BFH Beschluss v. - II B 28/04

Rüge mangelnder Sachaufklärung; fehlende Entscheidungserheblichkeit bei Mehrfachbegründung; Verfahrensmangel wegen unterlassener Beiladung eines Gesamtschuldners

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 60 Abs. 3; AO § 44, AO § 360

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Erbe seines 1997 verstorbenen und bis dahin in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) wohnhaften Vaters. Die Eltern des Klägers waren spanische Gastarbeiter, deren Ehe dem Güterstand der Sociedad de Granaciales —einer Art Errungenschaftsgemeinschaft— unterlag. Sie waren 1963 in die Bundesrepublik gekommen und lebten hier seit 1970 getrennt. Ihre Ehe wurde 1985 von einem deutschen Gericht geschieden. Dabei wurde ein Scheidungsfolgenvergleich protokolliert, wonach die Eltern gegenseitig auf Unterhalt verzichteten und die auf einem gemeinsamen Termingeldkonto angelegten 467 260,88 DM hälftig teilten. Sodann hieß es in dem Vergleich, die übrige Vermögensauseinandersetzung der Parteien solle in dem Scheidungsverfahren nicht durchgeführt werden.

Nach dem Tod des Vaters setzten sich die Erben —neben dem Kläger noch eine Schwester— im April 1998 in notariell beurkundeter Form auseinander. Dabei kam es unter Beteiligung der Mutter auch zu einer Auseinandersetzung der bis dahin fortbestehenden Errungenschaftsgemeinschaft der Eltern. Danach hatte das zur Errungenschaftsgemeinschaft gehörende und hälftig in den Nachlass fallende Vermögen einen „Nettowert” von rd. 310 234 DM. Im „Vorbehaltsgut des Vaters” befanden sich gemäß der Urkunde auf Konten in Spanien weitere 1 686 364 DM.

Im Zuge von Ermittlungen bei einem deutschen Kreditinstitut ergab sich, dass der Vater, der bis 1992 nur geringe und danach keine Zinseinkünfte erklärt und keine Vermögensteuererklärungen abgegeben hatte, von Januar bis August 1993 insgesamt 1 238 312,83 DM auf eine Tochtergesellschaft des Kreditinstituts in Luxemburg transferiert, dieses Konto im September 1993 aufgelöst und das Guthaben auf eine spanische Bank übertragen hatte. Daraufhin kam es zu steuerstrafrechtlichen Ermittlungen über die Vermögensverhältnisse des Vaters, worüber der Kläger im Januar 1999 unterrichtet wurde. Gemäß dem Steuerfahndungsbericht vom März 2001 hatte der Vater am ein Kapitalvermögen von 260 000 DM, das bis zum auf 1 577 930 DM angewachsen war.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erließ noch während der Ermittlungen —nämlich am — jeweils gegenüber dem Kläger und seiner Schwester als Rechtsnachfolger des Vaters Vermögensteuerbescheide für 1992 sowie auf den , 1995 und 1996. Nach Vorliegen des Fahndungsberichts ergingen letztmals geänderte Vermögensteuerbescheide, und zwar am auf den , am auf den , am auf den und am auf den . Mit diesen Bescheiden erfasste das FA das zunächst bei dem deutschen Kreditinstitut und sodann auf spanischen Konten angelegte Kapitalvermögen als Vorbehaltsgut in voller Höhe und das in der Auseinandersetzungsurkunde vom April 1998 genannte Gemeinschaftsgut zur Hälfte. Die als Vorbehaltsgut angesehenen in- bzw. ausländischen Bankguthaben waren dabei zum mit 1 020 629 DM, zum mit 1 201 785 DM, zum mit 1 394 282 DM und zum mit 1 471 309 DM angesetzt.

Einspruch und Klage, mit denen der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Vermögensteuer sowie den Ablauf der Festsetzungsfrist geltend gemacht und vorgetragen hatte, ein Teil des Kapitalvermögens sei der Mutter zuzurechnen, weil der Vater bei der Ehescheidung im Jahr 1985 ein zu niedriges Vermögen angegeben habe, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) berief sich zunächst auf die Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bezüglich des Vermögensteuergesetzes (VStG) bis Ende 1996 und nahm ferner an, der Vater habe die Vermögensteuer hinterzogen, so dass noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Sodann verwies es darauf, dass die Errungenschaftsgemeinschaft mit Auflösung der Ehe geendet habe und das streitbefangene Kapitalvermögen in der Auseinandersetzungsurkunde vom April 1998 ausdrücklich als Vorbehaltsgut bezeichnet worden sei. Weiter stellte es fest, dass dieses Vermögen von 1988 bis 1992 ausschließlich auf inländischen Konten angelegt gewesen sei, zum erst 260 000 DM betragen habe und unter Berücksichtigung der Zinsen sowie des väterlichen Arbeitseinkommens auf das für 1992, 1993, 1995 und 1996 besteuerte Kapitalvermögen habe anwachsen können. Dennoch etwa bestehende Ansprüche der Mutter auf Teile dieses Kapitalvermögens hätten zu den streitigen Stichtagen noch keine Belastung für den Vater dargestellt.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger das Unterbleiben einer Beiladung der Schwester sowie mangelnde Sachaufklärung. Letztere ergebe sich daraus, dass das FG angenommen habe, das gesamte streitbefangene Kapitalvermögen sei vom Vater außerhalb der Errungenschaftsgemeinschaft nach 1985 gebildet worden, und somit davon ausgegangen sei, gemeinschaftliches Vermögen sei nur in der Zeit des Zusammenlebens —also vor 1970— entstanden, und zwar in Höhe jener mit dem Scheidungsfolgenvergleich hälftig geteilten 467 260 DM. Diese Annahmen zur Vermögensentwicklung verstießen gegen allgemeine Erfahrungssätze. Ohne weitere Sachaufklärung hätte das FG nur den Erfahrungssatz zugrunde legen dürfen, dass das in der Zeit des Getrenntlebens, nämlich von 1970 bis 1985, gebildete Kapitalvermögen ebenfalls Gemeinschaftsvermögen geworden sei.

