BGH Urteil v. - IX ZR 194/05

Leitsatz

[1] a) Die Vorschrift des § 95 Abs. 1 InsO gilt nur für die Aufrechnung selbständiger Forderungen und nicht für die gesellschaftsrechtlich gebotene Verrechnung im Wege der Kontenangleichung.

b) Ist nach dem Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts für den Fall des Ausscheidens eines der Gesellschafter bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen eine Auseinandersetzungsbilanz zum Stichtag zu erstellen, kann der Insolvenzverwalter bei vertragsgerechtem Verhalten der Gesellschafter in der Krise nur ein etwaiges Auseinandersetzungsguthaben des Schuldners zur Masse ziehen.

Gesetze: InsO § 84; InsO § 95 Abs. 1; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3; BGB §§ 387 ff; BGB § 730; BGB § 738

Instanzenzug: LG Bonn 18 O 248/04 vom OLG Köln 2 U 28/05 vom

Tatbestand

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem auf Eigenantrag vom am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. AG i. L. (fortan: Schuldnerin). Diese hatte mit den Beklagten zu 2 bis 4 am einen Gesellschaftsvertrag (Arbeitsgemeinschaftsvertrag) zur Durchführung eines Stadtbahnbauwerkes geschlossen. Die Leistungen der Gesellschafter bestanden darin, dass sie im Verhältnis ihrer Beteiligung Beiträge und Leistungen an die Arbeitsgemeinschaft zu erbringen hatten, zum Beispiel die Gestellung von Bürgschaften, Geräten, Baustoffen und Personal. Die Bezahlung von Gesellschafter-Rechnungen erfolgte nur im Rahmen der Kontenangleichung. Dem Arbeitsgemeinschaftsvertrag wurde ein im Baugewerbe üblicherweise verwendetes Muster zugrunde gelegt. Es sieht vor, dass ein Gesellschafter ausscheidet, wenn über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet wird. In diesem Fall wird die Arbeitsgemeinschaft von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt. Die Gesellschafter haben eine Auseinandersetzungsbilanz zum Stichtag des Ausscheidens zu erstellen. Von diesem Tag an nimmt der ausscheidende Gesellschafter nicht mehr am Gewinn und Verlust teil, mit Ausnahme bereits erkennbarer Verluste.

Die Schuldnerin erbrachte nach Insolvenzantragstellung noch Gesellschafterleistungen an die - fortgeführte - Arbeitsgemeinschaft. Für die Zeit zwischen dem und dem berechnete sie ihr Lieferungen und Leistungen in Höhe von insgesamt 14.282,42 €. Die Beklagte zu 1 stellte die Beträge in die Kontenangleichung ein und verrechnete sie in der Auseinandersetzungsbilanz mit anderen Forderungen. Der Kläger hält die Verrechnung für unwirksam, jedenfalls für anfechtbar und verlangt von den Beklagten Zahlung. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht meint, die Schuldnerin habe die in Rechnung gestellten Leistungen in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin der Beklagten zu 1 und nicht als Dritte erbracht. Anspruchsgrundlage könne deshalb nur die in dem Gesellschaftsvertrag vorgesehene Vergütungsregelung sein. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines der Gesellschafter könnten diese Ansprüche nicht mehr isoliert geltend gemacht werden, weil sie im Auseinandersetzungsstadium lediglich unselbständige Rechnungsposten darstellten. Soweit der Kläger darauf hinweise, dass die Durchsetzungssperre ausnahmsweise nicht gelte, wenn die Gefahr von Hin- und Herzahlungen auszuschließen sei, habe der Kläger dies nicht mit einem entsprechenden Sachvortrag unterlegt. Die isolierte Durchsetzung der Klageforderung lasse sich auch nicht mit dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO begründen. Abgesehen davon, dass diese Vorschrift einen durchsetzbaren Anspruch der Masse voraussetze, an dem es hier fehle, lasse sich nicht feststellen, dass die Beklagten die Aufrechnungsmöglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hätten. Es fehle an einer objektiven Gläubigerbenachteiligung. Der Rechtsgrund für die außerhalb des Insolvenzverfahrens (§ 84 InsO) vorzunehmende Auseinandersetzung der Gesellschaft sei bereits mit Wirksamwerden des Gesellschaftsvertrages gelegt. Dieser verschaffe den Gesellschaftern eine gesicherte Position, die ohne Zutun der Schuldnerin zu einem vollwertigen Anspruch erstarke. Die vorgenommene Verrechnung sei deshalb nicht anfechtbar.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Nachprüfung stand. Die in der Auseinandersetzungsbilanz zum vorgenommene Kontenangleichung hat die Leistungen der Schuldnerin an die Arbeitsgemeinschaft aus der Zeit des Eröffnungsverfahrens erfasst. Die Verrechnung ist weder nach § 95 Abs. 1 InsO ausgeschlossen noch nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig. Die Abforderung und Erbringung der Leistungen stellt auch keine isoliert anfechtbare Rechtshandlung dar, weil sich die Deckung im Rahmen des Gesellschaftsvertrags hält.

