Leitsatz
[1] 1. Es ist nicht zulässig, Einzelstrafen, die schon zur Bildung einer Gesamtstrafe in einem noch nicht rechtskräftigen anderen Urteil gedient haben, in eine weitere Gesamtstrafe einzubeziehen, auch wenn sie für sich genommen rechtskräftig sind.
2. Der Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt die Feststellung eines Hangs i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB voraus. Lediglich die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit muß nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar sein.
3. § 66 a StGB und § 66 StGB stehen in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander. Erst wenn die für § 66 StGB erforderliche Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann, kommt eine Vorbehaltsanordnung nach § 66 a StGB in Betracht.
Gesetze: StGB § 55 Abs. 1; StGB § 66 a Abs. 1
Instanzenzug: LG Marburg vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten des schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sechs Fällen, des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in vier Fällen und des sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen in sechs Fällen (§ 182 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB) für schuldig befunden. Es hat ihn unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Schwalmstadt vom (44 Ls 4 Js 529/03) unter Einbeziehung der dortigen Einsatzstrafe von zehn Monaten (dortiger Fall 1; früheres Aktenzeichen 4 Js 16920/03) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten.
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er erstrebt eine ihm günstigere Strafzumessung sowie den Wegfall des Vorbehalts nach § 66 a StGB.
Die Staatsanwaltschaft richtet sich mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 66 a StGB beschränkten Revision dagegen, daß das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung lediglich vorbehalten hat, anstatt sie nach § 66 StGB gleichzeitig mit dem Urteilsspruch zu verhängen.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist nur teilweise begründet.
I.
1. Der Angeklagte ist vielfach - auch einschlägig - vorbestraft. Die letzte einschlägige Straftat, wegen der er verurteilt wurde, beging er im Jahre 1981.
Das Amtsgericht Schwalmstadt hat den Angeklagten mit Urteil vom wegen Betruges in zehn Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat gegen die dortige Verurteilung nur in den Fällen 2 bis 10 Berufung eingelegt, den Fall 1 dieser Verurteilung (Einzelstrafe zehn Monate Freiheitsstrafe) jedoch nicht angefochten; dies ist die vom Landgericht einbezogene Einzelstrafe. Der Verurteilung lag insoweit ein Betrug zum Nachteil des Sozialhilfeträgers in einer Gesamthöhe von rund 4.500 € zugrunde. Über die Berufung des Angeklagten gegen die Verurteilung in den übrigen Fällen war zum Zeitpunkt der Verkündung des hier angefochtenen Urteils noch nicht entschieden.
2. Nach den Feststellungen der Kammer begann der Angeklagte etwa im Jahre 2001 nach und nach, eine Gruppe von männlichen Kindern und Jugendlichen um sich zu versammeln. Er lud sie in seine Wohnung ein und gestattete ihnen hier alles, was sie zu Hause nicht durften, zum Beispiel Rauchen, Alkoholtrinken und Anschauen von DVD-Filmen - darunter auch sogenannte "Soft-Pornos". Er half ihnen bei den Hausaufgaben und feierte mit ihnen Geburtstage. Es entwickelte sich ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis zwischen ihm und den Jungen. Dabei lebte die sexuelle Neigung des Angeklagten zu männlichen Kindern und Jugendlichen wieder auf und es kam zu den abgeurteilten Straftaten. Unter anderem manipulierte der Angeklagte an dem Geschlechtsteil verschiedener Jungen bzw. führte Finger oder Gegenstände in deren After ein. Teilweise erhielten sie hierfür von ihm Geld.
Für die Fälle des schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern erkannte die Kammer jeweils auf Einzelstrafen von zwei Jahren, für die des sexuellen Mißbrauchs von Kindern auf solche von einem Jahr und sechs Monaten, für die des sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen nach § 182 Abs. 1 StGB auf solche von sieben Monaten und für die Taten nach § 182 Abs. 2 StGB auf Einzelstrafen von fünf Monaten.
An einer Maßregelanordnung nach § 66 Abs. 2 und 3 StGB sah sich die Kammer deswegen gehindert, weil aus "heutiger Sicht" nicht mit "höchster Wahrscheinlichkeit" festgestellt werden könne, daß der Angeklagte auch nach vollständiger Verbüßung der Strafe aufgrund seines Hanges gefährlich sein werde. Andererseits hat die Kammer aber eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür gesehen, daß die aus dem Hang folgende Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit den Strafvollzug überdauern werde. Es gäbe aber bereits jetzt erkennbare Umstände, die es möglich erscheinen ließen, daß diese Gefahr bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Vorbehalt so sehr vermindert sei, daß von dem Angeklagten erhebliche Straftaten nicht mehr drohten. Deswegen hat die Kammer lediglich den Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 a StGB angeordnet.
