BFH Urteil v. - II R 46/06

Bewertungsrechtliche Vorrang des Gebäudes bei Zuerwerb von vormals volkseigenem Grund und Boden

Leitsatz

Wurde einem DDR-Bürger nach Erwerb eines im späteren Beitrittsgebiet gelegenen Wohnhauses der ursprünglich zum für das Haus und den zugehörigen - weiterhin im "Eigentum des Volkes" stehenden - Grund und Boden festgestellte Einheitswert unverändert und als für das Haus maßgebend zugerechnet, blieb der Einheitswert auch nach dem Erwerb des Grund und Bodens Ende 1990 unverändert wirksam. Der Wirksamkeit der Einheitswertfeststellung auf den steht nicht entgegen, dass dessen Bemessung nach dem Brandkassenwert heute nicht mehr vorgesehen ist.

Gesetze: BewG § 22, BewG § 129 Abs. 2, BewG § 132

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), Eheleute, kauften im Jahr 1970 ein im späteren Beitrittsgebiet gelegenes Wohnhaus auf einem im „Eigentum des Volkes” stehenden Grundstück. An diesem Grundstück erhielten sie aufgrund des § 7 Abs. 2 und 3 des Zweiten Gesetzes über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken vom (Gesetzblatt der DDR I, S. 277) durch Urkunde des Rates der Stadt Dresden vom mit Wirkung zum ein unentgeltliches und unbefristetes Nutzungsrecht, das in das Grundbuch eingetragen wurde. Durch Kaufvertrag vom erwarben die Kläger das Grundstück.

Die seinerzeit zuständige Behörde der DDR rechnete mit Fortschreibungsbescheid vom den Klägern einen Einheitswert von 4 860 Mark der DDR für das „Einfamilienhaus” auf den zu und setzte den Grundsteuermessbetrag auf der Grundlage dieses Einheitswerts fest. Der Einheitswert zum war nach einem Vermerk auf dem Einheitswertbogen III durch Entscheidung im Feststellungsverfahren vom für das als „Einfamilienhaus” bewertete Grundstück aus dem Brandkassenwert abgeleitet und in Höhe von 4 860 RM festgestellt worden.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) stellte gegenüber den Klägern mit Bescheid vom auf den im Wege der Wertfortschreibung für das Grundstück einen Einheitswert von 15 200 DM fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hob durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 166 veröffentlichte Urteil diesen Einheitswertbescheid und die Einspruchsentscheidung mit der Begründung auf, der Wertfortschreibung habe § 132 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) entgegengestanden. Für die wirtschaftliche Einheit „Einfamilienhaus” habe am keine wirksame Feststellung eines Einheitswerts vorgelegen. Die Ableitung des auf den festgestellten Einheitswerts aus dem Brandkassenwert habe zwar einem seinerzeit zulässigen Verfahren für die Bewertung von bebauten Grundstücken entsprochen. Der Wirksamkeit des damals festgestellten Einheitswerts zum stehe aber entgegen, dass für Feststellungszeitpunkte ab dem diese Bewertungsmethode nicht mehr zulässig sei. Einfamilienhäuser seien im Beitrittsgebiet im Sachwertverfahren unter getrennter Ermittlung des Boden- und des Gebäudewerts zu bewerten. Der mit Bescheid vom festgestellte Einheitswert sei ebenfalls nicht wirksam i.S. des § 132 Abs. 2 Satz 1 BewG. Er habe sich nämlich lediglich auf das Gebäude auf fremdem Grund und Boden, nicht aber auf die am vorhandene, aus Grund und Boden und Gebäude bestehende wirtschaftliche Einheit bezogen. Die Grundsteuer sei daher nach der in § 42 des Grundsteuergesetzes (GrStG) bestimmten Ersatzbemessungsgrundlage zu ermitteln.

Mit der Revision macht das FA geltend, die Wertfortschreibung habe erfolgen dürfen, da für die am bestehende wirtschaftliche Einheit „Einfamilienhaus” ein wirksamer Einheitswert vorgelegen habe. Obwohl in der Einheitswertakte keine Kopie oder Aktenausfertigung des Einheitswertsbescheids auf den vorhanden sei, spreche die Eintragung im Einheitswertbogen dafür, dass auf diesen Stichtag für das Grundstück „Einfamilienhaus” ein Einheitswert in Höhe von 4 860 RM festgestellt worden und ein entsprechender Bescheid ergangen sei. Die Bewertung auf der Grundlage des Brandkassenwerts habe einer seinerzeit geltenden Verwaltungsanweisung des Präsidenten des Landesfinanzamts Leipzig vom entsprochen und nicht nur das Gebäude, sondern auch den Grund und Boden umfasst. Der den Klägern nach dem Erwerb des Gebäudes in unveränderter Höhe zugerechnete Einheitswert habe am für die zu diesem Zeitpunkt aus dem Grund und Boden und dem Gebäude bestehende wirtschaftliche Einheit fortgegolten.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie weisen insbesondere auf die Runderlasse des Präsidenten des Landesfinanzamts Leipzig vom 28. März und hin, nach denen bei sog. kleinen Einfamilienhäusern bei der Ableitung des Einheitswerts aus dem Brandkassenwert der Grund und Boden außer Ansatz geblieben sei.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass der Wertfortschreibung die Vorschrift des § 132 Abs. 2 BewG entgegengestanden habe. Die vom FG getroffenen Feststellungen ermöglichen keine Entscheidung über die zutreffende Höhe des Einheitswerts.

1. Die vom FA vorgenommene Wertfortschreibung beruht auf der auch für Grundstücke im Beitrittsgebiet geltenden Regelung des § 22 Abs. 1 BewG i.V.m. der Vorschrift des § 132 Abs. 4 BewG, nach der Fortschreibungen wegen Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse, die sich nur auf den Wert des Grundstücks auswirken, im Beitrittsgebiet für Stichtage ab auch dann zulässig sind, wenn sie nur für die Grundsteuer von Bedeutung sind.

Der Wertfortschreibung stand § 132 Abs. 2 BewG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift unterbleibt für Mietwohngrundstücke und Einfamilienhäuser i.S. des § 32 der gemäß § 129 Abs. 2 Nr. 2 BewG weiter anzuwendenden Durchführungsverordnung zum Reichsbewertungsgesetz (RBewDV) eine Feststellung des Einheitswerts auf den , wenn eine ab diesem Zeitpunkt wirksame Feststellung des Einheitswerts für die wirtschaftliche Einheit nicht vorliegt und der Einheitswert nur für die Festsetzung der Grundsteuer erforderlich wäre. Der Einheitswert für Mietwohngrundstücke und Einfamilienhäuser wird nachträglich auf einen späteren Feststellungszeitpunkt festgestellt, zu dem der Einheitswert erstmals für die Festsetzung anderer Steuern als der Grundsteuer erforderlich ist.

Diese Vorschriften sind im Streitfall nicht anwendbar, da für das Einfamilienhaus der Kläger am ein wirksamer Einheitswert vorlag, der fortgeschrieben werden konnte.

a) Nach § 129 Abs. 1 BewG gelten für Grundstücke im Beitrittsgebiet die Einheitswerte, die nach den Wertverhältnissen am festgestellt sind oder noch festgestellt werden (Einheitswerte 1935). Lag am eine wirksame Einheitswertfeststellung für eine wirtschaftliche Einheit vor, gilt sie ab diesem Stichtag fort, solange keine Fortschreibung (§ 22 BewG) oder Aufhebung (§ 24 BewG) erfolgt. Dies gilt auch für Mietwohngrundstücke und Einfamilienhäuser i.S. des weiter anzuwendenden § 32 RBewDV. § 132 Abs. 2 BewG trifft für solche Fälle keine Sonderregelung.

b) Für die den Klägern gehörende wirtschaftliche Einheit „Einfamilienhaus” lag am eine wirksame Einheitswertfeststellung vor.

aa) Die Einheitswertfeststellung zum bezog sich nach den entsprechenden Vermerken auf dem Einheitswertbogen III auf die aus dem Grund und Boden und dem Gebäude bestehende wirtschaftliche Einheit. Die Ableitung des Einheitswerts aus dem Brandkassenwert besagt nach den von den Klägern und vom FA angeführten Erlassen des Präsidenten des Landesfinanzamts Leipzig nicht, dass nur das Gebäude bewertet werden sollte. Vielmehr wurde bei den kleinen Einfamilienhäusern lediglich aus Vereinfachungsgründen davon abgesehen, bei der Feststellung des Einheitswerts für das bebaute Grundstück über den Brandkassenwert hinaus auch einen Wert für den Grund und Boden anzusetzen. Es handelte sich dabei also um eine Methode für die Bewertung des bebauten Grundstücks als Bewertungsgegenstand. Wäre seinerzeit das Gebäude als eigene wirtschaftliche Einheit angesehen worden (Gebäude auf fremdem Grund und Boden), hätte auch für den Grund und Boden als weitere wirtschaftliche Einheit ein Einheitswert festgestellt werden müssen. Dies ist nicht geschehen.

bb) Die Aufspaltung des Eigentums am bebauten Grundstück in den im „Eigentum des Volkes” stehenden Grund und Boden und in das im Privateigentum befindliche Gebäude konnte bewertungsrechtlich theoretisch wie folgt beurteilt werden:

  • Entstehung von zwei neuen, je für sich zu bewertenden wirtschaftlichen Einheiten, nämlich „unbebautes Grundstück” und „Gebäude auf fremdem Grund und Boden";

  • Fortbestand der ursprünglichen wirtschaftlichen Einheit in der wirtschaftlichen Einheit „unbebautes Grundstück” und Entstehung einer neuen wirtschaftlichen Einheit „Gebäude auf fremdem Grund und Boden";

  • Fortbestand der ursprünglichen wirtschaftlichen Einheit in der wirtschaftlichen Einheit „Gebäude auf fremdem Grund und Boden” und Entstehung einer neuen wirtschaftlichen Einheit „unbebautes Grundstück”.

Die seinerzeit zuständige Behörde der DDR ging von der zuletzt genannten Möglichkeit aus und nahm daher nach dem Erwerb des Gebäudes durch die Kläger mit dem Bescheid vom lediglich eine Zurechnungsfortschreibung vor. Den ursprünglich auf den festgestellten Einheitswert führte sie unverändert und als für das Gebäude maßgebend fort.

Dieser bewertungsrechtliche Vorrang des Gebäudes bei der Aufspaltung des Eigentums am bebauten Grundstück beruhte auf der seinerzeit in der DDR geltenden Rechtslage. Der im „Eigentum des Volkes” stehende Grund und Boden unterlag weder der Grundsteuer noch sonstigen einheitswertabhängigen Steuern (Erbschaft-, Schenkung- und Vermögensteuer). Den Klägern stand an dem Grundstück ein unentgeltliches und unbefristetes Nutzungsrecht zu, das in das Grundbuch eingetragen wurde. Der ursprünglich für das bebaute Grundstück festgestellte Einheitswert wurde daher in voller Höhe auf das Gebäude bezogen und sowohl der Grundsteuer als auch ggf. den sonstigen einheitswertabhängigen Steuern zu Grunde gelegt.

cc) Aufgrund dieser Rechtslage und der tatsächlichen Handhabung der Bewertung in der DDR hatte das Gebäude bei der (erneuten) Vereinigung des Eigentums am Gebäude und am Grund und Boden in der Hand der Kläger bewertungsrechtlich ebenfalls Vorrang. Die in dem Gebäude bestehende wirtschaftliche Einheit setzte sich in der nunmehr wieder aus dem Grund und Boden und dem Haus bestehenden wirtschaftlichen Einheit fort. Der den Klägern für das „Einfamilienhaus” durch den Bescheid vom zugerechnete Einheitswert blieb demgemäß auch nach dem Erwerb des Grund und Bodens durch die Kläger unverändert wirksam. Der Wirksamkeit der Einheitswertfeststellung auf den steht nicht entgegen, dass dessen Bemessung nach dem Brandkassenwert heute nicht mehr vorgesehen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich dabei um eine seinerzeit zugelassene Bewertungsmethode handelte und der zum festgestellte Einheitswert im Bescheid vom in unveränderter Höhe fortgeführt und allein auf das Haus bezogen wurde.

2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen kann nicht entschieden werden, ob das FA den Einheitswert der Höhe nach zutreffend festgestellt hat und ob die Fortschreibungsgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG erreicht sind. Der festzustellende Einheitswert richtet sich gemäß § 129 Abs. 2 Nr. 2 BewG i.V.m. § 3a RBewDV nach dem tatsächlichen Zustand des Grundbesitzes (Bestand, bauliche Verhältnisse usw.) zum Fortschreibungszeitpunkt und den Wertverhältnissen vom . Das FG wird nunmehr entsprechende Feststellungen nachzuholen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1830 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2007 S. 6
UAAAC-54131