BGH Beschluss v. - 5 StR 129/05

Leitsatz

[1] Wurde eine Hauptverhandlung extrem verzögert, namentlich durch zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellte Beweisanträge, ist zur Verhinderung weiterer Verfahrensverzögerung die prozessuale Möglichkeit in Betracht zu ziehen, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zu setzen und nach deren Ablauf gestellte Beweisanträge grundsätzlich nicht mehr durch gesonderten Gerichtsbeschluß, sondern erst in den Urteilsgründen zu bescheiden.

Gesetze: StPO § 244 Abs. 3 Satz 2; StPO § 244 Abs. 6; StPO § 246 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

Das Schwurgericht hat - nach über dreieinhalb Jahren Verhandlungsdauer am 291. Verhandlungstag - den Angeklagten Z wegen Mordes (Tatkomplex A ; lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe), wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Totschlags (Tatkomplex S /E ; Einzelfreiheitsstrafen von neun und elf Jahren) sowie wegen (besonders) schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchtem (besonders) schweren Raub (Tatkomplex R ; Einzelfreiheitsstrafe von zehn Jahren) zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt, die besondere Schwere seiner Schuld festgestellt und die Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten angeordnet. Den Angeklagten Y hat das Schwurgericht wegen Anstiftung zum Mord (nur Tatkomplex A ) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit Verfahrens- und Sachrügen sowie eine Nebenklägerin mit einer Sachrüge.

Die Revisionen der Angeklagten sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet; die Revision der Nebenklägerin A A ist aus den dort genannten Gründen unzulässig (§ 400 Abs. 1 StPO). Über die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hinaus sieht der Senat Anlaß zu folgenden Anmerkungen:

1. Die Revisionsbegründungsschrift von Rechtsanwalt Ri deckt keine durchgreifenden Rechtsfehler des Schwurgerichts, sondern ein Prozeßverhalten dieses Verteidigers des Angeklagten Z auf, das in seiner Gesamtheit als rechtsmißbräuchlich zu bewerten ist. Dies wird insbesondere durch folgende Umstände gekennzeichnet: Stellung einer Vielzahl sachlich unberechtigter Beweisanträge, zudem in sukzessiver Form, ohne daß für diese Vorgehensweise ein nachvollziehbares berechtigtes Interesse zu erkennen wäre; Reaktion auf die Ablehnung solcher und anderer Anträge mit umfangreichen "Gegenvorstellungen" sowie vielfach unzulässigen Ablehnungsgesuchen und Unterbrechungsanträgen; Ankündigung zahlreicher weiterer Beweisanträge ohne auch nur andeutungsweise erfolgte Offenlegung eines berechtigten weiteren Aufklärungsbegehrens; letztendlich ein "Plädoyer", in dem über neun Verhandlungstage jeweils stundenlang bis zum schließlich notwendigen Abbruch durch das Gericht nahezu ausschließlich Zeugen- und Sachverständigenaussagen in chronologischer Reihenfolge ohne erkennbaren Versuch einer zusammenfassenden Würdigung der Hauptverhandlungsergebnisse referiert wurden. Gerade in seiner Kumulation zeigt dieses Prozeßverhalten, daß es Rechtsanwalt Ri damit nicht um die Wahrnehmung legitimer Verteidigungsaufgaben - den Angeklagten vor einem materiellen Fehlurteil oder auch nur einem prozeßordnungswidrigen Urteil zu schützen (vgl. BGH NStZ 2005, 341) - ging, sondern vorrangig um die Verhinderung eines Verfahrensabschlusses in angemessener Zeit durch die massive Beeinträchtigung von Verfahrensherrschaft und Arbeitsfähigkeit des Strafgerichts (vgl. Hassemer in Festschrift für Lutz Meyer-Goßner, 2001, S. 127, 143).