II.
Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten führt schon auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs und der Vorbehaltsentscheidung nach § 66 a Abs. 1 StGB. Auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge, die allein die Vorbehaltsanordnung nach § 66 a Abs. 1 StGB betrifft, kommt es daher nicht an.
1. Der Gesamtstrafenausspruch war aufzuheben, da die Einbeziehung der rechtskräftigen Einsatzstrafe von zehn Monaten aus dem im übrigen noch nicht rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Schwalmstadt vom rechtlichen Bedenken begegnet.
Zwar hat das erkennende Gericht grundsätzlich § 55 Abs. 1 StGB anzuwenden, wenn die Voraussetzungen vorliegen (BGHSt 12, 1, 3 ff.; BGH NStZ 2003, 200, 201). Es ist aber nicht zulässig, Einzelstrafen - auch für sich genommen rechtskräftige -, die schon zur Bildung einer Gesamtstrafe in einem nicht rechtskräftigen anderen Urteil gedient hatten, in eine Gesamtstrafe einzubeziehen, da dies die Gefahr einer verbotenen Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) begründen würde (BGHSt 20, 292, 293; 9, 190, 192; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 3; in diese Richtung auch BGH NJW 1997, 2892, 2893). Der Bundesgerichtshof hat dies bisher zwar nur für den Fall entschieden, daß eine Einzelstrafe aus einem nicht rechtskräftigen Urteil Gegenstand der Einbeziehung in zwei weiteren Verurteilungen war. Die Gefahr der Doppelbestrafung besteht aber gerade auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Verfahren, aus dem die einbezogene Einzelstrafe stammt, noch gar nicht abgeschlossen ist. Auch hier ist es möglich, daß die vom Landgericht einbezogene Einzelstrafe weiterhin im Berufungsverfahren hinsichtlich des Urteils des Amtsgerichts Schwalmstadt wegen fehlender Kenntnis von der Einbeziehung in die Gesamtstrafe des vorliegenden Verfahrens oder aber auch bewußt, weil die hiesige Einbeziehung noch nicht rechtskräftig ist, als Einzelstrafe in die dortige Gesamtstrafe einbezogen wird bzw. bleibt. Bliebe die Gesamtstrafenbildung des Landgerichts bestehen, würde dann die Einzelstrafe von zehn Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Schwalmstadt zur Bildung der Gesamtstrafe in zwei verschiedenen Verfahren herangezogen. Gegen die Zulässigkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung in Fällen wie dem vorliegenden spricht auch, daß zum Zeitpunkt des Urteilserlasses im vorliegenden Verfahren noch gar nicht gesichert war, ob die einbezogene Strafe in Rechtskraft erwachsen ist, da die Rechtsmittelbeschränkung nicht zwingend wirksam gewesen sein muß.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Gesamtstrafe ohne die fehlerhaft einbezogene Strafe niedriger ausgefallen wäre. Der Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedurfte es insoweit allerdings nicht, da es sich um eine reine Rechtsfrage handelt.
2. Auch der Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 a Abs. 1 StGB begegnet rechtlichen Bedenken.
a) Dies ist allerdings nicht schon deswegen der Fall, weil - wie die Revision meint - ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vorliege, wenn § 66 a Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 6 StGB auch auf solche Taten angewandt würde, die vor dem (gemeint ist offenbar der als Datum des Inkrafttretens) begangen worden sind. Das absolute Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG gilt nicht für Maßregeln der Besserung und Sicherung (BVerfGE 109, 133, 167). Auch ein Verstoß gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot (allgemeines Rückwirkungsverbot) liegt bei einer Anwendung des § 66 a Abs. 1 StGB auf solche Anlaßtaten, die vor Inkrafttreten der Vorschrift begangen wurden, nicht vor. Es handelt sich insoweit um einen zulässigen Fall der bloßen tatbestandlichen Rückanknüpfung ("unechte Rückwirkung").
b) Das Landgericht hat jedoch die Anordnungsvoraussetzungen von § 66 Abs. 2 bzw. Abs. 3 StGB und § 66 a StGB grundlegend verkannt, wenn es hinsichtlich der Gefahrenprognose auf den Zeitpunkt der vollständigen Strafverbüßung bzw. den des Verbüßens von Zweidritteln der Strafe abstellt (UA S. 29). Für beide Vorschriften ist auf den Zeitpunkt der Aburteilung abzustellen. Hätte die Kammer dies erkannt und zunächst § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei geprüft, so hätte sie, da es sich um Ermessensvorschriften handelt, zur Anordnung der Maßregel, aber auch - was für den Angeklagten günstiger gewesen wäre - zu ihrer Nichtanordnung gelangen können.