1. Sind zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig, so kann nach § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO die Aufrechnung erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind. Nach Absatz 1 Satz 3 dieser Vorschrift ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll (Forderung der Masse) unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Die Revision hält diese Voraussetzungen für gegeben. Die Auseinandersetzungsbilanz sei zum zu erstellen gewesen. Die von dem Kläger in Rechnung gestellten Vergütungen für die im Zeitraum des Eröffnungsverfahrens von der Schuldnerin erbrachten Leistungen seien entsprechend den Vertragsbedingungen bis zum fällig geworden. Dass die Auseinandersetzungsbilanz zu diesem Zeitpunkt schon erstellt gewesen sei, sei weder festgestellt noch ersichtlich. Damit erweise sich die "Aufrechnung bzw. Verrechnung" als unzulässig.

Damit sind die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO jedoch nicht dargetan.

a) Die Verrechnung unselbständiger Rechnungsposten im Wege der Kontenangleichung wird von der Vorschrift des § 95 InsO nicht erfasst.

aa) Die Norm schützt Aufrechnungslagen aus der Zeit nach Verfahrenseröffnung, auf deren Eintritt der Insolvenzgläubiger vertrauen durfte (vgl. BGHZ 159, 388, 396; MünchKomm-InsO/Brandes, § 94 Rn. 1, § 95 Rn. 1). Nach dem auch für das Insolvenzverfahren maßgeblichen § 387 BGB setzt die Aufrechnung zwei selbständige Forderungen voraus, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen und gleichartig sind (vgl. HK-InsO/Eickmann, 4. Aufl. § 94 Rn. 7 ff; FK-InsO/Bernsau, 4. Aufl. § 94 Rn. 5; siehe auch BGHZ 160, 1, 3 f). Fehlt es hieran, können die Wirkungen der Aufrechnung schon begrifflich nicht eintreten. Diese bestehen nach § 389 BGB darin, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet gegenüberstehen. Dies trifft auf unselbständige Rechnungsposten, die gebunden und gelähmt sind, nicht zu. Deshalb stellt sich nicht die durch § 95 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 und Abs. 2 Satz 1 InsO differenziert beantwortete Frage, in welchem Umfang die Erwartung des Gläubigers, mit Rücksicht auf das Entstehen einer Aufrechnungslage seine Forderung ohne Schwierigkeiten durchsetzen zu können, auch im Insolvenzverfahren nicht enttäuscht werden darf (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 141 zu RegE § 107).

bb) Die Vorschrift des § 94 InsO, nach der ein zur Zeit der Verfahrenseröffnung - anfechtungsrechtlich unbedenkliches - schon begründetes Aufrechnungsrecht durch das Verfahren nicht berührt wird, erwähnt allerdings neben der gesetzlichen Aufrechnungslage auch die Aufrechnungsvereinbarung. Die Ergänzung geht auf eine Initiative des Rechtsausschusses zurück (vgl. BT-Drucks. 12/7302, S. 165). Eine Umgestaltung der nach der Konkursordnung gegebenen Rechtslage hat dadurch jedenfalls im Hinblick auf Konzernverrechnungsklauseln nicht stattgefunden (vgl. BGHZ 160, 107, 110 f; , ZIP 2006, 1740, 1741). Die Neuregelung in §§ 94 f InsO wirkt sich auch nicht auf Verträge aus, durch die vor Verfahrenseröffnung eine Aufrechnung sofort vollzogen wird, oder die mit dem Ziel in die Zukunft wirken, dass künftige Forderungen erlöschen, sobald sie einander gegenübertreten. Bedeutung gewinnt sie nur für vertragliche Erweiterungen gesetzlicher Aufrechnungslagen, die den Aufrechnungsvollzug einer späteren einseitigen Erklärung vorbehalten (vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl. Rn. 19.01 und 19.30; MünchKomm-InsO/Brandes, § 94 Rn. 37 a.E.). Die aufgrund eines Gesellschaftsvertrages vereinbarte Abrechnung im Wege der Kontenangleichung gehört nicht hierher.

