden Hilfsanträge der Klägerin zu sehen.

f) Soweit die Ausführungen der Klägerin dahin zu verstehen sein sollten, dass sie auch eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) rügt, fehlt es an einer substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen sich dem FG eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Eine Zeugenvernehmung insbesondere der Notarin X ist nicht beantragt worden. Dies wäre schon deshalb erforderlich gewesen, weil der Klägervertreter, Steuerberater Y, lt. Sitzungsprotokoll in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden ist, dass die von ihm vorgelegten Unterlagen, also auch die Bestätigung der Notarin X vom , nicht ausreichen dürften, Art und Umfang der Nutzung der einzelnen Fahrzeuge in den Streitjahren darzulegen und zu belegen. Er musste deshalb nach dem Ablauf der mündlichen Verhandlung damit rechnen, dass das FG jegliche betriebliche Nutzung der streitgegenständlichen Fahrzeuge ausschließen werde.

2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegen nicht vor.

a) Der (BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61) entschieden, dass die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch in den Veranlagungszeiträumen seit 1994 nicht verfassungswidrig ist. Dabei wurde ausdrücklich auf die Amnestieregelung in dem Gesetz über die strafbefreiende Erklärung vom (BGBl I 2003, 2928) sowie auf die Frage eingegangen, ob unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelung (weiterhin) ein strukturelles Vollzugsdefizit hinsichtlich der Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen besteht. Diese Rechtsprechung ist wohl erst nach Ergehen der Entscheidung des FG Köln in EFG 2005, 1878 veröffentlicht worden, so dass sie vom FG Köln nicht beachtet werden konnte. Einen weiteren Klärungsbedarf hierzu hat der BFH bisher nicht gesehen (vgl. , BFH/NV 2007, 1079). Insoweit sind auch von der Klägerin keine neuen zu klärenden Fragen vorgetragen worden.

b) Die Rüge, das angefochtene Urteil weiche von der nach Ablauf der Begründungsfrist veröffentlichten Entscheidung des Senats vom XI R 49/05 (BFHE 214, 218, BStBl II 2006, 712) ab, ist nicht ordnungsgemäß i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erhoben worden. Eine „nachträgliche” Divergenz kann nach ständiger Rechtsprechung nur gerügt werden, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde diesbezüglich innerhalb der Frist unter Berücksichtigung der formellen Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung begründet wurde (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII B 326/04, BFH/NV 2006, 1108; vom IV B 32/99, BFH/NV 2002, 1160). Daran fehlt es im Streitfall. Im Übrigen liegt auch keine Divergenz vor, weil das Urteil des Senats in BFHE 214, 218, BStBl II 2006, 712 einen Sachverhalt betrifft, der sich wesentlich von dem des Streitfalles unterscheidet.

c) Die von der Klägerin gerügte fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung stellt keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung dar, der zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO die Zulassung der Revision erfordern würde (vgl. , BFH/NV 2002, 1474, m.w.N.).

Das FG ist unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass eine betriebliche Nutzung der streitgegenständlichen Fahrzeuge nicht nachgewiesen worden sei. Den Aufstellungen über die betrieblichen Fahrten sei nicht zu entnehmen, wann welche Fahrt, von wem, mit welchem Fahrzeug und aus welchem Grund unternommen worden sei. Diese Würdigung war möglich.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 63 Nr. 1
HAAAC-63015