Ausgangspunkt der Prüfung ist zunächst § 66 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur ist hinsichtlich der materiellen Voraussetzung der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, auf welche in § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB verwiesen wird, auf den Zeitpunkt der Aburteilung abzustellen (st. Rspr., vgl. BGHSt 24, 160, 164; 25, 59, 61; BGH NStZ 2002, 535, 536; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. § 66 Rdn. 15; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 66 Rdn. 25; Ullenbruch in MünchKomm StGB § 66 Rdn. 135). Daß der Gesetzgeber hieran mit der Einführung des § 66 a StGB etwas ändern wollte, ist nicht ersichtlich.
Erst wenn für das Gericht bezogen auf den Zeitpunkt der Aburteilung "nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar ist, ob der Täter für die Allgemeinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 gefährlich ist", kommt § 66 a StGB zum Tragen (vgl. BTDrucks. 14/8586 S. 5). Ist hingegen die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Aburteilung festgestellt, so kann § 66 a StGB mangels Vorliegens der genannten Voraussetzung keine Anwendung finden. Dem Gericht verbleibt dann - in den Fällen nach § 66 Abs. 2 und 3 StGB - nur die Ermessensentscheidung, ob es die Sicherungsverwahrung anordnet oder ganz von ihr absieht. § 66 StGB und § 66 a StGB stehen hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraussetzungen in einem strikten Ausschließlichkeitsverhältnis.
Ob die für die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erforderliche Gefährlichkeit zum Zeitpunkt des Urteils vorlag, hat die Kammer nicht ausdrücklich festgestellt. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils. Daß die Kammer von einer solchen Gefährlichkeit ausgeht, läßt sich allenfalls daraus schließen, daß sie die Angaben der Sachverständigen schildert, wonach "aus psychiatrischer Sicht die Voraussetzungen des § 66 StGB vorlägen" und diese Ausführungen der Sachverständigen insgesamt für überzeugend erklärt (UA S. 23). Die Gefährlichkeitsprognose obliegt aber dem Gericht (vgl. BVerfGE 109, 130, 164; Tröndle/Fischer aaO § 66 Rdn. 22). Insoweit reicht eine Bezugnahme auf bloße Ergebnisse der Sachverständigen - ohne nähere Schilderung, wie sie zu diesen gelangt ist und ohne eigene kritische Würdigung - nicht aus. An späterer Stelle stellt die Kammer zwar die Umstände, die für und gegen eine Gefährlichkeit sprechen, gegenüber, zieht aber dann hieraus keinen Schluß auf die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Aburteilung (UA S. 29 ff.).
c) Die Kammer hat auch den für die Vorbehaltsanordnung nach § 66 a Abs. 1 StGB notwendigen Hang i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, da die dieser Feststellung zugrundeliegende Beweiswürdigung lückenhaft ist.
aa) Der Ausspruch eines Vorbehalts nach § 66 a StGB setzt die Feststellung eines Hangs i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB voraus (vgl. auch BGH NStZ-RR 2005, 211, 212).
Zwar kann den Gesetzesmaterialien entnommen werden, daß der Gesetzgeber davon ausging, ein Hang müsse für die Anordnung des Vorbehalts gemäß § 66 a Abs. 1 StGB nicht sicher festgestellt sein. Denn er wollte gerade einen zusätzlichen Schutz der Bevölkerung durch eine Vorbehaltsanordnung bei solchen Tätern erreichen, bei denen "zum Zeitpunkt des Urteils der 'Hang' i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann" (BTDrucks. 14/8586 S. 5, 6). Unter Bezugnahme darauf geht ein Teil des Schrifttums (vgl. Passek GA 2005, 96, 104; Schreiber/Rosenau in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 4. Aufl. S. 53, 100) davon aus, daß für die Anordnung des Vorbehalts weder die Gefährlichkeit noch der Hang - welche materielle Anordnungsvoraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind - mit hinreichender Sicherheit feststellbar sein dürfen. Für diese Ansicht wird weiter angeführt, daß Gefährlichkeit und Hangtätereigenschaft nicht hinreichend trennbar seien. Nur bei Erstreckung der Anwendung auch auf Zweifelsfälle hinsichtlich Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit erscheine eine sinnvolle praktische Anwendung der Vorschrift denkbar (Jansing, Nachträgliche Sicherungsverwahrung 2004 S. 460).