Abgesehen davon führt die Art und Weise des - zudem vielfach von urteilsfremdem Sachvortrag durchsetzten - Revisionsvorbringens von Rechtsanwalt Ri zu den einzelnen Verfahrensrügen - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - zur Unzulässigkeit all seiner verfahrensrechtlichen Beanstandungen, auch wenn die Anforderungen an die Vortragspflicht gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bei mehrjährigen umfangreichen Verfahren wie dem vorliegenden im Lichte der nicht verlängerbaren Monatsfrist nach § 345 Abs. 1 StPO nachsichtiger beurteilt werden. Die Revisionen von Rechtsanwalt Me (weiterer Verteidiger des Angeklagten Z ) und Rechtsanwältin L (für Y ) belegen, daß ein geordneter Revisionsvortrag zu mehreren Verfahrensrügen auch im vorliegenden Verfahren innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO möglich war.

2. Der näheren Erörterung bedarf eine von beiden Angeklagten gerügte Verfahrensweise des Schwurgerichts, mit der nach mehr als dreijähriger Verfahrensdauer die weitere Bescheidung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung abgelehnt wurde.

a) Aus dem Revisionsvortrag ergibt sich insoweit folgender Verfahrensgang:

aa) Mit Beschluß vom (Protokollanlage 793, veröffentlicht in StraFo 2004, 170 mit Anm. Durth/Meyer-Lohkamp) hat das Schwurgericht erklärt, vorbehaltlich eines früheren Schlusses der Beweisaufnahme werde es Beweisanträge nicht mehr entgegennehmen, wenn diese nach dem , 12.00 Uhr, gestellt würden. Zur Begründung hat es u. a. folgendes ausgeführt: Nach fast zweijähriger Verhandlungsdauer mit zwei Verhandlungstagen pro Woche sei das Beweisprogramm aus Sicht der Kammer seit Mitte 2001 vollständig abgearbeitet gewesen; die anschließende Beweisaufnahme habe keine wesentlichen neuen Ergebnisse ergeben. Seit Mitte 2001 seien über 320 Beweisanträge - teils aus vielfachen Einzelanträgen bestehend - gestellt worden, davon nach einem ersten Schluß der Beweisaufnahme am allein 120 Anträge. Mit Ausnahme der auf präsente Beweismittel gerichteten Anträge seien nahezu sämtliche Beweisanträge abgelehnt worden, und zwar überwiegend auch wegen Bedeutungslosigkeit. Insgesamt zeige das Verteidigungsverhalten einen Mißbrauch des Beweisantragsrechts zur Verschleppung des Verfahrens auf, zumal ohne sachlich erkennbaren Grund und ohne Konkretisierung beweiserheblicher Themenkomplexe eine Vielzahl weiterer Beweisanträge angekündigt sei. Die Amtsaufklärungspflicht bleibe von der angekündigten Verfahrensweise unberührt.

bb) Mit Beschluß vom (Protokollanlage 797) hat das Schwurgericht den Beschluß vom dahingehend klargestellt, daß sich dieser nicht auf die Stellung von Hilfsbeweisanträgen beziehe. Zudem hat es ergänzend erläutert, weshalb die bisherige Antragstellung allein dem Zweck mißbräuchlicher Verfahrensverzögerung gedient habe. Mit einem weiteren Beschluß vom (Protokollanlage 978) hat das Schwurgericht nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich der Beschluß vom nicht auf die Stellung von Hilfsbeweisanträgen beziehe und nach Fristablauf gestellte Beweisanträge als Beweisanregungen gewertet sowie unter Aufklärungsgesichtspunkten geprüft würden.

cc) Die nach Ablauf der gesetzten Frist gestellten Beweisanträge der Verteidigung hat das Schwurgericht in den Urteilsgründen im einzelnen wie Hilfsbeweisanträge beschieden (UA S. 390 ff.). Sämtliche Anträge wurden wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt, überwiegend zudem wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen, darüber hinaus - von einem Antrag auf Verlesung präsenter Urkunden abgesehen - mangels Aufklärungspflicht bei als Ermittlungsanträgen gewerteten Anträgen oder nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO.

b) Diese Vorgehensweise rügen die Revisionen letztlich erfolglos.

aa) Im Ausgangspunkt zutreffend weisen sie freilich darauf hin, daß dem deutschen Strafprozeßrecht eine Präklusion im Beweisantragsrecht grundsätzlich fremd ist (vgl. BGH StraFo 2005, 249).