b) Eine solche Verrechnungsabrede haben die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft getroffen. Die Forderungen der Schuldnerin waren nach dem am geschlossenen Arbeitsgemeinschaftsvertrag von Anfang an gebunden, also bloße Abrechnungsposten, weil die Bezahlung von Gesellschafter-Rechnungen nach § 11.4 des Vertrages nur im Rahmen der Kontenangleichung zu erfolgen hatte. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin änderte sich an der Bindung der entstandenen Forderungen nichts. Der Gesellschaftsvertrag sieht in § 23.62 das Ausscheiden des Gesellschafters vor, über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird. Die Vereinbarung lehnt sich eng an die gesetzliche Regelung der §§ 736, 738 BGB an; gegen ihre Wirksamkeit bestehen nach § 119 InsO keine Bedenken. Damit blieben die während des Eröffnungsverfahrens begründeten Ansprüche der Schuldnerin aus dem Gesellschaftsverhältnis unselbständige Rechnungsposten, die auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur im Rahmen der abschließenden Auseinandersetzungsrechnung zu berücksichtigen waren (vgl. , ZIP 1993, 919, 920; v. - II ZR 249/96, ZIP 1997, 2120, 2121; v. - II ZR 4/98, ZIP 1999, 1526, 1527; v. - IX ZR 355/98, aaO S. 758). Die Ansprüche werden deshalb von der Durchsetzungssperre erfasst; für eine der in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen (vgl. , aaO S. 1527) fehlt jeder Anhalt.

2. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Die Revision sieht dies als gegeben an. Den Beklagten sei aus der Berichterstattung in den Medien bekannt gewesen, dass die Schuldnerin am einen Insolvenzantrag gestellt habe. Damit lägen die anfechtungsrechtlichen Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO vor. Anfechtbare Forderungen des Schuldners gingen von vornherein nicht in die Auseinandersetzungsbilanz ein und seien bei der Ermittlung des Saldos nicht zu berücksichtigen. Dies habe das Berufungsgericht verkannt.

Diese Angriffe verhelfen der Revision nicht zum Erfolg.

a) Der Bundesgerichtshof hat zur Konkursordnung bereits entschieden, dass die Verrechnungslage hinsichtlich der gesellschaftlichen Ansprüche bei Bauarbeitsgemeinschaften bereits mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages und damit regelmäßig vor der Krise begründet wird. Als anfechtbare Rechtshandlung kommt in diesen Fällen grundsätzlich nur die Vereinbarung der Lösungsklausel in Betracht, wenn diese anfechtungsrechtlich erheblich ist, weil sie zu einer Gläubigerbenachteiligung führt (, ZIP 2000, 757, 759; vgl. ferner BGHZ 86, 349, 355; , ZIP 1983, 334, 335 f, insoweit in BGHZ 86, 340 ff nicht abgedruckt). Dies scheidet hier aus, weil sich die im Streitfall vereinbarte Lösungsklausel an der gesetzlichen Regelung ausrichtet.

b) An dieser Rechtsprechung ist im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung festzuhalten (ebenso: Gerhardt EWIR 2000, 741, 742; Linnertz IBR 2005, 205; Schultze EWIR 2006, 149, 150; Weitzke IBR 2005, 151). Ob dies auch für die besondere Fallgestaltung gilt, dass der Schuldner sich in dem Gesellschaftsvertrag verpflichtet hat, der Gesellschaft nach seinem Ausscheiden weiterhin Geräte und Personal gegen Vergütung zu überlassen, kann offen bleiben (vgl. hierzu Fischer NZI 2001, 281, 283; Spliedt DZWiR 2000, 418, 425). Die von dem Berufungsgericht zu der Fortführung des Arbeitsgemeinschaftsvertrages nach dem getroffenen Feststellungen geben auch keine Veranlassung, auf die anfechtungsrechtlichen Folgen einer einseitigen Abforderung von Gesellschafterleistungen des in der Krise befindlichen Mitgesellschafters zu Lasten der späteren Masse einzugehen. Mangels eines entgegenstehenden Vortrags ist vielmehr davon auszugehen, dass auch die anderen Gesellschafter entsprechend § 4.1 des Gesellschaftsvertrages ihren Verpflichtungen zeitgerecht nachgekommen sind.

