EuGH Urteil v. - 230/87

Leitsatz

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Besteuerungsgrundlage einer Lieferung von Gegenständen im Sinne des Artikels 11 A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG ist alles, was in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lieferung als Gegenleistung erhalten wird, in Geld ausgedrückt werden kann und einen subjektiven Wert darstellt.

Wenn ein Lieferant ( der "Großhändler ") Gegenstände ( den "Anreiz ") einem Dritten ( dem "Einzelhändler ") für eine in Geld bestehende Gegenleistung ( einen Geldbetrag ) liefert, die niedriger ist als die, für die er dem Einzelhändler die gleichen Gegenstände zum Weiterverkauf an den Verbraucher liefert, und wenn sich der Einzelhändler verpflichtet hat, den Anreiz einzusetzen, um eine andere Person dazu zu bewegen, eine Party zu veranstalten - oder sie für eine solche Veranstaltung zu belohnen -, bei der andere Produkte des Großhändlers den Teilnehmerinnen vom Einzelhändler zum beiderseitigen Nutzen verkauft werden können, wobei der Anreiz, falls eine solche Party nicht zustandekommt, entweder an den Lieferanten zurückgegeben oder mit dem Großhandelspreis bezahlt werden muß, so ist die Besteuerungsgrundlage nach der genannten Vorschrift daher die Summe aus der Gegenleistung in Geld und dem Wert der Dienstleistung des Einzelhändlers, die darin besteht, den Anreiz zur Gewinnung oder zur Belohnung von Leistungen eines Dritten zu verwenden; als Wert dieser Dienstleistung ist der Unterschied zwischen dem tatsächlich für den Gegenstand gezahlten Preis und dem üblichen Großhandelspreis anzusehen.

Gesetze: Sechste Richtlinie 77/388/EWG vom Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a

Gründe

1 Das Valü Added Tax Tribunal London hat mit Beschluß vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche Bemessungsgrundlage ( ABl. L 145, S. 1; im folgenden Sechste Richtlinie genannt ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Naturally Yours Cosmetics Ltd ( Klägerin ) und den Commissioners of Customs and Excise ( Commissioners ) wegen eines Steuerbescheides der Commissioners über die Zahlung von Mehrwertsteuer für das Jahr 1984.

3 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß die Klägerin eine Großhandelsgesellschaft ist, die Kosmetik-Produkte vertreibt, welche durch Einzelhändler (" Kosmetik-Beraterinnen ") weiterverkauft werden; diese greifen auf Freundinnen und Bekannte (" Gastgeberinnen ") zurück, um private Parties zu veranstalten, bei denen die Produkte der Klägerin zum Verkauf angeboten werden.

4 Die Kosmetik-Beraterinnen kaufen die Produkte von der Klägerin zum Großhandelspreis und verkaufen sie bei diesen Parties zu einem von dieser empfohlenen Einzelhandelspreis; die Spanne zwischen den beiden Preisen stellt den Gewinn dar, der den Kosmetik-Beraterinnen zusteht. Aus den Akten ergibt sich, daß diese gemäß Artikel 24 der Sechsten Richtlinie von der Zahlung der Mehrwertsteuer befreit sind, da ihr Umsatz unter dem von den britischen Rechtsvorschriften festgelegten Mindestbetrag liegt.

5 Um die Gastgeberinnen für die Veranstaltung der erwähnten Parties zu belohnen, bietet die Kosmetik-Beraterin ihnen eines der so zum Verkauf gelangenden Produkte (" Natürliche Oasis Verjüngungscrème ") als "Geschenk" an. Wird dieser Crème-Tiegel zu diesem Zweck verwandt, liefert die Klägerin ihn der Kosmetik-Beraterin zum Preis von 1,50 UKL an Stelle eines Großhandelspreises von 10,14 UKL.

6 Die Comissioners setzten die Mehrwertsteuer für das Jahr 1984 auf der Grundlage des Großhandelspreises von 10,14 UKL je Crèmetiegel einschließlich der als Geschenk verwendeten Tiegel fest. Sie stützten sich insoweit auf die einschlägigen britischen Rechtsvorschriften, insbesondere auf Section 10 ( 3 ) des Valü Added Tax Act 1983, der lautet : "Erfolgt die Lieferung oder Leistung nicht gegen eine Gegenleistung oder besteht die Gegenleistung ganz oder zum Teil nicht in Geld, so gilt als ihr Wert der Marktwert." Die Klägerin ist der Auffassung, daß diese Vorschrift gegen Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie verstosse und Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer lediglich der Preis von 1,50 UKL sein dürfe, den die Kosmetik-Beraterin tatsächlich für die von ihr als Geschenk erworbenen Crèmetiegel zahle.

7 Das Valü Added Tax Tribunal London hat die Auffassung vertreten, daß der Rechtsstreit eine Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwirft, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"Ist Besteuerungsgrundlage für die Zwecke des Artikels 11 Teil A der Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ( Richtlinie 77/388/EWG vom ), wenn ein Lieferant ( der 'Großhändler' ) Gegenstände ( den 'Anreiz' ) einem Dritten ( dem 'Einzelhändler' ) für eine in Geld bestehende Gegenleistung ( einen Geldbetrag ) liefert, die niedriger ist als die, für die er dem Einzelhändler die gleichen Gegenstände zum Weiterverkauf an den Verbraucher liefert, und wenn sich der Einzelhändler verpflichtet hat, den Anreiz einzusetzen, um eine andere Person dazu zu bewegen, eine Party zu veranstalten - oder sie für eine solche Veranstaltung zu belohnen -, bei der andere Produkte des Großhändlers den Teilnehmerinnen vom Einzelhändler zum beiderseitigen Nutzen verkauft werden können,

a ) lediglich die in Geld bestehende Gegenleistung, die der Großhändler für den Anreiz erhalten hat, oder

b ) die in Geld bestehende Gegenleistung, für die der Großhändler dem Einzelhändler gleiche Gegenstände zum Weiterverkauf an die Verbraucher liefert, oder

c ) ein Betrag, der nach Maßgabe von Kriterien ermittelt wird, die von dem betreffenden Mitgliedstaat festgelegt werden können, oder

d ) die Summe der in Geld bestehenden Gegenleistung und des Wertes der Verpflichtung des Einzelhändlers, den Anreiz für die Werbung oder Belohnung der anderen Person einzusetzen - in welcher Weise ist dann der Wert der Verpflichtung zu ermitteln? -, oder

e ) ein anderer - und gegebenenfalls welcher - Betrag?"

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrens und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Artikel 11 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt :

"Die Besteuerungsgrundlage ist :

a ) bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den Buchstaben b, c und d genannt sind, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen;

b )..."

10 Bei der Auslegung des Artikels 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie ist im Hinblick auf die gemeinsame Zielrichtung der Sechsten und der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ( ABl. Nr. 71, S. 1303; im folgenden Zweite Richtlinie genannt ) die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu der letztgenannten Richtlinie zu berücksichtigen.

11 So ist festzuhalten, daß nach dem Urteil vom in der Rechtssache 154/80 ( Staatssecretaris van Financiën/Genossenschaft Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, Slg. 1981, 445 ) Besteuerungsgrundlage einer Dienstleistung alles ist, was als Gegenleistung für den geleisteten Dienst erhalten wird; es muß daher, soll eine Dienstleistung steuerpflichtig im Sinne der Zweiten Richtlinie sein, ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert bestehen.

12 Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang muß auch zwischen der Lieferung eines Gegenstandes und der erhaltenen Gegenleistung im Sinne des Artikels 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bestehen.

13 Es stellt sich daher die Frage, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung des Gegenstandes zu einem niedrigeren als dem normalen Preis und dem Wert der Dienstleistung besteht, die von der Kosmetik-Beraterin zu erbringen ist.

14 Insoweit ergibt sich aus dem Vorlagebeschluß, daß die Verkaufsmethode der Klägerin durch das Tätigwerden der Kosmetik-Beraterinnen im Rahmen privater Parties gekennzeichnet ist, die sie mit Hilfe von Gastgeberinnen veranstalten. Dies soll der Grund sein, aus dem die Klägerin bereit ist, den Crèmetiegel, der als Geschenk dienen soll, zu einem sehr niedrigen Preis zu verkaufen. Im übrigen hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof gezeigt, daß der Crèmetiegel, wenn die Kosmetik-Beraterin den vorgesehenen Dienst nicht erbringt, d. h. keine Gastgeberin findet, die eine Party veranstaltet, zurückgegeben oder mit dem üblichen Großhandelspreis bezahlt werden muß. Wenn dies der Fall sein sollte - es ist Sache des nationalen Gerichts, dies zu entscheiden -, dann besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung des Crèmetiegels zu einem sehr niedrigen Preis und dem von der Kosmetik-Beraterin geleisteten Dienst.

15 Das nationale Gericht fragt weiter an, ob diese Dienstleistung als Teil der Gegenleistung für die Lieferung der Gegenstände anzusehen ist, obwohl sie keine Gegenleistung in Geld darstellt, und falls ja, wie der Wert der Dienstleistung in Fällen wie dem der Kosmetik-Beraterin im vorliegenden Rechtsstreit zu ermitteln ist.

16 Aus dem vorgenannten Urteil vom ergibt sich erstens, daß die Gegenleistung in Geld ausgedrückt werden können, und zweitens, daß sie einen subjektiven Wert darstellen muß, da die Besteuerungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und nicht ein nach objektiven Maßstäben geschätzter Wert.

17 Vorliegend haben die Vertragsparteien den Großhandelspreis des Crèmetiegels im Austausch gegen die Dienstleistung der Kosmetik-Beraterin, Gastgeberinnen dadurch für die Veranstaltung von Verkaufsparties zu gewinnen, daß man ihnen die Crèmetiegel als Geschenk anbietet, um einen bestimmten Betrag gesenkt. Unter diesen Umständen kann der Geldwert, den beide Vertragsparteien dieser Dienstleistung beigemessen haben, ermittelt werden; als dieser Wert anzusehen ist der Unterschied zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem üblichen Großhandelspreis.

18 Auf die von dem nationalen Gericht gestellte Frage ist daher wie folgt zu antworten : Wenn ein Lieferant ( der "Großhändler ") Gegenstände ( den "Anreiz ") einem Dritten ( dem "Einzelhändler ") für eine in Geld bestehende Gegenleistung ( einen Geldbetrag ) liefert, die niedriger ist als die, für die er dem Einzelhändler die gleichen Gegenstände zum Weiterverkauf an den Verbraucher liefert, und wenn sich der Einzelhändler verpflichtet hat, den Anreiz einzusetzen, um eine andere Person dazu zu bewegen, eine Party zu veranstalten - oder sie für eine solche Veranstaltung zu belohnen -, bei der andere Produkte des Großhändlers den Teilnehmerinnen vom Einzelhändler zum beiderseitigen Nutzen verkauft werden können, wobei der Anreiz, falls eine solche Party nicht zustande kommt, entweder an den Lieferanten zurückgegeben oder mit dem Großhandelspreis bezahlt werden muß, so ist die Besteuerungsgrundlage nach Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern die Summe aus der Gegenleistung in Geld und dem Wert der Dienstleistung des Einzelhändlers, die darin besteht, den Anreiz zur Gewinnung oder zur Belohnung von Leistungen eines Dritten zu verwenden; als Wert dieser Dienstleistung ist der Unterschied zwischen dem tatsächlich für den Gegenstand gezahlten Preis und dem üblichen Großhandelspreis anzusehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs, der Portugiesischen Republik sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung obliegt daher diesem Gericht.

Fundstelle(n):
NAAAC-43236

1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg