Steuerhinterziehung bei Nichterklärung von Patientenzuzahlungen; Feststellung einer Steuerhinterziehung; keine Aussetzung der Vollziehung wegen Verfahrensfehlers
Gesetze: AO § 370; AO § 169; FGO § 69; FGO § 72
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Klägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) ist selbständige Heilgymnastin. Aufgrund einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass sie in den Veranlagungszeiträumen 1988 bis 1993 Patientenzuzahlungen von insgesamt ... DM nicht erklärt hatte. Der gegen die entsprechenden Einkommensteuerbescheide gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Gegen die Einspruchsentscheidung erhob die Antragstellerin Klage, mit der sie Feststellungsverjährung geltend machte. Es liege keine Steuerhinterziehung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2, § 370 der Abgabenordnung (AO) vor. Sie habe nicht Steuern vorsätzlich verkürzt, sondern ihre Steuererklärungen nach bestem Wissen und Gewissen durch Steuerberater machen lassen. Sie selbst sei steuerlicher Laie. Keiner ihrer vier Steuerberater oder der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) anlässlich vorangegangener Steuerprüfungen habe sie darauf hingewiesen, dass die Barzuzahlungen nicht ordnungsgemäß im Kassenbuch erfasst und gesondert als Einnahmen zu behandeln seien, obgleich zumindest in Fachkreisen allgemein bekannt sei, dass Zuzahlungen geleistet würden. Auch habe sie die Fa. X als Inkassostelle eingeschaltet, die aufgrund der Abtretung sämtlicher Zahlungsansprüche die eingegangenen Gelder direkt an die A-Bank überwiesen habe. Selbst für einen nur oberflächlich sorgfältigen Fachmann wäre die Fehlerhaftigkeit der Buchführung erkennbar gewesen. Dass sie selbst dies nicht bemerkt habe, liege daran, dass sie auf die Fachleute vertraut habe. Insbesondere sei sie der Meinung gewesen, dass —wie den vorgelegten Abrechnungen der Fa. X zu entnehmen sei— diese ihre gesamten Einkünfte erfassten. Ab Oktober 1993 habe diese auf den Monatsabrechnungen zudem ausdrücklich vermerkt „Gesamt 10% ZUZ. ...”.
Nachdem das Finanzgericht (FG) Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme, in der ein Zeuge zu den Umständen der steuerlichen Nichterfassung der unmittelbar an die Antragstellerin geleisteten Zuzahlungen vernommen werden sollte, bestimmt hatte, nahm die Antragstellerin die Klage zurück. Dem lag ein Gespräch zwischen einem Herrn B und dem Berichterstatter des FG zugrunde. Die Wirksamkeit der Klagerücknahme ist streitig und Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde, der der erkennende Senat mit Beschluss vom heutigen Tag aus verfahrensrechtlichen Gründen stattgegeben hat.
Die Antragstellerin hat beim FG nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Einkommensteuerbescheide 1988 bis 1993 beantragt, nachdem das FA sowohl eine Verlängerung der AdV als auch eine AdV aufgrund eines beantragten Erlasses abgelehnt hatte. Das FG hat den Antrag an den Bundesfinanzhof (BFH) als mittlerweile zuständiges Gericht der Hauptsache abgegeben.
Zur Begründung ihres Antrags verweist die Antragstellerin auf Festsetzungsverjährung. Zudem sei es unbillig, eine nach ihrer Auffassung rechtswidrige Steuer zu erheben, weil ihr Antrag auf Fortsetzung des Klageverfahrens nach § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO nach Auffassung des FG nur am Verstreichen der in § 56 Abs. 3 FGO genannten Frist scheitere. Da das FA selbst die Beendigung der gewährten AdV ihr gegenüber erst nach Ablauf der Jahresfrist geltend gemacht habe, könne ihr billigerweise die Fristversäumnis nicht entgegengehalten werden, zumal sie aufgrund des Gesprächs mit dem Berichterstatter davon ausgegangen sei, dass keine Steuern mehr zu zahlen seien.
Die Antragstellerin beantragt, die Einkommensteueränderungsbescheide 1988 bis 1993 einschließlich der dort festgesetzten Solidaritätszuschläge, Kirchensteuern und Nachzahlungszinsen von der Vollziehung auszusetzen.
Das FA beantragt, den Antrag auf AdV abzulehnen. Eine AdV sei bei Bescheiden, die einen Erlassantrag ablehnen, nicht möglich. Im Übrigen habe die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil, mit dem das FG die Wirksamkeit der Klagerücknahme festgestellt habe, wegen Ablaufs der Jahresfrist nach § 56 Abs. 3 FGO keine Aussicht auf Erfolg.
II. Der Antrag der Antragstellerin auf AdV gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO wird abgelehnt.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des unstreitigen Sachverhalts, der gerichtsbekannten Tatsachen und der präsenten Beweismittel erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. , BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben:
a) Der erkennende Senat lässt dahingestellt, ob aufgrund der Zulassung der Revision im Verfahren XI B 167/05 ernsthaft mit einer Fortführung des Klageverfahrens wegen Unwirksamkeit der Klagerücknahme (§ 72 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 56 Abs. 3 FGO) zu rechnen ist. Daraus ergeben sich allein noch keine ernstlichen Zweifel an der Wirksamkeit der mit Schreiben vom von der Antragstellerin persönlich erklärten Klagerücknahme. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine AdV unanfechtbar gewordener Bescheide nicht mehr möglich ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V S 7/99, BFH/NV 2000, 329; vom I B 38/03, I S 3/03, BFH/NV 2004, 60, m.w.N.) und Steuerbescheide mit der Klagerücknahme unanfechtbar werden (vgl. z.B. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 72 FGO Tz. 24, m.w.N.).
b) Aber auch wenn der erkennende Senat zugunsten der Antragstellerin unterstellt, dass sie —über den offensichtlich von ihr eingeschalteten Herrn B— durch das FG fehlerhaft informiert worden und die Klagerücknahme unwirksam sein sollte (vgl. z.B. , BFHE 210, 4, BStBI II 2005, 644), bestehen bei summarischer Prüfung schon aufgrund des eigenen Vortrags der Antragstellerin keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steuerbescheide. Dabei ist zu beachten, dass für die Feststellung einer Steuerhinterziehung, die im Streitfall nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO entscheidungserheblich ist, kein höherer Grad an Gewissheit als für die Feststellung anderer Tatsachen erforderlich ist (vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 709).
