BFH Urteil v. - V R 60/04

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb mit notariellem Vertrag vom von X ein bebautes Industriegrundstück zu einem Nettokaufpreis in Höhe von 4 700 000 DM zuzüglich 765 160 DM Umsatzsteuer.

Der Kläger machte den ihm in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbetrag im Rahmen seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung 12/1999 als Vorsteuer geltend und trat diesen Betrag mit Abtretungsanzeige vom vereinbarungsgemäß zur Tilgung von Steuerschulden des Verkäufers X an das für diesen zuständige Finanzamt A ab.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) stimmte der Umsatzsteuer-Voranmeldung 12/1999 (sowie nach Einreichung der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 1999 auch dieser) zu und überwies aufgrund der Abtretungsanzeige vom den abgetretenen Betrag im Februar 2000 mit Wertstellung vom zugunsten des Verkäufers X an das Finanzamt A.

Im Jahr 2002 wurde im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung festgestellt, dass es sich bei der Grundstücksveräußerung vom um eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen gehandelt hatte.

Daraufhin versagte das FA dem Kläger durch geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1999 vom den Vorsteuerabzug und setzte die Umsatzsteuer für 1999 auf 0 € fest. Gleichzeitig setzte das FA gegen den Kläger für die Zeit vom bis Nachzahlungszinsen in Höhe von 25 428 € (bestandskräftig) fest.

Der Grundstücksveräußerer X berichtigte daraufhin mit Schreiben vom gegenüber dem Kläger die diesem erteilte Rechnung, indem er nunmehr den Kaufpreis in Höhe von 4 700 000 DM ohne Umsatzsteuer in Rechnung stellte. Ferner trat er seinen daraus folgenden Erstattungsanspruch aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung 5/2002 in Höhe von 765 160 DM an den Kläger zur Tilgung von dessen Steuerschuld ab. Dementsprechend überwies das Finanzamt A am den Erstattungsbetrag mit Wertstellung vom (Wertstellungstag der ursprünglichen Abtretung an das Finanzamt A) an das FA.

Mit Schreiben vom beantragte der Kläger den Erlass der durch Bescheid vom festgesetzten Zinsen und erhob nach erfolglosem Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid des FA vom Klage.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und verpflichtete das FA zum Erlass der Zinsen. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, ein Liquiditätsvorteil des Klägers (in der Zeit vom bis zum ) könne nicht darin gesehen werden, dass er zunächst eine Umsatzsteuererstattung erhalten habe. Da ihm der Erstattungsbetrag von 765 160 DM nicht zu seiner Verfügung überwiesen worden sei, habe er insoweit keine Möglichkeit einer Kapitalnutzung gehabt. Zwar sei der Betrag dem Kläger deshalb nicht ausgezahlt worden, weil er ihn abgetreten habe. Dies begründe jedoch für ihn keinen Vorteil, weil der abgetretene Anspruch gemäß § 1 Abs. 1 a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) materiell-rechtlich nicht bestanden und der Kläger somit nur über eine Scheinforderung verfügt habe. Diese sei nicht geeignet gewesen, den mit der Abtretung verfolgten Zweck (Schuldentilgung) zu erfüllen.

Auch sei zu berücksichtigen, dass auf Seiten des Steuergläubigers keinerlei Zinsnachteile entstanden seien, die durch Nachzahlungszinsen auszugleichen wären. Denn der —vermeintliche— Erstattungsanspruch habe die Sphäre des Fiskus nie verlassen. Der scheinbare Erstattungsanspruch des Klägers sei ohne Liquiditätsverlust für den Fiskus lediglich buchmäßig zwischen den beteiligten Finanzkassen des FA und des Finanzamts A transferiert worden.

Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1239 veröffentlicht.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung von § 227 i.V.m. § 233a der Abgabenordung (AO 1977). Es ist der Auffassung, das FG habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Kläger durch die Geltendmachung des Vorsteuerbetrages zunächst unberechtigt eine Umsatzsteuererstattung realisiert habe und hierüber auch habe verfügen können. Ein entsprechender Nachteil sei dem Fiskus entstanden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

Er tritt dem Vorbringen des FA entgegen.

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, das FA hätte gegen den Kläger keine Nachzahlungszinsen festsetzen dürfen, weil er durch die verspätete Festsetzung der Umsatzsteuer für 1999 auf 0 € keinen Zins- oder Liquiditätsvorteil gehabt habe.