Weiter macht der Kläger geltend, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung zu; außerdem erfordere sie zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch das Revisionsgericht. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob eine „schrittweise konfiskatorische Einkommen- und Vermögensbesteuerung unter Verstoß gegen Art. 14 und Art. 5 (gemeint wohl Art. 2 oder 3) des Grundgesetzes (GG) —trotz des (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655)— weiterhin durchsetzbar sein solle”. Diese Frage stelle sich besonders bei Gastarbeitern, die regelmäßig nicht über niedriger bewertetes inländisches Grundvermögen verfügten. Sie würden daher durch eine weitere Anwendung des VStG in europarechtswidriger Weise diskriminiert.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Verfahrensrügen führen nicht zum Erfolg.

a) Die unterbliebene Beiladung der Schwester des Klägers stellt keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dar. Die Geschwister sind als Miterben nach ihrem Vater Gesamtrechtsnachfolger und somit gemäß § 44 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) Gesamtschuldner bezüglich der Vermögensteuer auf die vom Vater verwirklichten Steuertatbestände. Das FA konnte die Vermögensteuer gegen jeden der beiden Erben oder auch nur gegen einen von ihnen festsetzen (, BFHE 109, 123, BStBl II 1973, 544; Klein/ Brockmeyer, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 45 Rz. 26). Legt einer von mehreren Gesamtschuldnern gegen den an ihn gerichteten Bescheid ein Rechtsmittel ein, liegt grundsätzlich weder ein Fall notwendiger Hinzuziehung gemäß § 360 Abs. 3 AO 1977 (Klein/ Brockmeyer, a.a.O., § 360 Rz. 8) noch ein Fall notwendiger Beiladung gemäß § 60 Abs. 3 FGO vor (, BFH/NV 1992, 516; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 60 Rz. 74). Auch im Streitfall braucht die Entscheidung gegenüber den Geschwistern als Erben nicht einheitlich zu ergehen; vielmehr sind Abweichungen in der Bestands- und Rechtskraft —und damit letztlich unterschiedliche Steuerfestsetzungen— hinnehmbar (vgl. dazu , BFHE 173, 207, BStBl II 1994, 405, unter 2.). Die notwendige Beiladung dient auch nicht dem Zweck der Beweiserleichterung.

b) Die Rügen mangelnder Sachaufklärung sind nicht ausreichend begründet (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

aa) Hinsichtlich des Vorhandenseins weiteren Gemeinschaftsvermögens fehlt es an der Darlegung, dass die nach Meinung des Klägers nicht berücksichtigten Umstände entscheidungserheblich sind. Dabei wäre von der Rechtsauffassung des FG auszugehen gewesen. Nur dann kann nämlich die Vorentscheidung auf dem gerügten Mangel beruhen (, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562). Das FG hat aber selbst für den Fall, dass auch noch während des Getrenntlebens der Eltern des Klägers Gemeinschaftsvermögen gebildet worden sein sollte, einen Abzug der daraus der Mutter erwachsenen Ansprüche abgelehnt, weil die Ansprüche zum Zeitpunkt der Entstehung der streitigen Steuern noch keine Belastung für den Vater dargestellt hätten. Bei dieser Rechtsauffassung erübrigte sich für das FG eine weitere Prüfung, ob und in welcher Höhe das nach dem Tod des Vaters im Nachlass vorgefundene Kapitalvermögen schon vor der Ehescheidung gebildet worden ist.

bb) Auch die Rüge, das FG habe es unterlassen, die durch die Steuerfahndung beschlagnahmten Unterlagen wie beantragt beizuziehen und dem Kläger deren Einsicht zu ermöglichen, ist nicht ausreichend begründet. Zur schlüssigen Begründung wäre darzulegen gewesen, welche Tatsachen sich aus diesen Unterlagen voraussichtlich ergeben hätten und welchen Einfluss diese Tatsachen auf das Entscheidungsergebnis hätten haben können (so , BFH/NV 2001, 1439). Dies ist nicht geschehen.

2. Die Frage, ob die Belastung mit Einkommen- und Vermögensteuer gegen Art. 14 und Art. 2 oder 3 GG verstoße und dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 widerspreche, ist im Streitfall schon deshalb nicht klärungsbedürftig, weil das BVerfG das VStG trotz der festgestellten Grundrechtsverstöße auf alle bis zum verwirklichten Tatbestände für weiterhin anwendbar erklärt hat (vgl. dazu BFH-Entscheidungen vom II B 33/97, BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515; vom II R 9/95, BFHE 183, 235, BStBl II 1997, 635, sowie vom II R 104/97, BFHE 185, 510, BStBl II 1998, 632).

3. Hinsichtlich der geltend gemachten Europarechtswidrigkeit fehlt es an einer schlüssigen Darlegung eines Zulassungsgrundes nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Kapitalverkehrs- und/oder Niederlassungsfreiheit.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1849 Nr. 10
HAAAB-91832