Kindergeldbescheid durch unzuständige Familienkasse
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis zum in der ...verwaltung des Landes…tätig und bezieht seit dem Versorgungsbezüge, eine LVA-Rente sowie Einkünfte aus selbstständiger Arbeit als Dolmetscher. Für die Monate Januar bis Oktober 1998 erhielt er Kindergeld für seine 1971 geborene Tochter von der Familienkasse des Dienstherren. Die gegen die Aufhebung und Rückforderung des Kindergeldes gerichtete Klage —die Tochter war im fraglichen Zeitraum verheiratet— wurde zurückgenommen.
Die beklagte Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit (seinerzeit Arbeitsamt) lehnte den Antrag des Klägers auf Kindergeld für die Monate Januar bis Oktober 1998 zunächst ab (Bescheid vom ), setzte aber auf den Einspruch des Klägers durch Abhilfebescheid vom Kindergeld fest. Nachdem ihr bekannt wurde, dass der Kläger im Bewilligungszeitraum noch im aktiven Dienst der ...verwaltung tätig gewesen war, hob sie die Kindergeldfestsetzung nach vorheriger Anhörung des Klägers mit Bescheid vom gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 b der Abgabenordnung (AO 1977) wegen sachlicher Unzuständigkeit auf und forderte das geleistete Kindergeld mit Bescheid vom zurück.
Das Finanzgericht (FG) verband die beiden Klageverfahren wegen der Bescheide vom und vom und wies die Klage ab. Da nicht die beklagte Familienkasse, sondern die Familienkasse seines ehemaligen Dienstherrn für die Kindergeldangelegenheiten des Klägers sachlich zuständig sei, seien die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des Kindergeldes rechtmäßig.
Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde. Es bestehe ein Interesse an der Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts. Zu klären sei, ob die Nichtigkeit eines bestandskräftigen Bescheides allein dadurch begründet werden könne, dass eine Familienkasse anstelle einer anderen Familienkasse tätig geworden sei, und ob die beklagte Familienkasse i.S. des § 172 Abs. 1 Nr. 2 b AO 1977 sachlich, örtlich oder auf dritte Art unzuständig sei. Schließlich sei die im Gesetz nicht geregelte Frage der Zuständigkeit beim Zusammentreffen von freiberuflichen Einkünften mit Versorgungsbezügen zu klären.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird deshalb zurückgewiesen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) ist erforderlich, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896). Bei dem Erfordernis der Fortentwicklung des Rechts handelt es sich um einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung (, BFH/NV 2003, 792).
Im Streitfall ist eine BFH-Entscheidung zur Fortbildung des Rechts nicht erforderlich.
1. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Nichtigkeit eines bestandskräftigen Bescheides allein dadurch begründet werden könne, dass eine Familienkasse anstelle einer anderen Familienkasse tätig geworden sei, würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen und wäre deshalb nicht klärbar. Denn die beklagte Familienkasse hat den Bescheid vom in der Fassung des Abhilfebescheides vom nicht als nichtig (§ 125 AO 1977) behandelt, sondern als rechtswidrig; deshalb hat sie ihn auch gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 b AO 1977 aufgehoben, was im Falle der Nichtigkeit entbehrlich gewesen wäre (vgl. § 124 Abs. 3 und § 125 Abs. 5 AO 1977).
2. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Familienkasse der Agentur für Arbeit für Personen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis i.S. des § 172 Abs. 1 Nr. 2 b AO 1977 sachlich, örtlich oder auf dritte Art unzuständig sei, erfordert keine Entscheidung des BFH. Denn sie lässt sich —wie es das FG getan hat— nur dahin beantworten, dass § 72 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine sachliche Zuständigkeit des Dienstherrn begründet (, BFH/NV 2001, 445; ebenso St I 4 -S 2479- 8/2003, BStBl I 2004, 296) und die Agentur für Arbeit mithin für den in § 72 Abs. 1 EStG umschriebenen Personenkreis i.S. des § 172 Abs. 1 Nr. 2 b AO 1977 sachlich unzuständig ist.
3. Die nach Auffassung des Klägers im Gesetz nicht geregelte Frage, welche Familienkasse für Personen zuständig sei, bei denen Versorgungsbezüge aus dem öffentlichen Dienst mit freiberuflichen Einkünften zusammentreffen, könnte in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Denn im streitigen Zeitraum —Januar bis Oktober 1998— war der Kläger nach den Feststellungen des FG noch im aktiven Dienst und hat mithin keine Versorgungsbezüge erhalten.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage ist zudem nicht klärungsbedürftig, denn die Regelung in § 72 EStG ist insoweit eindeutig: Personen, die —wie der Kläger— in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen (§ 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Grundsätzen erhalten (§ 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), bekommen das Kindergeld von dem jeweiligen Dienstherrn, der insoweit Kindergeldkasse ist (§ 72 Abs. 1 Satz 2 EStG). Ausnahmen hiervon bestimmt das Gesetz in § 72 Abs. 3 EStG —Beschäftigte von öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften und bestimmten Institutionen der Wohlfahrtspflege— sowie für vorübergehend im öffentlichen Dienst beschäftigte Personen (§ 72 Abs. 4 EStG); das Konkurrenzverhältnis mehrerer Rechtsträger i.S. von § 72 Abs. 1 Satz 1 EStG wird in § 72 Abs. 5 EStG geregelt. Für die Zuständigkeit nach § 72 Abs. 1 Satz 2 EStG ist weder Art und Umfang der im öffentlichen Dienst ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung (Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 72 Rz B 1) noch kommt es darauf an, welche anderen Einkünfte der Kindergeldberechtigte bezieht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAC-39289