Führt die Festsetzung der Umsatzsteuer zu einem Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 3 AO 1977, ist dieser gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977), hier für die Umsatzsteuer 1999 also am . Er endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird, spätestens vier Jahre nach seinem Beginn (§ 233a Abs. 2 Satz 3 AO 1977). Wird die Umsatzsteuerfestsetzung —wie im Streitfall— geändert, ist der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer maßgebend für die Zinsberechnung (§ 233a Abs. 5 Sätze 1 und 2 AO 1977).

a) Zweck der Regelungen in § 233a AO 1977 ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (Begründung zum Gesetzentwurf, BTDrucks 11/2157, S. 194). Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheids typischerweise entstanden sind, sollen mit Hilfe der sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich (vgl. , BFHE 187, 198; vom V R 2/02, BFHE 203, 410, BStBl II 2004, 39, unter II. 2. b aa; vom V R 76/01, BFHE 207, 1, BStBl II 2005, 236, unter II. 1.; vom V R 62/03, BFH/NV 2005, 1220, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2005, 627, unter II. 2. b).

b) Im Übrigen fehlt es nicht —wie das FG meint— an einem Liquiditätsvorteil.

Der Kläger hatte mit seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung 12/1999 und später in seiner Umsatzsteuererklärung für 1999 einen Vorsteuerbetrag in Höhe von 765 160 DM als abziehbar geltend gemacht, der ihm (objektiv) aufgrund der Nichtsteuerbarkeit des zugrunde liegenden Eingangsumsatzes (§ 1 Abs. 1 a UStG) nicht zustand. Das FA hatte diesen Vorsteuerbetrag als abziehbar anerkannt. Zu einer Auszahlung des entsprechenden Betrages an den Kläger selbst ist es nur deshalb nicht gekommen, weil dieser mit Abtretungsanzeige vom den Betrag abgetreten hatte und das FA entsprechend verfahren war. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Abtretung eines Erstattungsanspruchs das Vorliegen eines Liquiditätsvorteils beim Abtretenden nicht berührt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 207, 1, BStBl II 2005, 236, unter II. 1.).

Dabei ist —entgegen der Auffassung des FG— unerheblich, dass eine Aufrechnung die ihr zunächst beigemessene Erlöschenswirkung verliert, wenn der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, mit dem aufgerechnet worden ist, später im Wege der Änderung der Steuerfestsetzung aufgehoben oder herabgesetzt wird (vgl. , BFHE 147, 398, BStBl II 1987, 8, unter II. 3.). Dieser rückwirkende Wegfall der Tilgungswirkung einer Aufrechnung betrifft nicht das Steuerschuldverhältnis zwischen dem Kläger und dem FA und ändert nichts daran, dass der Kläger über den ihm zu Unrecht gewährten Steuererstattungsanspruch verfügen konnte und auch —durch Abtretung— verfügt hat.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des Klägers (ebenso Jacobsen/Tietjen, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2003, 417), für die Frage, ob ein Liquiditätsvorteil eingetreten sei, sei die Liquidität des Steuerpflichtigen aufgrund seines „vorschriftswidrigen” Verhaltens mit der fiktiven Liquidität zu vergleichen, die er besessen hätte, wenn er sich „vorschriftsmäßig” verhalten hätte. § 233a AO 1977 sieht nicht die Berücksichtigung eines fiktiven Sachverhalts vor (vgl. , BFH/NV 2005, 1220; HFR 2005, 627, unter II. 2. c).

c) Entgegen der Auffassung des FG ist unerheblich, ob auf Seiten des Steuergläubigers Zinsnachteile entstanden sind, die durch Nachzahlungszinsen auszugleichen wären. Denn die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO 1977 ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung der geschuldeten Steuer vorerst —wegen unzutreffender Steuerfestsetzung— „freigestellt” war (vgl. , BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom V R 94/98, BFH/NV 2000, 610, m.w.N.; vom V R 72/00, BFH/NV 2002, 545, unter II. 2. b; vom V R 66/00, BFH/NV 2003, 591).

Fundstelle(n):
AO-StB 2006 S. 197 Nr. 8
BFH/NV 2006 S. 1434 Nr. 8
HFR 2006 S. 857 Nr. 9
KAAAB-88290