Die geschilderte gesetzgeberische Absicht führt aber nicht zu einer Gesetzesauslegung, bei der auf die Feststellung eines Hangs bei § 66 a Abs. 1 StGB zu verzichten ist. Denn die gesetzgeberische Intention hat im Wortlaut der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden. Die Notwendigkeit der Feststellung eines Hangs ergibt sich nach dem Gesetzeswortlaut jedenfalls aus dem Verweis auf "die übrigen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3" (Lackner/Kühl aaO § 66 a Rdn. 2; Tröndle/Fischer aaO § 66 a Rdn. 4 f.; Ullenbruch aaO § 66 a Rdn. 36). § 66 Abs. 3 StGB verweist aber seinerseits auf die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 3 und damit auf die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung, mithin auf das Erfordernis eines Hangs zu erheblichen Straftaten. Ginge man hingegen davon aus, daß neben der Gefährlichkeit auch der Hang nicht sicher festgestellt sein muß, so würde das dazu führen, daß später die Sicherungsverwahrung ohne jegliche Hangfeststellung angeordnet werden könnte. Denn nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 66 a Abs. 2 StGB bedarf es für die Maßregelanordnung aufgrund vorherigen Vorbehalts lediglich einer positiven Gefährlichkeitsprognose. Der Annahme, daß eine Sicherungsverwahrung ohne jegliche Hangfeststellung möglich ist, steht zudem § 67 d Abs. 3 StGB entgegen. Diese Vorschrift, die die Erledigung der Maßregel der Sicherungsverwahrung betrifft, geht ersichtlich davon aus, daß ein Hang festgestellt wurde (möglicherweise auch noch fortbesteht). Der Verzicht auf den Hang als Voraussetzung des § 66 a Abs. 1 StGB würde schließlich auch zu einem sachlich nicht begründbaren Auseinanderfallen der materiellen Voraussetzungen nach § 66 und § 66 a StGB führen. Denn dann wäre bei den Tätern, bei denen jedenfalls zum Zeitpunkt der Aburteilung die Gefährlichkeit noch nicht sicher feststellbar war, ein Weniger an Voraussetzungen zu prüfen als bei denjenigen, die bereits zu diesem Zeitpunkt mit der hinreichenden Sicherheit als gefährlich eingestuft werden konnten.
bb) Die Kammer hat zwar ausgeführt, daß bei dem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten vorliegt (UA S. 28). Ausführungen an anderer Stelle im Urteil lassen aber besorgen, daß ein solcher - i. S. eines eingeschliffen inneren Zustands, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen läßt (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1) - nicht rechtsfehlerfrei festgestellt wurde. So heißt es, daß der Angeklagte von seinem Hang nicht beherrscht werde, sondern über längere Zeit ohne Kinder und Jugendliche leben könne (UA S. 15), daß das bei ihm vorliegende eingeschliffene Verhaltensmuster nicht ständig handlungsleitend sei (UA S. 22) und daß seit der letzten Sexualstraftat (wegen der der Angeklagte verurteilt wurde) ein sehr langer Zeitraum von über 20 Jahren verstrichen ist. Daraus folgert die Kammer, daß der Angeklagte über gewichtig lange Zeiträume die aus seiner Persönlichkeit erwachsenen Versuchungen beherrschen könne (UA S. 30). Mit ihren Folgerungen zieht die Kammer das Vorliegen eines Hangs eher selbst in Zweifel. Jedenfalls der sehr lange Zeitraum, der zwischen den zuletzt abgeurteilten einschlägigen Taten und den jetzt abgeurteilten liegt, ist ein Umstand, der zwar das Vorliegen eines Hangs nicht ausschließt (vgl. BGH NStZ 2005, 265, 266), der aber einer eingehenden Würdigung bedarf, welche die Kammer hier vermissen läßt.
cc) Eine positive Gefährlichkeitsprognose ersetzt die Feststellung eines Hangs nicht. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch in § 67 d Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht. Der Grad der "Eingeschliffenheit" beeinflußt hierbei die Beurteilung der Höhe der Wahrscheinlichkeit. Zwar ist die ausreichende Wahrscheinlichkeit regelmäßig gegeben, wenn die Hangtätereigenschaft festgestellt ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; , zur Veröffentlichung in BGHSt 50 bestimmt). Doch gilt das eben nur in der Regel. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen dies nicht so ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 144 f.).
d) Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß sich die Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben. Die Kammer hätte bei zutreffender rechtlicher Würdigung möglicherweise von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gänzlich abgesehen. Wäre sie nämlich von einer Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB ausgegangen, so wäre die Anordnung der Maßregel in ihr Ermessen gestellt, das sie möglicherweise im Sinne einer Nichtanordnung der Maßregel ausgeübt hätte.
