BGH Urteil v. - 3 StR 548/16

Sich-Verschaffen kinder-pornographischer Schriften: Tatbestandserfüllung durch eigenhändiges Anfertigen von Fotoaufnahmen

Gesetze: § 11 Abs 1 Nr 6 StGB, § 184b Abs 3 StGB

Instanzenzug: LG Hildesheim Az: 6 Js 3057/16 - 14 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Hiergegen wendet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte und wirksam auf den Freispruch in den Fällen 9 und 10 der Anklage sowie den Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft.

I.

2Nach den Feststellungen freundete sich die Mutter der im September 2003 und September 2008 geborenen Nebenkläger im Jahr 2012 mit dem Angeklagten an, der bald in das Familienleben einbezogen wurde. So übernahm er abwechselnd mit dem Großvater bei Abwesenheit der Mutter die Aufsicht über die Kinder. Im Sommer 2015 missbrauchte der Angeklagte in vier Fällen den damals elfjährigen Nebenkläger J.    B.      , indem er in drei Fällen den Oralverkehr an dem Kind durchführte und in einem Fall die Spitze eines Vibrators in dessen Anus einführte. Im Dezember 2015 und Januar 2016 drang er in einem Fall mit der Spitze eines Vibrators und gleich darauf mit der eines Dildos anal bei dem damals siebenjährigen Nebenkläger Ju.   B.     ein und manipulierte in zwei Fällen an dessen Glied, wobei das Kind in einem Fall schlief. Vom Vorwurf weiterer Missbrauchstaten zum Nachteil von J.    und Ju.   B.       hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, so auch in den Fällen 9 und 10 der Anklage, in denen dem Angeklagten vorgeworfen worden war, zur Anfertigung von Fotos den Nebenkläger J.    B.       in zwei Fällen veranlasst zu haben, mit entblößtem erigierten Penis auf der Couch sitzend zu posieren.

II.

31. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, soweit es sich gegen die Freisprüche in den Fällen 9 und 10 der Anklage wendet.

4a) Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision wirksam auf die Freisprüche in diesen beiden Fällen beschränkt. Zwar hat sie allgemein die Verletzung materiellen Rechts gerügt und beantragt, das angefochtene Urteil hinsichtlich der Teilfreisprüche und der lediglich vorbehaltenen Sicherungsverwahrung aufzuheben. Doch setzt sich die Revisionsbegründung ausschließlich mit den Teilfreisprüchen in den Fällen 9 und 10 der Anklage auseinander. In einem solchen Fall, in dem der Umfang der Anfechtung unklar ist, ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. etwa , juris Rn. 5; vom - 2 StR 90/14, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 9). Diese ergibt nach dem insoweit maßgeblichen und eindeutigen Sinn der Revisions-begründung - auch mit Blick auf Nr. 156 Abs. 2 RiStBV - eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die genannten Freisprüche und den Maßregelausspruch, so dass die übrigen Teilfreisprüche ebenso wie die Schuldsprüche und die hierfür verhängten Einzelfreiheitsstrafen in Rechtskraft erwachsen sind.

5b) Im Umfang dieser Anfechtung halten die Teilfreisprüche der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihm obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen. Dies stellt auch einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK-Kuckein, 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).

6Die umfassende gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2010, 222, 223 mwN). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 264 Rn. 10).

7Dies hat das Landgericht unterlassen. Nach den Urteilsgründen wurden Fotografien, die das Kind mit entblößtem Unterkörper und erigiertem Glied breitbeinig auf der Couch sitzend zeigen, aus dem Handy des Angeklagten ausgelesen. Der Angeklagte hat eingeräumt, die Aufnahmen gefertigt zu haben. Er habe den Nebenkläger aber nicht gebeten, zu posieren, sondern - nachdem er diesen in der abgelichteten Position vorgefunden habe - die Fotos aus einer spontanen Eingebung heraus gemacht, diese ihm gezeigt und dann gelöscht (UA S. 13). Das Landgericht sieht auf der Grundlage dieser Einlassung, der es gefolgt ist, den Anklagevorwurf als nicht bestätigt an. Es sei weder erwiesen, dass der Angeklagte den Nebenkläger zu dieser Pose veranlasst noch dass er zuvor am Penis des Kindes manipuliert habe (UA S. 31 f.). Auf der Grundlage dieser Feststellungen hätte die Strafkammer indes prüfen und entscheiden müssen, ob der Angeklagte den Tatbestand des Sich-Verschaffens kinder-pornographischer Schriften nach § 184b Abs. 3 StGB erfüllt hat. Die Vorschrift ist als Unternehmensdelikt ausgestaltet. Das heißt, dass zur Erfüllung des Tatbestandes allein der Versuch vorausgesetzt ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB), sich in den Besitz einer kinderpornografischen Schrift, wie sie auch die Abbildung eines in eindeutig sexualbezogener Haltung posierenden Kindes darstellt (vgl. , BGHSt 59, 177, 178 ff.; Beschluss vom - 4 StR 342/14, StV 2015, 494), zu bringen. Dies kann auch durch eigenhändiges Anfertigen entsprechender Fotoaufnahmen geschehen (vgl. , BGHSt 43, 366, 368).

8Das Urteil ist somit hinsichtlich der Teilfreisprüche in den Fällen 9 und 10 aufzuheben. Daher kann auch die Gesamtfreiheitsstrafe nicht bestehen blei-ben. Sie bedarf gegebenenfalls neuer Bemessung.

92. Der Maßregelausspruch hat hingegen - auch soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung lediglich vorbehalten wurde - Bestand.

10a) Das Landgericht hat zutreffend die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB als erfüllt angesehen. Es hat aber nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen vermocht, sondern es nur für wahrscheinlich gehalten, dass die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorliegen, und deshalb die Sicherungsverwahrung lediglich vor-behalten (§ 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB). Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

11Das Landgericht ist mit rechtsfehlerfreier Begründung von der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen abgewichen, der das Vor-liegen einer hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit bejaht hatte. An einer solchen Abweichung ist der Tatrichter nicht gehindert; er muss sich dann aber bei seiner Beurteilung konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinander setzen und seine Auffassung tragfähig sowie nachvollziehbar begründen (vgl. , StraFo 2009, 71).

12Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil gerecht. Die Strafkammer hat - entgegen den Einwänden der Revision - nicht etwa ein gegenüber dem Sachverständigen besseres Fachwissen behauptet. Vielmehr ist sie den fachlichen Ausführungen des Sachverständigen gefolgt, gestützt auf die von ihr in der Hauptverhandlung festgestellten Anknüpfungstatsachen aber zu einer abweichenden Einschätzung der Gefährlichkeit des Angeklagten gelangt. Der Sachverständige hatte seine Gefährlichkeitsbeurteilung unter anderem auf das fehlende Unrechtsbewusstsein des Angeklagten, die Verharmlosung seiner Taten und seine mangelnde Opferempathie gestützt. Das Landgericht konnte sich demgegenüber im Ergebnis nicht die Überzeugung verschaffen, dass der Angeklagte kein Bedauern und kein Schuldbewusstsein zeige. Vielmehr hat es in der Hauptverhandlung Reue und Mitgefühl für den Geschädigten sowie eine beginnende Reflexion seines strafbaren Verhaltens und Veränderungsbereitschaft feststellen können. Auf dieser Grundlage vermochte es sich im Ergebnis keine Überzeugung von einer hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zu verschaffen. Somit hat das Landgericht seine Prognose, dass der Angeklagte zwar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, aber nicht hinreichend sicher künftig erhebliche Straftaten begehen werde, auf tatsächlicher Ebene auf andere Anknüpfungstatsachen gestützt als die, mit denen der Sachverständige das Bestehen einer Gefährlichkeit begründet hat. Die Feststellung der Tatsachen, die der Gefährlichkeitsprognose zugrunde zu legen sind, obliegt indes dem Tatgericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung. Auf dieser als Ergebnis der Hauptverhandlung gefundenen Tatsachenbasis hat das Landgericht nach Maßgabe der gutachterlichen Vorgaben des Sachverständigen, im Ergebnis aber abweichend die Gefährlichkeit des Angeklagten beurteilt. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

13b) Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung weist auch keinen Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) auf. Das Landgericht hat die Ausübung des ihr nach § 66a Abs. 1 StGB zustehenden Ermessens zwar nicht ausdrücklich begründet. Dies führt indes vorliegend nicht zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.

14§ 66a Abs. 1 StGB stellt auch bei Vorliegen aller Voraussetzungen die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung in das Ermessen des Gerichts. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll dieses die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten oder wahrscheinlichen Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. zu § 66 Abs. 2 und 3 StGB: , NStZ-RR 2011, 172; vom - 1 StR 275/12, juris Rn. 34). Dass sich das Landgericht seines Ermessens bewusst war und welche Gründe für seine Ermessensaus-übung leitend waren (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 207/12, juris Rn. 3; vom - 3 StR 170/15, juris Rn. 2, jew. mwN), ist dem Gesamtzusammenhang des Urteils vorliegend hinreichend zu entnehmen. Das Landgericht hat sich in den Urteilsgründen eingehend mit den Einwirkungsmöglichkeiten des Strafvollzugs auf den Angeklagten und seinen Therapiechancen auseinandergesetzt. Damit hat es die Umstände berücksichtigt, die regelmäßig Eingang in die Ermessensabwägung finden (vgl. etwa , BGHSt 50, 188, 198; vom - 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707). Auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung hat es erörtert. Nach alledem ist nicht anzuzweifeln, dass das Landgericht eine fehlerfreie Ausübung seines Ermessens vorgenommen hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:060417U3STR548.16.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 803 Nr. 11
EAAAG-72530