aa) Das Argument der Gegenauffassung, dass die Erleichterung der Aufrechnung im Wege der zeitlichen Vorverlagerung der Aufrechnungslage durch die Neuregelung in §§ 94, 95 InsO nicht übernommen worden sei (vgl. OLG Frankfurt ZIP 2005, 2325, 2327), hat der Bundesgerichtshof bereits als nicht durchgreifend angesehen (vgl. BGHZ 160, 1, 4 f). Danach hat das neue Recht § 54 KO zwar nicht unverändert in die Insolvenzordnung übernommen, es jedoch bei dem Grundsatz belassen, dass die Befugnis des Gläubigers zur Aufrechnung nicht angetastet wird, wenn er vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf vertrauen durfte, dass die Durchsetzung seiner Forderung mit Rücksicht auf das Entstehen einer Aufrechnungslage keine Schwierigkeiten bereiten würde.

bb) In dem der genannten Entscheidung des Senats zugrunde liegenden Fall war die dem Gesellschafter mit Wirksamwerden des Gesellschaftsvertrages verschaffte Position "ohne weiteres Zutun des Gesellschafters" zu einem vollwertigen Anspruch erstarkt (vgl. BGHZ 160, 1, 4). Im Streitfall sind die in der Auseinandersetzungsbilanz verrechneten Ansprüche der Schuldnerin dagegen erst dadurch entstanden, dass die Beklagte zu 1 die abgerechneten Leistungen auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrages bei der Schuldnerin abgerufen hat. Ist hierdurch nach den Feststellungen auch keine künstliche Aufrechnungslage geschaffen worden, die nach der ständigen Rechtsprechung des Senats insolvenzrechtlich nicht schützenswert wäre (vgl. BGHZ 160, 1, 7; 160, 107, 110 f; , ZIP 2005, 1559, 1561; Urt. v. - IX ZR 121/03, ZIP 2006, 818, 819), so hat die Schuldnerin doch die mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages begründete Verrechnungsbefugnis mit ihren in der kritischen Zeit erbrachten Leistungen zugunsten der Mitgesellschafter und zu Lasten der späteren Masse wirtschaftlich aufgewertet. Dies rechtfertigt es indes nicht, für diesen Fall von dem Grundsatz abzuweichen, dass der Anspruch des Gesellschafters auf Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens zu den bereits mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages geschützten Ansprüchen gehört.

(1) Die Behandlung der Verrechnungslage als anfechtbar (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO) oder eine direkte Anwendung des Insolvenzanfechtungsrechts (§ 130 Abs. 1 Satz 1 InsO) setzen gleichermaßen eine Verselbständigung der Forderungen nach Insolvenzeröffnung voraus, an der es hier - wie dargelegt - fehlt. Die Zulassung einer Anfechtung stände deshalb im Widerspruch zu der materiell-rechtlichen Rechtslage, nach der die Ansprüche des Gesellschafters aus dem Gesellschaftsverhältnis nur im Rahmen der abschließenden Auseinandersetzung zu berücksichtigen sind.

(2) In diesem Punkt unterscheidet sich das gesellschaftsrechtliche Abrechnungsverhältnis von dem bankrechtlichen Girovertrag nebst Kontokorrentvereinbarung. Gemäß § 116 Satz 1, § 115 Abs. 1 InsO endet der Kontokorrentvertrag mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sofern er bis dahin noch nicht gekündigt worden ist (vgl. BGHZ 70, 86, 93; 157, 350, 356 f; , ZIP 1991, 155, 156; Beschl. v. - XI ZR 189/94, WM 1995, 745; MünchKomm-InsO/Ott, § 116 Rn. 39). Die in der Kontokorrentabrede antizipierte Verrechnung bleibt allerdings hinsichtlich der bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und kontokorrentgebundenen Forderungen wirksam (vgl. BGHZ 70, 86, 94 f; MünchKomm-InsO/Ott, § 116, Rn. 39). Die Verfahrenseröffnung führt zu einer kausalen Saldoforderung hinsichtlich der bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und kontokorrentgebundenen Forderungen (vgl. BGHZ 150, 122, 129; Tintelnot, in Kübler/Prütting, InsO §§ 115, 116 Rn. 22; Schimansky, in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch 2. Aufl. § 47 Rn. 57 f). Für die Insolvenzanfechtung bankmäßiger Verrechnungen bei ungekündigter Kreditlinie kommt es jedoch entscheidend darauf an, ob die Bank den Kunden weiter in der vereinbarten Weise Verfügungen vornehmen lässt und den vertraglich eingeräumten Kreditrahmen offen hält oder ob sie Verfügungen des Kunden nicht mehr oder nur noch zu ihren eigenen Gunsten zulässt und mit der Verrechnung von Gutschriften die Kreditlinie zurückführt (vgl. BGHZ 150, 122, 128 ff; , WM 2004, 1576, 1577; v. - IX ZR 2/01, WM 2004, 1575, 1576). Eine "vertragswidrige" Beeinflussung der Ergebnisse der Auseinandersetzungsbilanz ist im Streitfall nicht geltend gemacht worden.