Gemäß § 370 AO liegt eine Steuerhinterziehung vor, wenn den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden. Nach eigenem Vortrag der Antragstellerin sprechen gewichtige Gesichtspunkte dafür, dass diese das FA pflichtwidrig über die erhaltenen Patientenzuzahlungen in Unkenntnis gelassen hat.
Dem Schriftsatz der Antragstellerin vom ist zu entnehmen, dass es sich bei den unstreitig nicht erfassten Einnahmen um von Patienten geleistete Barzuzahlungen handelt. Diese sind mithin unmittelbar der Antragstellerin im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit zugeflossen. Dass derartige betrieblich veranlasste Einnahmen steuerlich zu erfassen sind, ist allgemein bekannt.
Die Einwendungen der Antragstellerin sind nicht geeignet, dies im Streitfall anders zu sehen. Unerheblich ist, dass —wie vorgetragen wird— weder ihre Steuerberater noch Außenprüfer anlässlich vorangegangener Betriebsprüfungen die Antragstellerin auf die Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Erfassung der Zuzahlungen im Kassenbuch hingewiesen haben. Es war in erster Linie ihre Angelegenheit als Steuerpflichtige, die ihr unmittelbar zugeflossenen Gelder vollständig zu erfassen und in ihrer Steuererklärung anzugeben bzw. ihren Beratern mitzuteilen. Diese Verpflichtung besteht von Gesetzes wegen und entsteht nicht erst durch entsprechende Hinweise seitens Dritter. Im Übrigen liegen keine Anhaltspunkte vor und werden auch nicht geltend gemacht, die belegen könnten, dass die Antragstellerin die Außenprüfer auf den Eingang zusätzlicher Barzahlungen hingewiesen haben könnte. Allein durch die Einschaltung von Fachleuten kann sich ein Steuerpflichtiger nicht von dem Vorwurf freisprechen, die Finanzbehörden über ihm bekannte Umstände in Unkenntnis gelassen zu haben.
Nach Aktenlage unschlüssig ist auch der Vortrag, die Antragstellerin habe die Fa. X als Inkassostelle eingeschaltet und sei aus diesem Grund von der ordnungsgemäßen Erfassung der Zuzahlungen ausgegangen. Da es sich bei den streitigen Barzuzahlungen um Leistungen handelt, die nach Sachlage unmittelbar der Antragstellerin zugeflossen sind, ist nicht ersichtlich, inwieweit die Inkassostelle, die typischerweise offene Forderungen eintreibt, eine Rolle spielen könnte. Dementsprechend wird in den vorgelegten Abrechnungsnachweisen die „Gesamtforderung”, die „Verrechnungsgebühr”, die „Mehrwertsteuer”, eine „Vorauszahlung”, die offensichtlich der Höhe nach nicht mit den Barzuzahlungen identisch ist, und die „Restforderung” ausgewiesen. Aus dem Zusatz „Gesamt 10% ZUZ.” o.Ä. lässt sich nicht entnehmen, dass die Inkassostelle die Barzuzahlungen tatsächlich erfasst haben könnte; denn das war unstreitig nicht der Fall. Bei summarischer Prüfung ist daher eher davon auszugehen, dass in den Abrechnungsnachweisen die unmittelbar von den Patienten zu erhebenden Zuzahlungen nicht ausgewiesen wurden. Es wird auch nicht vorgetragen, dass die Inkassostelle regelmäßig über die nicht im Kassenbuch erfassten Barzuzahlungen unterrichtet worden sei.
Unbeachtlich ist der Vortrag, die Inkassostelle habe die für die Antragstellerin eingezogenen Gelder aufgrund einer Forderungsabtretung unmittelbar an die A-Bank geleistet, so dass es bei ihr an einem entsprechenden Geldeingang gefehlt habe. Dieser Einwand betrifft naturgemäß nicht die an die Antragstellerin bar gezahlten Zuzahlungen.
2. Die Vollziehung der Bescheide hat auch keine, über den Vollzug der Bescheide hinausgehende unbillige Härte zur Folge.
Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides wirtschaftliche Nachteile drohen, die nicht oder nur schwer wiedergutzumachen sind oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 105, m.w.N.). Hierzu hat der Betroffene seine wirtschaftliche Lage im Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen (z.B. , BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18, a.E.). Daran fehlt es.
Abgesehen davon, dass die Antragstellerin nach den vorgelegten Unterlagen regelmäßige Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit zwischen ... € (geschätzt) und ... € erzielte, fehlen in ihrem Antrag jegliche Angaben zu ihren Vermögensverhältnissen. Der bloße Hinweis, es „liege auf der Hand”, dass die zur Begleichung der Steuern notwendigen Mittel nicht im Kreditwege beschafft werden könnten, reicht nicht aus.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 24/2008 S. 2252
ZAAAC-40345