Leitsatz
[1] Verkauft der spätere Schuldner ohne vorherige Verpflichtung im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag an einen Insolvenzgläubiger (Käufer) Gegenstände, die er einem anderen Gläubiger zur Sicherheit übereignet hatte und die dieser zur Veräußerung nur an diesen Käufer "freigibt", so werden die Insolvenzgläubiger im allgemeinen durch die dadurch zugunsten des Käufers hergestellte Aufrechnungslage benachteiligt; die Aufrechnung des Käufers gegen die Kaufpreisforderung ist dann gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO i.V. mit § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam.
Gesetze: InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3; InsO § 129; InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug: LG Koblenz
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. GmbH & Co. KG (im folgenden: Schuldnerin), die eine Bauunternehmung mit zwei Arbeitnehmern betrieb.
Die Schuldnerin verkaufte der Beklagten am Teile ihrer Geschäftsausstattung und Waren, die sie zuvor der bank (im folgenden: Bank) zur Sicherung bestehender Forderungen von mehreren 100.000 DM sicherungsübereignet hatte, zu einem Preis von 66.000 DM. Die Bank, die an der Beklagten als Gesellschafterin beteiligt war, hatte das Sicherungsgut "freigegeben" mit der Maßgabe, daß es an die über bessere Verwertungsmöglichkeiten verfügende Beklagte veräußert werde. Die Beklagte rechnete mit eigenen Forderungen gegen die Kaufpreisforderung der Schuldnerin auf.
Am stellte die Schuldnerin den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Der Kläger hält die Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V. mit § 130 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO für unzulässig und verlangt Zahlung des Kaufpreises. Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Gründe
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger könne die Unzulässigkeit der Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltend machen, ohne daß er gleichzeitig die Anfechtung des zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes, hier des Kaufvertrages zwischen der Beklagten und der Schuldnerin, erklären müsse. Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO seien vorliegend erfüllt. Die Beklagte habe die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine nach § 130 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung erlangt. Die Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 129 InsO liege darin, daß die Beklagte durch die Aufrechnung Befriedigung eines Anspruchs in Höhe von 66.000 DM erlangt habe, bezüglich dessen sie sich ansonsten auf eine geringere Insolvenzquote hätte verweisen lassen müssen. Daß die der Beklagten verkauften Gegenstände im Sicherungseigentum der Bank gestanden hätten, ändere daran nichts. Denn die Vereitelung der durch die §§ 166 ff InsO begründeten Rechte des Insolvenzverwalters führe zu einer jedenfalls mittelbaren Gläubigerbenachteiligung.
II.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision greifen nicht durch.
1. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß der Kläger nicht gehindert ist, lediglich die Unzulässigkeit der Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltend zu machen, ohne gleichzeitig die Anfechtung des die Aufrechnungslage begründenden Rechtsgeschäfts (hier: des Kaufvertrages) zu erklären. Der Senat hat bereits zur Rechtslage nach der Konkursordnung und nach der Gesamtvollstreckungsordnung entschieden, daß die Herstellung einer Aufrechnungslage einen selbständigen Anfechtungstatbestand darstellt. Die "Rückgewähr" der Aufrechnungslage erfolgt in der Durchsetzung der Kaufpreisforderung unabhängig von der Gegenforderung; diese kann nicht im Wege der Aufrechnung zur Erfüllung der Schuld aus § 433 Abs. 2 BGB verwendet werden (BGHZ 147, 233, 235 f; , ZIP 2001, 2055, 2056 f). Wie das Berufungsgericht zu Recht ausführt, kann für die Bestimmung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nichts anderes gelten, weil nach dieser Vorschrift die Unzulässigkeit der Aufrechnung kraft Gesetzes eintritt, sofern die Anfechtungsvoraussetzungen vorliegen. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO stellt allein darauf ab, daß "die Möglichkeit der Aufrechnung", also die Herstellung der Aufrechnungslage, durch die anfechtbare Rechtshandlung erlangt wurde (vgl. MünchKomm-InsO/Brandes § 96 Rn. 38; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 96 Rn. 24).
2. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO im Ergebnis zu Recht als erfüllt angesehen.
a) § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfaßt auch den Fall, daß die Aufrechnung - wie hier - vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärt worden ist. Die Aufrechnungserklärung wird, wenn die Anfechtungsvoraussetzungen vorliegen, mit der Eröffnung rückwirkend unwirksam (BT-Drucks. 12/2443, S. 141; MünchKomm-InsO/Brandes aaO Rn. 37; Uhlenbruck aaO).
b) Die Beklagte hat die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung erlangt. Die Aufrechnungslage wurde in inkongruenter Weise hergestellt, weil die Beklagte darauf keinen Anspruch hatte (vgl. BGHZ 147, 233, 240). Eine Verpflichtung der Schuldnerin, mit der Beklagten den Kaufvertrag über die Teile ihrer Geschäftsausstattung und über die verkauften Waren abzuschließen, bestand nicht. Der Kaufvertrag wurde am geschlossen; die Aufrechnungslage wurde also im letzten Monat vor dem am gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet.
c) Entgegen der Auffassung der Revision hat die Herstellung der Aufrechnungslage die Insolvenzgläubiger objektiv benachteiligt (§ 129 Abs. 1 InsO). Die Beklagte hätte ohne die Aufrechnungslage auf ihre ungesicherten Forderungen gegen die Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens allenfalls eine Quote des Nennwerts erhalten. Den Kaufpreis für die an sie veräußerten Gegenstände schuldete sie dagegen in voller Höhe. Wird die vollwertige Kaufpreisschuld durch Aufrechnung mit einem entsprechenden Teil der (minderwertigen) Forderungen der Beklagten erfüllt, so entgeht der Insolvenzmasse der Unterschied zwischen dem Nennwert der Kaufpreisschuld der Beklagten und der bloßen Quote auf deren Gegenforderungen. Da auf die übrigen Insolvenzgläubiger dann rechnerisch eine entsprechend verringerte Insolvenzquote entfällt, sind diese insgesamt geschädigt (vgl. BGHZ 147, 233, 238).
d) An einer Gläubigerbenachteiligung fehlt es nicht deshalb, weil die von der Schuldnerin an die Beklagte verkauften Gegenstände zuvor an die Bank zur Sicherheit übereignet waren, die mit der Beklagten wirtschaftlich verbundene Bank das Sicherungsgut zur Veräußerung an die Beklagte "freigegeben" hatte und sich die Befriedigung der Beklagten durch Aufrechnung daher, wie die Revision meint, bei einer Gesamtbetrachtung als ein wirtschaftlich neutraler Vorgang darstellt.
aa) Rechtlich zutreffend ist das Berufungsgericht von dem Grundsatz ausgegangen, daß mehrere Rechtshandlungen selbst dann anfechtungsrechtlich selbständig zu erfassen sind, wenn sie gleichzeitig vorgenommen werden oder sich wirtschaftlich ergänzen (, ZIP 2002, 489, 490). Für die Beurteilung, ob die Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO), ist deshalb nur auf diejenigen Rechtshandlungen im Verhältnis zwischen der Beklagten und der Schuldnerin abzustellen, durch die die Aufrechnungslage begründet wurde. Besondere Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise die Berücksichtigung der "Freigabeerklärung" der Bank im Rahmen einer sie umfassenden einheitlichen Rechtshandlung in Betracht kommen könnte, sind hier nicht gegeben. Dazu genügt es weder, daß die Bank an der Beklagten beteiligt ist, noch reicht es aus, daß sie auf das ihr nach Insolvenzeröffnung zustehende Absonderungsrecht an den verkauften Gegenständen durch deren "Freigabe" zur Veräußerung an die Beklagte verzichtet hat. Nach dem Vortrag der Beklagten ist die Bank nur eine ihrer Gesellschafterinnen. Die Frage, ob Rechtshandlungen verschiedener Gläubiger ausnahmsweise anfechtungsrechtlich einheitlich zu beurteilen sein könnten, wenn zwischen ihnen rechtliche oder wirtschaftliche Identität besteht, stellt sich hier daher nicht.
bb) Das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung kann nicht deshalb verneint werden, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an den von der Schuldnerin an die Beklagte verkauften und übereigneten Gegenständen zuvor Sicherungseigentum der Bank bestanden hat. Das Sicherungseigentum gewährte der Bank, der selbst Forderungen in Höhe von mehreren 100.000 DM gegen die Schuldnerin zustanden, zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 51 Nr. 1 in Verbindung mit § 50 Abs. 1 InsO ein Recht zur abgesonderten Befriedigung nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 InsO. Nach § 170 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO hat der absonderungsberechtigte Insolvenzgläubiger nicht bloß einen Anspruch auf die Insolvenzquote, sondern er ist nach Abzug der Kosten der Feststellung und der Verwertung aus dem verbleibenden Erlös aus der Verwertung des Gegenstandes der abgesonderten Befriedigung bis zur vollen Höhe seines Anspruchs zu befriedigen (vgl. MünchKomm-InsO/ Ganter, vor §§ 49 bis 52 Rn. 1). Entgegen der Auffassung der Revision folgt daraus aber nicht, daß sich die Veräußerung der sicherungsübereigneten Gegenstände an die Beklagte im Einverständnis mit der Bank für die Insolvenzmasse im Ergebnis als ein wirtschaftlich neutraler Vorgang darstellt. Denn die sicherungsübereigneten Gegenstände stellten bei Begründung der Aufrechnungslage trotz des Absonderungsrechts der Bank für die Insolvenzmasse einen selbständigen, im Kern geschützten Vermögenswert dar (vgl. BGHZ 147, 233, 239). Dieser Vermögenswert ist den Insolvenzgläubigern durch die Veräußerung an die Beklagte entzogen worden. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß dieser der Insolvenzmasse verbleibende Vermögenswert in dem durch § 166 Abs. 1 InsO begründeten Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters zum Ausdruck kommt, das im Interesse aller Insolvenzgläubiger besteht.
Dagegen ist eine die Gläubiger benachteiligende Wirkung im Sinne des § 129 InsO entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (vgl. Gundlach/Frenzel/Schmidt NZI 2002, 20, 21; Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl. Rn. 21.20 und Rn. 13.49; Henckel, aaO S. 819 Rn. 14) nicht schon darin zu sehen, daß bei Weggabe des Absonderungsgutes vor Verfahrenseröffnung für die Insolvenzmasse nicht die Kostenpauschale nach den §§ 170, 171 InsO erlangt werden kann (wie hier Eckardt aaO S. 1739 f.; Obermüller DZWIR 2000, 10, 12; Weis in: Hess/Weis/Wienberg InsO 2. Aufl. § 129 Rn. 67 a; vgl. auch HK-InsO/Kreft, 2. Aufl. § 129 Rn. 58). Mit den §§ 170, 171 InsO soll lediglich die Mehrvergütung ausgeglichen werden, die durch die Bearbeitung von Absonderungsrechten innerhalb des Insolvenzverfahrens anfällt (, ZIP 2003, 632, 635, z.V.b. in BGHZ). Soweit solche Mehrkosten nicht entstehen, soll der Masse folglich auch kein Anspruch auf einen Kostenbeitrag zukommen; nach § 170 Abs. 2 InsO entfällt daher beispielsweise der Anspruch auf Abführung einer Verwertungskostenpauschale, wenn der Verwalter dem Gläubiger die Verwertung überläßt. Sind Absonderungsrechte schon vor Verfahrenseröffnung weggefallen, entsteht weder ein Anspruch auf Ausgleich von Feststellungskosten noch ein solcher auf Ausgleich von Verwertungskosten. Soweit der Insolvenzverwalter auch den rechtlichen Bestand vor Insolvenzeröffnung weggefallener Sicherungsrechte zu prüfen hat, gehört dies zu seinen allgemeinen Verwaltungsaufgaben, für deren Erfüllung keine besondere Leistung an die Insolvenzmasse vorgesehen ist (BGH aaO). Die Masse hat keinen Anspruch darauf, daß Absonderungsrechte (nur) bestehen bleiben, damit deren Feststellung und Verwertung im Insolvenzverfahren Kosten verursachen, die durch Zahlung einer Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale nach den §§ 170, 171 InsO ausgeglichen werden müssen.
cc) Im vorliegenden Fall steht der Annahme eines wirtschaftlich neutralen Geschehens ferner entgegen, daß nach den in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts das Besitzrecht der Schuldnerin zur Zeit der fraglichen Rechtshandlung noch nicht beendet, der Sicherungsfall noch nicht eingetreten war und infolge des Verkaufs der Gegenstände, die die durch Sicherungsübereignung gesicherte Bank "freigegeben" hatte, ungesicherte Forderungen der Beklagten befriedigt worden sind. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, es habe nur eine für die Insolvenzmasse neutrale Verschiebung auf der Gläubigerseite stattgefunden. Da die Bank das Sicherungsgut nicht für sich selbst verwertet hat, braucht nicht geprüft zu werden, ob eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger dann zu verneinen wäre, weil sich die Bank nur im Umfang ihres Absonderungsrechts aus den Gegenständen der Insolvenzmasse selbst befriedigt hätte (vgl. dazu , ZIP 2000, 898; Urt. v. - IX ZR 72/94, ZIP 1995, 630, 634; Urt. v. - IX ZR 230/90, ZIP 1991, 1014, 1017; ferner MünchKomm-InsO/Kirchhof § 129 Rn. 109).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2003 S. 2707 Nr. 51
DB 2004 S. 484 Nr. 9
WAAAC-00672
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja