BFH Beschluss v. - VIII B 50/06

Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Kapitalerträgen; Pflicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht

Gesetze: EStG § 20; GG Art. 100

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 115 Nrn. 1 und 3 FGO nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob mit den Einwendungen der Kläger bezüglich der Auslegung und Anwendung des Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargelegt worden ist (vgl. zu den Anforderungen an einen schlüssigen Vortrag der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO , BFH/NV 2006, 709, m.w.N.).

Das Finanzgericht (FG) hat die Erwägungen zu Art. 100 Abs. 1 GG lediglich hilfsweise vorgenommen, indes in seiner Hauptbegründung unter Anschluss an die Rechtsprechung des erkennenden Senats (, BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499 betreffend den Veranlagungszeitraum 1993; Verfassungsbeschwerde dagegen wurde vom Bundesverfassungsgericht —BVerfG— mit Beschluss vom 2 BvR 1440/97, juris, nicht zur Entscheidung angenommen; ferner , BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61 betreffend u.a. Veranlagungszeiträume 1994 und 1995, Verfassungsbeschwerde dagegen eingelegt unter 2 BvR 2077/05) die Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Besteuerungsnormen des § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Streitjahre 1993 bis 1997 bejaht.

Bei einer sog. kumulativen Begründung, von der jede für sich das Ergebnis des angefochtenen Urteils trägt, muss jedoch mindestens für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund schlüssig dargetan werden (BFH-Beschlüsse vom VIII B 141/05, BFH/NV 2006, 1465; vom XI B 95/03, BFH/NV 2005, 2032).

Hinsichtlich dieser Hauptbegründung ist kein Zulassungsgrund dargetan worden. Im Übrigen kommt eine Vorlage eines Gerichts an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG nur dann in Betracht, wenn es die volle Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der einschlägigen förmlichen Rechtsnorm gewonnen hat (vgl. z.B. , Sozialgerichtsbarkeit 2001, 625, ständige Rechtsprechung).

2. a) Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf einen Verfahrensmangel gestützt, so bedarf es hierfür eines Vortrags der Tatsachen, die den gerügten Verfahrensmangel schlüssig ergeben. Außerdem muss dargelegt werden, dass die angefochtene Entscheidung —ausgehend von der insoweit maßgebenden, ggf. auch unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des FG— auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (, BFH/NV 2006, 2122, m.w.N.).

b) Nach diesem Maßstab haben die Kläger keinen Verfahrensmangel schlüssig bezeichnet.

Nach § 74 FGO kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.

Eine Aussetzung des Klageverfahrens gemäß § 74 FGO ist nach der Rechtsprechung des BFH danach u.a. dann geboten, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat. Für die Aussetzung des Verfahrens ist darüber hinaus erforderlich, dass eine die Verfassungswidrigkeit bejahende Entscheidung des BVerfG entscheidungserhebliche Auswirkungen auf das auszusetzende Verfahren haben könnte (, BFHE 209, 128, BStBl II 2005, 647).

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

Die Vorlage des (Aktenzeichen beim BVerfG 2 BvL 14/05) betrifft wesentlich spätere Veranlagungszeiträume, nämlich die Jahre 2000 bis 2002.

Das Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 620/03 gegen den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 4 St RR 7/2003 betrifft zwar auch die Besteuerung von Kapitaleinkünften im Veranlagungszeitraum 1993, war indes, wie das (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2007, 276) zwischenzeitlich bestätigt hat, bereits deshalb insoweit von vornherein unzulässig, weil der Beschwerdeführer in jenem Verfahren den Rechtsweg nicht erschöpft und es versäumt hatte, im Verfahren vor den Fachgerichten alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um die vermeintliche Grundrechtsverletzung abzuwehren. Zudem hatte das BVerfG die gegen das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499, mit dem er die Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung im Veranlagungszeitraum 1993 bejaht hatte, eingelegte Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 2 BvR 1440/97 (juris) nicht zur Entscheidung angenommen.

Im Beschluss in HFR 2007, 276 führt das BVerfG weiterhin aus, der Beschwerdeführer könne verfassungsprozessual keine Besserstellung gegenüber jenen Steuerpflichtigen beanspruchen, die der Staat aufgrund wahrheitsgemäß erklärter Kapitaleinkünfte zur Besteuerung herangezogen habe. Des Weiteren müsse die behauptete mangelnde Belastungsgleichheit dem Staat auch zurechenbar sein. Daran fehle es, wenn dem Gesetzgeber ein Zeitraum zur Beurteilung zuzubilligen sei, in welchem er den Erfolg seiner gesetzgeberischen Maßnahmen zur Beseitigung eines Verfassungsverstoßes prüfen dürfe.