(1) Nach § 246 Abs. 1 StPO darf eine Beweiserhebung nicht deshalb abgelehnt werden, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache zu spät vorgebracht worden sind. Daraus wird auch gefolgert, daß den Verfahrensbeteiligten nicht vorgeschrieben werden kann, zu welchem Zeitpunkt der Hauptverhandlung sie einen Beweisantrag zu stellen haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 246 Rdn. 1 m.w.N.). Das Gericht ist danach gemäß § 246 Abs. 1 StPO grundsätzlich verpflichtet, bis zum Beginn der Urteilsverkündung Beweisanträge entgegenzunehmen (st. Rspr., vgl. BGHSt 16, 389, 391; 21, 118, 123 f.; BGHR StPO § 238 Abs. 2 Beweisantrag 1).

(2) Dabei darf nach § 244 Abs. 6 StPO die Ablehnung sämtlicher Beweisanträge grundsätzlich nur durch Gerichtsbeschluß in der Hauptverhandlung erfolgen. Mit dem Erfordernis dieses Gerichtsbeschlusses kann, da er mit dem wesentlichen Inhalt seiner Begründung zu protokollieren ist, eine erhebliche Hemmung für den Fortgang der Hauptverhandlung einhergehen. Entscheidung und Begründung dürfen nicht nachträglich erfolgen, insbesondere nicht erst in den Urteilsgründen enthalten sein (vgl. zum Vorstehenden BGH StraFo 2005, 249; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Entscheidung 3). Eine Ausnahme gilt lediglich für Hilfsbeweisanträge, wobei dem Gericht die eigenmächtige Umdeutung eines unbedingten Beweisantrags in einen Hilfsbeweisantrag verwehrt ist (BGH StraFo 2005, 249). Wegen Verschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) darf auch ein Hilfsbeweisantrag nicht erst in den Urteilsgründen abgelehnt werden (Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 244 Rdn. 44a m.w.N.).

(3) Eine Einschränkung des Beweisantragsrechts des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof bislang lediglich im Falle eines massiven Mißbrauchs dieses Rechts durch exzessive Antragstellung eines Angeklagten angenommen und es gebilligt, daß der Angeklagte hiernach darauf verwiesen wird, Anträge nur noch über seinen Verteidiger zu stellen (BGHSt 38, 111; vgl. auch BayObLG StV 2005, 12; ferner zur hier nicht relevanten Möglichkeit der Mißbrauchsverhinderung durch Anwendung des § 257a StPO: Diemer in KK 5. Aufl. § 257a Rdn. 1; ). Hingegen ist das Gericht nicht befugt, der Verteidigung schlechthin und von vornherein die Stellung prozessual zulässiger Anträge zu verbieten (BGHSt 38, 111, 114; vgl. auch BGH JR 1980, 218 m. Anm. Meyer).

bb) Im vorliegenden Fall hat das Schwurgericht allerdings das Recht der Angeklagten auf die Stellung von Beweisanträgen als solches nicht beschnitten.

Es hat vielmehr - wie durch mehrfache Klarstellung des fristsetzenden Ausgangsbeschlusses deutlich gemacht - lediglich die weitere Bescheidung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung abgelehnt und diese der Urteilsbegründung vorbehalten. Zudem hat das Gericht in dem fristsetzenden Beschluß den Angeklagten und ihren Verteidigern hinreichend klargemacht, daß die Ablehnungsgründe der Verschleppungsabsicht und Bedeutungslosigkeit nach dem bisherigen Verfahrenslauf alle weiteren gleichartigen Beweisanträge der Verteidigung treffen würden und andere Arten von Beweisanträgen nach seiner Einschätzung nicht zu erwarten seien. Diese Erwartung war vor dem Hintergrund der bis dahin erfolgten Antragstellung in der Sache ersichtlich nicht zu beanstanden.

Werden Beweisanträge in dieser Weise bis zur Urteilsverkündung entgegen- und zur Kenntnis genommen und - bei Einzelbescheidung im Urteil - vorab die grundsätzlichen Ablehnungsgründe für alle nachfolgenden Beweisanträge ausdrücklich benannt, bleibt nicht nur die vollständige Überprüfbarkeit der Ablehnungsbegründung durch das Revisionsgericht erhalten; der mit der Fristsetzung verbundene Eingriff in die durch § 244 Abs. 6 StPO garantierte Informationsfunktion des individuellen Ablehnungsbeschlusses hält sich aufgrund der gleichsam "vor die Klammer gezogen" Vorabinformation über die zukünftigen Ablehnungsgründe auch in Grenzen.

cc) Die so verstandene Vorgehensweise des Schwurgerichts würde angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falls keinen durchgreifenden Bedenken begegnen.

Wurde eine Hauptverhandlung extrem verzögert, namentlich durch zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellte Beweisanträge, ist zur Verhinderung weiterer Verfahrensverzögerung die prozessuale Möglichkeit in Betracht zu ziehen, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zu setzen und nach deren Ablauf gestellte Beweisanträge grundsätzlich nicht mehr durch gesonderten Gerichtsbeschluß, sondern erst in den Urteilsgründen zu bescheiden.

(1) Jenseits der Frage eines Mißbrauchs von Verfahrensrechten (vgl. hierzu insb. BGHSt 38, 111, 113), die wesentlich von der jeweiligen inneren Einstellung des Betroffenen abhängt und bei verschiedenen Verfahrensbeteiligten unterschiedlich beurteilt werden kann, ist nach monate-, gar jahrelanger Verhandlungsdauer über das vom Gericht selbst bestimmte Beweisprogramm hinaus, namentlich bei lang andauernder Untersuchungshaft von Angeklagten, nach einer verfahrensrechtlich vertretbaren Möglichkeit zu suchen, die Hauptverhandlung - allerdings unter fortdauernder Wahrung unverzichtbarer Verteidigungsinteressen - zu einem Abschluß zu bringen. Dies gebieten die mit zunehmender Verfahrensdauer immer gewichtiger werdenden Gebote der Beschleunigung des Verfahrens, insbesondere in Haftsachen (Art. 6 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK, Art. 2 Abs. 2 GG), und der Gewährleistung einer dem Gleichheitsgedanken verpflichteten funktionsfähigen Strafrechtspflege vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen der Strafjustiz (vgl. BGH-GS NJW 2005, 1440, 1443 f.). Je länger ein Verfahren dauert, desto größer wird das legitime Interesse daran, es in absehbarer Zeit einer abschließenden Urteilsfindung zuzuführen, sofern nicht sachliche Gründe eine Verhandlung über Monate oder gar Jahre hin unerläßlich machen.

(2) Bei dieser Sachlage hält der Senat in extrem gelagerten Fällen bei Abwägung der widerstreitenden Interessen und Rechtsgüter - namentlich des Informationsinteresses des Angeklagten an der Bescheidung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung einerseits, des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen und des Gebots einer funktionsfähigen Strafrechtspflege andererseits - im Wege verfassungs- und konventionskonformer Einschränkung von § 244 Abs. 6 StPO folgende Verfahrensweise für erwägenswert:

Es wird den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Entgegennahme von Beweisanträgen gesetzt und - mit eingehender Begründung - die pauschale Ablehnung nach Fristablauf gestellter Anträge wegen Verschleppungsabsicht vorab beschlossen; hernach überprüft das Gericht die Anträge, ohne sie allerdings jeweils durch Gerichtsbeschluß nochmals gesondert individuell zu bescheiden, und zwar vornehmlich unter Aufklärungsgesichtspunkten, zudem bescheidet es sie wie Hilfsbeweisanträge in den Urteilsgründen; hierbei ist dann freilich der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nicht ausgeschlossen. Diese besondere Verfahrensweise wird allerdings regelmäßig erst dann in Betracht kommen können, wenn zuvor gestellte Beweisanträge wiederholt wegen Verschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2, § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO) abgelehnt werden mußten.

(3) Der vorliegende Fall ist als Extremfall, für den eine solche Verfahrensweise in Betracht kam, zu werten.