(3) Der Vorrang der innergesellschaftlichen Abrechnung findet seine Bestätigung in § 84 Abs. 1 InsO. Diese Vorschrift hat allerdings nur eine klarstellende Funktion. Die vorrangige Gesamtabrechnung aller gegenseitigen Ansprüche im Wege der Saldierung (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO) ist nach heutiger Rechtslage für die in Betracht kommenden Gemeinschaftsverhältnisse und Gesellschaften durch die dafür geltenden Regelungen des materiellen Rechts gewährleistet. Dies gilt gemäß §§ 728, 734, 738 BGB auch für die BGB-Gesellschaft (vgl. MünchKomm-InsO/Stodolkowitz, § 84 Rn. 8, 23). Die Insolvenzordnung kann insoweit auch nicht eingreifen, weil nur die Beteiligung des insolventen Gesellschafters und nicht die Gesellschaft selbst zur Insolvenzmasse gehört. Steht der bei Auseinandersetzung ermittelte Anteil, also der Nettoanteil, des Schuldner-Gesellschafters fest, gibt es keine Ansprüche mehr, die Gegenstand des in § 84 Abs. 1 Satz 2 InsO geregelten Absonderungsrechts der übrigen Mitglieder der Gemeinschaft oder Gesellschaft sein können (vgl. MünchKomm-InsO/Stodolkowitz, § 84 Rn. 23 a.E.).

Die Bestimmung des § 84 Abs. 1 InsO bringt damit jedoch mittelbar zum Ausdruck, dass die gesellschaftsrechtlich gebotene Durchsetzungssperre hinsichtlich aller Einzelforderungen der Gesellschafter auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneingeschränkt Bestand hat. Die Gläubiger des insolventen Gesellschafters oder Mitglieds der sonstigen in § 84 InsO genannten Gemeinschaften können grundsätzlich nur auf den nach den Regeln des Gesellschaftsrechts ermittelten Nettoanteil des ausgeschiedenen Schuldners zugreifen. Dazu stände es im Widerspruch, die vertragsmäßig in die Auseinandersetzungsbilanz eingestellten Rechnungsposten ähnlich wie die Herstellung einer Aufrechnungslage in der Weise für anfechtbar zu halten, dass der Durchsetzung des außerhalb des Insolvenzverfahrens gelähmten Zahlungsanspruchs innerhalb des Insolvenzverfahrens die anfechtungsfest vereinbarte Kontenangleichung nicht entgegengehalten werden kann.

cc) Verhalten sich die Gesellschafter - wie hier - vertragsgerecht, erscheint es somit auch bei wertender Betrachtung nicht gerechtfertigt, in das Gefüge des Gesellschaftsvertrages im Wege der Insolvenzanfechtung einzugreifen. Ebenso wie der Schuldner selbst haben dessen Gläubiger die gesellschaftlichen Auseinandersetzungsregeln als Folge des Ausscheidens des Schuldner-Gesellschafters hinzunehmen (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 129 Rn. 133 und Fn. 378). Dazu gehört es, dass der Schuldner bis zu seinem Ausscheiden entsprechend den eingegangenen gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen weiterhin zur Leistung der von ihm übernommenen Beiträge herangezogen wird, ohne dass dies zu einem der späteren Masse zustehenden positiven Saldo führt.

Fundstelle(n):
DB 2007 S. 452 Nr. 8
DStR 2007 S. 630 Nr. 14
NJW 2007 S. 1067 Nr. 15
SJ 2007 S. 38 Nr. 10
WM 2007 S. 409 Nr. 9
ZIP 2007 S. 383 Nr. 8
LAAAC-38362

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja