BFH Beschluss v. - IX B 240/06

Zurückweisung eines in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässigen Hilfeleister in Steuersachen als Steuerberater

Gesetze: StBerG § 3 Nr. 4; EG Art. 49; EG Art. 50; EG Art. 43; GG Art. 12 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vorgetragenen Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Die herausgehobenen Fragen nach dem Inhalt des § 3 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) und der Dienstleistungsfreiheit und insbesondere die Rechtsfrage, wie der Begriff der „vorübergehenden Dienstleistung” zu definieren ist, sind nicht klärungsbedürftig und deshalb nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen, von deren Fehlen das Finanzgericht (FG) im Streitfall ausgegangen ist, steht nach § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Tätigkeit der Steuerberater (7. StBÄndG) vom (BGBl I 2000, 874) auch Personen oder Vereinigungen zu, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Deutschland beruflich niedergelassen sind und dort befugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaates leisten, soweit sie mit der Hilfeleistung in Steuersachen eine Dienstleistung nach Art. 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) erbringen. Der Gesetzgeber wollte damit den Anforderungen des EG-Vertrages im Bereich der Dienstleistungsfreiheit bei grenzüberschreitender Hilfeleistung in Steuersachen Rechnung tragen (BTDrucks 14/2667, S. 27).

a) Der für § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG somit maßgebende Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 EG ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und —ihr folgend— des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt.

Vom Erlaubnistatbestand dieser Vorschrift werden nur grenzüberschreitende, vorübergehende Hilfeleistungen in Steuersachen erfasst. Denn Dienstleistungen i.S. des Art. 50 EG sind zeitlich beschränkte Leistungen, die ohne dauerhafte Niederlassung (nach Art. 50 Satz 3 EG: „vorübergehend”) in dem betreffenden Mitgliedstaat erbracht werden. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, ist nach der Rechtsprechung des EuGH geklärt (vgl. , EuGHE 1995, I-4165, 4195; vom Rs. C-215/01, EuGHE 2003, I-14847, und vom Rs. C-131/01, EuGHE 2003, I-1659). Ob eine grenzüberschreitende Dienstleistung einen nur vorübergehenden Charakter hat, ist danach nicht nur unter Berücksichtigung der Dauer der Leistung, sondern auch nach ihrer Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr oder Kontinuität zu beurteilen und schließt nicht die Möglichkeit für den Dienstleistungserbringer i.S. des Art. 50 EG aus, sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist. Wer dagegen in stabiler und kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, fällt unter die Vorschriften des Kapitels über das Niederlassungsrecht und nicht unter die des Kapitels über die Dienstleistungen.

Hiervon ausgehend beeinträchtigt § 3 Nr. 4 StBerG die in Art. 43 ff. EG gewährleistete Niederlassungsfreiheit und die in Art. 49 ff. EG gewährleistete Dienstleistungsfreiheit nicht in unzulässiger Weise (BFH-Beschlüsse vom VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422, und vom X B 82/03, BFH/NV 2004, 671).

b) Das FG ist im Streitfall von den vorstehend dargestellten Rechtsgrundsätzen zutreffend ausgegangen und hat dementsprechend untersucht, ob die vom Kläger in Deutschland erbrachten Dienstleistungen einen nur vorübergehenden Charakter haben; es hat dies jedoch verneint. Hierzu hat das FG festgestellt, dass der Kläger trotz des Widerrufs seiner Bestellung als Steuerberater in Deutschland geschäftsmäßig und dauerhaft Hilfe in Steuersachen leistet.

Soweit der Kläger diese Feststellungen und Tatsachenwürdigungen des FG für nicht zutreffend hält, wendet sie sich gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung, macht aber keinen Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO geltend. Grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfragen ergeben sich insoweit nicht. Nach dem EuGH-Urteil in EuGHE 2003, I-14847 enthält der EG-Vertrag keine Vorschrift, die eine abstrakte Bestimmung der Dauer oder Häufigkeit ermöglicht, ab der die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr als eine Dienstleistung im Sinne des Vertrages angesehen werden kann. Die Entscheidung, ob lediglich grenzüberschreitende, vorübergehende Dienstleistungen erbracht werden, erfordert eine Tatsachenwürdigung im Einzelfall, die dem Tatrichter obliegt. Es bestünde in einem Revisionsverfahren kein Anlass, ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts an den EuGH zu richten.

c) Ob mit dem Beschwerdevorbringen, dass § 3 Nr. 4 Satz 2 StBerG zu Unrecht von dem ausländischen Steuerberater die Angabe seiner ausländischen Berufsbezeichnung verlange, eine klärungsbedürftige Rechtsfrage bezeichnet wird, kann offenbleiben, da das FG seine Entscheidung nur zusätzlich auf die Erwägung gestützt hat, dass der Kläger nicht unter der niederländischen Bezeichnung „Belastingadviesbureau” auftrete. Hat aber das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, muss der Beschwerdeführer einen Zulassungsgrund bezüglich jeder dieser Begründungen darlegen (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 28). Hieran fehlt es jedoch im Streitfall. Ferner könnte auf das Vorbringen der Beschwerde, das FG habe ausländisches Recht falsch angewendet, eine Revision ohnehin nicht gestützt werden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

d) Die Beschwerde weckt auch keine Zweifel, dass § 3 StBerG, der die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen dem dort bezeichneten Personenkreis vorbehält, mit der nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Berufsfreiheit in Einklang steht (vgl. , BFHE 134, 206, BStBl II 1982, 43, und vom VII R 27/82, BFHE 138, 129, BStBl II 1983, 318). Es handelt sich insoweit nicht um eine unzumutbare Einschränkung der Berufsfreiheit. Die Steuerberatung ist ein Teil der Rechtsberatung. Die Berufsaufgaben des Steuerberaters dienen der Steuerrechtspflege und damit einem wichtigen Gemeinschaftsgut. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass es —wie es das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für den Bereich des Handwerks mit Beschluss vom 1 BvR 1730/02 (Deutsches Verwaltungsblatt 2006, 244) angenommen hat— zweifelhaft erscheinen muss, ob die Voraussetzungen, die § 3 StBerG für die Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen aufstellt, mit Blick auf die Veränderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Umstände noch zumutbar sind. Die Anforderungen, die eine zuverlässige Hilfeleistung in Steuersachen stellt, sind in Anbetracht der allseits unbestrittenen Kompliziertheit des deutschen Steuersystems eher gestiegen. Angesichts dieses Umstandes ist nicht ersichtlich, dass sich Steuerberater in Deutschland einer ähnlich ernsthaften Konkurrenz von Dienstleistern aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen grenzüberschreitender, vorübergehender steuerlicher Dienstleistungen gegenübersehen, wie sie das BVerfG für das Handwerk angenommen hat. Anders als der Kläger meint, wird auch nicht einem deutschen Staatsangehörigen eine steuerberatende Tätigkeit verboten, die jedem Ausländer unter denselben Voraussetzungen zu gestatten sei. Vielmehr darf auch ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen nur unter den Voraussetzungen des § 3 StBerG leisten, d.h. als in Deutschland niedergelassener Dienstleister nur unter den Voraussetzungen des § 3 Nr. 1 bis 3 StBerG, ohne diese Beschränkungen indes allein als grenzüberschreitende, vorübergehende Hilfeleistung i.S. des § 3 Nr. 4 StBerG.

Dass zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen gemäß § 3 Nr. 1 StBerG niedergelassene europäische Rechtsanwälte befugt sind, während diese Befugnis für Angehörige der steuerberatenden Berufe aus anderen Mitgliedstaaten nur unter den Voraussetzungen des § 3 Nr. 4 StBerG gegeben ist, stellt schließlich weder eine verfassungswidrige noch eine gemeinschaftswidrige Ungleichbehandlung dar. Es steht dem Gesetzgeber frei, für unterschiedliche Berufsgruppen jeweils anders lautende Berufszulassungsregelungen zu erlassen (vgl. , BFHE 204, 563, BStBl II 2004, 1016). Der nationale Gesetzgeber ist auch gemeinschaftsrechtlich nicht verpflichtet, die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 77/36), entsprechend auch für Angehörige steuerberatender Berufe umzusetzen.

2. Eine Entscheidung des BFH ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO); denn die Vorentscheidung weicht nicht —wie vorgetragen— von Entscheidungen des EuGH und des Bundesgerichtshofs (BGH) ab.

Der EuGH hat in den von der Beschwerde angeführten Entscheidungen in EuGHE 1995, I-4165 und in EuGHE 2003, I-14847 lediglich entschieden, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaates, der in stabiler und kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, indem er sich —wie in jenem Fall in EuGHE 1995, I-4165— von einem Berufsdomizil aus an die Angehörigen dieses Staates wendet, unter die Vorschriften über das Niederlassungsrecht fällt. Diesen Entscheidungen lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass das Vorhandensein eines Berufsdomizils in dem anderen Mitgliedstaat die maßgebende Voraussetzung für die Anwendung des Niederlassungsrechts ist oder dass —entsprechend umgekehrt— die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit immer dann Anwendung finden, wenn kein Berufsdomizil im anderen Mitgliedstaat unterhalten wird. Das Gleiche gilt für das mit der Beschwerde angeführte (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 826) sowie für das (EuGHE 2006, I-2941).

Soweit das FG den vorübergehenden Charakter der im Inland erbrachten Dienstleistungen des Klägers auch unter Umgehungs- und Missbrauchsgesichtspunkten verneint hat, handelt es sich zum einen um eine Erwägung, auf die es sich kumulativ zu der von ihm angenommenen stabilen und kontinuierlichen Erwerbstätigkeit des Klägers im Inland gestützt hat. Zum anderen besteht auch insoweit die von dem Kläger geltend gemachte Divergenz zu Entscheidungen des EuGH und des BGH nicht. Vielmehr hat der EuGH in seinem Urteil in EuGHE 2003, I-14847 Rz. 33 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dem nationalen Gericht auch eine Überprüfung obliegt, ob sich der betreffende Dienstleister den in dem jeweiligen Mitgliedstaat geltenden gesetzlichen Verpflichtungen missbräuchlich entziehen will. Das (EuGHE 2003, I-10155), auf das der Kläger sich beruft, sowie das (Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2005, 1648) betreffen allein die Niederlassungsfreiheit. In dem Fall, der dem (NJW 2005, 3732) zugrunde lag, ging der BGH von einer lediglich vorübergehenden Dienstleistung aus, ohne dass der Gesichtspunkt des Missbrauchs eine Rolle spielte.

3. Soweit sich der Kläger mit den Ausführungen des FG im Einzelnen auseinandersetzt, wird kein Grund für die Zulassung der Revision dargelegt. Insbesondere macht der Kläger keine Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend. In allen Fällen, in denen er „Verfahrensmängel” rügt, geht es ihm im Kern um die für unzutreffend gehaltene Rechtsanwendung durch das FG.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1195 Nr. 6
DStR 2007 S. 1228 Nr. 28
GAAAC-43782