4. Im übrigen hat die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
III.
Die auf den Ausspruch des bloßen Vorbehalts der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der (allein erhobenen) Sachrüge ebenfalls Erfolg.
1. Die Rechtsmittelbeschränkung ist wirksam. Nach bisheriger Rechtsprechung ist die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung oder Ablehnung der Sicherungsverwahrung dann möglich, wenn zwischen ihr und der gleichzeitig verhängten Freiheitsstrafe kein untrennbarer Zusammenhang besteht (BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1; vgl. auch BGH NStZ 1999, 473; NStZ-RR 2001,13; Ruß in KK 5. Aufl. § 318 Rdn. 8 a). Ein untrennbarer Zusammenhang liegt hier nicht vor. Die Kammer hat im Rahmen der Strafzumessung nicht auf die Anordnung des Vorbehalts nach § 66 a StGB abgestellt. Es kann auch ausgeschlossen werden, daß vorliegend die Strafe milder ausgefallen wäre, wenn die Kammer die Sicherungsverwahrung angeordnet hätte.
2. Die Revision ist begründet. Der Maßregelausspruch ist auf die Revision der Staatsanwaltschaft schon deshalb aufzuheben, weil die Kammer den vom Gesetz verlangten Gefährlichkeitsmaßstab verkannt hat. Denn nach ihrer Ansicht ist es erforderlich, daß der Angeklagte "mit höchster Wahrscheinlichkeit" gefährlich ist. Dies widerspricht bereits dem Gesetzeswortlaut des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, der lediglich voraussetzt, daß der Täter "für die Allgemeinheit gefährlich ist". Dazu reicht zwar nicht die bloße Möglichkeit künftiger Straftaten (vgl. BGH bei Holtz MDR 1990, 676). Andererseits ist aber auch nicht erforderlich, daß die künftigen Straftaten mit Sicherheit zu erwarten sind oder eine "extrem hohe Wiederholungsgefahr" gegeben sein muß (BGH wistra 1988, 22, 23). Es genügt, daß die Taten aufgrund des Hanges ernsthaft zu besorgen sind (BGH NStZ-RR 2003, 108 f.; BGH NJW 1968, 997, 998). Der Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 a Abs. 1 StGB soll nicht dazu dienen, bei Vorliegen der Voraussetzungen der Maßregel nach § 66 StGB deren Anordnung zu vermeiden (BGHR StGB § 66 a vorbehaltene Sicherungsverwahrung 1).
3. Auch insoweit beruht das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Kammer bei zutreffender Rechtsanwendung das ihr nach § 66 Abs. 2 bzw. Abs. 3 StGB eingeräumte Ermessen zu Lasten des Angeklagten ausgeübt hätte. Im Rahmen des Ermessens hätte die Kammer zwar berücksichtigen können, ob der Angeklagte unter der Einwirkung eines langjährigen Strafvollzuges und fortschreitender Alterung voraussichtlich zum Ende des Strafvollzuges nicht mehr gefährlich sein wird. Die bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Umstände vermögen insoweit die Ermessensentscheidung allerdings nicht entscheidend zu beeinflussen (BGH NStZ 2002, 535, 536; 2002, 30 f.). Eine Vermutung dafür besteht nicht (BGH StV 2004, 200, 201). Eine Ermessensreduktion auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung kann allenfalls in den Fällen - als Ausfluß des Verhältnismäßigkeitsprinzips - angenommen werden, in denen schon zum Zeitpunkt der Aburteilung mit Sicherheit die Gefährlichkeit zum Ende des Strafvollzuges ausgeschlossen werden kann. Im vorliegenden Fall ist es indes so, daß das Gericht es lediglich "für durchaus möglich" hält, daß es zu einer Verhaltensänderung des Angeklagten im Verlaufe des Strafvollzuges kommen wird.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2005 S. 3155 Nr. 43
wistra 2005 S. 422 Nr. 11
JAAAC-11257
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