Für eine mehr als dreijährige Verhandlungsdauer ist unter Berücksichtigung der gegebenen Beweislage kein vertretbarer Grund ersichtlich. Die drei Tatkomplexe waren sachlich überschaubar, die Beweislage war nicht einmal übermäßig schwierig. Der Angeklagte Z hatte im Ermittlungsverfahren nicht nur seine Beteiligung an der Tötung von S A in einem Umfang zugegeben, der wohl zumindest eine Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Raubes mit Todesfolge getragen hätte, sondern sich auch in weiteren polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen selbst der Täterschaft in den beiden anderen Tatkomplexen bezichtigt. Über diese Geständnisse hinaus wurde die Beweislage im Sinne der Anklage durch gewichtige objektive Spuren - etwa die Faserspuren im Fall S /E - und mit Täterwissen durchsetzte selbstbelastende Angaben Z s gegenüber dem Zeugen L sowie durch die Angaben weiterer Zeugen bestärkt. Auch der Angeklagte Y hat im Laufe der Hauptverhandlung eine Beteiligung an dem Geschehen zum Nachteil von S A in einem erheblichen Umfang eingeräumt; hinzu kamen auch bei ihm übereinstimmende, sich ergänzende belastende Angaben von Zeugen, die durch das weitere Beweisergebnis gestützt wurden.

Es ist auch kein für sich sachlich nachvollziehbares berechtigtes Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer Antragstellung nach Ablauf der ihnen gesetzten Frist ersichtlich (vgl. hierzu auch Basdorf StV 1995, 310, 314); weder gab es eine erheblich veränderte Sachlage noch wesentliche neue Informationen, die es gerechtfertigt hätten, die jeweiligen Anträge erst zu einem so späten Zeitpunkt vorzubereiten und zu stellen.

dd) Eine abschließende Beurteilung der vom Senat erwogenen Verfahrensweise, insbesondere auch der Frage, ob das Vorgehen des Schwurgerichts einer solchen Verfahrensweise in jeder Beziehung entsprach, kann indes dahinstehen.

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, zeigen die Revisionen der Angeklagten nicht auf, in welcher Weise das Urteil auf einer Verletzung von § 244 Abs. 6 StPO beruhen könnte (§ 337 Abs. 1 StPO) oder in welchem für die Entscheidung wesentlichen Punkt die Verteidigung durch die entsprechenden Gerichtsbeschlüsse beschränkt worden wäre (§ 338 Nr. 8 StPO).

Es ist nach dem Revisionsvortrag nicht ersichtlich, inwieweit sich die Angeklagten bei einer dem Wortlaut des § 244 Abs. 6 StPO entsprechenden Verfahrensweise anders als geschehen hätten verteidigen können. Die erst im Urteil beschiedenen Anträge offenbaren sämtlich keine neuen Ansätze der Verteidigung und stellen auch das nach umfassender Sachaufklärung gewonnene sichere Beweisergebnis des Schwurgerichts nicht in Frage (vgl. auch ). Soweit die hierzu angebrachten Beanstandungen überhaupt zulässige Beweisanträge betreffen, handelt es sich bei den erst im Urteil beschiedenen, nach Ablauf der gesetzten Frist eingereichten Beweisanträgen um solche, mit denen die Frage der Glaubwürdigkeit als problematisch angesehener Beweispersonen weiter, aber in keinem Fall mit durchgreifend neuen Ansätzen, in Zweifel gezogen werden sollte.

c) Der vorliegende Fall verdeutlicht, daß für den Gesetzgeber Anlaß zur Prüfung besteht, ob unter Berücksichtigung der genannten gegenläufigen Interessen eine Änderung des derzeitigen - einen verfahrensverzögernden Mißbrauch ermöglichenden - Rechtszustands herbeigeführt werden sollte, etwa durch Ergänzung von § 244 Abs. 6 StPO oder § 246 Abs. 1 StPO (hierzu näher Basdorf StV 1995, 310, 314 f., Fn. 30 und StV 1997, 488, 490; vgl. auch Brause NJW 1992, 2865, 2869). Im Blick auf andere Präklusionsregelungen, welche in angemessener Abwägung zwischen den Bedürfnissen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege wie einer effektiven Verteidigung unmittelbar vom Gesetzgeber (vgl. nur §§ 6a, 25, 222b StPO) oder von der Rechtsprechung in Anwendung und Auslegung bestehender prozessualer Normen (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 136 Rdn. 25; § 238 Rdn. 22; jeweils m.w.N.) aufgestellt worden sind, wäre eine im Eingriff zurückhaltende gesetzliche Einschränkung der bestehenden Regelung keineswegs systemfremd.