Der Gesetzgeber habe im Anschluss an das sog. Zinsurteil vom 2 BvL 3/89 (BVerfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652) mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) vom reagiert. Dieses Gesetz habe verschiedene neue Instrumente vorgesehen, um eine ausreichende Belastungsgerechtigkeit herzustellen. Eine Belastungsungleichheit sei dem Gesetzgeber aber nur dann zurechenbar, wenn sich ihm der Schluss habe aufdrängen müssen, dass für die in Frage stehende Steuer mit Blick auf die Erhebungsart sowie die nähere Regelung des Erhebungsverfahrens das von Verfassungs wegen vorgegebene Ziel der Gleichheit im Belastungserfolg prinzipiell nicht zu erreichen sei und er sich dieser Erkenntnis nicht habe verschließen dürfen (Urteil des BVerfG in BVerfGE 84, 233).

Da der Gesetzgeber erst nach Vorliegen belastbarer Erkenntnisse in der Lage gewesen sei, die Wirksamkeit des Zinsabschlaggesetzes in seiner Gesamtheit beurteilen zu können, habe eine (evtl. fortbestehende) unzureichende Lastengleichheit in der Anfangsphase der Neuregelung, also jedenfalls im Jahre 1993, nur unter besonderen Voraussetzungen den Wegfall der Steuerpflicht bedingt. In Anbetracht der Reaktion des Gesetzgebers wäre eine Verfassungswidrigkeit der Besteuerungsgrundlage also erst in Betracht gekommen, wenn sich dem Staat (neuerlich) ein struktureller Erhebungsmangel hätte aufdrängen müssen.

Im Urteil in BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61 hat sich der erkennende Senat erneut eingehend mit der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Kapitaleinkünften u.a. in den Veranlagungszeiträumen 1994, 1995 und 2000 sowie 2001 auseinandergesetzt und in Abgrenzung zur für verfassungswidrig erklärten Besteuerung privater Spekulationsgewinne bei Wertpapieren in den Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 (dazu , BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) bei der Besteuerung der Kapitaleinkünfte aufgrund der seit 1993 vom Gesetzgeber unternommenen Maßnahmen ein strukturelles Vollzugsdefizit verneint.

Der IX. Senat des BFH hat gleichermaßen mit Urteil vom IX R 49/04 (BFHE 211, 330, BStBl II 2006, 178) im Hinblick auf zwischenzeitlich verwirklichte gesetzgeberische Maßnahmen die Besteuerung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 1999 deshalb als verfassungsgemäß beurteilt.

Die Kläger haben indes weder ausgeführt, wie die gegen das Urteil des Senats in BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61 unter Az. 2 BvR 2077/05 eingelegte und noch anhängige Verfassungsbeschwerde begründet worden ist, noch woraus sich vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg dieses allein für die Streitjahre 1993 bis 1997 einschlägigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens ergeben soll.

Darüber hinaus entspricht es der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Beschlüsse in BFHE 209, 128, BStBl II 2005, 647; vom VIII B 37/05, BFH/NV 2006, 1154; vom XI B 224/04, BFH/NV 2006, 556; vom II B 78/04, BFH/NV 2005, 1984), dass eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG dann nicht in Betracht kommt, wenn selbst für den Fall, dass das BVerfG die einschlägige Steuerrechtsnorm für verfassungswidrig erklärt, eine entscheidungserhebliche Auswirkung auf das konkrete Streitverfahren deshalb auszuschließen ist, weil allenfalls mit einer Unvereinbarkeitserklärung oder einer Änderungsverpflichtung des Gesetzgebers nur für die Zukunft zu rechnen ist.

Die Kläger haben keine konkreten Umstände dafür schlüssig dargetan, dass das FG danach das ihm gemäß § 74 FGO eingeräumte Verfahrensermessen verletzt hätte und aufgrund einer sog. Ermessensreduzierung auf Null ausnahmsweise verpflichtet gewesen wäre, das Klageverfahren bis zur Entscheidung des BVerfG über die o.g. Verfahren vor dem BVerfG auszusetzen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1337 Nr. 7
SAAAC-45787