3. Erfolglos bleiben auch die Rügen, wonach dem Angeklagten Z nach berechtigtem Ausschluß von der weiteren Sitzungsteilnahme infolge ungebührlichen Verhaltens zu Unrecht nicht das letzte Wort gewährt oder sonstige Gelegenheit zur Äußerung bzw. zur Untersuchung durch einen Sachverständigen gegeben worden sein soll.

a) Angesichts von zwei massiven Ausschlußvorfällen vor dem Hintergrund eines vielfach auf Verzögerung ausgerichteten Prozeßverhaltens dieses Angeklagten hat das Schwurgericht mit seinem Vorgehen den ihm insoweit zustehenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraum letztlich nicht überschritten.

aa) Zwar muß auch bei einem wegen ordnungswidrigen Benehmens nach § 231b StPO ausgeschlossenen Angeklagten in aller Regel der Versuch gemacht werden, ihn für die Gewährung des letzten Worts wieder hinzuzuziehen (Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 258 Rdn. 20). Ein von vornherein aussichtslos erscheinender Versuch ist im Hinblick auf die Ordnung der Verhandlung und das Ansehen des Gerichts indes nicht erforderlich (RGSt 35, 433, 436; BGHSt 9, 77, 81). Die tatrichterliche Prognose der Aussichtslosigkeit eines erneuten Zulassungsversuchs ist vom Revisionsgericht jedenfalls dann hinzunehmen, wenn das Gericht - wie hier - die widerstreitenden Interessen anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls sorgfältig und nachvollziehbar abgewogen hat.

bb) Bei dieser Abwägung hat das Gericht einerseits das hohe Gewicht des Rechts auf ein letztes Wort und den Umstand zu bedenken, daß dieses Recht nicht lediglich zum Zweck der Erleichterung oder Beschleunigung des Verfahrens abgeschnitten werden darf (BGHSt 9, 77, 81). Andererseits kommt auch dem Umstand besonderes Gewicht zu, ob das ungebührliche Verhalten auf einem vorübergehenden und letztlich noch nachvollziehbaren Verlust der Beherrschung angesichts in der Hauptverhandlung neu aufgetretener Umstände beruht oder ob ihm - für jeden unbefangenen Dritten sofort erkennbar - die auf zukünftige Störungen deutende Absicht innewohnt, Ansehen und Würde des Gerichts zu beeinträchtigen (vgl. BGHSt 9, 77, 80). Letzteres hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei aus dem Umstand geschlossen, daß der Angeklagte Z die massive Beleidigung des Vorsitzenden auch nach mehrfacher Ermahnung und Belehrung sowie einer längeren Unterbrechung bewußt und beharrlich in gleicher Weise fortgesetzt hat, nachdem er schon zuvor bereits über mehr als zwei Jahre wegen besonders gravierender Ausfälligkeit (Anspucken des Vorsitzenden) von der Teilnahme an der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen war.

b) Vor dem Hintergrund dieses Prozeßverhaltens des Angeklagten Z und seines Verteidigers Rechtsanwalt Ri durfte das Schwurgericht ohne Rechtsfehler davon ausgehen, daß die von diesem Verteidiger angesichts der unmittelbar bevorstehenden Urteilsverkündung abgegebene Erklärung, der bis dahin über mehr als dreieinhalb Jahre schweigende und wegen Ungebührs von der weiteren Verhandlungsteilnahme ausgeschlossene Angeklagte wolle sich nunmehr erstmals zu den Tatvorwürfen in der Hauptverhandlung zunächst im Wege einer schriftlichen Erklärung äußern, zu deren Vorbereitung eine Unterbrechung für mehrere Tage notwendig sei, er wolle sich zudem erstmals einer Untersuchung durch einen Sachverständigen unterziehen, nur zum Schein und zu dem alleinigen Zweck abgegeben wurde, den Abschluß des Verfahrens weiter zu verhindern.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW 2005 S. 2466 Nr. 34
RAAAC-06880

1Nachschlagewerk: ja